von Ronald Gehrt
Wie schrieb ich doch gestern?
Euro/Yen und Wall Street geben Alarmsignale. Was macht der Dax: Er fällt zur Eröffnung und zieht dann an ... und steigt ... und steigt ... und steigt ... und schließt um 17:30 Uhr im Plus. Unverschämtheit. Aber das kannten wir ja bereits:
Sie kämpfen mit allen Mitteln. Beinharte Verkaufssignale der Charttechnik (neue Korrekturtiefs bei Dow Jones, S&P 500, Nasdaq 100, Nikkei 225, HangSeng) werden niedergewalzt. Gerüchte werden gestreut (Bayer soll übernommen werden, soso ... Aktie daraufhin +5,5%). Im Notfall kauft man halt VW, um den Dax höher zu kriegen, die steigt ja eh immer. Selbst der Euro/Yen-Kurs (sattes Verkaufssignal unter 160) scheint auf einmal völlig egal zu sein. Sie sehen im Chart, wie parallel sich die Kurse bis vor einigen Tagen entwickelten.

Sie wissen, die Momentum-Player haben dieser Tage Gesellschaft bekommen durch die institutionellen Akteure, die zum morgigen Verfalltermin für Optionen und Futures keinesfalls einen weiter abrutschenden Dax gebrauchen können. Also rutscht der Dax nicht ab.
Doch man hatte die bullishe Rechnung ohne den Wirt gemacht. Die Wall Street versuchte eine Erholung ... stockte ... kapitulierte und schloss erneut auf neuen Korrekturtiefs. Das unterstreicht, dass man an anderen Börsen sehr wohl den Ernst der Lage zu erkennen beginnt. Die Konsequenz:
Der Dax kippte im nachbörslichen Handel, nachdem er kurz vor 20 Uhr noch bis auf 7.490 gestiegen war, senkrecht nach unten und schloss um die 7.320. Hoppla. Das heißt noch nicht, dass wir heute dann doch gegen alle Widerstände einen Selloff sehen müssen. Aber es könnte jederzeit passieren. Heute, morgen, nächste Woche.
Wir haben im Gebälk des Finanzsystems den Holzwurm. Dass der ein Einzelexemplar sei, wurde uns lange weisgemacht. Heute wissen wir es besser. Es hat sich unter der Oberfläche offenbar eine ganze Population entwickelt. Doch sehen können wir bislang nichts, außer ein wenig Holzstaub in Form rieselnden Fondskapitals und auf Eis gelegter Fonds, aus denen die Anleger ihr Geld nicht mehr herausbekommen. Es sind nur noch relativ wenige, die immer noch so tun, als wäre alles bestens. Die Mehrheit der Akteure hat verstanden, dass wir nicht abschätzen können, wie zerfressen der Balken ist, auf dem unser Kapital ruht ... und wie schnell sich der Fraß ausbreitet ... bis der Balken bricht.
Daher meine ich, müssen wir uns wirklich darüber klar werden, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Märkte nicht ein bisschen, sondern sehr deutlich weiter nach unten sacken werden, momentan ziemlich hoch ist. Am Freitagmittag fällt eine Gruppe, die den Dax oben halten wollte, schon mal aus. Wie lange die Hedge Funds noch durchhalten, weiß ich nicht. Klar ist aber: Natürlich werden hier hochhebelige Derivate mit zusätzlichem Hebel, weil auch noch meist kreditfinanziert, aufgehäuft, die eine unglaubliche Menge Sprengstoff für den Dax bedeuten. Wenn die anderen Aktienmärkte weiter abbröckeln, wird der Abgabedruck irgendwann so hoch sein, dass diese Akteure nicht mehr dagegenhalten können. Was dann bedeutet:
Sie sitzen auf Unmengen immer tiefer ins Minus laufenden Futures. Und die auch noch teilweise auf Pump. Gehebelte Hebel ... ein Schierlingsbecher. Vernünftige Anleger würden so etwas niemals tun. Aber kann man Leute, die glauben, mit einem rückgetestet erfolgreichen Computerprogramm die Börse, den emotionalsten, unberechenbarsten Markt überhaupt, beherrschen zu wollen, als vernünftig ansehen?
Doch der Schein (und der Chart) zeigt uns einen „unfallbaren“ Dax, den Index mit der rechnerisch höchsten relativen Stärke. Das lässt einen Baissier nach dem anderen aufgeben und eindecken (und die Kurse damit erst recht nach oben bringen). Das lässt diejenigen kleineren Marktteilnehmer, die auf diesen fahrenden Zug aufspringen und beim Futures-Spiel in Kleinen mitmischen, glauben, dass sie risikolos Geld einsacken können. Und beide Gruppen beschäftigt ein Gedanke:

Wenn die anderen Börsen erst mal nach oben drehen, was wird der Dax dann erst zulegen ... traumhaft (oder für Bären: albtraumhaft). Ja, könnte man meinen. Aber erlauben Sie mir, da zu zweifeln. Dieser Gedanke hat einen Haken, und keinen kleinen:
Erstens: Käme die Wende, sind die anderen Börsen weitaus tiefer gefallen als unsere. Also besteht dort per se mehr Grund, einzusteigen. Würde man also die Wahl haben, bei gleichen Rahmenbedingungen in den Dax, den Nasdaq 100 oder den Nikkei einzusteigen .. warum sollte man sich dann für den Dax entscheiden, der weniger „Luft“ nach oben hat?
Zweitens: Da die anderen Börsen mehr aufzuholen haben, wird sich das Aufwärtsmomentum voraussichtlich bei diesen Märkten etablieren. Das würde bedeuten: Für unsere Momentum-Hedge-Fonds wäre der Dax dann nicht mehr der Markt, in dem man Long sein muss. Damit könnte diese wundersame Dauerstütze dann auf einmal wegfallen.
Drittens können diese Akteure ihre angehäuften Futures Long-Positionen (der Open Interest liegt aktuell im Dax Future September-Laufzeit ca. 50% oder um die 100.000 Stück höher als normal) nicht einfach in Kinogutscheine umtauschen. Sie werden sie wohl irgendwie loswerden müssen. 100.000 Futures mehr als normal. Das sind Dimensionen, die lohnen, jetzt nicht einfach entnervt das Bärenfell in die Ecke zu werfen!
Übrigens: Gestern war der Tag, bis zu dem Hedge Fund-Anleger ihren Fonds spätestens mitteilen müssen, dass sie zum Monatsende ihr Geld wiederhaben wollen. Wir werden die Ergebnisse natürlich nicht auf den Tisch gelegt bekommen ... aber die Auswirkungen, falls die Hedge Funds daraufhin auf einmal Geld flüssig machen müssen!
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