Samstag, 06. März 2010
deutsche Anleger lieben Zocker-Aktien wie kaum sonst jemand. Das ist auch der Grund, warum halbseidene Pennystock-Promoter dubiose Explorer-Aktien und anderen Aktien-Sondermüll liebend gerne in Deutschland abladen.
Aktuell ist mit Washington Mutual eine Aktie ganz oben in der Zockergunst, die wirklich eine interessante Story zu bieten hat - auch für Nicht-Aktionäre. Der Tag der Entscheidung rückt näher.
Als das Finanzsystem im September 2008 kurz vor dem Kollaps stand, war schnelles Handeln gefragt, um den Super-GAU bei einer der größten US-Banken überhaupt, der Washington Mutual (WaMu), zu verhindern. Washington Mutual stand trotz ihrer Größe wesentlich weniger stark im Blickpunkt als J.P. Morgan, Goldman Sachs und Co.
Trotzdem war das Institut als "die amerikanische Variante der deutschen Sparkasse" systemrelevant. Das ausgedehnte Filialnetz an der Ostküste, brachte hohe Spareinlagen und weckte Begehrlichkeiten der Konkurrenz.
*J.P. Morgan war schon lange scharf auf die Sparkasse
Zum Beispiel bei J.P. Morgan, dem Investmentbanking-Moloch schlechthin, der letztlich als einer der großen Gewinner aus der Finanzkrise hervorgehen sollte. Über die Tochtergesellschaft Chase war man im Westen bei Privatkunden bereits dick im Geschäft und wollte nun die Ostküste in Angriff nehmen.
Bereits im März 2008 hatte der charismatische CEO Jamie Dimon WaMu als Opfer ausgemacht. Die Finanzkrise hatte bei Washington Mutual in Form fauler Hypothekenkredite zu diesem Zeitpunkt schon tiefe Spuren hinterlassen. WaMu-Boss Kerry Killinger bevorzugte jedoch bei der notwendigen Kapitalerhöhung einen Deal mit dem texanischen Finanzinvestor TPG und gab den Mannen um Dimon einen Korb. Das sollte er später noch bereuen.
Killinger ahnte zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich, dass J.P. Morgan letztendlich eine Komplettübernahme im Sinn hatte, wollte aber die Eigenständigkeit des Unternehmens unbedingt erhalten.
Was er dabei unterschätzte waren die exzellenten Kontakte von Dimon zur Regierung in Washington und speziell zu Finanzminister John Paulson, der als ehemaliger Goldman Sachs-Boss der Investmentbanking-Szene weiter nahestand. Wie später bekannt wurde, haben Paulson und Dimon im Vorfeld des Washington Mutual-Deals nicht weniger als 25-mal telefoniert und sich dabei insgesamt rund 5 1/2 Stunden unterhalten. Mit Killinger hatte Paulson dagegen nur zweimal telefoniert, jeweils auf Initiative des WaMu-CEOs.
*J.P. Morgan verschafft sich indirekten Zugriff auf WaMu
J.P. Morgan entwickelte, nachdem die Verkaufsunwilligkeit von Killinger deutlich geworden war, eine andere Strategie. Man spekulierte, dass die Bank im Zuge der sich verschärfenden Finanzkrise ohnehin vom Einlagensicherungsfonds FDIC einkassiert würde.
Die FDIC prüft bei Bankpleiten Angebote anderer Banken, die Interesse daran haben, Aktiva und Passiva zu übernehmen. Sie erteilt dann meist dem Interessenten den Zuschlag, der möglichst viel der Verbindlichkeiten der zwangsübernommenen Bank trägt und so den Einlagensicherungsfonds entlastet.
Anfang September begannen sich die Ereignisse dann tatsächlich zu überschlagen. Die Finanzkrise verschärfte sich und Washington Mutual befand sich mitten im Abwärtsstrudel. Der US-Aktienguru und ehemalige Hedge Fonds-Manager Jim Cramer empfahl in seiner stark beachteten "Mad Money"-Show die Aktien von Washington Mutual zu verkaufen. Die ersten Kunden zogen ihre Einlagen ab.
Interessante Begebenheit am Rande: Killinger hatte davon Wind bekommen, dass Cramer WaMu in seiner Show covern würde und befürchtete negative Publicity, die die eigenen Probleme verschärfen könnten. Gerichtsunterlagen zufolge rief er deshalb unter anderem bei Paulson an, um seine Bedenken bezüglich der Ausstrahlung vorzubringen. Dieser entgegnete nur, er hätte besser mal das damalige Angebot von Jamie Dimon annehmen sollen. Killinger soll darauf hin das Gespräch wutentbrannt beendet haben.
Seine bösen Vorahnungen sollten sich bestätigen: Am 07. September 2008 wurde er vom Board of Directors (vergleichbar mit dem Aufsichtsrat bei deutschen AGs) seines Postens enthoben und durch Alan Fishman ersetzt.
Bereits zwei Tage später trafen sich Teile der J.P. Morgan-Führungscrew, darunter auch Dimon, mit hochrangigen Regierungsmitarbeitern, unter anderem Paulson, zu einem 45-minütigen Gespräch. Im Anschluss daran gab es ein Meeting zwischen Paulson, zwei Leuten der J.P. Morgan-Führungscrew und FDIC-Chefin Sheila C. Bair. Was darin besprochen wurde ist nicht bekannt. Möglicherweise wurde aber hier bereits der spätere Deal vorbereitet.
*Bank-Run auf Washington Mutual Filialen
Als die Ratingagentur Moody´s die Schulden von Washington Mutual auf Schrott-Status herabstufte, war das Schicksal der Bank endgültig besiegelt. Kunden zogen in Panik ihre Einlagen ab, an einem einzigen Tag über 600 Millionen US-Dollar. Insgesamt hatte man an zehn Tagen einen Aderlass von 16,7 Milliarden US-Dollar zu beklagen.
Einen Tag danach existierte bei J.P. Morgan bereits eine zweiseitige Präsentation, wie eine mögliche Übernahme von Washington Mutual vonstatten gehen könnte. Drei Tage später umfasste selbige bereits 31 Seiten und enthielt Details zu Finanzierungsstruktur und rechtlichen Fragen.
Unterdessen hatte FDIC-Chefin Bair den neuen WaMu-Vorstand Fishman aufgefordert die Bank bis Monatsende zu verkaufen. Dieser machte sich darauf hin auf den Weg zur Ostküste, um nach möglichen Käufern zu suchen. Seine Bemühungen reportete er dann brav an Bair.
*Gespräche hinter dem Rücken von J.P. Morgan
Was weder Fishman noch sonst jemand bei WaMu wusste: J.P. Morgan war bereits von der FDIC kontaktiert und gebeten worden, eine Lösung für "den Fall WaMu" auszuarbeiten. Bei der von Fishman in Zusammenarbeit mit Goldman Sachs initiierten Verkaufsauktion hielt sich J.P. Morgan vornehm zurück. Ziel war weiter der indirekte Zugriff über die FDIC.
Prekär: Obwohl Fishman bis Monatsende Zeit gegeben wurde, nach einem Käufer zu suchen, erhielt J.P. Morgan bereits am 23. September eine Nachricht von der FDIC. Man sei eine der ausgewählten Banken, die ein Kaufangebot für Washington Mutual unterbreiten dürfen, hieß es darin.
Die New Yorker ließen sich nicht zweimal bitten und bereits einen Tag (!) später informierte die FDIC J.P. Morgan, dass ihr Gebot erfolgreich gewesen sei.
Einen weiteren Tag später wurde Washington Mutual geschlossen.
• Washington Mutual
• WKN /
US-Kürzel
893906 /
WAMUQ
• Börsenwert
483 Mio. EUR
• KGV 10e / 11e
neg. / neg.
• Div.-Rend. 10e
Keine!
• Akt. Kurs
0,277 EUR
*Übernahme zum Spottpreis
Kein Wunder, dass mit Bekanntwerden der Details Zweifel an der Unabhängigkeit der FDIC und einem ordnungsgemäßen Bieterverfahren aufkamen. Stark umstritten ist auch der Kaufpreis:
J.P. Morgan hat für Vermögenswerte von Washington Mutual in Höhe von 119 Milliarden US-Dollar nur 1,88 Milliarden US-Dollar bezahlt, oder anders ausgedrückt, für jeden Dollar gerade einmal eineinhalb Cent.
Zum Vergleich: Alleine mit den Krediten, die man von WaMu übernommen hat und die damals als "faul" eingestuft wurden, wird J.P. Morgan aktuellen Schätzungen zufolge 24 Milliarden US-Dollar verdienen, wovon das meiste auch als Gewinn verbucht werden wird. Schließlich hatte man die Kredite nach der Übernahme quasi vollständig abgeschrieben.
Bereits im Geschäftsbericht 2008 hatte J.P. Morgan einen so genannten negativen Goodwill in Höhe von 1,9 Milliarden US-Dollar verbucht. Das bedeutet, man hat weniger als den Buchwert für die Aktiva bezahlt. Üblich ist bei Übernahmen aber das Gegenteil.
*Klage von Washington Mutual
Auf den ersten Blick scheint es da verständlich, dass sich Washington Mutual und seine Aktionäre betrogen fühlen. Bereits seit März 2009 läuft ein Prozess von WaMu gegen J.P. Morgan und die FDIC. Inzwischen kommen immer neue Klagen hinzu. Es geht um Schadensersatz-Forderungen in Milliardenhöhe.
Unter anderem auch um ein Konto mit einem Guthaben von vier Milliarden US-Dollar, das bei Washington Mutual eingerichtet wurde und sich nun im Besitz von J.P. Morgan befindet.
Die Kontrahenten haben noch bis zum 12. März Zeit, um sich außerbörslich zu einigen. Aktionäre von Washington Mutual spekulieren nun auf einen Vergleich, in dessen Rahmen das Unternehmen eine Milliarden-Summe zugesprochen bekommt und der gleichzeitig ein Präzedenzfall für weitere Klagen sein könnte.
Das wiederum würde den Wert von Washington Mutual und damit der Aktie dramatisch erhöhen. Das Unternehmen ist beim aktuellen Kurs von 0,40 US-Dollar bereits mit rund 675 Millionen US-Dollar und damit für ein insolventes Unternehmen stattlich bewertet. Andererseits entspricht das aber nur rund einem Fünftel des Kurses unmittelbar vor der Schließung der Bank.
*Die Position von J.P. Morgan
J.P. Morgan und die FDIC sehen die Lage naturgemäß komplett anders. Sie sind der Ansicht, dass Washington Mutual durch den enormen Aderlass und den Umfang der nicht bedienten Hypothekenkredite zum Zeitpunkt der Übernahme nicht mehr lebensfähig und so eine Schließung zwingend notwendig war.
J.P. Morgan-CEO Jamie Dimon spricht sogar davon, dass man noch zuviel bezahlt habe und auf Grund der beträchtlichen Risiken, die man damals fürs eigene Unternehmen eingegangen sei, ein rein symbolischer Preis von einem US-Dollar angemessen gewesen wäre.
Zweifel an dieser These sind angebracht. Schließlich hat J.P. Morgan bei weitem nicht alle Verbindlichkeiten übernommen. Am Ende blieben die FDIC und letztlich der amerikanische Steuerzahler auf Schulden in Höhe von 15,2 Milliarden US-Dollar sitzen.
Bei aller Kritik an den Protagonisten: Zum Zeitpunkt des Washington Mutual-Falls herrschte am Finanzmarkt nackte Panik. Nicht weniger als das gesamte System stand auf der Kippe. Darf man in einer solchen Lage auf Einzelschicksale Rücksicht nehmen? Kein leichter Fall für Konkursrichterin Mary Walrath, die das letzte Wort haben wird, wenn es zu keiner außergerichtlichen Einigung kommen sollte.
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