Auf ein ehrliches Wort

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calexa:

Auf ein ehrliches Wort

 
08.03.03 14:28
Was tut der Chef, wenn er seinen Leuten klarmachen muss, dass die Sache jetzt wirklich ernst ist? Nicht das bisschen Rezession.




Nicht die kleinen Bilanztricksereien. Nicht die Nickeligkeiten, ob Dienstwagen oder kein Dienstwagen. Nein, so richtig schlimm. Und dass jetzt die allerletzten Reserven mobilisiert werden müssen. Dann ruft der Chef seine Vertrauten früh um sieben zu sich und legt viel Verantwortung auf viele Schultern. Er redet eindringlich und macht seinen Jungs klar, "dass wir es alle zusammen schaffen müssen, sonst sind wir alle dran".

Dann sitzen sie da am frühen Morgen und denken darüber nach, wie das geht, wenn alle zusammen es schaffen müssen. Und ob es wirklich stimmt, dass alle dran sind, wenn der Laden kracht. Oder ob es nur wieder derselbe miese kleine Trick ist, der immer kommt, wenn eigentlich die unbezahlten Überstunden gemeint sind.

Zuerst sagt Becker, dass die Gratifikationen gestrichen werden sollen. Das sagt er immer. Aber das geht nicht, weil das demotivierend ist. Dann schlägt Schmithuber vor, dass alle Assistentinnen gefeuert werden müssen. Dann würde selbst Meyer von der Personalabteilung kapieren, dass es ernst ist. Das ginge, sagt der Chef. Aber das haben wir jetzt auch schon dreimal gemacht, da sind nur noch welche übrig, die schwanger sind und sich sicherheitshalber haben in den Betriebsrat wählen lassen. Schließlich sagt der blasse Fest: "Chef, halte eine Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede an die gesamte Belegschaft. Ohne Powerpoint. Nur du. Und die ehrliche Rede."


Blut, Schweiß und Tränen

Das finden natürlich alle klasse. Sie wissen, wenn Blut, Schweiß und Tränen dran sind, dann sind sie es noch nicht. Fragt sich nur, ob das wirklich schlau ist, eine solche Rede zu halten. Denn erstens schadet sie dem Aktienkurs und damit den Stock Options: Nehmen wir die Allianz-Versicherung. Würde da jetzt Henning Schulte-Noelle eine Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede halten, würde der Kurs krachen. Alle wären sauer, würden unablässig rechnen, welche Blutspuren diese unnötige Ansprache im eigenen Depot hinterlassen hat.

In der Politik wird am nächsten Freitag eine echte Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede gehalten. Vom Bundeskanzler. Sagen alle. Nur ob sie einer glaubt, darauf werden noch Wetten gemacht. Kann Gerhard Schröder so etwas überhaupt? Seine Redenschreiber werden natürlich beflissen nicken und ihm versichern: Klar Gerd, das klappt, schließlich musst du es ja nur ablesen. Sein Rhetorik-Coach dagegen wird ein bisschen zögern. Widerspricht man einem Kanzler? Und dann wird er sagen: Es wird schon gehen, vielleicht ein bisschen weniger Blut und die Tränen runtermoderieren, aber der Schweiß wird bleiben, das geht zusammen mit Arbeitnehmerinteressen, und die Unternehmer werden auch nichts dagegen haben. Der Spin Doctor wird begeistert sein und viel Blut, viel Schweiß und ganz viele Tränen fordern und sagen, wenn es beim ersten Mal nicht sitzt, dann macht es nix, dann gehen wir einfach noch mal in die Glotze und rücken es zurecht.

Das Risiko einer solchen Ansprache ist also beträchtlich. Lohnt es sich trotzdem, eine Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede zu halten? Nein. Es lohnt sich fast nie. Die Risiken sind zu hoch. Eine Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede kann gefahrlos nur einer halten, der nichts mehr zu verlieren hat. Und warum sich dann noch die Mühe machen?

So long,
Calexa
www.investorweb.de
calexa:

Wie wahr, wie wahr.... o. T.

 
09.03.03 18:39
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