JP Morgan - Masters of the Universe
17. Februar 2010, 08:30 Uhr
JP Morgan steigt in die Topliga der Rohstoffhändler auf. Hinter der Übernahme großer Teile von RBS Sempra steckt eine alte Bekannte: Blythe Masters, das Wunderkind der Wall Street. Sie war ein Kopf hinter den Instrumenten, die zur Finanzkrise führten.
Einmal musste auch sie Pause machen. Als Blythe Masters zur Geburt ihres Kindes in ein Londoner Krankenhaus fuhr, hatte sie zwar ein Gerät in der Hand, das die Preisentwicklungen auf den Rohstoffmärkten anzeigte. Als aber eine Zeitung behauptete, sie habe noch gearbeitet, als die Wehen bereits einsetzten, musste diese eine Richtigstellung drucken: Masters habe sich mit dem Lesen der Finanzdaten nur die Zeit vertreiben wollen.
Nein, Leerlaufphasen passen nicht ins Leben von Blythe Masters, das so atemlos und schnell nach oben ging: Seit 1991 bei JP Morgan, angefangen als Rohstoffhändlerin, da kam sie frisch vom Trinity College in Cambridge - und schon 2004 Finanzchefin der Großbank. Mit 34 Jahren. Als der britische "Guardian" 35 Jahre schrieb, musste er auch das korrigieren. Seit 2007 steht sie an der Spitze der Rohstoffabteilung. Und diese expandiert unter ihrer Führung so aggressiv, dass Masters spätestens jetzt die mächtigste Frau an der Wall Street ist.
Am Dienstag konnte JP Morgan Vollzug melden. Das New Yorker Institut kauft für 1,7 Mrd. $ zentrale Teile von RBS Sempra. Mit dem Rohstoffhändler, der vor allem im Öl-, Gas- und Metallgeschäft aktiv ist, verdoppelt die Abteilung von Masters eben mal ihre Kundenzahl.
Es ist mehr als einer dieser Milliardendeals. JP Morgan steigt damit zu den beiden Banken auf, die das Rohstoffgeschäft jahrzehntelang dominiert haben: Goldman Sachs und Morgan Stanley. Sie wolle einen "wirklichen Weltführer" aufbauen, verspricht die inzwischen 40-Jährige am Tag des Triumphs. "Wir freuen uns, die talentierten Mitarbeiter von RBS Sempra bei JP Morgan willkommen zu heißen."
Es ist auch eine Kampfansage an Barack Obama. Der US-Präsident will allen Banken, deren Einlagen vom Staat besichert sind, den Eigenhandel verbieten. Genau auf dieses Geschäft setzt Masters bei ihrem Angriff auf Goldman und Morgan. "JP Morgan testet die Standhaftigkeit der Regierung", sagt Richard Bove, Analyst bei Rochdale Securities. Ausgerechnet JP Morgan. Und ausgerechnet Blythe Masters.
Wieder nutzt JP Morgan, der Krisengewinner unter den US-Großbanken, die Schwäche von Konkurrenten aus. Im März 2008 kaufte das Institut in einer Wochenendaktion Bear Stearns - und baute so das Rohstoffgeschäft aus. Im Februar 2009 übernahm die Bank wesentliche Teile der UBS-Rohstoffabteilung, nachdem die Schweizer Bank schwer ins Schlingern geraten war.
Und jetzt RBS Sempra, ein Joint Venture der Royal Bank of Scotland und Sempra Energy, das auf Druck der Europäischen Kommission zerschlagen werden muss. "Das Unternehmen passt perfekt zu JP Morgan", sagt Craig Pirrong, Finanzprofessor an der University of Houston. "Vielleicht kommt die Expansion zu schnell, aber sie nutzen eben jede Gelegenheit."
Keine Frau polarisiert in der Finanzwelt so sehr wie Blythe Masters. Eine Frau, die viele für genial und manche für gefährlich halten. Sie war eine der Köpfe hinter jenen Kreditderivaten - Credit Default Swaps, kurz CDS - die als einer der Auslöser für die Finanzkrise gelten. Warren Buffet hat Kreditderivate einmal mit Massenvernichtungswaffen verglichen. "Wenn dieser Vergleich stimmt", schrieb der "Guardian", "ist Blythe Masters eine der Zerstörerinnen der Welt." Sie sieht das natürlich anders, sagt, dass CDS falsch eingesetzt wurden, "so wie schlechte Handwerker dazu zu neigen, ihrem Werkzeug die Schuld zu geben."
Das Werkzeug zur Finanzkrise aber stammt aus ihrer Hand. In den 90ern gehört die Britin zu dem Team, das von vielen an der Wall Street die "JP Morgan-Mafia" genannt wird. Hochtalentierte, ehrgeizige Jungbanker, die einen großen Plan haben: Kredite und das Ausfallrisiko zu trennen und damit aus der Bilanz auszulagern - und zwar in großen Stil, in ganzen Bündeln, in riesigen Paketen.
Sie arbeiten hart, Masters ist eine Frau, die immer erreichbar ist, immer ansprechbar ist, immer fordert. Auf E-Mails bekommen Kollegen oft schon nach einer halben Minute eine Antwort. Als "pushy" beschreiben sie Mitarbeiter und "sharp".
Das Team feiert aber auch ausgiebig. Bei einem Wochenend-Workshop in Boca Raton in Florida, wohnen sie in Villen im spanischen Stil, trinken auf Kosten der Bank, Tennisplätze und feine Sandstrände sind direkt vor der Haustür. Am Ende ist die Stimmung so gut, dass sie sich gegenseitig in Kleidern in den Pool schmeißen.
In diesem Team entsteht das Konzept zu den CDS. JP Morgan führt die Ausfallversicherung unter dem Namen "Bistro" (Board Index Secured Trust Offering) ein, und bündelt darin 300 Credit Swaps, Versicherungen auf Ausfälle von Unternehmen wie Wal-Mart, IBM oder General Electric im Wert von 9,7 Mrd. $. Der Job von Blythe Masters ist es, Bistro zu vermarkten.
Und sie macht ihren Job gut. Sie wird gefeiert. Damals schwärmt Masters von den "enormen Möglichkeiten". Im Februar 2000 prophezeit sie Kreditderivaten Marke Bistro eine große Zukunft. "In fünf Jahren werden Kommentatoren auf die Geburt von Kreditderivaten als Wendepunkt zurückblicken", schreibt sie in einer JP Morgan-Broschüre. Produkte wie Bistro veränderten "grundsätzlich die Art, in der Banken Kreditrisiken bewerten, verwalten, übertragen und bilanzieren". Wie recht sie gehabt hat. Wenngleich die Folgen furchtbar waren. Ihre Spindoktoren betonen heute, dass Masters seit fast zehn Jahren nicht mehr im Kreditderivategeschäft aktiv ist. Vergeblich: Überall gilt sie als die Erfindern der toxischen Instrumente. "Sie hat definitiv eine wichtige Rolle gespielt", sagt Finanzprofessor Pirrong.
Masters bringt sogar das Weltbild gestandener Feministinnen ins Wanken. "Als ich anfing, über CDS zu recherchieren, hatte ich definitiv keine rosaroten Vorstellungen von dem Urheber", schreibt die TV-Journalistin Elana Centor in ihrem Blog. "Ich war so sicher, dass die Übeltäter testosterongetriebene Wagnis-Kapitalisten-Typen waren, dass ich bereits über Gründe nachdachte, warum eine Frau niemals mit einem Schema aufkreuzen würde, das globale Märkte in die Knie zwingt." Dann erfuhr sie von Masters - und fiel aus allen Wolken. "Ich hatte die falsche Vorstellung, dass Frauen in der amerikanischen Unternehmenswelt andere Wertvorstellungen haben als Männer."
Große Erwartungen
Deal Der Verkauf von RBS Sempra ist Teil der EU-Auflagen für die Staatshilfe an die Royal Bank of Scotland (RBS), die zu 84 Prozent dem britischen Staat gehört. RBS hält 51 Prozent an dem 2008 gegründeten Gemeinschaftsunternehmen, Sempra Energy 49 Prozent. Der RBS fließen 800 Mio. $ zu, dem kalifornischen Versorger Sempra Energy 940 Mio. $.
Ziel Jahrelang haben zwei große Institute den Handel am 4000 Mrd. $ schweren Markt für Rohstoff- und Energiederivate bestimmt: Goldman Sachs und Morgan Stanley. JP Morgan will nun aufschließen. Die Investmentbank hatte die Sparte durch die Übernahme von Bear Stearns vor zwei Jahren ausgebaut. Nun verdoppelt sich der Kundenstamm.
Schon im zweiten Quartal soll der Sempra-Deal abgeschlossen sein. Dann ist Masters Chefin eines Unternehmens, das vor 20 Jahren ausgerechnet von dem Unternehmen gegründet wurde, das die CDS in die Tiefe rissen: AIG. Der einst weltgrößte Versicherer krallte sich damals 150 der besten Händler des insolventen Brokers Drexel Burnham Lambert. Weitere Mitarbeiter kamen von der Metallgesellschaft, die in den 80ern im Londoner Ölhandel erfolgreich war, und dann ebenfalls kollabierte. Chef war zuletzt Kaushik Amin, er war zuvor 14 Jahre lang bei Lehman Brothers. Auch andere Lehman-Händler sollen sich nach der Pleite der Investmentbank Sempra angeschlossen haben.
Die Broker war immer wieder für Schlagzeilen gut: Im Februar 2002 trieb das Genfer Ölhändlerteam den Markt mit einer umstrittenen Großbestellung in die Enge. Erst Mitte des Monates kam heraus, dass eine Großorder aus China der Grund war. Drei Jahre später produzierte ein Händler des chinesischen Staatsfonds mit Leerverkäufen hohe Verluste - größter Broker war laut chinesischen Medien Sempra.
Nun übernimmt Masters - und sie führt ihren Angriff zu einem spannenden Zeitpunkt: Der Markt für Rohstoff- und Energiederivate ist so umkämpft wie noch nie. Der US-Kongress berät derzeit, einen Emissionshandel einzuführen, nach europäischem Vorbild, nur größer. "Wenn sie ein Gesetz verabschieden, entsteht der größte Markt der Welt", sagt Joseph Mason, Finanzprofessor an der Drexel University. "Das europäische Cap-and-Trade ist ein Klacks dagegen." Der Markt für die Emissionsrechte werde im Jahr 2020 mehr als 300 Mrd. $ groß sein, schätzen die Experten von Point Carbon. Bart Chilton, Kommissar bei dem Rohstoffregulierer CFTC, rechnet sogar mit bis zu 2000 Mrd. $. Der Klimawandel werde zum größten Investmenttrend aller Zeiten, verkündete kürzlich Kevin Parker, Chef des Asset-Managements der Deutschen Bank.
Masters hat das Feld bereitet. Schon im Juli 2007 hat sie im US-Senat darum gekämpft, dass die Wall Street zum Zug kommt. "Um das Problem des Klimawandels möglichst effizient angehen zu können, müssen die Treibhausgasemissionen einen Preis bekommen", sagte sie. JP Morgan unterstütze eine Struktur, die den Ausstoß begrenze, und werde die Preisbildung möglich machen. "Eine erfolgreiche Klimapolitik ist nur mit einer starken, starken Beteiligung von Investmentunternehmen möglich."
Nun ist Blythe Masters am Ziel, wieder einmal. "Mach deine Hausaufgaben, aber riskier' auch was" lautet ihr Credo. "Wer Gelegenheiten beim Schopfe greift, macht am ehesten sein Glück." Blythe Masters bleibt sich treu.
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