Der Aufschwung braucht neue Konzepte

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tom68:

Der Aufschwung braucht neue Konzepte

 
25.04.01 19:39
Quelle: WO

Der Aufschwung braucht neue Konzepte
 
Aktionäre wollen nicht mehr spekulieren sondern gute Dividenden bekommen
 
Viele Aktien stehen heute nicht mal mehr so hoch in der Kursliste wie Eigenkapital der Unternehmen hinter den Aktien steht. Dennoch wollen Anleger nicht kaufen; selbst von Firmen nicht, die gutes Wachstum und kräftige Gewinne vorweisen. Offenbar tun die Gesellschaften nicht genug für ihre Finanzkunden.

Ein Riesenproblem liegt vor Deutschlands Finanzstrategen. Das erfahre ich aus höchsten Industriekreisen, die mir gleichzeitig versichern, die höchsten Banken wüssten auch keine Lösung. Niedrige Kurse erschweren die Finanzierung des Unternehmenswachstums. Niedrige Dividenden erschweren Anlegern den Kauf der Aktien. Dies gilt umso mehr, als die Anleger von der Hoffnung auf Kursgewinne einstweilen geheilt sind.

Die Firmen können es sich nicht länger leisten, die Eigentümer, praktisch die Aktionäre, aus der Firma zu jagen, wenn sie denn ihren Kapitalertrag sehen wollen. Das heißt, wer von Anlegern erwartet, dass sie durch Kauf und Verkauf an der Börse auf Kursgewinne spekulieren, der hat sich - aus meiner Sicht - verspekuliert. Und wer sich aus Unternehmenssicht über schlechte Aktienkurse beklagt, muss sehen, dass er seinen Finanzkunden, die Börsenanleger, mehr umwirbt und dass er sie, wenn er sie denn gewonnen hat, auch bei der Stange hält. Diese Maxime erfordert einiges Umdenken in den Finanz-Etagen.

Momentan jetten die Finanzmanager noch regelmäßig nach London, Edinburgh, New York und in die anderen Finanzmetropolen. Und wissen genau, dass die meisten Analysten in den 15-Minuten-One-to-Ones, das sind die weltweit üblichen Unternehmenspräsentrationen, gar nicht recht zuhören. Oder dass die Anleger nicht mehr auf die Analysten hören wollen. Zu schlecht sind die Erfahrungen, die sie mit Mond-Prognosen gemacht haben; zu bitter die Erkenntnisse, dass Analysten nur beschränkt objektiv sein können, weil sie Teil des „Verkaufsystems Bank“ sind, das neudeutsch mit „Sell-Side“ beschrieben wird. Dieser Begriff umschreibt die Tatsache, dass es in manchen Studien mitunter wohl mehr um Marketing als um Analysen geht.

In dieser Erkenntnis sind sich die Finanzstrategen einig: Der Höhepunkt der Analystenkultur ist überschritten. Die Akzeptanz ihrer Prognosen sinkt. An die Stelle der herkömmlichen Sell-Side muss etwas Neues treten. Das ist das Problem. Die Firmen müssen heute mehr denn je selbst zusehen, wie sie ihre Finanzen direkt an den Anleger verkauft kriegen. Sie müssen sich enorm anstrengen, um Anlagestimmung zu erzeugen, die neue Aktienkäufe auslöst oder wenigstens weitere Verkäufe der Anleger vermeidet.

Kundenbindungsbemühungen gibt es heute also nicht nur in den klassischen Verkaufsabteilungen der Unternehmen. Verstärkt muss es sie nun auch in den Finanzressorts geben. Dabei kommt es zunächst darauf an, was den Kunden, sprich den Anleger, zufrieden macht. Nur vordergründig sind das Kursgewinne. Denn die Kehrseite dieser Gewinne sind Übertreibungen, Kursverluste und Vertrauensverluste, die weit über den Nahbereich von Aktiengesellschaft und Börse hinausgehen.

Wenn Anleger das Vertrauen in Aktien nicht wiedergewinnen, werden Minister Riester und Kanzler Schröder mit dem Versuch scheitern, die Altersvorsorge vom wackeligen Umlageverfahren auf das angebliche sicherere Kapitaldeckungsverfahren mit Aktien umzustellen. Die Strategen vom Neuen Markt wie aus der so genannten Old Economy müssen sich also etwas einfallen lassen. Wer mit Aktien auf die Rente spart, kann und will nicht gezwungen sein, herum zu spekulieren. Er will gute und verlässliche Informationen bekommen. Er will ausreichende Dividenden kassieren und am besten auch eine Möglichkeit erhalten, die Dividenden direkt wieder in Aktien seines Vertrauens investieren zu können, wie es in den USA seit Jahrzehnten zum guten Ton gehört.



Autor: Martin Beier, 18:05 25.04.01
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