Eine Welt ohne Geld

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Eine Welt ohne Geld

 
12.10.08 11:33
Welt ohne Geld (EuramS)

Was geschehen muss, um den Finanzkreislauf nach dem Kollaps wieder in Schwung zu bringen. Und wie lange das dauern kann.

von Martin Blümel

Jetzt wissen wir Bescheid. Nach einer höchst turbulenten Woche dürfte den Letzten auf Erden inzwischen klar geworden sein, dass die Regierungen der Welt ganz tief in die Trickkiste greifen müssen, um das Finanzsystem zu stabilisieren. Gleichwohl fürchten immer noch viele, die Maßnahmen könnten vergebens sein. So wurde in den ARD-"Tagesthemen" schon der Bank-Run zum Thema, der Sturm der Sparer auf Banken und Sparkassen zur Rettung ihrer Guthaben. Der Run fand allerdings nicht statt.

Dafür haben wir alles gesehen, was Politik und Notenbanken zur Stabilisierung der Lage an Mitteln zur Verfügung steht: Bürgschaften, Garantien, Liquiditätsspritzen, warme Worte der Beruhigung. Dazu macht das wenig liberale Banken-Rettungspaket der USA jetzt auch in Großbritannien Schule. Und zuletzt senkten gleich sieben Notenbanken überraschend und gemeinsam ihre Leitzinsen – die US-Notenbank Fed, die Europäische Zentralbank, die Bank von England, die kanadische, die schwedische und die Schweizer Notenbank sowie – zum ersten Mal im Konzert der Großen dabei – die chinesische Zentralbank. Wichtige Aktionen. Aber noch nicht genug.

Der nächste konequente Schritt heißt Deleveraging. Wörtlich übersetzt heißt das so viel wie Enthebelung. Im Klartext: "Die Bankbilanzen brauchen so schnell wie möglich neues, sauberes Eigenkapital", so Hilmar Kopper, der einstige Chef der Deutschen Bank. Das geht aber derzeit nur mit Staatshilfe. Und siehe da, US-Finanzminister Henry Paulson bestätigte am Mittwoch, er wolle, wenn nötig, die Banken mit frischem Eigenkapital neu auf die Beine stellen. Das käme zwar einer teilweisen oder vollständigen Übernahme durch den Staat gleich, zudem zulasten steigender Staatsverschuldung, könnte aber das A und O eines Neubeginns sein. Denn Rekapitalisierungsmaßnahmen retteten Anfang der 90er-Jahre das schwedische Finanzsystem und Ende der 90er das japanische – Letzteres nach langem Zaudern der Politik und daraus folgender Depression. Die Welt hat wohl gelernt. Worst-Case-Szenarien, die das Ende des globalen Geldsystems in Aussicht stellten, erscheinen deshalb abwegig.

Island vollzieht gezwungenermaßen die Koppersche Forderung . Nach einer Nachtsitzung der Regierung und einer Fernsehansprache, in der Premier Geir Haarde vor dem "Staatsbankrott" warnte, stimmte das isländische Parlament einer Notstandsgesetzgebung zu, nach der der Staat die komplette Kontrolle über das schwer angeschla­gene Bankensystem übernimmt. Zur Abwendung einer Staatspleite hofft der Inselstaat zudem auf milliardenschwere Hilfen aus Russland. "So long and thanks for all the fish", kommentiert das Wirtschaftsblatt "Financial Times".Nahezu zur selben Zeit verrät Angstforscher Borwin Bandelow in Frank Plasbergs wöchentlicher Fernsehsendung "Hart aber fair", er "bete lieber für sein eigenes ­Geldvermögen als panisch umzuschichten". Der Vertrauensverlust wiegt offensichtlich schwer. Das Erkennen der Prob­leme traf Öffent­lichkeit und Börsen mit voller Wucht.

Was 2007 noch recht überschaubar mit der – lange unterschätzten und deshalb kleingeredeten – Subprime-Krise begann, wuchs sich über die Monate zu einer beispiellosen Finanzkrise aus. Nach Offenlegung der Fakten ist man händeringend um die Vermeidung des GAUs bemüht: Die Realwirtschaft (eine Terminologie, die die Finanzwirtschaft ins Reich des Ir- wenn nicht gar Surrealen rückt) steht kurz vor einer handfesten Rezession. Das will erst einmal verdaut sein. Erschien die Stimmung an den Finanzmärkten zu Beginn des Jahres übertrieben positiv, so rutscht sie jetzt möglicherweise ins übertrieben Negative.

Einen Vorgeschmack lieferte die vergangene Woche. Daytrader erfreuten sich an der extremen Volatilität, langfristig orientierte Anleger dagegen erlebten die Kernschmelze ihres Depots. Verkauft wird in diesen Tagen alles – mit Ausnahme von Gold und Anleihen solide erscheinender Staaten, so etwa deutsche Papiere. Insgesamt aber haben wir es seit Jahresbeginn mit einer breit angelegten und sich beschleunigenden Deflation der Vermögenswerte zu tun. Auf Immobilien und Finanzaktien folgten Rohstoffe, darauf zyk­lische Industriewerte, Tech-Aktien, Versorger, und last but not least auch der letzte Zufluchtsbereich der Aktienwelt: Biotech.

Die Kurse stürzen weltweit, in den USA, Europa, den Schwellenländern. Das herbeigesehnte Phänomen Decoupling fand und findet nicht statt – also das Abkoppeln der Börsen der erstarkten Nationen in Asien, Osteuropa und Lateinamerika von den Wirtschafts- und Finanzmarktentwicklungen der etablierten Welt. Auch das Prinzip Carry Trade hat entsprechend ein Ende gefunden: Bis vor wenigen Monaten noch verschuldeten sich Investoren billig in Niedrigzinsländern wie Japan und legten das Geld gewinnbringend in Hochzinsländern an. Das ist passé. Jetzt steigt der japanische Yen wieder, und Hochzinswährungen wie etwa der Australdollar schmieren ab.

Wer will unter diesen Umständen Aktien kaufen?Kurzfristig lockt jetzt vielleicht eine gute Gelegenheit. Aber auf lange Sicht? Wer sich an der "Psychologie der Märkte" orientiert, dürfte eher noch zur Vorsicht neigen. In der Verhaltensökonomik (Behavioral Finance) geht man davon aus, dass eine Baisse in der Regel nach einem fünfstufigen Schema abläuft: Nichtwahrhabenwollen, Zorn, Verhandeln, Depression, Zustimmung. Zumindest denBeginn der vierten Phase dürfte die Börse in der vergangenen Woche erreicht haben. Ob jedoch inzwischen allen schon klar ist, dass die Weltkonjunktur auf der Kippe steht und das Gewinnwachstum höchstwahrscheinlich zurückgeht? Das darf noch angezweifelt werden. Zumal auch die Auswirkun­gen der Kreditkrise aufgrund der ­enormen Komplexität schwer einzuschätzen sind. "Die Zentralbanken setzen alles daran, die Kreditklemme so bald wie möglich zu lockern, doch der Schaden ist bereits groß, und eine Rezession scheint unausweichlich", befürchtet Philipp Bärtschi, Chefaktienstratege der Sarasin-Bank. "Unternehmensgewinne werden fallen und eine nachhaltige Börsenrally verhindern." Nach dieser Theorie steht der finale Schock noch aus. "Im Stadium der Zustimmung müssten die Anleger endgültig akzeptieren, dass Aktien vielleicht doch nicht das erhoffte großartige Investment sind", sagt James Montier, ausgewiesener Experte für Behavioral Finance bei der Société Générale. Erst dann sei der beste Moment zum Wiedereinstieg in die Märkte gekommen.

Dafür ist das Deleveraging aber wohl noch nicht fortgeschritten genug. Noch findet es nicht auf der Eigenkapitalebene statt, wie von Paulson angedacht, sondern auf der Ebene der Entschuldung. Hier werden zum einen faule Positionen von den Notenbanken übernommen, und zum anderen lösen die großen Investoren ihre Positionen selbst auf. Wer mit hohem Kredithebel spekuliert hat, ist gezwungen zu verkaufen, weil die Kreditlinien gekürzt oder gekündigt wurden. Das erklärt, wa­rum so gut wie alle Vermögensklassen an Wert verlieren. Und es erklärt, warum der Dollar steigt, obwohl die Krise ihren Ursprung in den USA hat – vor allem amerikanische Anleger verkaufen weltweit, und der Tausch des Erlöses in Dollar sorgt für einen steigenden Kurs der US-Währung.

In die Talkshows hat es der Ang­lizismus Deleveraging – trotz beschriebener Wichtigkeit – jedoch noch nicht geschafft. Dort wird noch der Bank-Run beschworen, gebetet und Schuldzuweisungen gepflegt. Der Berufsstand des Bankers jedenfalls hat nicht mehr viele Fürsprecher. Im besten Fall führen Banker ihre Unternehmen "schlecht" oder "unmoralisch". Wer ganz großen Zorn verspürt, findet sie "verbrecherisch" oder "kriminell". Weit wichtiger jedoch als Banker-Bashing wäre die Verbreitung der Tatsache, dass die Weltwirtschaftsordnung ohne funktionierendes Bankensystem nicht existieren kann. Wie soll die Realwirtschaft investieren, wenn es an Kapital für Investitionen fehlt? Ruheständler Kopper beklagt nicht zu Unrecht, er könne das Gerede über die gierigen Bankmanager nicht mehr hören.

Die spannende Frage ist daher nicht die nach Sitte und Moral der Bankiers, sondern die nach der Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft. Und das führt erneut zum Deleve­raging: Fremdkapital wird in stärkerem Maß durch Eigenkapital ersetzt werden müssen, damit die Finanzierung der Industrieunternehmen sichergestellt wird. Vielleicht muss auch das System partiell neu erfunden werden, und andere Kapitalsammelstellen springen ein und ergänzen das Tun der Banken. Neben den Notenbanken betrifft das Staatsfonds, die auf Myriaden von Cash sitzen, das über kurz oder lang investiert werden wird.

Eines scheint aber sicher: So leicht wie in den vergangenen Jahren werden die Unternehmen nicht mehr an Geld kommen. Der Markt für ­Unternehmensanleihen etwa liegt brach. "Die Unternehmen sind nicht bereit, die geforderten hohen Risi­koaufschläge zu zahlen", sagt Arndt Muthreich, Leiter des Kredit­re­searchs bei Dresdner Kleinwort. "Es gibt zwar keine Kreditklemme", so Martin Wansleben, der Geschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelstags. Aber: "Banken verlangen jetzt mehr Sicherheiten oder auch Risikozuschläge." Auch Bärtschi sieht Probleme: "Die Firmen müssen sich laufend auf die veränderten Finanzierungsbedingungen einstellen. Dies bedeutet, dass sie die Kapitalstrukturen anpassen und die Investitionspläne straffen." Die Softwarefirma SAP bekam dies in den vergangenen Wochen schmerzhaft zu spüren und meldete einen "abrupten und unerwarteten Geschäftsabschwung". Wir wissen Bescheid. Es bleibt turbulent. Und Geduld ist die Kardinaltugend.

www.finanzen.net/nachricht/Welt_ohne_Geld_EuramS__792108
Goldman Sachs analysts are now saying long US dollar. A few months ago they said Long Oil. And 2 months ago they were telling investors to short Citigroup when it was trading at $17.
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