SZ vom 16.10.2000 Seite Drei
Die Folgen eines Rechenfehlers
Der Medienunternehmer Thomas Haffa hat binnen weniger Tage viel Geld und Ansehen verspielt – zu den Gewinnern zählt er sich weiterhin / Von Marc Beise
München, im Oktober – Es sind die Augen, nur die Augen. Blass blau in einem
ansonsten vom Erfolg gebräunten Managergesicht, verraten sie etwas von dem
Martyrium dieser Tage. Thomas Haffa, 48 Jahre alt, deutsches
Wirtschaftswunderkind der New Economy, weltweit bekannter
Medienunternehmer, Börsenstar wie kaum ein zweiter – abgestürzt von einem Tag auf den anderen. Noch im Februar dieses Jahres war die Aktie seines
Medienunternehmens EM.TV fast 115 Euro das Stück wert, im Sommer waren es
nur noch 80, vor sieben Tagen 60, dann binnen Stunden weniger als 40. In einer Woche mehr als vier Milliarden Mark an Börsengeld verloren, vernichtet, verbrannt,und das bei einem ansonsten respektablen Unternehmen – das macht Haffa so schnell keiner nach.
Ruhm des Schulabbrechers
Erkundungsreise in den Münchner Norden, zum Mediensprengel Unterföhring, in
die soeben bezogene nagelneue Haffa-Zentrale. Im Chefbüro ein Mann im dunklen Manager-Zwirn, der sich keine Blöße geben will. Dessen Unternehmen
unverändert blendend eingestellt sei, sagt er, Familienprogramme produziert, mit TV-Rechten handelt, die wichtigsten Kinderserien besitzt und mittlerweile sogar die Hälfte des Formel 1-Rennauto-Zirkus. Alles, was der Börse gefällt. Nur dass Haffa, der Börsenliebling, von der Börse nicht mehr geliebt wird.
Eine Geschichte, wie sie der Neue Markt schreibt, jenes Börsensegment für die jungen, wilden Firmen im Lande, deren neue Aktien sich die Anleger, große und kleine, in den vergangenen Jahren aus den Händen rissen. Auch Haffas EM.TV,die seit zehn Jahren recht erfolgreich mit TV-Rechten handelt und zunehmend auch produziert, bekam hier den Kick. Im Oktober 1997 ging Haffa mit seiner acht Jahre zuvor gegründeten EM-Entertainment Merchandising an die Börse. Von da an ging‘s bergauf: mit dem Börsenkurs und mit dem Ruhm.
Was für eine Karriere für den früheren Schulabbrecher, Lehrling, IBM-Vertreter, Kirch-Medienmanager, den unsteten Sohn aus gutem Hause, über den man sich immer ein wenig Sorgen machte – aber dann: Binnen dreier Jahre häufte Haffa auf dem Papier Milliardenwerte an, hat sich selbst, seine Familie und seine Aktionäre reich gemacht. Ein Traum für jeden Kleinanleger: Wer damals für zehntausend Mark Aktien des Newcomers gekauft hat, besitzt heute drei Millionen Mark. Vorausgesetzt, er hat rechtzeitig verkauft. Denn Haffa ist der personifizierte Neue Markt: So schnell es nach oben ging, so brutal stürzte er jetzt ab.
Ach was, sagt Haffa und macht eine wegwerfende Handbewegung. Der Kurs ist
nicht das Problem, ruft er. Springt auf, eilt zum Schreibtisch des Finanzvorstands,um an dessen Börsen-Bildschirmen zu zeigen, dass es andere nicht weniger hart erwischt hat, according to the market, souffliert der Pressechef. Ölkrise, Zinsängste, Wachstumssorgen, seit Wochen zeigen die Börsen nach unten. Alles richtig, und doch falsch.
Denn Haffas Einbruch ist selbstverschuldet. Eine Fehlbuchung, eine dumme Sache, letztlich eine Kleinigkeit, meint der Chef, aber er will sich nicht beschweren, er weiß um die Sensibilität des Marktes. Millionen-Umsätze des spektakulären Zukaufs vom Frühjahr, der Jim-Henson-Gruppe (Sesamstraße, Muppets), waren schon gebucht worden, obwohl sie erst im zweiten Halbjahr anfallen. Man muss es so hart sagen: Die bereits veröffentlichten Zahlen fürs erste Halbjahr waren falsch. Nicht auf Dauer, aber eben jetzt – und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da die Anleger am Neuen Markt eh nervös sind.
Übers Jahr hätte sich alles eingerenkt, hätten die Zahlen wieder gestimmt. Man hätte es vielleicht für sich behalten können. Tagelang hatten sie gebrütet, Thomas Haffa, sein junger Bruder Florian, der Finanzvorstand, der ganze Clan. Konnten das Saison-Highlight gar nicht genießen, die TV-Messe in Cannes mit großartigen Feten und Luxusleben auf Yachten im Hafen.
Natürlich segelt Thomas Haffa, wie es all die neuen Reichen aus der Computer- und Medienwelt tun. Und natürlich fließen ihm die entsprechenden Bilder in die Sprache. Vor einer dunklen Gewitterwand hat er sich stehen sehen, in voller Fahrt, umkehren zwecklos. We go for it, hat Haffa gerufen, ganz unerschrockener Manager, und die Ärmel hochgekrempelt. Also haben sie vergangenen Montag die Meldung herausgegeben. Der Kurs reagierte sofort, die Aktie ging in den freien Fall über, wie man das nennt. Seitdem hat die Presseabteilung gut zu tun, und zwei Mitarbeiter sind abgestellt, die Anrufe empörter, verzweifelter Anleger aufzunehmen. Haffa ist auf dem Papier jetzt ein bisschen weniger reich: „Glauben Sie mir, das beschäftigt mich überhaupt nicht, aber die Anleger, die uns vertraut haben – das tut weh.“ Man muss es noch einmal gerade rücken: Wer von Anfang an dabei ist, hatte seinen Einsatz im Frühjahr um 30 000 Prozent vermehrt, nach dem Crash sind es immer noch 11 000 Prozent. Wer aber erst vor vier Wochen sein Erspartes in EM.TV-Aktien gesteckt hat, hat grausam verloren.
„Okay, wir wussten, dass es schlimm kommen würde“, sagt Haffa, aber will doch nicht richtig zugeben, dass er von der Heftigkeit der Reaktion geschockt war. Bleich unter der Sonnenbräune erlebten ihn die Mitarbeiter am Dienstag im Büro, ungewöhnlich ruhig war er, der immer eine Erklärung hat, immer für einen guten Spruch gut ist. Nein, der Kurs ist nicht das Problem, sagt Haffa noch einmal und beugt sich beschwörend vor. „Das kommt und geht. Ich habe ein reines Gewissen. Ich habe nie, auch im Privaten nicht, dem Kauf meiner Aktien zugeraten. Ich habe immer gesagt: Ich bin nicht die Börse.“
Aber der Imageschaden ist da. Haffa räumt es ein, aber er windet sich.
„Vertrauensverlust“, das Wort will ihm nicht über die Lippen. Er sagt: „Wir haben jetzt eine Vertrauensaufgabe.“ Dass das Unternehmen gesund ist, betont er. Eine beispiellose Mischung von Inhalten und Rechten, glänzende Marken, einer der beiden großen Anbieter von Kinder- und Familien-Unterhaltung in der Welt. Den einzigen Konkurrenten nennt er nicht beim Namen, aber er steht im Raum: Walt Disney. Dass er die mal schlucken würde, dass er dann der Allergrößte würde, hatte sich mancher in der Szene ehrfürchtig schaudernd vorgestellt.
Vorbei. Jetzt heißt es: Zu schnell gewachsen, nicht konsolidiert. Es war ja nicht nur der Rechenfehler. Seit Monaten beklagen Beobachter, das die Haffas
schlucken und schlucken, aber nicht wirklich verdauen. Stimmt doch nicht, sagt Haffa, 16 Experten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Price Waterhouse hat er im Haus, um all die milliardenschweren Aquisitionen der letzten Jahre in eine gemeinsame Bilanz zu bringen. Die Profis arbeiten auf höchsten Touren, aber sie tun sich offensichtlich schwer, das Zahlenkonvolut zu durchdringen.
Die Kräfte, die er rief
Bruder Florian, nach abgebrochenem Betriebswirtschaftsstudium von Anfang an
an der Seite des 13 Jahre älteren Bruders, gilt in der Öffentlichkeit als überfordert in Finanzdingen. Längst hatte er vor, den Posten als Finanzvorstand abzugeben, um sich auf das „operative Geschäft“ konzentrieren zu können, das Verhandeln, die Kontaktpflege. Das kann er, heißt es bewundernd im Unternehmen. Der Nachfolger ist schon ausgeguckt, aber der Vertrag noch nicht unterschrieben. Haffa weiß, dass er jetzt eine Respektperson braucht. Keinen schnellen Hüpfer von der Uni in schwarzer Controller-Uniform, sondern einen Profi mit grauen Schläfen, am besten aus einem Traditionsunternehmen der Old Economy. Diese Woche schon will Haffa Vollzug melden. Erstmal aber muss der Chef wieder reisen, Deals machen, Verträge schließen. Immer liegen bei Haffa viele Dinge an, jetzt sollen sie besonders schnell abgeschlossen werden, um Vertrauen wieder aufzubauen.
Man muss ihm wirklich tief in die Augen schauen, um die unbestimmte Angst zu
erahnen, die einen befällt, der die Lage nicht mehr unter Kontrolle hat. Der
Börsenliebling, der brillant mit dem Medium gespielt hat, der die Analysten im Griff hatte und die Investoren, die ihm das Geld gegeben haben, um die ganz großen Geschäfte zu machen – jetzt hat er wohl eine Ahnung davon bekommen, was das für Kräfte sind, die er rief und die nun ihn in den Klauen halten. Für Thomas Haffa, für EM.TV, für den ganzen Neuen Markt wird es nie wieder so sein, wie es einmal war.
Aus der SZ vom 16.10.2000
Gruß Dampf