Aufgrund der bislang bekannt gewordenen Fakten sowie eigener Recherchen ergibt sich für mich ein Bild, das noch lange nicht fertig ist, aber eine gewisse kriminalistische Logik hat:
Die Vorläuferfirma von Envio auf deren Dortmunder Gelände, die AseaBrownBoveri Services GmbH, hat ja dort schon seit den Neunzigern Trafo-Recycling und -Entsorgung betrieben. Das Geschäft war auch damals wohl einträglich, denn der eigene ABB-Konzern produzierte selbst solche Transformatoren en masse seit zig Jahren und musste demnach auch PCB entsorgen. Beim Management-Buy-Out durch Neupert und Harks wurde dann gleich der Börsenauftritt mitgeplant, denn Umwelttechnik war der nächste Hype nach der geplatzten IT-Blase.
Für das IPO haben sich Neupert und Harks dann diese "LTR2-Technologie" ausgedacht und auch schön bunt zu Papier gebracht (aber immer nur andeutungsweise, da ja "hochsensibel" wg. der angeblichen Konkurrenz), während im Betrieb selbst die alten ABB-Anlagen weiter werkelten. Die eine oder andere Kleinigkeit hat man evt. halbherzig saniert/repariert, sich dazugebastelt (wie die Waschanlage für Kleinbleche, die in einem alten Trafogehäuse steckt) oder auch dazugekauft (wie die Abluftanlage für die PER-Wäsche, die aber lt. Hersteller nie richtig gewartet wurde).
Da man durch den Börsengang zu stetig steigenden Umsätzen gezwungen war, konnten die Kleinmengen, die noch sicher in die alte ABB-Technik reinpassten (z.B. wg. der Hallengröße und der vorhandenen Krananlage, die nur 25 Tonnen schafft) nicht mehr ausreichen. Also wurden mehr und größere Trafos gesucht und - zeitgleich mit einem Bahnzugang, der den Transport solcher Chargen erst möglich machte - z.B. beim Kunden RWE gefunden.
Statt nun die Technik schnell dem Umsatz anzupassen, wurden die erhöhten Auftragseingänge mit einfacher Leiharbeit gehandhabt, wobei der Auftragsdruck die Sicherheit komplett verdrängte. Parallel dazu wurde den Anlegern irritierende Zahlen bezüglich Umsatz und Geschäftsausblicken präsentiert, die sich teilweise widersprachen, dann aber auch wieder mit explodierenden Prognosen glänzten. Dass ein angeblicher einmonatiger Produktionsumbau, der für schlechte Umsätze im ersten Halbjahr 2009 verantwortlich sein sollte, gar nicht stattfand, konnte der Anleger ja nicht selbst kontrollieren.
Überhaupt die Kontrollen: Einzig in der ganz konkreten Betriebsgenehmigung für die Anlagen in Dortmund steht beschrieben, wer wie was wann kontrollieren soll. Und das können lt. den existierenden Gesetzen durchaus viele verschiedene Stellen wie TÜV und andere technische Überwachungsorganisation, div. Bundes-, Landes- oder Kommunalämter sein, die wiederum selbst entscheiden, wann sie was kontrollieren und ob z.B. der einfache Papiernachweis zur Weiterführung des ISO14001-Zertifikats schon ausreicht. Selbst das Blut der Mitarbeiter brauchte per Gesetz und Berufsgenossenschaft-Grundsätzen *nicht* auf PCB hin untersucht zu werden, das hat die externe Envio-Betriebsärztin ja selbst bestätigt.
Da Jemand wie Neupert, der tief aus der Branche kommt, sowas natürlich weiß, war es wohl ein Leichtes, die Kontrolleure und auch Kunden zu täuschen (durch temporäres Aufstellen von blitzblanken Containern, aus denen vielleicht wichtig aussehende Schläuche irgendwohin gingen, z.B.) und andere kritische Fragen durch gebetsmühlenartiges Vorbeten der LTR2-Folien abzublocken. Wenn man sich allerdings Vorträge anderer Firmen anschaut, die das gleiche Geschäftsziel wie Envio mit ähnlicher Technik verfolgen, dann erkennt man sofort den Unterschied: Sechstklässler-Aufsatz versus Fachliteratur...
Dies ist jetzt nur ein erster, ganz grober Versuch, eine zeitliche und logische Linie in die Vorgänge in Dortmund zu bringen. Völlig außer acht bleibt dabei *noch* die Bedeutung der Lieferanten und Abnehmer (Envio hat ja an beiden Gruppen verdient), da dies viel mit den ehemaligen und auch heute noch existierenden Netzwerken der Großindustrie und Politik im Ruhrgebiet und in NRW zu tun hat. Da kömmt aber noch watt...