Die Gerüchte um "Pleite von Bäcker Kamps" verdichten sich, so soll die Firma
keinerlei Rücklagen gebildet haben..man spricht auch von dubioser Bilanzierung.....etc.!
Stelle trotzdem mal diesen Lebenslauf ins Board.
"Die Geschichte vom Krumensammler"
Heiner Kamps - das ist doch der Grossbaecker, der all die kleinen Baeckereien
mit
seinem Filialnetz einfaengt, der traditionelle Vielfalt durch industrielle
Einfalt ersetzt und der damit auch noch an der Boerse Millionen macht. Oder?
Wenn man Kamps heisst und Baecker ist, schmeckt einem der Alltag manchmal droege
wie altes Graubrot. Leben heisst dann: aufstehen, wenn andere schlafen gehen,
Teig ansetzen, Broetchen backen. Danach muessen Grau- und Weissbrote in Form
gebracht, Butterkuchen und Bienenstiche ausgerollt werden, und dann ist es
auch schon Nachmittag. Weil nebenbei noch ein kleiner Bauernhof zu versorgen
ist, heisst Leben fuer den bienenfleissigen Bocholter Baeckermeister vor allem
eines: arbeiten.
So wie Baecker Kamps aus dem Muensterland muehen sich Ende der fuenfziger Jahre
noch gut 50000 Handwerksbaecker in Deutschland. Es ist die Zeit, aus der der
"Baeckermythos" stammt: das Bild des Baeckers als das eines hart arbeitenden,
grundehrlichen Handwerksmeisters, der alles selbst macht und ausser Mehl, Hefe
und Wasser nichts in seinen Teig laesst; dessen Frau vorn am Tresen und dessen
Sohn hinten in der Backstube hilft, damit am Monatsende ein paar Mark in der
Kasse bleiben. So wie bei Kamps.
Es ist aber auch die Zeit, in der sich dieser Mythos langsam von der Realitaet
zu verabschieden beginnt. Steigende Personal- und Rohstoffkosten,
Billig-Angebote in den Supermaerkten und die Ansprueche der Verbraucher, denen
drei Sorten Brot und fuenf Sorten Broetchen nicht mehr ausreichen, machen den
Handwerksbaeckern das Leben schwer. Viele Traditionsbetriebe sind zu
unrentabel, um die fuer eine Modernisierung noetigen Kredite zu erhalten. Ihr
groesstes Problem aber ist hausgemacht: Nachwuchsmangel. Immer weniger
Baeckerzoeglinge verspueren Lust, wie ihre Vaeter sechs Tage pro Woche, 52
Wochen
pro Jahr fuer wenig Knete zu kneten. Es ist die Zeit, in der das grosse
Baeckersterben beginnt.
Baeckerssohn Heiner Kamps will kein Baecker werden - und wird es ueber Umwege
dann doch. Auch Heiner, Sohn von Baecker Kamps, macht in Bocholt baldmoeglichst
die Biege. "Ich habe gesehen, wie mein Vater schuftete, und wusste: So will
ich nicht leben." Kamps junior fluechtet Anfang der siebziger Jahre nach
Berlin, lernt Baecker und studiert Betriebswirtschaft, macht seinen Meister und
sich 1982 mit einer Baeckerei in Duesseldorf-Meerwisch selbststaendig. Der
talentierte Hobby-Wasserballer ist dabei offenbar cleverer als viele seiner
Kollegen, jedenfalls gehoeren ihm schon bald 20 florierende Backfilialen, die
er 1992 fuer 20 Millionen Mark an den US-amerikanischen Borden-Konzern
uebertraegt. Sich selbst verkauft er gleich mit - als Manager. "Ich wollte mal
was Neues machen, und in den USA konnte ich eine ganze Menge ueber Venture
Capital, Management Buy-Out, Quarterly Review, die Gesetze der Boerse lernen",
sagt Heiner Kamps, der mit Feinrandbrille und grauem Dreitagebart, bulligem
Koerper und kraeftiger Sonnenbraeune aussieht wie eine Mischung aus
Literaturprofessor und Schwimmtrainer.
Tatsaechlich eignet sich Kamps in den vier Jahren bei Borden mehr an, als
seinem Arbeitgeber recht sein kann. "Ich wollte schon immer Unternehmer sein",
erklaert er, und seit seiner USA-Zeit hat er dazu nicht nur den Willen, sondern
auch das Wissen. Als Borden 1996 von einer Investorengruppe uebernommen wird,
sammelt der agile Baeckermeister kurzerhand in den USA Venture Capital ein
("Bei der Deutschen Bank haben die nur muede abgewinkt, da habe ich mir das
Geld eben selbst besorgt") und kauft den deutschen Konzernableger zurueck. Das
deutsche Backhandwerk steckt in der Krise - und Heiner Kamps hat in den USA
viel gelernt.
Dann beginnt er, die Knack-&-Back-Branche aufzurollen wie einen schlappen
Teigfladen. Deren Zustand hat sich seit den Tagen von Kamps senior (dessen
Kleinbetrieb laengst geschlossen wurde) weiter verschlechtert. Nur jeder zweite
Betrieb bringt es auf mehr als eine Million Mark Jahresumsatz, die
Durchschnittsrendite liegt bei 0,8 Prozent. Ohnehin haben es von den 56000
westdeutschen Baeckereibetrieben des Jahres 1958 nur 20000 (mit 47000
Verkaufsstellen) ins vereinigte Deutschland geschafft, und Jahr fuer Jahr
lassen 800 weitere die Rolllaeden herunter. Andere versuchen es, indem sie die
Laeden gescheiterter Kollegen aufkaufen und zu Filialketten aneinander reihen -
und scheitern daran. "Bei der Filialisierung ueberheben sich viele", weiss Anja
Weber, Referentin fuer das Baeckerhandwerk bei der Gewerkschaft Nahrung Genuss
Gaststaetten. "Fuer das Management von 20 Laeden braucht man ein anderes
Know-how
als fuer eine Kleinbaeckerei."
Viele, die das Filialgeschaeft nicht gebacken kriegen, gehen jetzt im Imperium
des Heiner Kamps auf. Er saugt jene Krumen ein, die vom Handwerk seines Vaters
uebrig geblieben sind, nachdem es durch die Muehle des Strukturwandels gedreht
wurde - und spuckt sie als Teil seiner florierenden Kette wieder aus.
"Konsolidierung" nennt Kamps das. Er kauft Stefansbaeck in Stuttgart, Lecker
Baecker in Kassel, Ostrowski in Berlin, eroeffnet neue eigene Filialen - bis
heute insgesamt 1200 in ganz Deutschland. Er ist der erste Baecker mit einer
landesweiten Corporate Identity (Logo: die goldene Brezel), einem eigenen
TV-Spot (Claim: "Tschuess, bis morgen") und einer eigenen Aktiengesellschaft,
die an der Boerse das Geld fuer seine Expansion eintreibt.
Alle Uebernahmekandidaten unterzieht er der gleichen Rosskur: Ihre
Produktionsstaetten werden geschlossen oder integriert, das Sortiment
verschlankt und fortan von einer der 16 hochmodernen Grossbaeckereien beliefert,
die Kamps ueber das ganze Land verteilt betreibt. Dadurch senkt Kamps nicht nur
Rohstoff- und Produktionskosten, er kann auch ein relativ breites Sortiment
kostenguenstig (weil massenhaft) vorproduzieren. Selbst Kamps-Kritiker
bescheinigen dem Duesseldorfer Broetchenkoenig dabei einen beneidenswerten
Einfallsreichtum. 40 Prozent aller Kamps-Produkte sind juenger als zwei Jahre,
einige - wie das dreieckige Korneck oder der Suessklumpen "Schoko-Wuppi" (der
seinen Namen dem Ort seiner Erfindung - Wuppertal - verdankt) sind bereits
echte Klassiker. "Wir muessen uns deutlich vom Standardsortiment der
Supermaerkte absetzen, das ist unsere Chance", erklaert der Grossbaecker.
Das Kuriose: Diese Konkurrenz ist Kamps zum guten Teil selbst, seit er auch
noch den franzoesischen Croissant- und Brioche-Konzern Harrys (nicht zu
verwechseln mit der deutschen Toastmarke "Harry") und Wendeln, den groessten
deutschen Industriebaecker, geschluckt hat. Damit ist Kamps nicht nur der bei
weitem maechtigste Baecker Europas, sondern auch vom Tiefkuehlbroetchen uebers
Graubrot fuers SB-Regal bis zu den Aufbackteiglingen seiner Filialen in allen
Segmenten des Back-Business vertreten. Und das ist ueberlebenswichtig in einer
Branche, deren Segmente sich zunehmend kannibalisieren.
Obwohl das Filialgeschaeft heute nur noch 25 Prozent zum Umsatz der
explosionsartig gewachsenen Kamps AG beisteuert, haengt das Herz des
Vorstandsvorsitzenden erkennbar an seinen Laeden. "Da kommen wir her, damit
werden wir identifiziert", sagt der 46-Jaehrige. Den Erfolg dieser Backshops
erklaert Kamps mit Qualitaeten, die gemeinhin seinen Konkurrenten zugerechnet
werden, naemlich "Freundlichkeit und Frische".
Fuer die Freundlichkeit sind seine Paechter verantwortlich, von denen die
allerwenigsten gelernte Baecker sind. "Wir brauchen keinen sturen Baeckermeister
in der Filiale, sondern jemanden, der kommunikativ ist", sagt Kamps. Seine
besten Paechter seien daher meist Friseusen - die haetten schliesslich gelernt,
freundlich zu sein. Fuer das Aufbacken tiefgefrorener Teiglinge braucht ohnehin
niemand eine Baeckerausbildung. Dieses "bake on demand"-System sorgt wiederum
fuer die Frische, die Kamps fuer eine seiner wichtigsten Staerken haelt. Anders
als beim Traditionsbaecker, der nur einmal (fruehmorgens) backt, wird in den
Kamps-Laeden rund um die Uhr geschmurgelt.
Selbst die natuerlichen Feinde eines Grossfilialisten - Gewerkschaften, Gourmets
und Handwerksfunktionaere - akzeptieren ihn deshalb wie eine Art Naturereignis:
etwas, mit dem man sich am besten arrangiert, weil a) sich gegen ihn ohnehin
nichts ausrichten laesst und b) es haette schlimmer kommen koennen. "Ein guter
Wettbewerber mit hervorragender Qualitaet und angemessenem Preisniveau",
urteilt Peter Becker, Praesident des Zentralverbandes des deutschen
Baeckerhandwerks. "Kamps hat vernuenftige Preise durchgesetzt", meint auch
Gewerkschafterin Weber, "und die Vertraege mit seinen Paechtern zaehlen zu den
fairsten, die ich kenne." Allerdings sei noch zu klaeren, ob es sich beim
System Kamps nicht um einen besonders cleveren Fall von
Scheinselbststaendigkeit handle.
Kamps nuetzt solches Fachlob wenig, solange er immer noch als der
(Baecker-)Killer mit der Kette gilt. "Der Baeckermythos", seufzt Kamps, "ist
einfach nicht totzukriegen." Seine Produktentwickler haetten mal Hausfrauen
eingeladen, die schwoerten, Broetchen ihres Lieblingsbaeckers mit verbundenen
Augen erkennen zu koennen. Genauso selbstverstaendlich wie die Test-Esserinnen
beim Blindtest scheiterten, seien sie danach wieder zu ihrem Lieblingsbaecker
gestapft. Der Verbraucher will alles - und dem Baecker bleibt nur der
Zusatzstoff. Dabei hat das Treiben der kleingewerblichen Konkurrenz mit
handwerklicher Backkunst heute so wenig zu tun wie ein Dr. Oetker-Tiramisu mit
dem italienischen Original - auch wenn Baecker-Boss Peter Becker dies vehement
bestreitet. "Es gibt sehr viele Baecker, die wie ich Zusatzstoffe konsequent
ablehnen und immer noch traditionell backen", behauptet er.
Branchenkenner gehen indes davon aus, dass "sehr viele" in Wirklichkeit sehr
wenige sind. "Kaum ein Baeckermeister steht heute noch am Ofen und backt nach
eigenen Rezepten, was vorn im Laden verkauft wird", bedauert Dr. Burchard
Boesche, Hamburger Rechtsanwalt mit Spezialgebiet Nahrungsmittelbranche und
nebenbei Funktionaer im Gourmetclub "Slow Food". Die Gleichung "Klein ist gut,
gross ist schlecht" stimme deshalb einfach nicht mehr. Im Gegenteil, je kleiner
der Baecker, desto groesser seine Abhaengigkeit von den so genannten "kleinen
Helfern".
Schuld sind die Verbraucher, die auch vom bescheidensten Landbaecker ein
breites Sortiment an Broetchen, Broten und Kuchen erwarten. Und das kann kein
Baecker mehr ohne vorgefertigte Backmischungen, tiefgefrorene Teiglinge und
Zusatzstoffe wie Emulgatoren an die Theke schaffen. "Backmittel sind die
Maetresse des deutschen Baeckerhandwerks. Jeder hat sie, aber niemand bekennt
sich dazu", spottet ein Branchenkenner. Hergestellt werden diese
Convenience-Produkte von Grosskonzernen wie Dr. Oetker, Nestli oder der
niederlaendischen CSM-Gruppe, ausgeliefert werden sie ueber die
Baeckergenossenschaft Baeko und privatwirtschaftliche Grosshaendler. Boesche:
"Ein
Baecker vollfuehrt heute im Prinzip nur noch den letzten Schritt in einem
industriellen Fertigungsprozess."
Kamps hat diesen Fertigungsprozess modernisiert, rationalisiert und - wohl das
Wichtigste - alle Teilschritte in eine, die eigene Hand genommen. Ergebnis:
eine Steigerung seiner Margen von 6,1 auf 10,6 Prozent (Kamps-Region Suedwest,
1997-2000).
Die naechsten, die mit diesem System Bekanntschaft machen werden, sind die
italienischen Baecker. Gerade hat Kamps ein Joint Venture mit dem italienischen
Backwarenhersteller Roncadin unterzeichnet, die zehn ersten gemeinsamen
Filialen. "Die sollen, aeh, ,punto sowieso' oder so aehnlich heissen" und werden
noch im Fruehjahr eroeffnen, bis 2004 sollen es 300 sein. Nach Kamps'
Ueberzeugung steckt das italienische Baeckerhandwerk in einer aehnlichen
Sackgasse wie das deutsche vor zehn Jahren. "Die Probleme sind im Prinzip
dieselben, und wir haben die erprobte Loesung." Es gehoert nicht viel Phantasie
dazu, sich auszumalen, was danach als Naechstes kommt: Frankreich, Spanien,
Grossbritannien.
Werden also eines Tages Kinder "Kamps" sagen, wenn sie Baecker meinen - so wie
sie heute "Tempo" und "Nivea" sagen, wenn sie Taschentuecher und Hautcremes
meinen? Heiner Kamps ist der Groesste und dennoch klein - und macht sich in der
eigenen Firma Konkurrenz. Wohl kaum. Das System Kamps benoetigt zum Ueberleben
ganz spezifische Bedingungen: Ballungsraeume, in denen sich 100 bis 150
Filialen um eine Grossbaeckerei gruppieren lassen wie Satelliten um eine
Versorgungsstation. Selbst wenn Kamps also eines Tages - wie geplant - seine
2000. deutsche Filiale eroeffnen sollte, ginge er in den 47000 Verkaufsstellen
unter wie ein Kuerbiskern in einem Weltmeisterbroetchen. Ausserdem: "Kamps hat
so
viele Schwaechen. Wenn die ein kleiner Baecker sorgfaeltig analysiert, ist er
fein raus", meint Guenther Wohlers, Herausgeber des Branchendienstes
"BackBusiness". "Das begrenzte Sortiment, der hohe Preis, Kamps liesse sich an
vielen Fronten angreifen. Da braucht sich kein kleiner Baecker Sorgen zu
machen."
Die groesste Gefahr, so Fachmann Wohlers, drohe den Handwerksbaeckern ohnehin
nicht von Ketten wie Kamps, sondern aus den Backshops der Supermaerkte. Dort
wuerden vorgefertigte Teiglinge aufgebacken und zum Schleuderpreis verjubelt -
als billige Werbung fuer den Supermarkt. "Zehn Broetchen fuer 1,95 Mark, da kann
kein Baecker mithalten", schimpft auch Baecker-Praesident Becker. Vorreiter
dieser Dumping-Shops sind der deutsche Harry-Konzern - und Wendelns, die
Industriemarke von Kamps.
"Wenn ich es nicht taete, wuerden es andere tun", sagt Kamps fast entschuldigend.
Bei seinem paneuropaeischen Backfeldzug moechte der Bocholter Baeckersohn ungern
etwas dem Zufall ueberlassen. Und schon gar nicht der Konkurrenz.
keinerlei Rücklagen gebildet haben..man spricht auch von dubioser Bilanzierung.....etc.!
Stelle trotzdem mal diesen Lebenslauf ins Board.
"Die Geschichte vom Krumensammler"
Heiner Kamps - das ist doch der Grossbaecker, der all die kleinen Baeckereien
mit
seinem Filialnetz einfaengt, der traditionelle Vielfalt durch industrielle
Einfalt ersetzt und der damit auch noch an der Boerse Millionen macht. Oder?
Wenn man Kamps heisst und Baecker ist, schmeckt einem der Alltag manchmal droege
wie altes Graubrot. Leben heisst dann: aufstehen, wenn andere schlafen gehen,
Teig ansetzen, Broetchen backen. Danach muessen Grau- und Weissbrote in Form
gebracht, Butterkuchen und Bienenstiche ausgerollt werden, und dann ist es
auch schon Nachmittag. Weil nebenbei noch ein kleiner Bauernhof zu versorgen
ist, heisst Leben fuer den bienenfleissigen Bocholter Baeckermeister vor allem
eines: arbeiten.
So wie Baecker Kamps aus dem Muensterland muehen sich Ende der fuenfziger Jahre
noch gut 50000 Handwerksbaecker in Deutschland. Es ist die Zeit, aus der der
"Baeckermythos" stammt: das Bild des Baeckers als das eines hart arbeitenden,
grundehrlichen Handwerksmeisters, der alles selbst macht und ausser Mehl, Hefe
und Wasser nichts in seinen Teig laesst; dessen Frau vorn am Tresen und dessen
Sohn hinten in der Backstube hilft, damit am Monatsende ein paar Mark in der
Kasse bleiben. So wie bei Kamps.
Es ist aber auch die Zeit, in der sich dieser Mythos langsam von der Realitaet
zu verabschieden beginnt. Steigende Personal- und Rohstoffkosten,
Billig-Angebote in den Supermaerkten und die Ansprueche der Verbraucher, denen
drei Sorten Brot und fuenf Sorten Broetchen nicht mehr ausreichen, machen den
Handwerksbaeckern das Leben schwer. Viele Traditionsbetriebe sind zu
unrentabel, um die fuer eine Modernisierung noetigen Kredite zu erhalten. Ihr
groesstes Problem aber ist hausgemacht: Nachwuchsmangel. Immer weniger
Baeckerzoeglinge verspueren Lust, wie ihre Vaeter sechs Tage pro Woche, 52
Wochen
pro Jahr fuer wenig Knete zu kneten. Es ist die Zeit, in der das grosse
Baeckersterben beginnt.
Baeckerssohn Heiner Kamps will kein Baecker werden - und wird es ueber Umwege
dann doch. Auch Heiner, Sohn von Baecker Kamps, macht in Bocholt baldmoeglichst
die Biege. "Ich habe gesehen, wie mein Vater schuftete, und wusste: So will
ich nicht leben." Kamps junior fluechtet Anfang der siebziger Jahre nach
Berlin, lernt Baecker und studiert Betriebswirtschaft, macht seinen Meister und
sich 1982 mit einer Baeckerei in Duesseldorf-Meerwisch selbststaendig. Der
talentierte Hobby-Wasserballer ist dabei offenbar cleverer als viele seiner
Kollegen, jedenfalls gehoeren ihm schon bald 20 florierende Backfilialen, die
er 1992 fuer 20 Millionen Mark an den US-amerikanischen Borden-Konzern
uebertraegt. Sich selbst verkauft er gleich mit - als Manager. "Ich wollte mal
was Neues machen, und in den USA konnte ich eine ganze Menge ueber Venture
Capital, Management Buy-Out, Quarterly Review, die Gesetze der Boerse lernen",
sagt Heiner Kamps, der mit Feinrandbrille und grauem Dreitagebart, bulligem
Koerper und kraeftiger Sonnenbraeune aussieht wie eine Mischung aus
Literaturprofessor und Schwimmtrainer.
Tatsaechlich eignet sich Kamps in den vier Jahren bei Borden mehr an, als
seinem Arbeitgeber recht sein kann. "Ich wollte schon immer Unternehmer sein",
erklaert er, und seit seiner USA-Zeit hat er dazu nicht nur den Willen, sondern
auch das Wissen. Als Borden 1996 von einer Investorengruppe uebernommen wird,
sammelt der agile Baeckermeister kurzerhand in den USA Venture Capital ein
("Bei der Deutschen Bank haben die nur muede abgewinkt, da habe ich mir das
Geld eben selbst besorgt") und kauft den deutschen Konzernableger zurueck. Das
deutsche Backhandwerk steckt in der Krise - und Heiner Kamps hat in den USA
viel gelernt.
Dann beginnt er, die Knack-&-Back-Branche aufzurollen wie einen schlappen
Teigfladen. Deren Zustand hat sich seit den Tagen von Kamps senior (dessen
Kleinbetrieb laengst geschlossen wurde) weiter verschlechtert. Nur jeder zweite
Betrieb bringt es auf mehr als eine Million Mark Jahresumsatz, die
Durchschnittsrendite liegt bei 0,8 Prozent. Ohnehin haben es von den 56000
westdeutschen Baeckereibetrieben des Jahres 1958 nur 20000 (mit 47000
Verkaufsstellen) ins vereinigte Deutschland geschafft, und Jahr fuer Jahr
lassen 800 weitere die Rolllaeden herunter. Andere versuchen es, indem sie die
Laeden gescheiterter Kollegen aufkaufen und zu Filialketten aneinander reihen -
und scheitern daran. "Bei der Filialisierung ueberheben sich viele", weiss Anja
Weber, Referentin fuer das Baeckerhandwerk bei der Gewerkschaft Nahrung Genuss
Gaststaetten. "Fuer das Management von 20 Laeden braucht man ein anderes
Know-how
als fuer eine Kleinbaeckerei."
Viele, die das Filialgeschaeft nicht gebacken kriegen, gehen jetzt im Imperium
des Heiner Kamps auf. Er saugt jene Krumen ein, die vom Handwerk seines Vaters
uebrig geblieben sind, nachdem es durch die Muehle des Strukturwandels gedreht
wurde - und spuckt sie als Teil seiner florierenden Kette wieder aus.
"Konsolidierung" nennt Kamps das. Er kauft Stefansbaeck in Stuttgart, Lecker
Baecker in Kassel, Ostrowski in Berlin, eroeffnet neue eigene Filialen - bis
heute insgesamt 1200 in ganz Deutschland. Er ist der erste Baecker mit einer
landesweiten Corporate Identity (Logo: die goldene Brezel), einem eigenen
TV-Spot (Claim: "Tschuess, bis morgen") und einer eigenen Aktiengesellschaft,
die an der Boerse das Geld fuer seine Expansion eintreibt.
Alle Uebernahmekandidaten unterzieht er der gleichen Rosskur: Ihre
Produktionsstaetten werden geschlossen oder integriert, das Sortiment
verschlankt und fortan von einer der 16 hochmodernen Grossbaeckereien beliefert,
die Kamps ueber das ganze Land verteilt betreibt. Dadurch senkt Kamps nicht nur
Rohstoff- und Produktionskosten, er kann auch ein relativ breites Sortiment
kostenguenstig (weil massenhaft) vorproduzieren. Selbst Kamps-Kritiker
bescheinigen dem Duesseldorfer Broetchenkoenig dabei einen beneidenswerten
Einfallsreichtum. 40 Prozent aller Kamps-Produkte sind juenger als zwei Jahre,
einige - wie das dreieckige Korneck oder der Suessklumpen "Schoko-Wuppi" (der
seinen Namen dem Ort seiner Erfindung - Wuppertal - verdankt) sind bereits
echte Klassiker. "Wir muessen uns deutlich vom Standardsortiment der
Supermaerkte absetzen, das ist unsere Chance", erklaert der Grossbaecker.
Das Kuriose: Diese Konkurrenz ist Kamps zum guten Teil selbst, seit er auch
noch den franzoesischen Croissant- und Brioche-Konzern Harrys (nicht zu
verwechseln mit der deutschen Toastmarke "Harry") und Wendeln, den groessten
deutschen Industriebaecker, geschluckt hat. Damit ist Kamps nicht nur der bei
weitem maechtigste Baecker Europas, sondern auch vom Tiefkuehlbroetchen uebers
Graubrot fuers SB-Regal bis zu den Aufbackteiglingen seiner Filialen in allen
Segmenten des Back-Business vertreten. Und das ist ueberlebenswichtig in einer
Branche, deren Segmente sich zunehmend kannibalisieren.
Obwohl das Filialgeschaeft heute nur noch 25 Prozent zum Umsatz der
explosionsartig gewachsenen Kamps AG beisteuert, haengt das Herz des
Vorstandsvorsitzenden erkennbar an seinen Laeden. "Da kommen wir her, damit
werden wir identifiziert", sagt der 46-Jaehrige. Den Erfolg dieser Backshops
erklaert Kamps mit Qualitaeten, die gemeinhin seinen Konkurrenten zugerechnet
werden, naemlich "Freundlichkeit und Frische".
Fuer die Freundlichkeit sind seine Paechter verantwortlich, von denen die
allerwenigsten gelernte Baecker sind. "Wir brauchen keinen sturen Baeckermeister
in der Filiale, sondern jemanden, der kommunikativ ist", sagt Kamps. Seine
besten Paechter seien daher meist Friseusen - die haetten schliesslich gelernt,
freundlich zu sein. Fuer das Aufbacken tiefgefrorener Teiglinge braucht ohnehin
niemand eine Baeckerausbildung. Dieses "bake on demand"-System sorgt wiederum
fuer die Frische, die Kamps fuer eine seiner wichtigsten Staerken haelt. Anders
als beim Traditionsbaecker, der nur einmal (fruehmorgens) backt, wird in den
Kamps-Laeden rund um die Uhr geschmurgelt.
Selbst die natuerlichen Feinde eines Grossfilialisten - Gewerkschaften, Gourmets
und Handwerksfunktionaere - akzeptieren ihn deshalb wie eine Art Naturereignis:
etwas, mit dem man sich am besten arrangiert, weil a) sich gegen ihn ohnehin
nichts ausrichten laesst und b) es haette schlimmer kommen koennen. "Ein guter
Wettbewerber mit hervorragender Qualitaet und angemessenem Preisniveau",
urteilt Peter Becker, Praesident des Zentralverbandes des deutschen
Baeckerhandwerks. "Kamps hat vernuenftige Preise durchgesetzt", meint auch
Gewerkschafterin Weber, "und die Vertraege mit seinen Paechtern zaehlen zu den
fairsten, die ich kenne." Allerdings sei noch zu klaeren, ob es sich beim
System Kamps nicht um einen besonders cleveren Fall von
Scheinselbststaendigkeit handle.
Kamps nuetzt solches Fachlob wenig, solange er immer noch als der
(Baecker-)Killer mit der Kette gilt. "Der Baeckermythos", seufzt Kamps, "ist
einfach nicht totzukriegen." Seine Produktentwickler haetten mal Hausfrauen
eingeladen, die schwoerten, Broetchen ihres Lieblingsbaeckers mit verbundenen
Augen erkennen zu koennen. Genauso selbstverstaendlich wie die Test-Esserinnen
beim Blindtest scheiterten, seien sie danach wieder zu ihrem Lieblingsbaecker
gestapft. Der Verbraucher will alles - und dem Baecker bleibt nur der
Zusatzstoff. Dabei hat das Treiben der kleingewerblichen Konkurrenz mit
handwerklicher Backkunst heute so wenig zu tun wie ein Dr. Oetker-Tiramisu mit
dem italienischen Original - auch wenn Baecker-Boss Peter Becker dies vehement
bestreitet. "Es gibt sehr viele Baecker, die wie ich Zusatzstoffe konsequent
ablehnen und immer noch traditionell backen", behauptet er.
Branchenkenner gehen indes davon aus, dass "sehr viele" in Wirklichkeit sehr
wenige sind. "Kaum ein Baeckermeister steht heute noch am Ofen und backt nach
eigenen Rezepten, was vorn im Laden verkauft wird", bedauert Dr. Burchard
Boesche, Hamburger Rechtsanwalt mit Spezialgebiet Nahrungsmittelbranche und
nebenbei Funktionaer im Gourmetclub "Slow Food". Die Gleichung "Klein ist gut,
gross ist schlecht" stimme deshalb einfach nicht mehr. Im Gegenteil, je kleiner
der Baecker, desto groesser seine Abhaengigkeit von den so genannten "kleinen
Helfern".
Schuld sind die Verbraucher, die auch vom bescheidensten Landbaecker ein
breites Sortiment an Broetchen, Broten und Kuchen erwarten. Und das kann kein
Baecker mehr ohne vorgefertigte Backmischungen, tiefgefrorene Teiglinge und
Zusatzstoffe wie Emulgatoren an die Theke schaffen. "Backmittel sind die
Maetresse des deutschen Baeckerhandwerks. Jeder hat sie, aber niemand bekennt
sich dazu", spottet ein Branchenkenner. Hergestellt werden diese
Convenience-Produkte von Grosskonzernen wie Dr. Oetker, Nestli oder der
niederlaendischen CSM-Gruppe, ausgeliefert werden sie ueber die
Baeckergenossenschaft Baeko und privatwirtschaftliche Grosshaendler. Boesche:
"Ein
Baecker vollfuehrt heute im Prinzip nur noch den letzten Schritt in einem
industriellen Fertigungsprozess."
Kamps hat diesen Fertigungsprozess modernisiert, rationalisiert und - wohl das
Wichtigste - alle Teilschritte in eine, die eigene Hand genommen. Ergebnis:
eine Steigerung seiner Margen von 6,1 auf 10,6 Prozent (Kamps-Region Suedwest,
1997-2000).
Die naechsten, die mit diesem System Bekanntschaft machen werden, sind die
italienischen Baecker. Gerade hat Kamps ein Joint Venture mit dem italienischen
Backwarenhersteller Roncadin unterzeichnet, die zehn ersten gemeinsamen
Filialen. "Die sollen, aeh, ,punto sowieso' oder so aehnlich heissen" und werden
noch im Fruehjahr eroeffnen, bis 2004 sollen es 300 sein. Nach Kamps'
Ueberzeugung steckt das italienische Baeckerhandwerk in einer aehnlichen
Sackgasse wie das deutsche vor zehn Jahren. "Die Probleme sind im Prinzip
dieselben, und wir haben die erprobte Loesung." Es gehoert nicht viel Phantasie
dazu, sich auszumalen, was danach als Naechstes kommt: Frankreich, Spanien,
Grossbritannien.
Werden also eines Tages Kinder "Kamps" sagen, wenn sie Baecker meinen - so wie
sie heute "Tempo" und "Nivea" sagen, wenn sie Taschentuecher und Hautcremes
meinen? Heiner Kamps ist der Groesste und dennoch klein - und macht sich in der
eigenen Firma Konkurrenz. Wohl kaum. Das System Kamps benoetigt zum Ueberleben
ganz spezifische Bedingungen: Ballungsraeume, in denen sich 100 bis 150
Filialen um eine Grossbaeckerei gruppieren lassen wie Satelliten um eine
Versorgungsstation. Selbst wenn Kamps also eines Tages - wie geplant - seine
2000. deutsche Filiale eroeffnen sollte, ginge er in den 47000 Verkaufsstellen
unter wie ein Kuerbiskern in einem Weltmeisterbroetchen. Ausserdem: "Kamps hat
so
viele Schwaechen. Wenn die ein kleiner Baecker sorgfaeltig analysiert, ist er
fein raus", meint Guenther Wohlers, Herausgeber des Branchendienstes
"BackBusiness". "Das begrenzte Sortiment, der hohe Preis, Kamps liesse sich an
vielen Fronten angreifen. Da braucht sich kein kleiner Baecker Sorgen zu
machen."
Die groesste Gefahr, so Fachmann Wohlers, drohe den Handwerksbaeckern ohnehin
nicht von Ketten wie Kamps, sondern aus den Backshops der Supermaerkte. Dort
wuerden vorgefertigte Teiglinge aufgebacken und zum Schleuderpreis verjubelt -
als billige Werbung fuer den Supermarkt. "Zehn Broetchen fuer 1,95 Mark, da kann
kein Baecker mithalten", schimpft auch Baecker-Praesident Becker. Vorreiter
dieser Dumping-Shops sind der deutsche Harry-Konzern - und Wendelns, die
Industriemarke von Kamps.
"Wenn ich es nicht taete, wuerden es andere tun", sagt Kamps fast entschuldigend.
Bei seinem paneuropaeischen Backfeldzug moechte der Bocholter Baeckersohn ungern
etwas dem Zufall ueberlassen. Und schon gar nicht der Konkurrenz.