2008
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Insolvenzen 2008
Die Pleiten des JahresVon Georg Giersberg
23. Dezember 2008 In der Produktion sind wir wieder alle an Bord.“ Man merkt dem Mitarbeiter der
Seiler Pianoforte GmbH im unterfränkischen Kitzingen die Erleichterung förmlich an: Es geht weiter. Fast wäre die Geschichte des Unternehmens nach 159 Jahren zu Ende gewesen. Die Klavierfabrik hatte Anfang Juli Insolvenz beantragt. Das 1849 im schlesischen Liegnitz gegründete Unternehmen ist nach Schimmel (Braunschweig), Bechstein (Berlin) und Steinway & Sons (Hamburg) Deutschlands viertgrößter Klavierbauer. Aber die Auftragslage habe eine Fortführung nicht gerechtfertigt, hieß es. Der südkoreanische Instrumentenbauer Samick sieht den Auftragsrückgang offenbar nicht als unumkehrbares Schicksal an. Er übernahm Seiler und hofft, über sein internationales Vertriebsnetz – Samick ist ein führender Hersteller von Elektrogitarren – die Klaviere wieder an den Mann bringen zu können. Auf diese Weise konnten 40 der 60 Arbeitsplätze erhalten werden.
Über eine ähnliche Lösung würden sich die Mitarbeiter des Uhrenherstellers Junghans in Schramberg im Schwarzwald freuen. Junghans kann auf eine ähnlich lange Tradition verweisen wie Seiler. Das 1861 gegründete Unternehmen machte noch vor wenigen Jahre Furore durch seine Funkuhren. Die als angestaubt geltende Marke ist in diesem Jahr mit in den Sog des strauchelnden Hongkonger Egana-Goldpfeil-Konzerns geraten und hat die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt. Mit Egana-Goldpfeil ging zum zweiten Mal die Muttergesellschaft der Modemarke Joop in Insolvenz. Das hatte sie schon mit ihrer Muttergesellschaft Wünsche erlebt. Die Hamburger Joop GmbH ist seit wenigen Wochen jetzt ganz im Eigentum der schweizerischen Holy Fashion Group. Allerdings bleibt Egana-Goldpfeil Lizenznehmer der Marke. Über einige eigene Marken der Egana-Goldpfeil-Gruppe hofft Insolvenzverwalter Ottmar Hermann in wenigen Wochen Klarheit zu haben, darunter auch über Salamander, die Ludwigsburger Porzellanmanufaktur oder Goldpfeil.
Insolvenzen im Konsumgüterbereich werden oft mit großer Betroffenheit und öffentlicher Anteilnahme zur Kenntnis genommen, weil es Marken sind, die jeder kennt – und für marktstabil hält. Ob es sich lohnt, Briefe auszutragen und einen Wettbewerb zur Post zu eröffnen, haben immer Menschen bezweifelt. Die Pin Group ist gestrauchelt, als es der Post gelungen war, einen Mindestlohn für Briefzusteller durchzusetzen. Der Axel Springer Verlag, größter Geldgeber des Postkonkurrenten, drehte daraufhin den Geldhahn ab. „Wenn es gutgeht, werden 5000 der 11.500 Arbeitsplätze am Ende zu retten sein“, sagte der Insolvenzverwalter Andreas Ringstmeier und deutete damit die Dimension dieser Insolvenz an.
Die zweitgrößte Insolvenz des Jahres betraf die ehemalige Quelle-Karstadt-Tochtergesellschaft Sinn Leffers mit 4100 Mitarbeitern. Allerdings werden dieser Textilhandelsfirma mehr Überlebenschancen eingeräumt als ihren ehemaligen Schwesterfirmen Wehmeyer und Hertie, die ebenfalls insolvent sind. Der Textileinzelhandel gehört zu den gefährdetsten Branchen, heißt es bei der Creditreform Wirtschaftsforschung. Ähnlich negativ sieht Creditreform-Vorstand Helmut Rödl die Aussichten für die Branchen Tiefbau, Autohandel und unternehmensnahe Dienstleistungen wie Speditionen, Reinigungs- oder Gebäudemanagementfirmen, deren Tätigkeit im Zuge der Krise wieder vermehrt eingesourct, also von den Kunden selbst wahrgenommen würden.
Nachdem schon im laufenden Jahr die Zahl der Unternehmensinsolvenzen erstmals seit 2003 wieder gestiegen ist, und zwar auf 29 800, sei im kommenden Jahr ein noch deutlicherer Anstieg zu erwarten auf mehr als 33 000 Firmenzusammenbrüche. Da die Insolvenzen der Konjunktur hinterherliefen, werde es von März 2009 an vermehrt zu Insolvenzen in der Wirtschaft kommen, erwartet Creditreform. Ein Hauptgrund dafür werde neben der Konjunktur (weniger Aufträge) und Managementfehlern vor allem die Finanzierung sein.
Eine Umfrage unter 632 Unternehmen in der letzten Novemberwoche habe ergeben, dass 80 Prozent von ihnen davon ausgehen, dass im kommenden Jahr ihre Kreditwünsche von den Banken ganz oder teilweise abgelehnt werden. Während 42 Prozent von einer Kreditzusage unterhalb des Kreditwunsches ausgehen, erwarten 38 Prozent der Unternehmen, dass ihre Kreditwünsche abgelehnt werden. Steigende Kreditzinsen erwartet jedes zweite Unternehmen.
Gescheiterte Verhandlungen mit den Gläubigerbanken führten auch bei dem Wohnmobilhersteller Knaus Tabbert Anfang Oktober in die Insolvenz. Der Insolvenzverwalter Michael Jaffé versichert, in Verhandlungen mit Investoren möglichst viele der 1500 Arbeitsplätze zu erhalten. Ein Liquiditätsengpass war auch bei der Berliner Spedition Friedrich Schulze der Insolvenzgrund.
Eher die Konjunktur schlug bei Maxdata zu. Der Gerätehersteller der IT-Branche, der seine ruhmreichsten Jahre Ende des letzten Jahrhunderts hatte, leidet „seit Jahren unter dem hohen Wettbewerbsdruck und einem massiven Preisverfall in der IT-Branche“. Betrug, Untreue und Insolvenzverschleppung dagegen wird der Großspedition Ricö Internationale Spedition Transporte und Logistik GmbH aus Osterode am Harz vorgeworfen, die im ersten Halbjahr das Handtuch warf, was zuletzt immerhin gut 3000 Mitarbeiter betraf, davon 900 in Deutschland.
Ein alter Bekannter in der Insolvenzstatistik ist der Industrienähmaschinenhersteller Pfaff. Das Unternehmen stand hier 1999 schon einmal. Obwohl kurz vor der Insolvenz mehrere Investoren wohl abgesprungen sind, ist es nach jüngsten Meldungen nicht ausgeschlossen, dass das Bielefelder Unternehmen Dürrkopp-Adler jetzt zum Zuge kommt. Bei Pfaff dürften auch die Schwierigkeiten des Großaktionärs GCI Management AG in München eine große Rolle gespielt haben. Denn deren Beteiligungsgesellschaft Willisch & Sohn im fränkischen Ansbach ging als Autozulieferer schon in die Insolvenz, als die große Krise noch nicht ausgebrochen war.
Zwar keinen neuen Eigentümer, aber bessere Aussichten hat die insolvente baden-württembergische Papierfabrik Scheufelen aus Lenningen. „Trotz Insolvenz im Juli 2008 blickt Scheufelen optimistisch in die Zukunft – allein das Segment der Premiumpapiere konnte im Jahr 2008 einen Zuwachs von über 20 Prozent verzeichnen“, meldet der Insolvenzverwalter nicht ohne Stolz. Mit einem Produktionsstillstand über Weihnachten und Neujahr sollen die Kapazitäten an das insgesamt schwache Auftragsvolumen angepasst werden. „Wir mussten in diesem Jahr leider einige Insolvenzen und Teilstilllegungen hinnehmen“, heißt es beim Verband deutscher Papierfabriken in Bonn.
Die wieder länger werdende Liste der Insolvenzen hat in diesem Jahr auch die Krefelder Billigzahnarztkette Mc Zahn getroffen und den in Übernahmeverhandlungen befindlichen Flugzeughersteller Grob. Seit September trifft es in der Folge der Absatzkrise der Automobilindustrie auch deren Zulieferer. Das betrifft die Hohenlockstedter Wälz- und Umwelttechnik in Schleswig-Holstein ebenso wie den Bremsbelägehersteller TMD Friction in Leverkusen oder den relativ großen Hersteller von Antriebswellen und Lenksystemen Tedrive mit immerhin 1500 Beschäftigten. Die Fälle TMD und Tedrive sind deshalb besonders interessant, weil hier Private-Equity-Eigentümer ihre Beteiligung insolvent werden ließen und sich damit jeder Möglichkeit begaben, daraus noch Geld zu sehen. Die Beteiligung muss in diesem Fall auf null abgeschrieben werden.
Auch das gehört zum Schaden, der durch Insolvenzen angerichtet wird. Vor allem aber liegt der Schaden in Verpflichtungen, denen die insolvente Firma nicht mehr nachkommt. Den Schaden durch Insolvenzen beziffert Creditreform mit 29 Milliarden Euro. Hinzu kommt, dass in diesem Jahr 447.000 Beschäftigte direkt von Insolvenzen betroffen waren – die allerdings nicht alle arbeitslos werden, vor allem wenn sie einen neuen Eigentümer finden wie die Klavierfabrik Seiler.
Text: F.A.Z.
Bildmaterial: AP, ddp, dpa, F.A.Z., Scheufelen