Freitag, 27. Juli 2001 Berlin, 23:58 Uhr
Hausse der Medientitel droht rasches Ende
Analysten warnen vor überzogenen Hoffnungen. Die Restrukturierung der Branche braucht noch Zeit
Von Beatrix Wirth
Berlin - Wer nach einem Symbol für den Neuen Markt gefragt wird, muss nicht lange nachdenken: Kein anderes Unternehmen steht mehr für das Wachstumssegment als EM.TV. Mit dem Kurs des einst bejubelten Medienkonzerns kletterte der gesamte Neue Markt in schwindelerregende Höhen; mit dem Absturz des Börsenstars verglühten später die hochgesteckten Hoffnungen der Anleger. Stärker als andere Unternehmen, die enttäuscht haben, wurde EM.TV beschimpft und geächtet - und stärker als andere Gesellschaften kann EM.TV immer noch Emotionen wecken. Dies zeigte sich im positiven Sinn in dieser Woche: Der Vorstandswechsel bei den Münchnern löste einen Stimmungswechsel am Neuen Markt aus. Nicht nur der Medien-Index profitierte mit einem Plus von 14 Prozent von der Neuigkeit - auch der Nemax-All-Share präsentierte sich in den vergangenen Tagen endlich wieder einmal im Plus.
"EM.TV ist eben nicht nur einer von vielen Medienwerten. Die Tatsache, dass bei dem einstigen Vorzeigeunternehmen nun endlich die Probleme angepackt werden, hat am gesamten Markt für Erleichterung gesorgt", sagt Markus Wallner, Medienanalyst bei HSBC Trinkaus & Burkhardt. Hoffnungen, dass der Aufschwung bei den Medientiteln eine Trendwende an der Börse einleiten könnte, hält er allerdings für unbegründet. "Ein Großteil der Kursgewinne liegt einfach darin begründet, dass sich Hedge-Fonds, die in Erwartung weiter fallender Kurse zuletzt stark short gegangen waren, jetzt wieder am Neuen Markt eindecken." Und auch die Hausse bei den Medientiteln wird nach Ansicht der Experten nur von kurzer Dauer sein. Gestern setzten bereits erste Gewinnmitnahmen ein. "An den Problemen einzelner Unternehmen und der schlechten Absatzsituation hat sich ja nichts geändert", sagt Jan Herbst von Sal. Oppenheim: "Der EM.TV-Effekt kann daher nur ein Strohfeuer sein."
Neben EM.TV selbst konnten vor allem die geprügelten Penny Stocks des Filmrechtehändlers Advanced Medien und die Aktien des Trickfilmproduzenten RTV Family Entertainment mit enormen Kursgewinnen vom Rücktritt des EM.TV-Chefs Thomas Haffa profitieren. Grund waren Übernahmespekulationen, nachdem der designierte EM.TV-Chef Werner Klatten angekündigt hatte, "unterbewertete Medientitel, die zum Gesamtportfolio des Unternehmens passen", integrieren zu wollen. "Daher wird jetzt mit den Titeln, die optisch niedrig bewertet sind, wild spekuliert", so Herbst. Seiner Ansicht nach macht aber weder eine Übernahme von Advanced Medien noch von RTV für EM.TV Sinn: "Die Geschäftsfelder sind einfach zu unterschiedlich." Friedrich Schellmoser von der Hypo-Vereinsbank kann sich dagegen RTV gut als Übernahmekandidaten vorstellen: "Die riesige Bibliothek von RTV ist attraktiv."
Als Favoriten im Medienbereich machen die Experten indes andere Unternehmen aus. Schellmoser räumt Helkon und TV Loonland langfristig gute Chancen ein und stuft beide Titel mit "Buy" ein. TV Loonland wird - wie auch Kinowelt - als ein weiteres mögliches Übernahmeziel von EM.TV gehandelt. HSBC-Analyst Wallner empfiehlt dagegen Senator wegen der langen Erfahrung im Filmgeschäft und der internationalen Ausrichtung. Sein Urteil: "Strong Buy."
Damit sind die Analysten mit ihren Empfehlungen aber auch schon am Ende. Kein Wunder, ordnen doch sowohl Schellmoser als auch Herbst den gesamten Sektor mit "Untergewichten" ein. Und auch Wallner kann mit seiner "Neutral"-Einstufung keine großen Hoffnungen wecken.
Immerhin sieht Wallner einen Lichtblick am Horizont. "Fast alle Unternehmen sind derzeit dabei, sich zu restrukturieren. Das wird Früchte tragen, so dass eine Wende bei den Medienwerten im ersten oder zweiten Quartal des nächsten Jahres eintreten dürfte." Auch dem jüngsten Kursfeuerwerk gewinnt er etwas Positives ab: "Es hat die Aufmerksamkeit wieder auf die Medientitel gezogen." Zudem sei damit die Marktkapitalisierung des Sektors am Neuen Markt von dem Tiefpunkt bei rund vier Mrd. Euro wieder auf 5,7 Mrd. Euro gestiegen. Allerdings: Von den guten Zeiten, in denen es die Medienwerte auf einen Börsenwert von 21 Mrd. Euro brachten, ist die Branche damit immer noch meilenweit entfernt.
www.welt.de/daten/2001/07/28/0728fi270785.htx
Hausse der Medientitel droht rasches Ende
Analysten warnen vor überzogenen Hoffnungen. Die Restrukturierung der Branche braucht noch Zeit
Von Beatrix Wirth
Berlin - Wer nach einem Symbol für den Neuen Markt gefragt wird, muss nicht lange nachdenken: Kein anderes Unternehmen steht mehr für das Wachstumssegment als EM.TV. Mit dem Kurs des einst bejubelten Medienkonzerns kletterte der gesamte Neue Markt in schwindelerregende Höhen; mit dem Absturz des Börsenstars verglühten später die hochgesteckten Hoffnungen der Anleger. Stärker als andere Unternehmen, die enttäuscht haben, wurde EM.TV beschimpft und geächtet - und stärker als andere Gesellschaften kann EM.TV immer noch Emotionen wecken. Dies zeigte sich im positiven Sinn in dieser Woche: Der Vorstandswechsel bei den Münchnern löste einen Stimmungswechsel am Neuen Markt aus. Nicht nur der Medien-Index profitierte mit einem Plus von 14 Prozent von der Neuigkeit - auch der Nemax-All-Share präsentierte sich in den vergangenen Tagen endlich wieder einmal im Plus.
"EM.TV ist eben nicht nur einer von vielen Medienwerten. Die Tatsache, dass bei dem einstigen Vorzeigeunternehmen nun endlich die Probleme angepackt werden, hat am gesamten Markt für Erleichterung gesorgt", sagt Markus Wallner, Medienanalyst bei HSBC Trinkaus & Burkhardt. Hoffnungen, dass der Aufschwung bei den Medientiteln eine Trendwende an der Börse einleiten könnte, hält er allerdings für unbegründet. "Ein Großteil der Kursgewinne liegt einfach darin begründet, dass sich Hedge-Fonds, die in Erwartung weiter fallender Kurse zuletzt stark short gegangen waren, jetzt wieder am Neuen Markt eindecken." Und auch die Hausse bei den Medientiteln wird nach Ansicht der Experten nur von kurzer Dauer sein. Gestern setzten bereits erste Gewinnmitnahmen ein. "An den Problemen einzelner Unternehmen und der schlechten Absatzsituation hat sich ja nichts geändert", sagt Jan Herbst von Sal. Oppenheim: "Der EM.TV-Effekt kann daher nur ein Strohfeuer sein."
Neben EM.TV selbst konnten vor allem die geprügelten Penny Stocks des Filmrechtehändlers Advanced Medien und die Aktien des Trickfilmproduzenten RTV Family Entertainment mit enormen Kursgewinnen vom Rücktritt des EM.TV-Chefs Thomas Haffa profitieren. Grund waren Übernahmespekulationen, nachdem der designierte EM.TV-Chef Werner Klatten angekündigt hatte, "unterbewertete Medientitel, die zum Gesamtportfolio des Unternehmens passen", integrieren zu wollen. "Daher wird jetzt mit den Titeln, die optisch niedrig bewertet sind, wild spekuliert", so Herbst. Seiner Ansicht nach macht aber weder eine Übernahme von Advanced Medien noch von RTV für EM.TV Sinn: "Die Geschäftsfelder sind einfach zu unterschiedlich." Friedrich Schellmoser von der Hypo-Vereinsbank kann sich dagegen RTV gut als Übernahmekandidaten vorstellen: "Die riesige Bibliothek von RTV ist attraktiv."
Als Favoriten im Medienbereich machen die Experten indes andere Unternehmen aus. Schellmoser räumt Helkon und TV Loonland langfristig gute Chancen ein und stuft beide Titel mit "Buy" ein. TV Loonland wird - wie auch Kinowelt - als ein weiteres mögliches Übernahmeziel von EM.TV gehandelt. HSBC-Analyst Wallner empfiehlt dagegen Senator wegen der langen Erfahrung im Filmgeschäft und der internationalen Ausrichtung. Sein Urteil: "Strong Buy."
Damit sind die Analysten mit ihren Empfehlungen aber auch schon am Ende. Kein Wunder, ordnen doch sowohl Schellmoser als auch Herbst den gesamten Sektor mit "Untergewichten" ein. Und auch Wallner kann mit seiner "Neutral"-Einstufung keine großen Hoffnungen wecken.
Immerhin sieht Wallner einen Lichtblick am Horizont. "Fast alle Unternehmen sind derzeit dabei, sich zu restrukturieren. Das wird Früchte tragen, so dass eine Wende bei den Medienwerten im ersten oder zweiten Quartal des nächsten Jahres eintreten dürfte." Auch dem jüngsten Kursfeuerwerk gewinnt er etwas Positives ab: "Es hat die Aufmerksamkeit wieder auf die Medientitel gezogen." Zudem sei damit die Marktkapitalisierung des Sektors am Neuen Markt von dem Tiefpunkt bei rund vier Mrd. Euro wieder auf 5,7 Mrd. Euro gestiegen. Allerdings: Von den guten Zeiten, in denen es die Medienwerte auf einen Börsenwert von 21 Mrd. Euro brachten, ist die Branche damit immer noch meilenweit entfernt.
www.welt.de/daten/2001/07/28/0728fi270785.htx