Aktienrecht Enteignung ja, Entmachtung nein
Von Rüdiger Zuck
Der Bürger steht der Verfassung fern, mit seinem gewöhnlichen Tagesablauf hat sie nichts zu tun. Das gilt im Regelfall auch für den Richter. Er wendet das einfache Recht an, und von diesem wird vermutet, dass es dem Grundgesetz entspricht. Die Verfassung als rechtliche Grundordnung des Staates ist eben genau das, eine Grundordnung. Man nimmt sie so wenig wahr wie das Fundament eines Hauses. Das ändert sich in Zeiten persönlicher oder allgemeiner Krise. Die Verfassung wird nun wie neu entdeckt. Die Betroffenen loten aus, was das Grundgesetz verbietet, beispielsweise Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch Online-Durchsuchungen, oder was es fordert, so die Gleichbehandlung von Mann und Frau.
Mit der Verfassung vereinbar?
In einer allgemeinen wirtschaftlichen Krisensituation wie jetzt werden die vom Grundgesetz gewährleisteten Voraussetzungen positiver und negativer Freiheit besonders bedeutsam. Politisches und in seiner Folge gesetzgeberisches Handeln müssen sich auch in Zeiten der Not an ihrer Vereinbarkeit mit der Verfassung messen lassen. Dabei geht es auch um die Belastbarkeit des Grundgesetzes, also darum, ob die Verfassung nicht nur eine Schönwetterordnung ist, sondern ob sie sich auch in Krisenzeiten zu bewähren vermag. In der öffentlichen Diskussion um die Finanzmarktkrise spielen verfassungsrechtliche Überlegungen bislang nicht die ihnen zukommende Rolle.
Das Finanzmarktstabilisierungsgesetz hat einen Fonds (Soffin) geschaffen, mit dessen Hilfe der Finanzmarkt stabilisiert werden soll. Nun gibt es neben Banken, die solche Hilfen (man spricht von Bail-out-Maßnahmen) beantragt haben, auch solche, die eigentlich staatlicher Hilfe bedürften, sie aber nicht beantragen, weil sie die Bedingungen scheuen. Und es gibt daneben Banken, die nicht hilfsbedürftig sind. Der Gesetzgeber ist bei der Gewährung staatlicher Subventionen zwar weitgehend frei. Jede Subvention muss aber gemeinwohlbezogen bleiben, sonst verstieße sie gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz.
Das Detail zählt
Ist es sachgerecht, durch staatliche Förderung das verantwortungslose Marktverhalten einzelner Banken zu prämieren? Müsste man nicht eine "schlechte Bank" aus dem Markt ausscheiden lassen? Bricht jedoch der Finanzmarkt insgesamt zusammen, betrifft das zunächst die ganze Wirtschaft, dann die Gesellschaft. Dass der Staat zur Sicherung des Bankensystems steuernd eingreift, zielt nicht auf den Schutz einzelner Banken, sondern auf die Sicherung des Systems. Dieses ist systemrelevant. Dass "gute Banken" mit staatlich finanziertem Wettbewerb konkurrieren müssen, ist lediglich eine unvermeidbare Nebenfolge des Systemschutzes. Verfassungsrechtliche Einwände gegen das staatliche Eingriffsystem als solches sind deshalb nicht zu erheben.
Guttenberg legt Gegenkonzept zur Enteignung vor
Im Detail sieht das anders aus. Soll beispielsweise das Eigenkapital einer Bank durch Ausgabe von Aktien gegen Einlagen an den Soffin erhöht werden, sieht das Beschleunigungsgesetz vom vergangenen Oktober vor, dass der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats diese Entscheidung allein treffen kann. Die Zustimmung der Hauptversammlung ist also nicht erforderlich. Das hebt die Regelung des § 119 Absatz 1 Nr. 6 Aktiengesetz auf, die zwingend die Zustimmung der Hauptversammlung für Kapitalerhöhungen voraussetzt. Ist das mit der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie vereinbar?
„Ausschaltung des Parlaments“
Das ist zu verneinen. Der Aktionär hat nicht nur einen vermögensrechtlichen Status. Ihm stehen auch Leitungsbefugnisse zu. Sie entfallen hier. Angesichts des Versagens von Vorständen und Aufsichtsräten wäre eine Stärkung der Hauptversammlung eher zu erwarten gewesen als ihre Entmachtung. Die mit dem Verzicht verbundene Disziplinierung der Aktionäre reicht nicht aus, um eines der tragenden Elemente der Gesellschaftsverfassung zu unterminieren. Die Regelung wirkt wie die Ausschaltung des Parlaments vor wichtigen Gesetzesvorhaben. Das mildere Mittel wäre eine kurze Frist für die Einberufung der Hauptversammlung gewesen. Mit der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes ist deren Ausschaltung daher unvereinbar.
Im Zentrum der jetzigen Diskussion steht die Eigentumsgarantie bei der im Rettungsgesetz vorgesehenen Möglichkeit der Bankenenteignung zur Sicherung der Finanzmarktstabilität. Das setzt vor allem eine Systemrelevanz des Geldinstituts voraus. Diese hängt von der Höhe der Bilanzsumme, der Verflechtung der Bank in den Zahlungsverkehr, der Intensität des Einlagengeschäfts und der Marktstellung ab. Es ist also zu fragen, ob der Zusammenbruch dieses Kreditinstituts einen Dominoeffekt für das Bankensystem insgesamt hätte. Für die Hypo Real Estate (HRE) haben die meisten Politiker dies angenommen.
Wie bei einer Immobilie
Gegen eine Enteignung lässt sich zunächst nicht einwenden, es handle sich um einen Systemwiderspruch zur Sozialen Marktwirtschaft. Diese war immer schon gemeinwohlgebunden. Die Enteignung der HRE-Aktionäre ist aber auch mit der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie vereinbar. Voraussetzung ist, dass die Aktionäre an der Sanierung ihres Unternehmens nicht sachgerecht mitwirken. Wenn sie insoweit ihre eigenen Interessen an die Stelle des Gemeinwohls setzen, ist die Enteignung erforderlich. Reichen die dafür in Anspruch genommenen Gemeinwohlgründe nicht aus, ist das allein ein Problem des Rechtsschutzes gegen den Enteignungsakt. Es gibt insoweit keinen Grund, den Aktionär besser zu stellen als den Eigentümer, dessen Grundstück einer notwendigen Straßenplanung im Wege steht.
Entschädigung zu niedrig
Problematisch ist dagegen die vorgesehene Höhe der Entschädigung. Nimmt man das HRE-Beispiel, so ist die Möglichkeit einer Enteignung seit Anfang Januar im öffentlichen Gespräch. Damals lag der Börsenkurs noch bei 2,97 Euro. Heute pendelt er um 0,90 Euro. Verkündet die Bundesregierung den Enteignungsbeschluss, wird der Kurs bis zum Vollzug der Enteignung weiter zurückgehen. Die zulässige Bemessung der Entschädigung nach einem 14-Tages-Durchschnitt vor der Enteignung stellt die Aktionäre in unvertretbarer Weise schlecht, weil der Kursverfall von rund 3 Euro auf rund einen Euro durch das Handeln des Gesetzgebers verursacht worden ist. Die für Aktien notwendige Entschädigung in Höhe des Verkehrswerts muss deshalb auf den Zeitpunkt des Bekanntwerdens der Enteignungspläne rückdatiert werden.
Der Gesetzgeber hat, was seinen systematischen Ansatz betrifft, mit den Maßnahmen zur Stabilisierung des Finanzmarkts auf der Grundlage der Verfassung gehandelt. Dieses Ergebnis darf man aber nicht überbewerten. Die Umsetzung des geltenden Rechts ist in jedem Einzelfall am Grundgesetz, insbesondere am Prinzip der Verhältnismäßigkeit zu messen.
Der Verfasser ist Gründer der Anwaltskanzlei Zuck in Stuttgart.
Text: F.A.Z.
www.faz.net/s/...2DA5E7C912F17E7D37~ATpl~Ecommon~Scontent.html