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Süßstoffe aus Stevia sind in Deutschland nicht zugelassen. Das könnte sich bald ändern
"Süßer Badezusatz", steht auf dem Fläschchen im Kosmetikregal. Und gleich darunter ein Hinweis, der die Verwirrung manches ahnungslosen Kunden noch steigert: "Wir dürfen Ihnen aufgrund der EU-Rechtslage nicht empfehlen, Stevia zum Süßen von Speisen und Getränken zu verwenden!"
Des Rätsels Lösung: Stevia ist ein Süßstoff, der keiner sein darf. Zumindest noch nicht. Zwar besteht kein Zweifel, dass die südamerikanische Stevia-Pflanze ein potenter Süßmacher ist, bis zu 300-mal süßer als Zucker und zudem fast kalorienfrei. Trotzdem ist Stevia in Europa, mit wenigen Ausnahmen, nicht als Süßstoff zugelassen. Was zu der merkwürdigen Situation führt, dass mancher Stevia-Anhänger einen „Badezusatz“ in seinen Tee rührt. Dabei ist der Grund für die Zurückhaltung der Zulassungsbehörden eigentlich ein löblicher: nämlich Sorge um die Sicherheit der Verbraucher.
Süßungsmittel müssen sich in teuren Gesundheitsstudien beweisen
Zum einen halten sich hartnäckig Gerüchte, Stevia bzw. der Stevia-Inhaltsstoff Steviol könnten krebserregend sein oder zu Erbgutschädigungen führen. Zum anderen verlangt die sogenannte novel-food-Verordnung, dass alle neuartigen Lebensmittel, und dazu gehört auch Stevia, ein strenges Zulassungsverfahren durchlaufen.
Um Stevia als Süßungsmittel auf den Markt zu bringen, wären aufwendige, lang dauernde und vor allem sehr kostspielige Studien erforderlich, die zweifelsfrei bestätigen, dass von Stevia keine Gesundheitsrisiken ausgehen. „Davor schrecken die meisten Hersteller zurück“, sagt der Agrarwissenschaftler und Stevia-Experte Dr. Udo Kienle von der Universität Hohenheim. Denn weil Stevia ein Naturstoff ist, gibt es keinen Patentschutz. Vom Tag der Zulassung an dürfte also auch die Konkurrenz Stevia-Produkte auf den Markt bringen.
Um die wachsende Anhängerschaft des Naturproduktes trotzdem zu bedienen, greifen manche Anbieter zu einem Trick: Sie bieten Stevia ganz ungeniert als Badezusatz oder Zahnpflegeprodukt an. So umgehen sie die strengen Zulassungsbedingungen.
In Japan und Brasilien zugelassen
Stevia-Anhänger argumentieren gegen das Verbot vor allem damit, dass die Pflanze in ihren Herkunftsländern schon seit Jahrhunderten verwendet wird, und zwar offenbar ohne Probleme.
In Paraguay etwa nennen die Guarani-Indianer die Stevia-Pflanze kaa jheééand und süßen damit ihren Mate-Tee. Auch in Brasilien und Japan ist Stevia seit Jahrzehnten als Nahrungsmittelzusatz und Zuckerersatz erhältlich. Allerdings sind die gesetzlichen Bedingungen in diesen Ländern anders als bei uns. Und auch in Japan, so Experte Kienle, ist die Diskussion über mögliche gesundheitliche Risiken durch Stevia noch längst nicht abgeschlossen.
700 Millionen Dollar Umsatz?
Immerhin hat Frankreich am 26. August vergangenen Jahres eine auf zwei Jahre begrenzte Ausnahmegenehmigung für Süßstoffe aus Stevia erteilt. Schon 2007 hat die Schweiz als erstes europäisches Land diesen Vorstoß gemacht. Was zur Folge hat, dass in den Supermärkten der Alpenrepublik bereits seit einigen Monaten Produkte erhältlich sind, die mit Stevia gesüßt sind. Erste Einzelzulassungen gibt es auch in den USA, wo zwei führende Limonaden-Hersteller inzwischen ebenfalls mit Stevia gesüßte Getränke vertreiben. Marketing-Experten schätzen bereits, dass Stevia-Süßstoffe in den nächsten fünf Jahren USA-weit einen Umsatz von rund 700 Millionen Dollar erzielen werden.
Seit ein Experten-Ausschuss der Vereinten Nationen im Juni 2008 erklärte, die tägliche Aufnahme von bis zu vier Milligramm Steviol pro Kilogramm Körpergewicht sei unbedenklich, haben sich die Chancen auf eine europaweite Zulassung deutlich gebessert. Experten erwarten bereits für das kommende Frühjahr eine Stellungnahme der Europäischen Lebensmittelbehörde.
Stevia-Experte Kienle warnt allerdings vor überzogenen Erwartungen. Denn auch wenn so mancher Internet-Beitrag anderes Glauben macht, eines sei Stevia sicher nicht: ein „Wundersüßstoff“, der nicht nur als Zuckerersatz tauge, sondern auch alle möglichen Zipperlein und Krankheiten bessern könne. Zudem eignet sich Stevia wie andere Süßstoffe zum Backen nur bedingt – und auch sein Geschmack ist gewöhnungsbedürftig.
Stevia ist kein Wundersüßstoff
Stevia-Forscher haben übrigens etwas Interessantes festgestellt: Die Pflanze mag es gern süß! Am besten gedeiht Stevia in einer Nährlösung, die fast doppelt so viel Zucker enthält, wie Pflanzen gewöhnlich brauchen.
Dr. Christina Corente / Diabetes Ratgeber; 23.03.2010
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