"Leo Kirch ist nicht mehr Herr der Entwicklung"

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"Leo Kirch ist nicht mehr Herr der Entwicklung"

 
08.02.02 08:40
Mit einem "nationalen Abwehrplan" wollen Politiker, Medienmanager und Banker verhindern, dass Rupert Murdoch das marode Kirch-Imperium übernimmt. Dabei würde ein Vormarsch in Deutschland Murdoch mehr Ärger als Gewinn bringen. SPIEGEL ONLINE sprach mit dem Medienforscher Horst Röper über Murdochs Schwächen und den Ausverkauf von Leo Kirchs Erbe.

SPIEGEL ONLINE: Herr Röper, in den letzten Tagen war zu lesen, der Bundeskanzler, Banker und Bertelsmann-Chef Middelhoff wollten Leo Kirch dazu zwingen, Teile seines Unternehmens zu verkaufen. So solle verhindert werden, dass sich der Eroberer Rupert Murdoch der maroden KirchGruppe bemächtigt und die deutsche Medienlandschaft umgräbt. Ist das heimische Medienidyll wirklich so bedroht?
Röper: So groß ist der Anteil von Kirch an der Medienlandschaft auch nicht, man wird sie auch weiterhin wiedererkennen. Die nationale Lösung, von der nun die Rede ist, ist vor allem ein Zeichen der Nervosität bei den Banken, die um ihre Kredite bangen. Auch in der Politik ist es natürlich immer opportun, die deutsche Karte zu ziehen. Aber das ist ein Akt, der eher ins 19. Jahrhundert passt und nicht in die Zeiten der Globalisierung. Gerade ein Exportweltmeister wie Deutschland sollte sich solcher Methoden nicht befleißigen.

Horst Röper, Jahrgang 1952, ist seit 1985 Geschäftsführer des Formatt-Instituts für Medienwissenschaften in Dortmund und war vorher in der Journalistenausbildung an den Unis Dortmund und Münster tätig. Co-Autor mehrerer Bücher über elektronische Medien und über Macht-Konzentration auf dem deutschen Medienmarkt.

 
SPIEGEL ONLINE: Was halten sie davon, dass Bertelsmann-Chef Thomas Middelhoff global expandiert, aber Murdochs Eintritt auf dem deutschen Markt am liebsten blockieren will?


Röper: Es ist nur natürlich, dass große Medienkonzerne sehr genau beobachten, was bei Kirch passiert und mitbestimmen wollen, wer in den Markt einsteigt. Ein neuer internationaler Player wie Murdoch bedeutet Unruhe und könnte den Deutschen Marktanteile streitig machen. Aber, wie gesagt, die Methoden sind von Anno Tobak.

SPIEGEL ONLINE: Murdoch könnte Kirch mit einer Verkaufsoption in die Pleite treiben und den Bezahlkanal Premiere World übernehmen. Das müsste Schadenfreude und Jubel bei Murdochs Feinden auslösen. Das hochdefizitäre Unternehmen dürfte Murdoch schwer im Magen liegen.

Röper: Ja, das sehe ich auch so. Aber Murdoch wird bei Kirch die Hand offen halten, wenn er ein solches Haus und die Verbindlichkeiten für die nächste Zukunft übernimmt. Da wird Murdoch drastische Forderungen stellen. Kirch ist erpressbar und kann Premiere nicht ohne Zugeständnisse vollkommen veräußern. Er muss sicher sein, von einem Premiere-Käufer die Abnahmegarantie für seine Pay-TV-Filme zu bekommen. Denn Kirch hat zum Beispiel mit den großen Hollywood-Studios langfristige Lieferverträge für die Belieferung des deutschen Marktes mit Pay-TV-Rechten abgeschlossen. Wenn es hier zu Lande keinen Pay-TV-Sender mehr gibt, kann er diese Rechte nicht mehr nutzen. Den Amerikanern wird das aber völlig egal sein, Kirch muss zahlen.

SPIEGEL ONLINE: Wenn Murdoch Premiere übernimmt - kann er den erstaunlichen Erfolg seines britischen Pay-TV-Kanals BskyB nach Deutschland exportieren?

Röper: Nein, die Märkte Großbritannien und Deutschland und die Zeiten sind viel zu verschieden. Der deutsche Markt ist weitaus schwieriger. Es wäre falsch, hier mittelfristig einen großen Erfolg zu erwarten.

SPIEGEL ONLINE: Wieso tritt Murdoch dann mit einem so immensen Selbstvertrauen auf, wenn er Kirch unter Druck setzt?

Röper: Ich bin nicht sicher, ob Murdoch so viel Vertrauen in seine deutschen Vorhaben hat oder ob er einfach ein guter Schauspieler ist. Sein Engagement auf dem deutschen Markt war bisher nicht gerade von Glanz und Gloria begleitet, er hat sich wiederholt blaue Augen geholt.

SPIEGEL ONLINE: Also ist die Angst der Politik, des ARD-Chefs Pleitgen und der Bertelsmann-Sender vor Murdoch nicht gerechtfertigt.

Röper: Nein, das würde ich nie so sagen. Murdoch verfügt über eine reich gefüllte Kasse und kann sich manch risikoreiches Geschäft erlauben. Das unterscheidet ihn von Kirch. Murdoch ist außerdem jemand, der das Mediengeschäft anders betreibt als wir es in Deutschland gewohnt sind. Er verbindet publizistisch-politische Macht mit eigenen Unternehmensinteressen und ist dabei keineswegs wählerisch. Natürlich spielen auch hier zu Lande einzelne Akteure ihre publizistische Macht immer wieder zu eigenen Gunsten aus, aber nicht so brachial wie Murdoch.

SPIEGEL ONLINE: Was könnte passieren, wenn Murdoch nicht nur Einfluss auf Premiere bekommt, sondern sich auch ins Filmrechtegeschäft der KirchMedia drängt?

Röper: Das kommt darauf an, wie weit er die Tür öffnet, ob er zum Beispiel eine Sperrminorität hält. Wenn er größeren Einfluss bekäme, gewönne er Macht über Sender, die ihrerseits die öffentliche Meinungsbildung in Deutschland prägen. Bei Pay-TV geht es nur am Rande um Informationen. Das wäre etwas ganz anderes, wenn Murdoch bei KirchMedia einstiege und Einfluss auf die werbefinanzierten Kirch-Programme wie ProSieben und SAT.1 bekäme.

Ich erinnere nur an die Überschrift von Murdochs Boulevardblatt "Sun" nach den letzten Wahlen in Großbritannien: Auf dem Titel stand "We won". Das Selbstverständnis des Blattes war, dass es den Sieg von Blair herbeigeführt hatte. Das ist auch das Selbstverständnis von Murdoch, und es ist uns fremd.

SPIEGEL ONLINE: Sehr viel jünger als Kirch ist Murdoch aber nicht.

Röper: Er hat aber ein paar Söhne, die er für fähig hält, den Konzern weiterzuführen. Auch das ist bei Kirch anders.

SPIEGEL ONLINE: Es wird gerne behauptet, Murdoch habe seinen Vorstoß mit dem Springer-Verlag und mit dem US-Kabelinvestor John Malone abgesprochen. Ist das eine Phantasie von Journalisten, die gerne über Deals hinter verschlossener Tür schreiben - oder ist es plausibel?

Röper: Es ist plausibel. Das schließt nicht aus, dass es ein Phantasieprodukt ist. Zuzutrauen wäre es den Akteuren jedenfalls.

SPIEGEL ONLINE: Bei den Plänen für eine Aufteilung des KirchGruppe gibt es bisher einen kleinen Haken: Kirch hat nicht eingelenkt, die Gespräche liefen bisher hinter seinem Rücken.

Röper: Leo Kirch ist da nicht mehr Herr über die Entwicklung, weil so genannte Partner wie Murdoch, Springer und die Banken ihn im Regen stehen lassen. Er wird den Lösungen, wenn sich überhaupt welche finden, zustimmen müssen. Bisher sind ihm bei allen möglichen finanziellen Schwierigkeiten seines Hauses in den letzten Jahrzehnten Lösungen eingefallen. Im Moment aber hört man nichts dergleichen. Eine Neukreditierung über Banken scheidet aus, eine Geldbeschaffung über die Börse ist derzeit überhaupt nicht denkbar.

SPIEGEL ONLINE: Sind die Einzelteile der KirchGruppe überhaupt so viel wert, wie behauptet wird? Auto-Konzerne wie DaimlerChrysler, BMW und Fiat zum Beispiel wollen die Formel-1-Rechte nicht und planen eifrig an ihrer eigenen Rennserie weiter.

Röper: Für die Formel 1 wird Kirch Kunden finden, denn die Rechte an der Vermarktung hält er für die nächsten Jahre, und sie sind sehr lukrativ. Nur hat Kirch sie zu einem Preis gekauft, der exzeptionell hoch war. Es scheint sehr zweifelhaft, dass er diesen Preis wieder erlösen wird.

SPIEGEL ONLINE:Wenn Kirch seinen 40-Prozent-Anteil am Axel Springer Verlag abgeben muss, bräuchten Springer-Chef Mathias Döpfner und die Erbin Friede Springer einen neuen Partner. Damit hätten sie doch einen neuen Kuckuck im Verlagsnest.

Röper: Es gibt sicher Partner, die Springer genehmer sind als Kirch. Es gibt auch Partner, die mehr Know-how einzubringen hätten als Kirch, für den der Print-Markt ein fremdes Feld ist.

SPIEGEL ONLINE: Ein Käufer, dem Interesse unterstellt wird, ist der WAZ-Konzern um die "Westdeutsche Allgemeine Zeitung". Aber die "WAZ" ist tiefrot und Springer zutiefst konservativ.

Röper: Aus Sicht der WAZ-Gruppe geht es nicht so sehr um Inhalte oder gar politische Linien. Die WAZ-Führung besteht aus Kaufleuten, die interessieren sich für einen guten Deal. Springers Aktienkurs ist niedrig und das Haus ist leistungsfähiger als es ein Blick auf die Bilanz nahe legt. Springer wäre ein guter Deal.
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