Japan ist kurz davor, die mehr als siebenjährige Phase der Deflation offiziell zu beenden: Möglicherweise schon am Freitag dieser Woche, spätestens jedoch im August wird die Bank von Japan ihre Nullzinspolitik beenden. Auch nach einer Anhebung des Leitzinses auf 0,25 Prozent, der quartalsweise weitere Trippelschritte folgen dürften, wird das Land freilich vorerst eine Quelle billiger Liquidität bleiben. Das Störpotential, das von dieser Zinswende für die Kapitalmärkte ausgeht, hält sich denn auch in Grenzen. Bezeichnenderweise ist der Yen in der zurückliegenden Woche auf ein Rekordtief gegenüber dem Euro gefallen.
Dennoch ist das Ende der fünfeinhalb Jahre währenden Nullzinspolitik eine Zäsur für die Märkte. Japan war über viele Jahre das Sorgenkind der Weltwirtschaft. Die Wachstumsschwäche der zweitgrößten Volkswirtschaft hat dazu beigetragen, daß sich auf dem Globus bedrohliche Ungleichgewichte aufgebaut haben, die nicht nur theoretisch das Potential für erhebliche Verwerfungen an den Finanzmärkten haben. Die Vereinigten Staaten waren über viele Jahre hinweg die Zuglokomotive der Weltwirtschaft, nahmen damit aber den Aufbau eines exorbitanten Leistungsbilanzdefizits in Kauf. Wenn Japan nun seine „Wiederauferstehung“ feiert (und auch der Euro-Raum mehr Wachstumsdynamik an den Tag legt), gibt dies Hoffnung auf ein ausgeglicheneres Wachstum der Weltwirtschaft.
Wiedererwachtes Investitionsklima
2006 wird das vierte Jahr in Folge sein, in dem die japanische Wirtschaft überdurchschnittlich wachsen wird. Nach dem jüngsten Quartalsbericht der Bank von Japan („Tankan-Report“) ist die Stimmung in den Unternehmen ausgesprochen freundlich. Das Investitionsklima ist so gut wie seit vielen Jahren nicht mehr. Es wächst schon die Sorge über Engpässe am Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenquote ist im Mai mit 4,0 Prozent nicht nur auf das niedrigste Niveau seit acht Jahren gefallen.
Erstmals seit 14 Jahren gibt es auch wieder mehr offene Stellen als Bewerber. Entscheidend für die zinspolitische Wende ist freilich die Preisentwicklung: Seit vergangenen November steigt die nur um Nahrungsmittelpreise bereinigte Kerninflation wieder. Zwar haben dazu auch die stark gestiegenen Energiepreise beigetragen. Doch die Zunft der Ökonomen unterstellt mehrheitlich, daß dies das Ende der Deflation ist. Im Mai lagen die Verbraucherpreise um 0,6 Prozent über denen des Vorjahrs.
Aus der Politik gibt es zwar noch mahnende Stimmen, daß die Bank von Japan ihr Pulver weiterhin trocken halten sollte. Da spielt sicher auch die Erinnerung an die letzte Zinserhöhung vom August 2000 eine Rolle, die nur wenige Monate später wieder rückgängig gemacht werden mußte. Doch die guten Konjunkturdaten der vergangenen Wochen sollen selbst Ministerpräsident Junichiro Koizumi dazu bewogen haben, seinen Widerstand gegen Zinserhöhungen aufzugeben. Allerdings dürfte die Regierung eher daran interessiert sein, daß die Bank von Japan nicht vor August handelt. Dann würde die Zinswende besser in die Dramaturgie des Abschieds von Koizumi passen, der im September wie geplant abtreten wird und dabei wohl mit großer Fanfare den Sieg gegen die Deflation als sein politisches Vermächtnis darstellen möchte.
Geschwächte Position des Notenbankchefs
Der ausgesprochen positive Tankan-Report hat freilich die Markterwartung aufkommen lassen, daß die Bank von Japan schon an diesem Freitag handeln wird. Bliebe das Manöver aus, könnte sich die Notenbank schnell dem Verdacht ausgesetzt sehen, politischem Druck nachgegeben zu haben. Denn die Position von Notenbankchef Toshihiko Fukui ist geschwächt, seit im Juni bekannt wurde, daß er selbst vor Jahren in einen Fonds investierte, dessen Manager jetzt wegen des Verdachts auf Insiderhandel hinter Gittern sitzt.
In jedem Fall werden in diesem Jahr erstmals seit Jahrzehnten die drei wichtigsten Notenbanken der Welt an einem Strang ziehen. Wenn jedoch die Bank von Japan mit ihrem Zinserhöhungszyklus beginnt, könnte der der amerikanischen Notenbank (Fed) gerade zu Ende gegangen sein. Die jüngsten Arbeitsmarktzahlen aus Amerika haben die Anleger in der Frage, ob die Fed im August nochmals nachlegen könnte, allerdings nicht wirklich weitergebracht. Die Zahl der neugeschaffenen Stellen ist im Juni niedriger als erwartet ausgefallen, was für das Szenario einer Wachstumsabschwächung spricht.
EZB: Auf dem Weg zu einem „neutralen“ Zinsniveau
Im zweiten Quartal kamen monatsdurchschnittlich nur noch 108.000 neue Stellen hinzu, nach 176.000 im ersten Quartal. Dem steht aber ein unerwartet starker Anstieg der durchschnittlichen Stundenlöhne gegenüber. Sie legten in den vergangenen zwölf Monaten um 3,9 Prozent zu, der stärkste Anstieg seit fünf Jahren. Mehr Einblick in die weitere Geldpolitik werden die Anleger wohl erst am 19. Juli bekommen, wenn Fed-Chairman Ben Bernanke vor dem Kongreß eine Bestandsaufnahme macht und am gleichen Tag auch der neueste monatliche Index der Verbraucherpreise veröffentlicht werden wird.
Demgegenüber ist der nächste Zinsschritt der Europäischen Zentralbank (EZB) jetzt klar vorgezeichnet. EZB-Präsident Jean-Claude Trichet hat sich am Donnerstag zur Überraschung der Märkte noch nicht in die Sommerpause verabschiedet. Vielmehr kündigte er ein reguläres Treffen seines geldpolitischen Rats und auch eine Pressekonferenz für den 3. August an, was im Zusammenspiel mit seiner wieder verschärften Rhetorik nur einen Rückschluß zuläßt: Am 3. August steigt der Leitzins von 2,75 auf 3 Prozent. Andeutungen über das Vorgehen danach vermied Trichet jedoch.
Der zuvor von Fachleuten unterstellte Quartalsrhythmus der Zinserhöhungen kann damit ad acta gelegt werden. Im Geldhandel wird inzwischen auf einen Leitzins von 3,5 Prozent zum Jahresende gewettet. Damit wäre die EZB auf bestem Wege zu einem „neutralen“ Zinsniveau. Dieses orten Fachleute in einer Bandbreite von 3,5 bis 4 Prozent.
Text:
www.faz.net/s/...27A0307F721BC50BE7~ATpl~Ecommon~Scontent.html target="_new" rel="nofollow">F.A.Z., 10.07.2006