Turbokapitalismus: Fondsmanager und Analysten treiben die Firmen an
manager magazin 10/2000
Tempo, Tempo, Tempo
Fondsmanager und Analysten drücken aufs Gas. Die Unternehmen der realen
Wirtschaft sollen der rasanten Geschwindigkeit hocheffizienter Finanzmärkte folgen. Kann das gut gehen?
Zu Ende ist es eigentlich nie. Nicht abends. Nicht am Wochenende. Und auch nicht im Urlaub. Nie hört das Spiel auf. "Die Arbeit geht ständig weiter", sagt Wassili Papas, "das ist sehr anstrengend."
Immer gibt es irgendeine Neuigkeit, ein Gerücht, eine Zahl. Dann muss Papas
reagieren. Muss verkaufen, kaufen. Oder nichts tun. Nur eines darf er auf keinen Fall: etwas verpassen.
Wassili Papas (30) ist Fondsmanager bei Union Investment, und er hat probleme, von denen Normalbürger träumen. 25 Millionen Mark muss er anlegen - täglich. So viel Geld spülen die Anleger in seine vier Fonds. Es waren schon mal 50 Millionen, Anfang des Jahres, als der Neue Markt noch richtig abging. Täglich ein zweistelliger Millionenbetrag, das summiert sich: 15
Milliarden Mark verwaltet er mittlerweile. "Zwei fantastische Jahre" habe er hinter sich, sagt Papas. Jetzt muss er die Rendite halten. Am besten noch steigern. Sonst tragen die Anleger ihr Geld zur Konkurrenz. Schneller muss er sein, früher die Trends und Flops der Zukunft wittern als die anderen.
Tempo, Tempo, Tempo - wer bremst, verliert. "Masters of the Universe", so heißen die Beweger der Finanzmärkte in Tom Wolfes Roman "Fegefeuer der
Eitelkeiten". Kraftprotze des Kapitals, deren Entscheidungen Unternehmen und Regierungen stützen oder stürzen.
Ein Master of the Universe? Der Milliardenmann Wassili Papas hat so gar nichts Kraftprotzerisches. Seine Statur ist schmal, die Stimme leise, die Rede schnell und superpräzise.
Die zurückhaltende Art ändert nichts daran, dass der Mann Macht ausübt. Und zwar ziemlich direkt.
150 bis 200 Vorstände von schnell wachsenden Technologiefirmen pilgern jährlich zu ihm. Hat dieser Laden das Zeug zum "Markt-und Technologie- führer", mit dem Papas über die nächsten zwei, drei Jahre "sehr viel Geld verdienen" kann? Daumen rauf, Daumen runter - rein oder raus. Wenn das keine Macht ist.
Ein dramatischer Wandel hat die deutsche Wirtschaft ereilt: Früher saßen Banken und Versicherungen in der Mitte des Beziehungsgeflechts der "Deutschland AG".
Über Kreditvergabe und Industriebeteiligungen zogen sie die Fäden. Vorbei. Die starren Strukturen sind einer hochbeweglichen Aktienkultur gewichen,
deren Hüter die großen Investmentfonds sind. Und die Fondsmanager,über- schwemmt vom Geld renditebewusster Privatanleger, üben Druck aus: auf kleine
Start-ups ebenso wie auf altehrwürdige Großkonzerne. Ohne Ansehen der Person -nur die Rendite zählt. "Der Performance-Druck hat erheblich zugenommen", sagt Clemens Börsig, Finanzchef der Deutschen Bank.
Tempo, Tempo, Tempo - freie Fahrt für freie Märkte.
Fondsmanager und Analysten drücken aufs Gas. Sie sorgen für Bewegung, für
Beschleunigung. Nun soll die reale Wirtschaft, eine vergleichsweise träge
Veranstaltung, der rasanten Geschwindigkeit hocheffizienter Finanzmärkte folgen.
Kann das gut gehen? Um das Tempo der Speed-Ökonomie mitgehen zu können,
werden Konzerne der Alten Wirtschaft aufgemotzt, tiefer gelegt, stromlinienoptimiert - konzentriert auf das weltweit ausgedehnte Kern- geschäft". Zugleich blasen die Finanzmärkte ganze New-Economy-Branchen in kurzer Zeit auf, nur um sie beim geringsten Anlass wieder in sich zusammenfallen zu lassen.
E-Commerce, Business-to-Business, M-Commerce, Biotech - die Moden an den Börsen wechseln schneller als in der Damenoberbekleidung.
"Die sind wie Blutegel"
Verträgt die reale Wirtschaft - wo in langlebige Maschinen und Häuser investiert wird,wo geforscht und entwickelt wird, wo Millionen von Menschen arbeiten und ihren Lebensunterhalt und Lebenssinn finden -, verträgt die wirkliche Wirtschaft das höllische Tempo der Finanzmärkte? Und ist diese Wirtschaft im Geschwindigkeitsrausch tatsächlich effizienter?
"Am Ende des Tages", glaubt Robert Koehler, Chef der Wiesbadener SGL Carbon,
"wird der Druck der Kapitalmärkte die Volkswirtschaften voranbringen." Kurzfristig aber gebe es "Verwerfungen".
Solche Verwerfungen hat Koehler selbst schmerzlich erlebt. Seit fünf Jahren ist SGL Carbon, hervorgegangen aus dem inzwischen zerschlagenen Hoechst-
Konzern,selbstständig. Börsennotiert, ein M-Dax-Wert.Fokussiert, globalisiert, das Management über Aktienoptionen beteiligt - "alles nach dem Textbuch des amerikanischen Shareholder-Values".
SGL hatte Erfolg. Eine Zeit lang wenigstens. In den ersten zweieinhalb Jahren legte die Aktie kräftig zu. Der Kurs verfünffachte sich. Doch dann kam dieses dumme Kartellverfahren in den USA. Die amerikanischen Fonds stießen ihre SGL-Aktien ab. Der Kurs brach ein.
Seither hat sich Koehlers Arbeit weiter beschleunigt. Er kauft Unternehmen, gliedert Teile ein, verkauft die Reste weiter, macht Betriebe dicht und eröffnet neue, erschließt New-Economy-Geschäftsfelder. "Wir sind ständig in Umstrukturierung, immer auf der Suche nach wertsteigernden Geschäften."
Die Konkurrenz ist hart: Viele Investoren wetten heute lieber auf die nächste Telekom-Fusion oder den nächsten Boom am Neuen Markt, als ihr Geld in Unternehmen der Alten Wirtschaft zu stecken.
Eine Firma wie SGL Carbon müsse sich schon anstrengen,überhaupt "renommierte Analysten zu bekommen", sagt Koehler.
Wer aber nicht regelmäßig unter die Lupe genommen wird, endet "im Nirvana", wie Jochen Klusmann, Analyst bei Julius Bär in Frankfurt, sagt - eine Aktie ohne Analysen ist eine tote Aktie.
Tempo, Tempo, Tempo - Manager im Dauersprint.
Die Vorstände börsennotierter Firmen sind heute Gejagte.
Spätestens seit der feindlichen Übernahme von Mannesmann durch Vodafone ist klar: Es kann jeden treffen. Gegen feindliche Übernahmen hilft ein hoher Börsenwert. Den erreicht nur, wer tut,was die Börse verlangt. Globalisieren, Fokussieren, Akquirieren.
Und zwar schnell, schnell, schnell. Ständig müssen sich die Vorstände erklären. Sie werden von Fondsmanagern und Analysten vorgeladen, herbeizitiert, ans Telefon gerufen. "Wenn ich nicht binnen 24 Stunden zurückrufe",erzählt ein Topmanager, "verkaufen die prompt unsere Aktie, und der Kurs bricht ein."
Finanzvorstände verbringen inzwischen ein Viertel ihrer Arbeitszeit damit, Analysten und Fondsmanager zu bezirzen. Meist keine sonderlich angenehme Arbeit. Da wird der Finanzvorstand eines traditionsreichen Dax-Unternehmens gefragt: "Warum investieren Sie eigentlich jedes Jahr 200 Millionen? Geben Sie das Geld doch lieber den Aktionären zurück." Oder sie stellen Fangfragen: "Was würden Sie anders machen, wenn Sie Vorstandsvorsitzender wären?"
London, New York, Boston, San Francisco - die Vorstände reisen zu den
Fondsmanagern, selten ist es umgekehrt. Sie gehen auf "Roadshow" oder lassen sich in Einzelgesprächen "grillen" (Szenejargon).
"Die Angelsachsen", erzählt ein Finanzvorstand, "treten sehr selbstbewusst auf.
Deren Haltung ist: Uns gehört die Firma. Du bist unser Angestellter - nun lass mal die Hosen runter." Ein anderer: "Diese Burschen sind wie Blutegel. Die saugen dich aus bis auf den letzten Tropfen."
"Aggressiv", sagt Banker Börsig, verliefen die Gespräche gelegentlich bei den extrem kurzfristig orientierten Hedge-Fonds. Deren Zeithorizont beträgt oft nur drei Monate.
In dieser Zeit wollen sie maximale Kurssteigerungen sehen. Motto: Nimm so viel du kriegen kannst, dann lauf - lauf so schnell du kannst.
"Es ist viel Ungeduld da"
"Bei längerfristig orientierten Investoren" hingegen, so Börsig, "sind die Gespräche häufig sehr interessant. Da werden Entwicklungstrends und Strategien diskutiert".
Auch Werner Wenning, Finanzvorstand der Bayer AG, meint, von all diesen
"hochintelligenten, hoch qualifizierten Leuten" könne er "eine Menge Anregungen" beziehen. Man müsse eben "einen gewissen Sportsgeist" mit- bringen.
So sehen es viele: Einerseits gibt es nettere Zeitvertreibe.Andererseits bekommt man beim "Grillen" ganz nebenbei Börsenstimmungen mit. "Der Markt", meint Manfred Gentz, Finanzchef von DaimlerChrysler, "hat einen sehr feinen Sensus für künftige Entwicklungen, die einem sonst möglicherweise ent- gingen."
Aber hat der Markt immer Recht?
Beispiel Daimler: Da wandelt sich der Konzern binnen weniger Jahre vom Auto-, Flugzeug-, Raketenbauer, Finanzdienstleister zum reinen, weltweit produzierenden Autoanbieter - globalisiert und fokussiert sich also genau so, wie die Finanzmärkte es fordern. Aber der Aktienkurs rutscht.
Übel genommen haben die Investoren zuletzt den Einstieg bei Mitsubishi. Nun gut,sagt Finanzchef Gentz, der japanische Autobauer mache zwar aktuell Verluste. Dafür könne DaimlerChrysler aber künftig am asiatischen Wirtschaftswachstum teilhaben.
Nur: Künftig, demnächst, irgendwann - das wollen die Investoren nicht hören. "Es ist viel Ungeduld da", klagt Gentz. "Eine Zehn-Jahres-Perspektive interessiert die Kapitalmärkte kaum noch." Es ist dieser Grundkonflikt zwischen den kurzfristigen Interessen der Finanzmärkte und den länger- fristigen der Firmenmanager, der es ständig knirschen lässt im Räderwerk der Turbo-Ökonomie.
Analysten, Fondsmanager, Firmenvorstände - jeder folgt seiner eigenen Binnenlogik. Die Analysten müssen mit ihren Bewertungen vor allem kurz- fristig richtig liegen."Wenn ich eine Aktie für überbewertet erkläre, und die steigt am nächsten Tag, fragt sich doch mein Kunde: Ja, spinnt der denn?" erzählt der Julius-Bär-Analyst Klusmann.
Also bleibe ihm gar nichts anderes übrig, als zu schauen, was die anderen Analysten so schrieben.
Und weil auch die Fondsmanager sich vornehmlich danach richten, was ihre
Kollegen gerade tun - damit sie bloß nicht schlechter abschneiden als die -,
entstehen spekulative Blasen. Modewellen. "Phasen der Ineffizienz", wie Wassili Papas sagt.
Den Humus, auf dem diese Eigendynamik der Finanzmärkte gedeiht, liefern die
Notenbanken. Ein Jahrzehnt lang haben vor allem amerikanische und japanische
Geldpolitiker Liquidität ins System gepumpt. Anders als früher kam es aber nicht zu klassischer Inflation - der Wettbewerb, forciert durch offene Märkte und Internet,hielt die Preise stabil. Teurer wurden hingegen Vermögenswerte, vor allem Aktien.
Ein Tempomacher sondergleichen: Um ihre hohen Börsenbewertungen recht- fertigen zu können, müssen Firmen schnell wachsen. So schnell, dass sie gezwungen sind, eine Firma nach der anderen zu kaufen.
Ein Ende ist vorerst nicht in Sicht: "Wir sind alle Einzeller auf einer
Nährlösung", sagt Heinrich Linz, Chef des Deutschen Investment-Trusts(DIT). Solange genug Liquidität da ist, bleiben wir in Bewegung."
Also: Tempo, Tempo, Tempo - ohne Limit? Oder ist die Speed-Ökonomie eine Wirtschaft auf Droge -getrieben von Halluzinationen, die in einem Horrortrip enden?
Natürlich: Börsencrashs sind möglich. Und die extrem fokussierten neuen Welt-AG sind anfälliger für Konjunktureinbrüche als die traditionellen diversifizierten Konglomerate. Der alten Deutschland AG ist die neue kapi- talmarktgetriebene Wirtschaft jedoch allemal überlegen.
"Öfter mal was Neues"
Der wichtigste Vorteil: Börsen funktionieren wie gigantische Suchmaschinen für neue Ideen, die sie rasch in Produkte und Firmenstrategien übersetzen. Kleine neue Hightech-Unternehmen werden zu ausgelagerten Forschungslabors der Großkonzerne. Extrem spezialisiert, beweglich, unbürokratisch.
Wenn es gut geht, gewinnt die gesamte Volkswirtschaft: Dass die Produk- tivität in den USA derzeit stark steigt, wäre ohne die börsenfinanzierte PC-Revolution der 80er Jahre und die Telekommunikationsrevolution der 90er Jahre kaum möglich.
Letztlich sei die Speed-Ökonomie ein gigantisches Laboratorium, meint Martin
Weber, Finanzmarktforscher in Mannheim: "Man probiert öfter mal was Neues aus."
Was gut ist, bleibt. Was schlecht ist, stirbt. Versuch und Irrtum.
Auf jeden Fall Bewegung.
Henrik Müller
ich finde das ist eine interessante studie. manchmal ist fundiertes hintergrundwissen interessanter als irgendeine aktienempfehlung.
vielleicht gibt es ja auch ein paar meinungen zum thema.
gruß proxi
manager magazin 10/2000
Tempo, Tempo, Tempo
Fondsmanager und Analysten drücken aufs Gas. Die Unternehmen der realen
Wirtschaft sollen der rasanten Geschwindigkeit hocheffizienter Finanzmärkte folgen. Kann das gut gehen?
Zu Ende ist es eigentlich nie. Nicht abends. Nicht am Wochenende. Und auch nicht im Urlaub. Nie hört das Spiel auf. "Die Arbeit geht ständig weiter", sagt Wassili Papas, "das ist sehr anstrengend."
Immer gibt es irgendeine Neuigkeit, ein Gerücht, eine Zahl. Dann muss Papas
reagieren. Muss verkaufen, kaufen. Oder nichts tun. Nur eines darf er auf keinen Fall: etwas verpassen.
Wassili Papas (30) ist Fondsmanager bei Union Investment, und er hat probleme, von denen Normalbürger träumen. 25 Millionen Mark muss er anlegen - täglich. So viel Geld spülen die Anleger in seine vier Fonds. Es waren schon mal 50 Millionen, Anfang des Jahres, als der Neue Markt noch richtig abging. Täglich ein zweistelliger Millionenbetrag, das summiert sich: 15
Milliarden Mark verwaltet er mittlerweile. "Zwei fantastische Jahre" habe er hinter sich, sagt Papas. Jetzt muss er die Rendite halten. Am besten noch steigern. Sonst tragen die Anleger ihr Geld zur Konkurrenz. Schneller muss er sein, früher die Trends und Flops der Zukunft wittern als die anderen.
Tempo, Tempo, Tempo - wer bremst, verliert. "Masters of the Universe", so heißen die Beweger der Finanzmärkte in Tom Wolfes Roman "Fegefeuer der
Eitelkeiten". Kraftprotze des Kapitals, deren Entscheidungen Unternehmen und Regierungen stützen oder stürzen.
Ein Master of the Universe? Der Milliardenmann Wassili Papas hat so gar nichts Kraftprotzerisches. Seine Statur ist schmal, die Stimme leise, die Rede schnell und superpräzise.
Die zurückhaltende Art ändert nichts daran, dass der Mann Macht ausübt. Und zwar ziemlich direkt.
150 bis 200 Vorstände von schnell wachsenden Technologiefirmen pilgern jährlich zu ihm. Hat dieser Laden das Zeug zum "Markt-und Technologie- führer", mit dem Papas über die nächsten zwei, drei Jahre "sehr viel Geld verdienen" kann? Daumen rauf, Daumen runter - rein oder raus. Wenn das keine Macht ist.
Ein dramatischer Wandel hat die deutsche Wirtschaft ereilt: Früher saßen Banken und Versicherungen in der Mitte des Beziehungsgeflechts der "Deutschland AG".
Über Kreditvergabe und Industriebeteiligungen zogen sie die Fäden. Vorbei. Die starren Strukturen sind einer hochbeweglichen Aktienkultur gewichen,
deren Hüter die großen Investmentfonds sind. Und die Fondsmanager,über- schwemmt vom Geld renditebewusster Privatanleger, üben Druck aus: auf kleine
Start-ups ebenso wie auf altehrwürdige Großkonzerne. Ohne Ansehen der Person -nur die Rendite zählt. "Der Performance-Druck hat erheblich zugenommen", sagt Clemens Börsig, Finanzchef der Deutschen Bank.
Tempo, Tempo, Tempo - freie Fahrt für freie Märkte.
Fondsmanager und Analysten drücken aufs Gas. Sie sorgen für Bewegung, für
Beschleunigung. Nun soll die reale Wirtschaft, eine vergleichsweise träge
Veranstaltung, der rasanten Geschwindigkeit hocheffizienter Finanzmärkte folgen.
Kann das gut gehen? Um das Tempo der Speed-Ökonomie mitgehen zu können,
werden Konzerne der Alten Wirtschaft aufgemotzt, tiefer gelegt, stromlinienoptimiert - konzentriert auf das weltweit ausgedehnte Kern- geschäft". Zugleich blasen die Finanzmärkte ganze New-Economy-Branchen in kurzer Zeit auf, nur um sie beim geringsten Anlass wieder in sich zusammenfallen zu lassen.
E-Commerce, Business-to-Business, M-Commerce, Biotech - die Moden an den Börsen wechseln schneller als in der Damenoberbekleidung.
"Die sind wie Blutegel"
Verträgt die reale Wirtschaft - wo in langlebige Maschinen und Häuser investiert wird,wo geforscht und entwickelt wird, wo Millionen von Menschen arbeiten und ihren Lebensunterhalt und Lebenssinn finden -, verträgt die wirkliche Wirtschaft das höllische Tempo der Finanzmärkte? Und ist diese Wirtschaft im Geschwindigkeitsrausch tatsächlich effizienter?
"Am Ende des Tages", glaubt Robert Koehler, Chef der Wiesbadener SGL Carbon,
"wird der Druck der Kapitalmärkte die Volkswirtschaften voranbringen." Kurzfristig aber gebe es "Verwerfungen".
Solche Verwerfungen hat Koehler selbst schmerzlich erlebt. Seit fünf Jahren ist SGL Carbon, hervorgegangen aus dem inzwischen zerschlagenen Hoechst-
Konzern,selbstständig. Börsennotiert, ein M-Dax-Wert.Fokussiert, globalisiert, das Management über Aktienoptionen beteiligt - "alles nach dem Textbuch des amerikanischen Shareholder-Values".
SGL hatte Erfolg. Eine Zeit lang wenigstens. In den ersten zweieinhalb Jahren legte die Aktie kräftig zu. Der Kurs verfünffachte sich. Doch dann kam dieses dumme Kartellverfahren in den USA. Die amerikanischen Fonds stießen ihre SGL-Aktien ab. Der Kurs brach ein.
Seither hat sich Koehlers Arbeit weiter beschleunigt. Er kauft Unternehmen, gliedert Teile ein, verkauft die Reste weiter, macht Betriebe dicht und eröffnet neue, erschließt New-Economy-Geschäftsfelder. "Wir sind ständig in Umstrukturierung, immer auf der Suche nach wertsteigernden Geschäften."
Die Konkurrenz ist hart: Viele Investoren wetten heute lieber auf die nächste Telekom-Fusion oder den nächsten Boom am Neuen Markt, als ihr Geld in Unternehmen der Alten Wirtschaft zu stecken.
Eine Firma wie SGL Carbon müsse sich schon anstrengen,überhaupt "renommierte Analysten zu bekommen", sagt Koehler.
Wer aber nicht regelmäßig unter die Lupe genommen wird, endet "im Nirvana", wie Jochen Klusmann, Analyst bei Julius Bär in Frankfurt, sagt - eine Aktie ohne Analysen ist eine tote Aktie.
Tempo, Tempo, Tempo - Manager im Dauersprint.
Die Vorstände börsennotierter Firmen sind heute Gejagte.
Spätestens seit der feindlichen Übernahme von Mannesmann durch Vodafone ist klar: Es kann jeden treffen. Gegen feindliche Übernahmen hilft ein hoher Börsenwert. Den erreicht nur, wer tut,was die Börse verlangt. Globalisieren, Fokussieren, Akquirieren.
Und zwar schnell, schnell, schnell. Ständig müssen sich die Vorstände erklären. Sie werden von Fondsmanagern und Analysten vorgeladen, herbeizitiert, ans Telefon gerufen. "Wenn ich nicht binnen 24 Stunden zurückrufe",erzählt ein Topmanager, "verkaufen die prompt unsere Aktie, und der Kurs bricht ein."
Finanzvorstände verbringen inzwischen ein Viertel ihrer Arbeitszeit damit, Analysten und Fondsmanager zu bezirzen. Meist keine sonderlich angenehme Arbeit. Da wird der Finanzvorstand eines traditionsreichen Dax-Unternehmens gefragt: "Warum investieren Sie eigentlich jedes Jahr 200 Millionen? Geben Sie das Geld doch lieber den Aktionären zurück." Oder sie stellen Fangfragen: "Was würden Sie anders machen, wenn Sie Vorstandsvorsitzender wären?"
London, New York, Boston, San Francisco - die Vorstände reisen zu den
Fondsmanagern, selten ist es umgekehrt. Sie gehen auf "Roadshow" oder lassen sich in Einzelgesprächen "grillen" (Szenejargon).
"Die Angelsachsen", erzählt ein Finanzvorstand, "treten sehr selbstbewusst auf.
Deren Haltung ist: Uns gehört die Firma. Du bist unser Angestellter - nun lass mal die Hosen runter." Ein anderer: "Diese Burschen sind wie Blutegel. Die saugen dich aus bis auf den letzten Tropfen."
"Aggressiv", sagt Banker Börsig, verliefen die Gespräche gelegentlich bei den extrem kurzfristig orientierten Hedge-Fonds. Deren Zeithorizont beträgt oft nur drei Monate.
In dieser Zeit wollen sie maximale Kurssteigerungen sehen. Motto: Nimm so viel du kriegen kannst, dann lauf - lauf so schnell du kannst.
"Es ist viel Ungeduld da"
"Bei längerfristig orientierten Investoren" hingegen, so Börsig, "sind die Gespräche häufig sehr interessant. Da werden Entwicklungstrends und Strategien diskutiert".
Auch Werner Wenning, Finanzvorstand der Bayer AG, meint, von all diesen
"hochintelligenten, hoch qualifizierten Leuten" könne er "eine Menge Anregungen" beziehen. Man müsse eben "einen gewissen Sportsgeist" mit- bringen.
So sehen es viele: Einerseits gibt es nettere Zeitvertreibe.Andererseits bekommt man beim "Grillen" ganz nebenbei Börsenstimmungen mit. "Der Markt", meint Manfred Gentz, Finanzchef von DaimlerChrysler, "hat einen sehr feinen Sensus für künftige Entwicklungen, die einem sonst möglicherweise ent- gingen."
Aber hat der Markt immer Recht?
Beispiel Daimler: Da wandelt sich der Konzern binnen weniger Jahre vom Auto-, Flugzeug-, Raketenbauer, Finanzdienstleister zum reinen, weltweit produzierenden Autoanbieter - globalisiert und fokussiert sich also genau so, wie die Finanzmärkte es fordern. Aber der Aktienkurs rutscht.
Übel genommen haben die Investoren zuletzt den Einstieg bei Mitsubishi. Nun gut,sagt Finanzchef Gentz, der japanische Autobauer mache zwar aktuell Verluste. Dafür könne DaimlerChrysler aber künftig am asiatischen Wirtschaftswachstum teilhaben.
Nur: Künftig, demnächst, irgendwann - das wollen die Investoren nicht hören. "Es ist viel Ungeduld da", klagt Gentz. "Eine Zehn-Jahres-Perspektive interessiert die Kapitalmärkte kaum noch." Es ist dieser Grundkonflikt zwischen den kurzfristigen Interessen der Finanzmärkte und den länger- fristigen der Firmenmanager, der es ständig knirschen lässt im Räderwerk der Turbo-Ökonomie.
Analysten, Fondsmanager, Firmenvorstände - jeder folgt seiner eigenen Binnenlogik. Die Analysten müssen mit ihren Bewertungen vor allem kurz- fristig richtig liegen."Wenn ich eine Aktie für überbewertet erkläre, und die steigt am nächsten Tag, fragt sich doch mein Kunde: Ja, spinnt der denn?" erzählt der Julius-Bär-Analyst Klusmann.
Also bleibe ihm gar nichts anderes übrig, als zu schauen, was die anderen Analysten so schrieben.
Und weil auch die Fondsmanager sich vornehmlich danach richten, was ihre
Kollegen gerade tun - damit sie bloß nicht schlechter abschneiden als die -,
entstehen spekulative Blasen. Modewellen. "Phasen der Ineffizienz", wie Wassili Papas sagt.
Den Humus, auf dem diese Eigendynamik der Finanzmärkte gedeiht, liefern die
Notenbanken. Ein Jahrzehnt lang haben vor allem amerikanische und japanische
Geldpolitiker Liquidität ins System gepumpt. Anders als früher kam es aber nicht zu klassischer Inflation - der Wettbewerb, forciert durch offene Märkte und Internet,hielt die Preise stabil. Teurer wurden hingegen Vermögenswerte, vor allem Aktien.
Ein Tempomacher sondergleichen: Um ihre hohen Börsenbewertungen recht- fertigen zu können, müssen Firmen schnell wachsen. So schnell, dass sie gezwungen sind, eine Firma nach der anderen zu kaufen.
Ein Ende ist vorerst nicht in Sicht: "Wir sind alle Einzeller auf einer
Nährlösung", sagt Heinrich Linz, Chef des Deutschen Investment-Trusts(DIT). Solange genug Liquidität da ist, bleiben wir in Bewegung."
Also: Tempo, Tempo, Tempo - ohne Limit? Oder ist die Speed-Ökonomie eine Wirtschaft auf Droge -getrieben von Halluzinationen, die in einem Horrortrip enden?
Natürlich: Börsencrashs sind möglich. Und die extrem fokussierten neuen Welt-AG sind anfälliger für Konjunktureinbrüche als die traditionellen diversifizierten Konglomerate. Der alten Deutschland AG ist die neue kapi- talmarktgetriebene Wirtschaft jedoch allemal überlegen.
"Öfter mal was Neues"
Der wichtigste Vorteil: Börsen funktionieren wie gigantische Suchmaschinen für neue Ideen, die sie rasch in Produkte und Firmenstrategien übersetzen. Kleine neue Hightech-Unternehmen werden zu ausgelagerten Forschungslabors der Großkonzerne. Extrem spezialisiert, beweglich, unbürokratisch.
Wenn es gut geht, gewinnt die gesamte Volkswirtschaft: Dass die Produk- tivität in den USA derzeit stark steigt, wäre ohne die börsenfinanzierte PC-Revolution der 80er Jahre und die Telekommunikationsrevolution der 90er Jahre kaum möglich.
Letztlich sei die Speed-Ökonomie ein gigantisches Laboratorium, meint Martin
Weber, Finanzmarktforscher in Mannheim: "Man probiert öfter mal was Neues aus."
Was gut ist, bleibt. Was schlecht ist, stirbt. Versuch und Irrtum.
Auf jeden Fall Bewegung.
Henrik Müller
ich finde das ist eine interessante studie. manchmal ist fundiertes hintergrundwissen interessanter als irgendeine aktienempfehlung.
vielleicht gibt es ja auch ein paar meinungen zum thema.
gruß proxi