(neu: Kursentwicklung und Schlusskurse, Marktkapitalisierung im dritten und vierten Absatz)
FRANKFURT (dpa-AFX) - Im Börsenkrimi um Wirecard
Die Wirecard-Papiere hatten nach mehreren Handelsunterbrechungen zunächst rund zwei Drittel ihres Wertes verloren und waren auf 35 Euro abgesackt. Dann erholten sich die Anteilscheine zwischenzeitlich etwas und stiegen auf rund 64 Euro, bis sie wieder unter Druck gerieten und peu a peu tiefer ins Minus rutschten. Bei 29,90 Euro erreichten sie am Nachmittag auf dem Niveau von März 2016 ihr Tagestief; dies entsprach einem Minus von mehr als 71 Prozent.
Bis zum Handelsschluss erholten sich die Aktien dann erneut wieder etwas, so dass letztlich ein Minus von fast 62 Prozent auf 39,90 Euro zu Buche stand. Dies ist auf Schlusskursbasis gerechnet der zweitgrößte prozentuale Tagesverlust, den je ein Dax-Wert erlitten hat. Die Marktkapitalisierung des Konzerns schmolz im Vergleich zum Schlusskurs am Mittwoch um rund 8 Milliarden auf 4,9 Milliarden Euro zusammen.
Im Tief war Wirecard an der Börse weniger als 4 Milliarden Euro wert. Das ist weniger als die Lufthansa
Die beauftragte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY hatte Wirecard darüber informiert, dass über die Existenz von Bankguthaben auf Treuhandkonten in Höhe von 1,9 Milliarden Euro keine ausreichenden Prüfungsnachweise vorlägen. "Die Information von EY über das Fehlen von Prüfungsnachweisen über etwa 25 Prozent der Konzernbilanzsumme ist eine schallende Ohrfeige für die Aktionäre", sagte Marktexperte Andreas Lipkow von der Comdirect Bank. Der Wirecard-Schock sitze tief. "Der Geduldsfaden ist nun anscheinend bei vielen Investoren gerissen und so trennen sich auch die letzten Optimisten von den Wirecard-Anteilen."
Wirecard hat es Lipkow zufolge "einfach nicht geschafft, den Sachverhalt vernünftig aufzuklären". Damit gehe der Bilanzskandal tatsächlich in eine neue Runde und die Rufe nach einer Überprüfung von Positionen im Vorstand dürften wieder lauter werden.
Bei dem Dax-Konzern waren bereits nach einer Sonderprüfung zu Bilanzfälschungsvorwürfen zentrale Fragen unbeantwortet geblieben. Die Wirtschaftsprüfer von KPMG meldeten in ihrem Bericht Ende April zu den Geschäftsjahren 2016 bis 2018, dass wesentliche Unterlagen fehlten - hauptsächlich zum Geschäft mit Drittfirmen. Deswegen konnten die KPMG-Prüfer auch nicht feststellen, ob den entsprechenden Buchungen auch reale Umsätze entsprechen.
Der Kurseinbruch erwischte die Anleger dennoch kalt. Vor der für diesen Donnerstag eigentlich geplanten und lang erwarteten Vorlage der mehrfach verschobenen Bilanz für 2019 waren die Anleger zwar nervös, aber mit einer derart negativen Überraschung hatte kaum einer gerechnet.
Analysten fanden deutliche Worte: "Das letzte noch vorhandene Fünkchen an Anlegervertrauen dürfte nun verspielt sein. Die Gesamtsituation bei Wirecard kann nur noch als unhaltbar bezeichnet werden", schrieb der Fachmann Wolfgang Donie von der NordLB.
Der Experte Adam Wood von der US-Investmentbank Morgan Stanley wies darauf hin, dass Kreditlinien gekündigt werden könnten, wenn das Testat der Wirtschaftsprüfer von EY nicht bis diesen Freitag vorliegen sollte. Dies rücke die Liquidität des Konzerns in den Fokus. Viele andere Analysten setzten derweil die Bewertung der Wirecard-Aktien aus.
Die Konsequenzen des Kursrutsches für Wirecard könnten nun weitreichend sein: Sollten sich die Anteilscheine bis September nicht nachhaltig erholen, droht der Rauswurf aus der ersten Börsenliga. Zu diesem Schluss kommen Index-Experten. Als Nachfolger dürften sich der Aromen- und Duftstoffhersteller Symrise (Symrise Aktie)
Wirecard will nun Strafanzeige gegen unbekannt erstatten. Das Unternehmen sieht sich als mögliches Opfer eines "gigantischen Betrugs". Es gibt einem Konzernsprecher zufolge Hinweise, dass dem Abschlussprüfer von einem Treuhänder oder aus dem Bereich von Banken, die die Treuhandkonten führen, "unrichtige Saldenbestätigungen zu Täuschungszwecken vorgelegt wurden"./la/he
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