Bundeskanzler Olaf Scholz spricht auf der SPD-Wahlkampfveranstaltung in Köln
Dienstag, 07.05.2024 16:09 von | Aufrufe: 188

Alarm gegen die 'Klimahölle': Hungerstreikende drängen Scholz

Bundeskanzler Olaf Scholz spricht auf der SPD-Wahlkampfveranstaltung in Köln ©Raimond Spekking https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/

BERLIN (dpa-AFX) - Kurz vor der Bundestagswahl 2021 hungerten sich schon einmal Aktivisten in Berlin fast zu Tode, um auf die katastrophalen Folgen des Klimawandels hinzuweisen. Jetzt bringen sich erneut vier Männer selbst in Gefahr, indem sie die Nahrung verweigern, drei von ihnen schon seit Wochen. Wer sind sie und was wollen sie? Die wichtigsten Antworten.

Was soll der seit 7. März laufende Hungerstreik bewirken?

Die Gruppe "Hungern bis ihr ehrlich seid" vertritt die These: Die Politik sage nicht die Wahrheit über die "Klimahölle", die im Laufe der nächsten Jahrzehnte drohe. Wären Politiker "ehrlich", würde die Bevölkerung auch beim Klimaschutz mitziehen, meinen die Aktivisten. Deshalb solle Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Gefahren und nötigen Gegenmaßnahmen in einer Regierungserklärung darlegen, ist die Hauptforderung.

Was steckt hinter den Forderungen?

Die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre sei bereits jetzt viel zu hoch, erläuterten die Aktivisten am Dienstag noch einmal. Nötig sei deshalb zum einen, sofort viel weniger und bald gar kein Kohlendioxid mehr auszustoßen, das bei Verbrennung von Kohle, Gas oder Öl (Rohöl) entsteht. Zum anderen müsse Kohlendioxid in riesigen Mengen aus der Atmosphäre entzogen werden, nicht nur durch Anpflanzen von Bäumen, sondern auch durch technische Verfahren und unterirdische Lagerung.

Klimawissenschaftler wie Hans Joachim Schellnhuber teilen diese Sicht und dringen auf maximales Tempo beim Klimaschutz. Kürzlich sagte Schellnhuber dem "Stern": "Ich beschäftige mich seit 35 Jahren intensiv mit dem Thema. So dramatisch war die Situation noch nie."

Wie reagiert die Regierung?

Scholz ist auf die Forderungen bisher nicht eingegangen. Am Dienstag wollte sich ein Regierungssprecher auf Anfrage nicht äußern. Doch sagte Sprecher Steffen Hebestreit Anfang April, der Kampf gegen den Klimawandel bewege die Regierung sehr. Man habe weitreichende Entscheidungen dazu getroffen. Die Regierung sorge sich, dass "man mit solchen radikalen Formen des Protestes seiner eigenen Gesundheit und sich selbst schwer schaden kann". Doch fügte der Sprecher damals hinzu: "Insofern werden der Bundeskanzler und die gesamte Bundesregierung ihre Politik für den Klimaschutz fortsetzen, aber konkreten einzelnen Forderungen, und werden sie auch noch so nachdrücklich an ihn herangetragen, nicht folgen."

Beim Klima-Hungerstreik 2021 hatte der damalige Kanzlerkandidat Scholz anders entschieden: Als ein junger Mann und eine junge Frau nach mehreren Wochen neben der Nahrung auch noch das Trinken verweigerten, ging Scholz auf die Forderung nach einem öffentlichen Gespräch über den Klimaschutz ein. Das Podiumsgespräch brachte jedoch keine Annäherung. Die beiden Aktivisten waren später Mitgründer der Protestgruppe Letzte Generation.


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Wie weit gehen die Hungerstreikenden?

Der 49-jährige Wolfgang Metzeler-Kick nimmt nach Angaben der Aktivisten bereits seit dem 7. März keine Nahrung mehr zu sich, also mehr als 60 Tage. Die Hungerstreikenden trinken aber Säfte und bekommen so Vitamine und etwas Energie. Angeschlossen haben sich am 25. März der 56-jährige Richard Cluse und am 16. April der 61-jährige Michael Winter.

Von den dreien ist Winter also am kürzesten beim Hungerstreik dabei, doch ist sein Zustand nach Einschätzung des ehrenamtlichen ärztlichen Begleitteams am schlechtesten und "sehr kritisch". Winter habe so starkes Untergewicht, dass das Team die medizinische Begleitung nicht mehr verantworten könne, sagte die Ärztin Susanne Koch. Sie empfehle Winter, unter ärztlicher Beratung in einer Klinik wieder Nahrung aufzunehmen. Winter will jedoch weitermachen: "Ich würde schon gern überleben", sagte er. "Aber im Moment kann ich jedenfalls noch, und ich möchte gern noch weiter hungern."

Metzeler-Kick ist nach ärztlicher Einschätzung trotz der langen Zeit noch in befriedigendem Zustand und fühlt sich nach eigenen Worten gut. Der 49-Jährige kündigte aber an, seinen Hungerstreik zu verschärfen. Am Mittwoch wolle er bei einem Gerichtstermin wegen eines Klimaprotests in Passau einen Tag lang in einen "trockenen Hungerstreik" treten, also nichts trinken. Zudem wolle er demnächst auch auf die Säfte verzichten, um die Aktion zu eskalieren. Ein vierter Mann, der 34-jährige Adrian Lack, schloss sich am Dienstag den Hungerstreikenden an und erklärte, er wolle auch nicht mehr sprechen, bis Scholz rede.

Was passiert bei einem Hungerstreik im Körper?

Bei einem Hungerstreik nimmt die Schwächung des Körpers nach Angaben des Internisten Christoph Sarrazin immer weiter zu. Wenn ein Mensch aufhöre zu essen, müsse der Körper auf körpereigenen Reserven zurückgreifen, um genug Fett und Zucker zu erhalten, etwa auf Fettspeicher an Armen oder Po. "Das geht über sehr lange Zeit gut, vorausgesetzt, man hat ein bisschen Reserven im Körper", sagte Sarrazin, Vorstandsmitglied bei der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin. Irgendwann sei der Speicher aber aufgebraucht, die Betroffenen würden immer dünner und irgendwann bettlägerig, weil sie Arme und Beine nicht mehr bewegen könnten. Der Körper fokussiere sich dann darauf, den Kreislauf aufrechtzuerhalten. "Der Blutkreislauf konzentriert sich auf Atmung, Herz und Gehirn."

Da die Klimaaktivisten zwar nicht essen, aber Gemüsesäfte trinken, könnten sie nach Einschätzung des Internisten noch relativ lange weitermachen, je nachdem, wie gesund sie sind. Ohne die Säfte "würden sie wahrscheinlich nicht mehr lange durchhalten". Kritisch wäre für Streikenden ein schwerer Infekt. Das könne so viel zusätzliche Energie benötigen, dass die Männer an Fieber oder einer Lungenzündung erkrankten und dann sterben könnten, sagte Sarrazin.

Medizinerin Koch hatte vor einigen Wochen erklärt: "Je nach körperlicher Konstitution kann ein Hungerstreik 50 bis 70 Tage überlebt werden." Dass es Metzeler-Kick nach mehr als 60 Tagen noch einigermaßen gut geht, erklärte er selbst ebenfalls mit den Säften. Anders sieht es nach Kochs Angaben bei einem "trockenen Hungerstreik" ohne Flüssigkeit aus: Der Tod trete nach zwei bis vier Tagen ein./vsr/DP/zb

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