Die überraschende Entscheidung der US-Notenbank Fed, den Diskontsatz zu senken, könnte die Kurse der globalen Aktienmärkte in der nächsten Woche stabilisieren.
Börsianer weltweit sprachen von einer richtigen Entscheidung, weil dadurch der Markt mit mehr Liquidität versorgt würde. Ein Ende der Marktunsicherheit prognostiziert jedoch kein Stratege. "Wenn ein Teilmarkt wie die Subprime-Hypotheken eine solche Wucht entfaltet, dann verunsichert das auch die Realwirtschaft - deshalb ist das Zeichen der Fed in dieser Phase genau richtig, auch wenn es natürlich die Inflation anheizen könnte sagt Anko Beldsnijder, Fondsmanager bei Mainfirst. "Viele Short-Seller, die es als eine sichere Wette ansahen, auf fallende Kurse zu setzen, machen nun Verluste", sagt Roland Ziegler, Aktienstratege der BHF-Bank. Da diese Short-Wetten meist über geliehene Aktien abgewickelt werden, müssen die Papiere nun zurückgekauft werden, was kurzfristig zu steigenden Kursen führen könnte. Auch Hedge-Fonds, so heißt es im Markt, könnten wieder auf die Käuferseite wechseln und so das positive Kursmomentum vom Wochenschluss stärken.
Am Freitagnachmittag waren der Dax und nahezu alle europäischen Märkte nach dem Zinsentscheid der Fed rapide gestiegen. Dank der US-Notenbank fiel die Wochenbilanz für die europäischen Börsen angesichts der großen Nervosität nicht enttäuschend aus: Der Dax gewann 0,5 Prozent, der Stoxx 0,4 Prozent. Der US-Standardwerteindex Dow Jones musste dagegen trotzdem ein Wochenminus von 1,2 Prozent hinnehmen. Der S&P 500 verlor 0,5 Prozent, der Nasdaq Composite 1,6 Prozent.
"Das wichtigste ist, dass nun wieder Liquidität im Markt ist. Aber jegliche Kursbewegung der nächsten Zeit geschieht außerhalb der fundamentalen Welt", sagt Steffen Neumann, Stratege der Landesbank Baden-Württemberg. Die Börsenkurse werden somit auch in den nächsten Tagen vom Bauch und nicht vom Kopf bestimmt. "Psychologisch motivierte Kursbewegungen lassen sich aber sehr schlecht prognostizieren. In einem solchen Umfeld fällt es schwer, Wachstums- und Kursziele, die noch vor wenigen Tagen gültig waren, aufrecht zu erhalten", sagt Carsten Klude, Aktienexperte der Privatbank M.M. Warburg.
Analyse der Kauf- und Verkaufsentscheidungen
Eine Möglichkeit, den Puls der Märkte zu fühlen, bietet die technische Analyse. Hier werden Kauf- und Verkaufsentscheidungen der Händler analysiert. "Aus technischer Sicht müsste der Dax schon auf 7800 Punkte steigen, um für diesen Markt Entwarnung geben zu können", sagt Marcus Metz, technischer Analyst bei Staud Research. "Wir hatten zuletzt explodierende Umsätze bei fallenden Kursen. Erst die Fed-Entscheidung brachte Erholung, doch der Boden ist noch nicht erreicht", so Metz.
Der Dax ist in der vergangenen Woche nur um knapp 1 Prozent gefallen, was kaum ausdrückt, wie nervös die Märkte waren. Mit einem Volumen von über 15 Mrd. Euro lag der Umsatz im Dax am Freitag 50 Prozent höher als der Mittelwert. Auch die Renditen kurzfristiger Staatsanleihen sind massiv gesunken, da Anleger in diese vergleichsweise sicheren Wertpapiere flüchteten. Die Rendite fiel um mehr als 0,3 Prozentpunkte. Die Verzinsung dreimonatiger staatlicher Geldmarktpapiere fiel an einem Tag sogar um 0,61 Prozentpunkte, das war der größte Rückgang seit 1989. "Die Senkung des Diskontsatzes bezeichnete die Fed als vorübergehende Maßnahme. Das ist kein Grund zur Freude, sondern vielmehr zeigt es den Ernst der Lage. Entsprechend könnte sich die erste Marktreaktion - schwache lange Renten und feste Aktien - schnell wieder umkehren", schreibt das Bankhaus Metzler.
Vergleich mit der Finanzkrise von 1998
Auch in den USA macht sich nach der ersten Euphorie über den Zinsschritt Nachdenklichkeit breit. "Meiner Ansicht nach ist dies schon längst keine Subprime-Krise mehr. Es ist der Schneeball, der sich in eine Lawine verwandelt hat. Es gibt zunehmend Indikatoren dafür, etwa schlechte Zahlen vom Immobiliensektor oder der Konjunkturindikator gestern", sagte Robert Brusca Stratege, Gründer der unabhängigen Researchfirma FAP Economics. In der vergangenen Woche hatten Marktteilnehmer die Turbulenzen bereits mit der Finanzkrise von 1998 verglichen als der Hedge-Fonds LTCM zusammenbrach. "Die meisten, die schon das Jahr 1998 miterlebt haben, würden sagen, dass die LTCM-Krise sich allmählich wie ein Spaziergang im Park anfühlt im Vergleich zu den aktuellen potenziellen Kapitalmarktverwerfungen", schreiben die Analysten von HSBC geschrieben.
Die Aussichten für die Rohstoffmärkte haben sich mit dem Einspringen der Fed wieder verbessert. Schon am Freitag schnellten die Notierungen für Öl, Metalle und Agrarrohstoffe wieder kräftig nach oben, nachdem sie in den Tagen zuvor massiv eingebrochen waren. "Das nimmt einen Teil der Ängste, dass die Kreditkrise die Nachfrage nach Rohöl schwächt", sagte Hannes Loacker, Analyst bei der Raiffeisen-Zentralbank Österreich. Stützend dürfte sich die Liquiditätszufuhr der Fed auch auf den Goldpreis auswirken, weil Spekulanten und Investoren nicht mehr so stark gezwungen sein dürften, das liquide Edelmetall zu verkaufen, um anderweitige Verluste wettzumachen. Grundsätzlich erwarten die meisten Rohstoff-Strategen mittelfristig wieder steigende Rohstoffpreise. So schrieben die Rohstoffexperten von Goldman Sachs: "Der größte Preiseinbruch bei Rohstoffen in mehr als 50 Jahren wird 'kurzlebig' sein, weil das weltweite Wirtschaftswachstum jegliche Verlangsamung der US-Nachfrage mildern wird." Goldman-Analyst James Gutman sieht aktuell "Kaufgelegenheiten bei Öl, Kupfer und Mais."
Am Devisenmarkt kam die Auflösung von Carry Trades vorerst zum Erliegen. Für Unicredit-Analyst Armin Mekelburg ist das aber noch kein Grund zur Entwarnung. "Solange keine Anzeichen für Leitzinssenkung gegeben, bleibt das Carry-Trade-Universum labil und das Aufwärtspotenzial für Hochzinswährungen limitiert", sagte er. Angesichts der unterschiedlichen Zinserwartungen für die USA und die Eurozone rechnen Experten mit einer weiteren Abschwächung des Dollarkurses, da viele Marktteilnehmer inzwischen von einer Leitzinssenkung der US-Notenbank ausgehen. Der Yen dagegen dürfte weiter aufwerten. Die Gemeinschaftswährung profiitierte schon am Freitag von der Maßnahme der Fed, der Dollar rutschte zu den meisten Währungen ab. Mario Mattera, Devisenstratege beim Bankhaus Metzler, beziffert das kurzfristige Korrekturpotenzial des Euro bis auf 1,3540/60 $. "Danach denke ich, wenn die Märkte realistischer werden, dürfte der Dollar wieder zulegen. Zur Begründung führt er an, dass die Krise an den US-Kreditmärkten noch längst nicht ausgestanden sei und der Dollar dann wieder als sicherer Hafen gesucht sei. "Der Yen sollte in ordentlichen Bahnen weiter aufwerten", sagte Mattera.
Als entscheidende Marke sehen japanische Exporteure nach seinen Angaben einen Dollarkurs von 115 Yen an. Spätestens bei diesem Niveau erwartet er Maßnahmen der Bank von Japan. "Ich glaube, wenn die BoJ reagiert, dann mit Interventionen" sagte Mattera. Auch die Strategen von Credit Suisse gehen davon aus, dass der Aufwertungsdruck auf den Yen diese Woche anhält. Ähnliches prognostizieren sie für den Schweizer Franken. "Es ist ein sehr klares Signal der Notenbank, das zur Beruhigung der Märkte beitragen sollte", sagte Thomas Amend, Renten- und Devisen-Analyst bei HSBC Trinkaus. Die meisten Devisenstrategen gehen davon aus, dass die Bank von Japan diese Woche auf die noch vor kurzem erwartete Zinserhöhung verzichten wird. Dies könnte neue Carry Trades nach sich ziehen, bei denen sich Investoren in Niedrigzinswährungen wie dem Yen verschulden und in Hochzinsländern wie Australien oder Neuseeland anlegen. Angesichts der allgemeinen Risikoscheu der Anleger werden die Carry Trades laut Amend aber nicht mehr das zuvor gesehen Ausmaß erreichen.
Autor/Autoren: Markus Zydra, Doris Grass, Yasmin Osman (Frankfurt) und Jennifer Lachmann (New York)
(c) FTD |