Wer soll so viele Kraftwerke bauen? Kapazitäten der Anlagenbauer reichen für die geplanten Großprojekte der deutschen Versorger nicht aus
JÜRGEN FLAUGER HANDELSBLATT, 6.10.2004
DÜSSELDORF. Die von der Energiebranche geplanten milliardenschweren Kraftwerksprojekte sind von den Anlagenbauern offenbar kaum zu bewältigen. Wenn die ersten Projekte nicht bald auf den Weg gebracht würden, drohe ein Engpass, lautet das Fazit einer Studie des Marktforschungsunternehmens Trend Research. "Der Markt ist eindeutig enger geworden", bestätigte Gerd Jäger, Vorstandsmitgli ed von RWE Power und Vorsitzender des Verbands der Kraftwerksbetreiber, VGB Power Tech, dem Handelsblatt. RWE spüre das bereits bei den laufenden Projekten.
Trend Research befragte mehr als 100 Manager aus Energieversorgung und Anlagenbau. Zwei Drittel der Befragten erwarten im Kraftwerksbau einen Engpass. Unter den Energiemanagern waren es sogar knapp 80 Prozent. Aber selbst unter den Generalunternehmern, Planern und Komponentenherstellern äußerte sich jeder Zweite kritisch.
Sowohl die Anlagenbauer als auch die Energieversorger bauten zuletzt massiv Kapazitäten ab. Um die Kosten zu drücken, haben die Kraftwerksbetreiber seit der Liberalisierung des Energiemarktes nur wenig in neue Anlagen investiert. Sie reduzierten ihre eigenen Projektteams auf das Nötigste und vergaben kaum noch Aufträge.
Mit Folgen für die Anlagenbauer, die ihrerseits massiv Personal abbauten: "In den letzten Jahren wurde in Deutschland so gut wie nichts bestellt", erläutert Alstom-Manager Georg Gasteiger, "die Hersteller mussten sich natürlich dem Markt anpassen". Die Zahl der Generalunternehmer schrumpfte in Deutschland durch Insolvenzen und Übernahmen von sieben auf derzeit drei – Siemens, Babcock-Hitachi und Alstom. Auch die Zahl der Komponentenhersteller hat sich verringert. Derzeit gebe es beispielsweise nur noch zwei Unternehmen in Deutschland, die große Turbinen bauen können, erläutert Gasteiger. Vor 15 Jahren waren es noch fünf.
"Es gibt viele Bereiche, in denen die Situation kritisch eingeschätzt wird", sagt Dirk Briese, Geschäftsführer von Trend Research. Der Umfrage zufolge drohen vor allem im Kesselbau Engpässe. Als problematisch wird die Situation auch im Rohrleitungsbau und bei Stahlerzeugnissen eingeschätzt. Zwar könnten viele Komponenten importiert werden, aber auch im Ausland gebe es Engpässe, sagt Briese.
Dabei planen die deutschen Versorger in den kommenden Jahren eine umfassende Modernisierung ihres Kraftwerksparks. Viele alte Kohlekraftwerke kommen in die Jahre, und gleichzeitig müssen die Versorger den politisch gewollten Ausstieg aus der Kernenergie kompensieren. Bis zum Jahr 2020 müssten knapp 40 000 Megawatt an Kraftwerksleistung ersetzt werden, schätzt der VGB. Dies entspricht rund 60 Großkraftwerken. Rund 30 Mrd. Euro will die Branche hierfür investieren. Können die Projekte nicht bewältigt werden, werde die Sicherheit der Energieversorgung gefährdet, warnt die Elektrizitätswirtschaft.
"Noch können wir die Kapazitäten wieder aufbauen", sagt der VGB-Vorsitzende Jäger, "die Projekte müssen aber bald angeschoben werden." Dafür benötige die Branche Planungssicherheit. Einig sind sich Kraftwerksbetreiber und -bauer in ihrer Forderung an die Politik. Die müsse verlässliche Rahmenbedingungen für die Investitionen schaffen. Die Anlagenbauer unterstützen die Versorger sogar in der Debatte um steigende Strompreise. Um neue Kraftwerke bauen zu können, sei ein höheres Preisniveau notwendig, fordert der internationale Verband der Kraftwerkshersteller.
"Wenn die Projekte nach und nach angeschoben werden, können wir das bewältigen", erläutert Klaus Dieter Rennert, Vizechef der Babcock-Hitachi Europe GmbH, "schwierig wird es, wenn in ein paar Jahren alle gleichzeitig bestellen." Die Anlagenbauer bräuchten eben einen gewissen Vorlauf, um ihre Kapazitäten langsam wieder aufbauen zu können: "Wir können ja nicht auf Verdacht Mitarbeiter einstellen."
Dass die Nachfrage in Deutschland von internationalen Anlagenbauern abgedeckt wird, ist kaum zu erwarten. Auch in anderen Regionen werden Kapazitäten gebunden. "In China boomt der Markt jetzt schon, und Indien steht vor der Tür", sagt Rennert. Allein China hat Aufträge mit einer Kraftwerksleistung von 80 000 Megawatt auf den Weg gebracht. Auch in den USA, Russland, im Nahen Osten und Südafrika werden neue Kraftwerke geplant.
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