So, mit einigen Tagen Abstand hier noch mal meine Gedanken zu AMS, nach dem quick take quasi der long take. Ist etwas länger geworden, dafür werde ich mich die nächsten Monate mehr zurückhalten….es muss keiner aufklappen.
1) Reaktion
Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: da ist eine Aktie auf 1-, 3-, und 5-Jahressicht (einer) der absolute(n) Underperformer im Markt. Die Erwartungen waren bereits geerdet und Enttäuschungspotenzial kaum noch gegeben. Dann kündigt man mit mehreren Monaten Vorlauf einen Investor Day an, um sich dem Kapitalmarkt bestmöglich zu präsentieren und die equity story zu vermitteln. Die Foren (inkl. Seeking Alpha) sehen den Capital Markets Day als DEN möglichen Trigger. Was passiert? Der Kurs beendet die nächsten drei Tage mit einem Minus von zusammen knapp 20%. (fairerweise muss man sagen, dass AMS am Montag um 3% gestiegen ist und es drei schwache Börsentage waren, so dass ich die Underperformance eher bei 10% sehen würde). Harter Tobak und in der Tat darf man sich die Frage stellen, ob und wie lange AE hier noch das Vertrauen des Aufsichtsrats genießen darf.
2) Erwartungen & Bewertung
Dominus fragt sich im anderen Forum was denn der Markt erwartet hätte. Ich würde die Frage wie folgt beantworten: ich hatte gehofft, dass AMS irgendetwas berichtet, dass zeigt, dass die >80% Kursverlust seit 2018 übertrieben sind, dass der Markt & die Analysten etwas übersehen haben, dass der Kurs viel zu tief ist, dass man JETZT in die equity story wieder einkaufen müsste. Alleine: da kam mE rein gar nichts und das 800 Mio Euro Zusatz-Investment sieht nach einer weiteren poison pill aus (siehe weiter unten). Da nichts gekommen ist, kann man im Umkehrschluss interpretieren, dass die gegenwärtigen Erwartungen richtig waren/sind und keine größeren Anpassungen erfolgen werden.
Das wiederum bedeutet, dass (lt. Marketscreener) das KGV für 2022/23/24 bei ca. 17/13/10 liegt. Und so leid mir das tut, diese KGVs sind in der gegenwärtigen Situation mMn mehr als fair und ich wüsste nicht, warum es hier eine Bewertungsausweitung geben sollte:
- Keine Dividende, kein ARP
- Riesen-Integrationsaufgabe
- 1,9 Mrd Nettoverschuldung (+ 19,5% Osram Minderheitsaktionäre (ggfs weitere 1,1 Mrd. Euro) + 0,8 Mrd. Kulim Investition)
- Kein Wachstum 2021-2024 (wenn man die 0,8 Mrd. nicht berücksichtigt)
- Gerade Apple Design Out erfahren (ggfs weiterer zu befürchten)
- Stark angeschlagene credibility des Managements
Was man in diesem Zusammenhang auch nicht vergessen sollte: zu über 40% besteht AMS momentan aus Automotive. Bzw. zu über 20% aus „Lamps & Systems“, bei dem selbst AMS ein 0er Wachstum die nächsten Jahre erwartet. Man darf hier also nicht mit einer Semiconductor Bewertung ins Rennen gehen.
3) Marge in 2024
Vorab die folgenden Zahlen:
- auf S. 61 zeigt AMS die Merger-Synergien. 130 Mio per September 2021, 200 Mio per März 2022, also ca. 165 Mio in der Mitte per Dezember
- auf S. 77 schreibt AMS, dass der zu verkaufende EUR 0,8 Mrd. Umsatz „negative adj. EBIT contribution” hatte; ich unterstelle mal -2,5%, d.h. diese Bereiche haben im letzten Jahr einen 20 Mio EBIT Verlust gebracht
- ergo kann man die berichteten 5,0 Mrd. Umsatz / 0,5 Mrd. EBIT in 2021 (10% Marge) aufteilen in 4,2 Mrd. Umsatz mit 12,4% und 0,8 Mrd. Umsatz mit -2,5% (legacy portfolio)
Sollten nun die 0,8 Mrd. verkauft werden, bedeutet das eine pro-forma Marge 2021 von 12,4% (520 Mio EBIT auf 4,2 Mrd. Umsatz). Addiere ich nun die noch fehlenden 165 Mio Synergien oben drauf, sollte das also 520+165=685 Mio EBIT auf 4,2 Mrd. Umsatz und eine 16%ige Marge bedeuten (etwas ungenau, da die Synergien auch Umsatzsynergien beinhalten). Das ist alles nur mit dem groben Daumen gerechnet, aber die 15% Ziel-Marge in 2024 sind mE nichts, was besonders positiv gesehen sollte (AMS hatte in 2019 eine Marge von 21%). M.E. sieht man hier klar den Apple Design Out Effekt, den die meisten Foristi leider immer abgestritten haben (600 Mio USD bei 30% Marge?).
4) Schweizer Forum
Wiederum super interessante Diskussionen und ich meine herausgelesen zu haben, dass sich dort mittlerweile mehr Realitätsnähe eingeschlichen hat. Ansonsten könnte man aus diesem Forum (kann man auch bei vielen deutschen Foren) ein Buch über behavioural finance daraus machen. Insbesondere der Chuck muss einem fast leid tun, da er gedanklich irgendwo vor vier Jahren stehen geblieben ist als der Kurs mal bei 85 CHF stand. Dass eine AMS aus 2018 nicht mit einer AMS Osram aus 2022 zu vergleichen ist, ist jenseits der Vorstellungskraft und er lässt sich auch durch gutes Zureden & Argumentieren leider nicht aus der Bahn werfen. Ob nun 10 Mrd. USD/25% Marge oder 4,9 Mrd. EUR/15% Marge – in beiden Fällen verkauft er nicht unter 85 CHF. Faszinierend. Wenn er jetzt weit über 660k CHF in AMS investiert hat, zeigt das auch, dass seine festgefahrene Meinung zu AMS ihn in den letzten Jahren einen signifikanten siebenstelligen Betrag gekostet hat im Vergleich zu einem Investment in die Peer Group. Aber das ist keine Schadenfreude, sondern eher ein Beispiel wie gefährlich es ist, kritische Stimmen/LVs/skeptische Analysten & Foristi komplett zu ignorieren.
5) Analysten
Ich kann nur immer wieder sagen „chapeau, Barclays“! Die liegen seit drei Jahren konsequent richtig und haben den Anlegern den größten Mehrwert geliefert. Dass gerade die Barclays Analysten in den Foren am meisten zerrissen wurden obwohl sie den besten track record haben, ist ein weiteres Beispiel für behavioural finance. Die Rückmeldung der Analysten nach dem Capital Markets Day ist auch nicht erbaulich: kein einziges Upgrade, Kursziele wurden gesenkt (DB heute von 18 auf 15 CHF).
6) microLED Investment
Wir alle hier im Forum hatten uns in den letzten zwei Jahren enorm auf microLED gefreut. Im Prinzip zu Recht, aber dass das wohl erst ein 2024/25 Event wird, war wohl nicht unsere Erwartung. Vor allem war mir nicht bewusst, dass dies ein weiteres signifikantes Investment von ca. 800 Mio Euro voraussetzt – hatte das irgendjemand so erwartet? Was ich auch inhaltlich nicht verstehe: AMS und Osram kommen doch (gefühlt) von über 6 Mrd. EUR Umsatz-Niveau und hatten damals freie Produktionskapazitäten. Jetzt sollen es mit den Portfolio-Verkäufen auf 4,2 Mrd. Euro pro-forma Umsatz gehen bzw. 4,9 Mrd. Euro in 2024. Und statt Produktionsstätten zu konsolidieren, werden sogar noch weitere aufgebaut…kann mir das einer erklären? Liegt das evtl daran, dass mit den Divestments auch größere Produktionsstätten verkauft werden?
7) Jack & S2RS2
@Jack, harte aber wahre Worte und schön lustig umschrieben. @S2RS2, danke für die Blumen. Sicherlich war ich biased in meiner Meinung seit meinem Ausstieg, aber ich habe zu jeder Zeit meine Position (hoffentlich) gut begründet. Die letzten Jahre richtig gelegen zu haben, gibt zwar Bestätigung, auf der anderen Seite habe ich damit nichts verdient (aber eben auch nicht verloren).
8) Lidar
Auf S. 103: Lidar Penetration in 2026 wird bei 3% des Gesamtmarktes erwartet; wir hatten neulich mal drüber diskutiert wie groß der Kuchen ist.
9) Marktkapitalisierung
Das Schweizer Forum schreibt auch, dass die MarketCap nur 3,5 Mrd. CHF beträgt. Ja, das ist richtig – aber zeigt nicht das ganze Bild. M.E. muss man da die Nettoverschuldung und den fehlenden Osram Anteil berücksichtigen. Wenn man die Osram Anteile nicht berücksichtigen will, dann müsste man die jährliche Dividende iHv 49 Mio verbarwerten und diese berücksichtigen.
In Zahlen:
Marktkapitalisierung: 3,3 Mrd. Euro
Net debt YE2021: 1,9 Mrd. Euro
Pro-forma Osram Minderheitsaktionäre: 1,1 Mrd. Euro (18,7 Mio Aktien x angenommenen 59 Euro Abfindung)
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Summe: 6,3 Mrd. Euro
Wer will, könnte davon noch die 0,8 Mrd. Investition für Kulim abziehen, dafür aber 0,5 Mrd. Verkaufserlös aus den Divestments hinzurechnen (summa Summarium dann 6,6 Mrd. Euro pro-forma)
10) Ausblick 2022
Keine Aussage zum laufenden Jahr, oder? M.E. auch schade wenn man selbst bei einem CMD Anfang April nichts zum Gesamtjahr sagt. Vllt auch w/ Apple Unsicherheit und/oder Ukraine?
11) Seeking Alpha
Neuer Artikel bei Interesse und super interessant, weil er sämtliche Hintergründe/Fehler der letzten Jahre aufzeigt - aber uffbasse, der schreibt noch länger als ich in diesem Posting: seekingalpha.com/article/...-osram-is-a-victim-of-its-success
12) Jährliche Zinsbelastung
Ganz interessant mal zu lesen, dass die jährliche Garantiedividende an die Osram Aktionäre 49 Mio Euro kostet (S. 91). Dazu kommen die jährlichen ca. 140 Mio Euro Zinsbelastung. Beides dürfte sich bis 2025 nicht ändern. Also wenn wir immer nur von EBIT sprechen, darf man die 190 Mio Euro p.a. nicht vergessen. Inkl. der ersten Kreditlinie und kum. über 2020-25 ist das eine weitere Milliarde, die die Osram Übernahme kostet (ohne Osram wäre AMS mE ab 2021 schuldenfrei gewesen).
13) Zusammenfassung & Ausblick
Die einzigen großen Werttreiber & Kurstrigger, die ich sehe, wären i) Rückgewinnung Apple beim ALS oder Design Win bei BOLED Face-ID, ii) Managementwechsel, iii) aufkommende Übernahmefantasie (STM, US Peer) oder iv) signifikante Design Wins bei microLED; letzteres leider erst im Jahre 2024, weil bis Mitte 2024 wohl an der Fabrik gebaut werden muss. Ergo ist diese Aktie mE für mindestes das nächste Jahr totes Kapital und mE kein Investment wert (außer der Kurs crasht weiter, so dass man um ein Investment nicht drum herum kommt). Ich freue mich wie immer über jede konstruktive Kritik an diesem Pamphlet.
14) Epilog
Zu gut Letzt, wie immer lädt AMS auch zum Schmunzeln ein: 21% der Führungskräfte in 2021 waren weiblich, die Quote soll auf astronomische 25% in 2026 gebracht werden. Ernsthaft jetzt? Vier (!) Prozentpunkte in fünf (!) Jahren? Geht nix über ambitionierte Ziele, die man sich setzt. Ich kenne deren Definition von Führungskräften nicht, aber wenn es 100 sind, müssten die tatsächlich jedes Jahr doch ein Weibchen befördern und könnten sich sogar ein Jahr Pause dabei gönnen.