Sächsische Zeitung, Mo 22.08.2011
Seite 3
"Euphorie macht blind"
Bischofswerda hat davon geträumt, zu einem Solarstandort von Weltrang zu werden. Die Hoffnung ist dahin. Der Investor kämpft ums Überleben.
Von Ulrich Wolf
Diese Linien sind die Hoffnung einer Kleinstadt. Zwei blaue Stahllindwürmer, die sich 80 Meter lang durch eine Halle ziehen. Vorne schlucken sie mausgraue, dünne Siliziumscheiben, hinten spucken sie funkelnde, blaue Solarzellen aus. 1 500 pro Stunde. Normalerweise.
Doch normal ist nichts mehr in dem grauen Klotz am Rande der Stadt. Nur vier Leute arbeiten an diesem August-Tag in der fußballfeldgroßen Fabrik. Vier von sonst 111. "Dieser Anblick tut in der Seele weh", sagt Klaus Götsch. Er ist der Boss, und er hat alle Beschäftigten schon im Juni auf Kurzarbeit null gesetzt, bis Ende Oktober.
Die Solarfabrik, für Bischofswerda sollte sie ein Segen werden - und für Sachsen ein Baustein im Bestreben, eine neue Industrie im Freistaat heimisch zu machen. Mit Hunderten Jobs und sprudelnden Gewerbesteuern. Nun aber scheint der Traum vom "Solarstandort von Weltrang" ausgeträumt. Das Gespenst der Insolvenz geht um. "Wir kämpfen ums Überleben", räumt Werkschef Götsch offen ein.
Die Euphorie wie zur Eröffnung der Fabrik im Juni 2008 ist verflogen. Damals war das globale Kapital zu Gast. Der Investor kam aus Kanada, vermittelt von Außenwirtschaftsexperten der Bundesregierung, kontaktiert auf einem Treffen der Solarbranche auf Hawaii, gelockt mit einer 25-Millionen- Euro-Garantie von Bund und Land. Da konnte sogar Standortkonkurrent Malaysia nicht mehr mithalten. In nur sechs Monaten zogen deutsche, niederländische und italienische Spezialisten die Fabrik hoch. Um die ersten 30 Jobs bewarben sich 600 Leute. Das Einstiegsgehalt für Techniker betrug 1800 Euro brutto.
Bischofswerdas Oberbürgermeister Andreas Erler von der CDU schien den größten Coup seiner 20-jährigen Regentschaft gelandet zu haben. Der Landrat freute sich mit ihm, für Ministerpräsident Stanislav Tillich war die Fabrik einmal mehr der Beleg, dass Sachsen Schrittmacher ist beim Aufbau der Fotovoltaik. Der kanadische Botschafter klatschte Beifall. Und Ian MacLellan sah seine Visionen Realitätwerden.
Ian MacLellan ist ein Technikfreak, arbeitete bei Konzernen wie Motorola und Hewlett Packard. 1996 gründete der Kanadier die Solarfirma Arise Technologies, was man mit "Aufgangstechnologien" übersetzen könnte. Die Firma hat ihren Sitz in Waterloo, im äußersten Südwesten Kanadas, dort, wo auch Blackberry-Hersteller Research in Motion beheimatet ist. Arise war für MacLellan eine Vision. Bis zum Start in Sachsen hatte die Firma kaum einen Cent Umsatz, dafür aber schon reichlich Schulden. Egal. Solar war in. Dass aus den "Aufgangstechnologien" Sommernachtsfantasien werden würden, wollte niemand ahnen. MacLellan kaufte gleich 13 Hektar Lausitzer Land mit Platz für zehn Fabriken. Er erzählte Investoren und Politikern das, was sie hören wollten: "Wir glauben, dass Bischofswerda der Firma Arise helfen wird, ihren Produktionsplan zu beschleunigen." MacLellan brachte Arisc an die Börse, sprach mal von vier, später sogar von zwölf Linien.
Auch sein Statthalter in Bischofswerda, der Niederländer Sjouke Zijlstra, haute auf die Pauke. "In ein paar Jahren werden wir 1 000 Mitarbeiter beschäftigen", sagte er 2007 der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung". Und über Bischofswerda erzählte er im Ruhrgebiet: "Generell glaube ich, wir sind dort der Hoffnungsträger schlechthin. Und wir werden demnächst auch die größte Firma sein."
Mangelndes Selbstbewusstsein und Fantasielosigkeit jedenfalls sind dem Arise-Management nicht vorzuwerfen. Die in Bischofswerda gefertigten Zellen sollten bis 2012 in der Lage sein, bis zu 30 Prozent des Tageslichts in Strom umwandeln - das wäre Weltrekord. Ein Solarpark sollte auf dem Firmengelände entstehen, in das denkmalgeschützte Gasthaus "Goldener Löwe" die Verwaltung einziehen. In einer von Arise gekauften Fabrik in Gelsenkirchen sollte ein Technologiezentrum, in Kanada eine eigene Siliziumscheiben-Produktion errichtet werden.
Von allem ist nur das "Sollte" geblieben. Stattdessen kletterten die Verluste seit 2007 weit über die 100-Millionen-Euro-Grenze. An der Börse ist das Arise-Papier vier Cent wert. "Die billigste Solaraktie der Welt" spotten Anleger im Internet.
Vor einem Jahr kamen neue Manager an Bord, im kanadischen Waterloo ebenso wie im sächsischen Bischofswerda. Dort soll es nun Klaus Götsch richten. Er empfängt seine Besucher in einem der 20 Baucontainer, die immer noch herumstehen. Kurzärmeliges, gestreiftes Hemd, Jeans. Der 54-Jährige ist Sanierer. Zuletzt brachte er einen insolventen Luxusjachtenbauer in Rostock an den Mann. Nun ist er bei Arise in Bischofswerda. "Ich bin gekommen, um den Standort zu restrukturieren", sagt er. "Wir sind in Schwierigkeiten, aber nicht insolvent, jedenfalls noch nicht." Dass es so weit kommen könnte, will Götsch nicht ausschließen. Das Geld reicht höchstens noch bis Mitte September. "Bis dahin muss das kanadische Management neue Investoren gefunden haben." Und wenn nicht? Götsch zuckt mit den Schultern. Auf die Expertise seines Vorgängers jedenfalls greift er ungern zurück. "Das würde nur Unruhe bringen", sagt der Sanierer.
Der potenzielle Unruheherd sitzt unter einem Sonnenschirm des Restaurants "Enjoy" am Bischofswerdaer Markt. Der Evabrunnen sprudelt wie eh und je; einige Touristen rätseln, was die moderne rote Stahlskulptur in der Platzmitte wohl darstellen könnte.
Ex-Chef Sjouke Zijlstra, elegant in schwarzem Anzug und weißem Hemd, wirft lässig den Schlüssel seines Audi Q7 auf den Tisch. "Das ist doch alles kindisch", sagt der Niederländer. Dass Sanierer Götsch ihn in der von ihm aufgebauten Fabrik nur ungern bis gar nicht mehr sehen will, wertet der 65-Jährige als "Hausverbot". Zijlstra hat mit der
deutschen Arise-Tochter nichts mehr zu tun. Er steht nun auf der Gehaltsliste des kanadischen Mutterkonzerns, ist dort als "Senior Vice President" für neue Technologien zuständig. Wie er das macht, ohne Zugang zur einzigen Fabrik von Arise? Zijlstra streicht mit der Hand über seine markante Glatze. "Ich kann von daheim aus arbeiten", sagt er. Daheim, das sei für ihn Bischofswerda. "Ich habe hier meine Freundin. Außerdem möchte ich wieder zurück in die Fabrik."
Solange Götsch dort Chef ist, wird das wohl nicht geschehen. Der Sanierer zählt den Niederländer zu jenen Technikfreaks, die vor lauter Begeisterung und Visionen kaufmännische Hausaufgaben vergessen. "Euphorie macht blind", sagt der Norddeutsche.
Das mag auch für den größten Kreditgeber von Arise gelten. Die Commerzbank sammelte vor Jahren Solarfirmen als Kunden wie andere Pilze im September. Auch die Arise-Ansiedlung feierte man als Erfolg. "Das war schon eine große Anstrengung, und wir sind stolz", sagte der damalige Görlitzer Firmenkundenchef der Bank.
Inzwischen ist die Commerzbank hypernervös. Schon dreimal verlängerte sie die Fristen für fällige Kredite. Der nächste Termin zur Rückzahlung von fast 18 Millionen Euro ist nun Ende September. Das Verhältnis mit Altvorderen wie Zijlstra und MacLellan ist zerrüttet; die Bank setzt ganz offensichtlich auf Götsch. Der weiß das und wählt wohl deshalb - wenn es eng wird im Gespräch - die arg gestelzte Sollte-Form. "Wenn das Geld aus Kanada kommen sollte, müssen wir versuchen, uns abzuheben mit Nischenprodukte, die für ausländische Massenanbieter eher uninteressant sind." Mindestens 50 Millionen Euro seien notwendig. In der Halle hätten noch zwei Linien Platz, die dann aufgestellt werden und höhere Effizienzen schaffen könnten. "Anfang nächsten Jahres hätten wir dann 200 bis 220 Mitarbeiter", sagt Götsch. Das klingt fast so, als würde nun auch der Sanierer Seifenblasen blubbern.
Wie auch immer - die Zeichen stehen nicht gut für Arise in Bischofswerda. Asiatische Kampfpreise, hohe Lagerbestände, auslaufende Sonnenstromförderungen, weniger Subventionen verursachen bei vielen Firmen der Solarbranche hohe Verluste. Manche zwingt der Markt sogar in die Knie wie zuletzt Sunfilm in Großröhrsdorf oder Signet Solar in Mochau bei Döbeln.
Auch die Jubelarien von Bischofswerdas Oberbürgermeister Erler sind verstummt. Jahrelang hatte er um die Arise-Ansiedlung gekämpft. "Ich sehe die Entwicklung mit Sorge", sagt er. Das ist alles. Was soll der gute Mann auch sonst sagen? Etwa Ex-Ministerpräsident Georg Milbradt recht geben? Der hatte bei der Grundsteinlegung im September 2007 sehr zurückhaltend formuliert, das Geld der Investoren möge sich schnell amortisieren, "sonst hätten wir ja nicht lange Freude an diesem Werk."
Quelle: Sächsische Zeitung.
www.wallstreet-online.de/diskussion/...ste-solaraktie-der-welt
"Entweder wir brechen gemeinsam auf zum Erfolg, oder wir sterben in Schönheit."