Verwaltungsgericht Gießen ruft Europarichter wegen Sportwettenverbot an
MAXIMILIAN STEINBEIS | BERLIN Das Glücksspielmonopol der Länder gerät immer stärker unter Druck. Das Verwaltungsgericht Gießen hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Frage vorgelegt, ob die Länder einerseits private Sportwettenvermittler wegen der Suchtgefahr verfolgen und andererseits selbst Lotterien und Spielcasinos betreiben und bewerben dürfen. Damit dürfte das Urteil über die europarechtliche Zulässigkeit des Monopols deutlich früher fallen als bisher gedacht.
Das Verbot privater Spieleanbieter ist seit Jahren heiß umstritten: Offiziell soll es die Bürger vor den Gefahren der Spielsucht schützen, gleichzeitig erzielen die Länder aber aus dem staatlichen Lotto- und Wettmonopol Millioneneinnahmen.
2003 hatte der EuGH die italienische Praxis gekippt, private Sportwetten aus Gründen der öffentlichen Ordnung zu verbieten, gleichzeitig aber für das staatliche Monopolangebot aggressiv zu werben. Im letzten Jahr hatte das Bundesverfassungsgericht das deutsche Wettmonopol der Länder nur mit der Auflage gebilligt, bis Ende 2007 für eine konsequente Suchtprävention zu sorgen.
Gegenwärtig arbeiten die Länderregierungen an einem neuen Lotterie-Staatsvertrag. Nach dem aktuellen Entwurf, dem alle Länder außer Schleswig-Holstein zugestimmt haben, soll das Monopol bis 2011 weiterbestehen, die Werbung wird stark eingeschränkt. Ob dieser Vertrag aber zustande kommt, ist fraglich: Zum einen macht die EU-Kommission Druck, die das Verbot von privaten Spielangeboten und Internetspielen für unverhältnismäßig hält und ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hat. Zum anderen ist zweifelhaft, ob ein Staatsvertrag, der das Monopol zementiert, in den Länderparlamenten eine Mehrheit findet. Die finanz- und haushaltspolitischen Sprecher der Unionsfraktionen in Bundestag und Landtagen haben Mitte April gemeinsam dazu aufgerufen, das Monopol aufzugeben und die Einnahmen der Länder statt dessen durch eine Abgabe zu sichern.
Der Vorlagebeschluss des Gießener Gericht hat es in sich: Trotz des Verbotes von Sportwetten ermunterten die staatlichen Konzessionsträger dazu, Lotto zu spielen und Casinos aufzusuchen, heißt es in dem Beschluss. Spiele "mit gleichem oder höherem mutmaßlichen Suchtgefährdungspotenzial" wie Pferderennwetten oder Automatenspiele seien für Private freigegeben, Sportwetten dagegen nicht. Daher wollen die Richter wissen, ob das Monopol die Dienstleistungsfreiheit verletze, "wenn es in dem betreffenden Mitgliedsstaat insgesamt an einer kohärenten und systematischen Politik zur Beschränkung von Glücksspielen fehlt" (Az.: 10 E 13/07).
Wann der EuGH über diese Frage entscheidet, ist noch nicht absehbar. Klar ist allerdings, dass das Urteil jetzt erheblich früher kommt als ohne den Gießener Beschluss: Das Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission landet, wenn die Länder nicht beidrehen, ebenfalls vor dem EuGH - allerdings wohl nicht vor Mitte 2008. Durch den Vorlagebeschluss des Verwaltungsgerichts Gießen beschleunigt sich die Sache massiv. "Die Zeit, bis der EuGH Klarheit schafft, verkürzt sich jetzt um etwa eineinhalb Jahre", sagte Michael Winkelmüller von der Kanzlei Redeker, der das Gießener Urteil erstritten hatte, dem Handelsblatt.
Steinbeis, Maximilian
10. Mai 2007