Hier mal ein Rauschbericht von Goethe. Ist schon interessant wie sich
die Sichtweisen auf eine Droge im Laufe der Jahrhunderte doch stark
verändert.
Jenes vielgerühmte Kraut
Beim Mittagsmahle erörtere ich mit Schillern die wunderliche Sitte,
welche unter so seinen Studiosi Einzug erhalten, nämlich mittels einer
Pfeife ein süssliches orientalisches Harz abzubrennen, über dessen
erheiternde Kraft viel Lob zu hören sei. Nach einem angeregten Gespräch
darüber, dass in jedem Menschen eine Dreiheit von Menschlichem, Tier-
und Pflanzhaften walte, welches letztere durch Einatmung von wieder
Pflanzlichem geweckt werde, schlug ich gerne in Schillers Vorschlag
ein, sich morgigen Tages an eine Oertlichkeit zu begeben, um in
Geselligkeit jenes vielgerühmte Kraut zu rauchen, da hier, wie oftmals,
nur naturhafte Anschauung hilft.
Daselbst traf ich nebst Schillern drei junge Leute an, geheissen von
Spiess, Munster und Bierbichel. Ich wurde auf das herzlichste begrüsst,
man schilderte mir, dass man die Pflanzen, eine Abart von Hanf, selbst
in liebevoller Kleingärtnerei selber gezogen, geerntet und getrocknet
habe, und plauderte aufs angeregteste über Gartenkunst. Darüber ward
schon die gekrümmte Pfeife gestopft und von Bierbichel mittels Fidibus
in Gang gebracht. Sofort verbreitete sich ein starker Geruch, halb
süsslich, halb streng mit dem Anhauch von verschmorrter Gummierung
durchsetzt. Cand. jur. Bierbichel setzte das Werkzeug seufzend ab und
reichte es von Spiess, welcher zwei Züge nahm und seufzte, worauf
Schiller an der Reihe war. Er tat es ihnen nach; wonach ich die Pfeife
in Empfang nahm und den Rauch einsog, welcher mich nun überaus
parfümiert anmutete. Danach kreiste die Pfeife ein zweites Mal, während
sich ein eigentümliches Gefühl, begleitet von einem tiefen Summen, in
meinem Kopfe breitmachte.
Nun, hub von Spiess an, nachdem er sich die Lippen befeuchtet, ob es
Wirkung zeige? Er jedenfalls spüre, wie das Poetische nur so aus ihm
herausbreche. Gerade sei ihm der Satz Mit dem Löffel muss man das
Gleiche aus dem Wirklichen schöpfen eingefallen. Schiller erwiderte,
dass ihm nichts derartiges in den Sinn getreten sei, allein, ihm sei
etwas unpässlich. Darauf bemerkte Studiosus Munster, Unpässlichkeit sei
ein Problem am Anfang, der stets schwer sei, und es gäbe sich; ihm,
Munster, gehe es augenblicklich ungeheuer wohl. Er, meldete sich cand.
phil. von Spiess, fühle sich, als ob er mit dem Weltganzen in
gemütlichste Verbindung trete. Man müsse nämlich wissen, dass schon die
Altvorderen Hanf gekannt und genutzt hatten - die urdeutsche
Gemütstiefe habe hier ihre bäuerlichen Wurzeln ... Dito habe er aus
sicherer Quelle, dass aus die griechischen Philosophen, Aristoteles
allen voran, Hanf gekannt und davon profitiert hätten ... Derlei
Wunderlichkeiten brachte er darauf viele hervor, als er durch ein
eigentümliches, krankhaftes Kichern Schillers unterbrochen wurde, in
welches die anderen sofort einstimmten, ich unwillig mit einbegriffen.
Mein Zustand war der seltsamste: allerlei trübe Gedanken schwirrten um
mich herum wie kalte Goldfische in einem Glase, allein ich erhaschte
keinen und blieb gelangweilt, was sich mit immer stärkerem Unwillen
mischte, als ich bemerkte, dass die drei, die mit Fleiss zu reden
anhuben, was wunders sie fühlten und dächten, diese Reden schon oft
gehalten hatten und gleich einem Marketender, welcher seine Ware mit
denselben Worten schon tausendmal angepriesen, gleichsam mit der Stimme
eines Mühlrades klapperten, wobei sie mir und dem armen Schiller,
welchem der Schweiss auf der Stirne stand, mit grosser Wonnigkeit und
beständigem Blinzeln Vorträge über die medizinische Wirksamkeit ihres
Kräutleins hielten, welches das Krebsleiden, die rheumatischen Anfälle,
Erkältungensowie kolischen Durchfall heilen solle. Hierauf verteilten
sie Papier, die aussergewöhnlich poetischen Steigerungen der Kreatur
unter Hanf festzuhalten: ich schrieb ein, zwei magere Sonette, die
wenig Wert hatten, Schiller eine Ballade mit den Zeilen Ein frommer
Knecht war Fridolin / Ergeben der Gebieterin, welche noch weniger Wert
hatte.
Nachdem von den Studiosi eine weitere Pfeife geraucht, und sie vollends
in einen Zustand der stillen Einfalt verfallen, begaben sich Schiller
und ich zur Wirtsstube des "Roten Rosses" um dort bei erstaunlichem
Appetit zwei Wurstteller einzunehmen.
Über unser Abenteuer waren wir uns schnell einig; es schien uns, nach
einem Bonmot Schillers, dass die Wirkung weder besonders übel, dafür
aber noch salzloser als die vereinigten Gedichte Klopstocks & Müllers
gewesen sei, ferner bemerkte ich, dass jenen Studiosi des Hanf mir
vorkämen wie jene lieben Kleinbürger, die ebenfalls auf die Philister
schimpfen, dabei aber Gemüt und Gemütlichkeit hochleben lassen ... Aber
da sah ich mitten im Explizieren nach Schillern hin und fand ihn
schlummernd sitzen, den Kopf auf den geleerten Wurstteller gebettet.
Quelle: Schweizer Sonntagszeitung