Heute bei Swissquote gefunden:
Düsseldorf/Frankfurt, 24. Okt (Reuters) - Acht Monate nach der Invasion Russlands in der Ukraine hat sich der Gasbezug Deutschlands stark gewandelt. Sorgte Russland zunächst mit Meldungen über Lieferbeschränkungen, Wartungen oder defekten Turbinen für Unruhe, strömt seit Ende August so gut wie gar kein Gas mehr aus Russland nach Deutschland. Es folgen einige Fakten
über die Veränderungen des Gasbezugs.
WER SIND DIE WICHTIGSTEN GAS-LIEFERANTEN?
Hatte Russland 2021 noch mehr als die Hälfte des Gasbedarfs Deutschlands gedeckt, ist der Anteil auf null gesunken, wie der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) sagt. Gaslieferungen aus anderen Ländern wie den Niederlanden, Belgien und Norwegen sind nach Angaben der Bundesnetzagentur in den vergangenen Wochen nochmals gestiegen. Erstmals kommt nun auch Gas aus Frankreich nach Deutschland. Die Gasspeicher, die ein Viertel des Jahresbedarfs halten können, sind inzwischen zu gut 97 Prozent gefüllt. Exakte Zahlen über die Herkunftsländer sind dem BDEW zufolge nicht möglich. Grund dafür sei die teilweise enge Vernetzung des europäischen Pipelinenetzes, wodurch sich die Erdgasarten unterschiedlicher Herkunft vermischten. Außerdem gehörten Transitmengen, die nur durch Deutschland durchfließen, dazu. Auf der Grundlage von Statistiken und eigenen Berechnungen kommt der BDEW dennoch zu einer klaren Tendenz: Im September lag demnach der Anteil russischer Lieferungen am Verbrauch hierzulande bei null, nachdem er im Vorjahresmonat noch 60 Prozent ausgemacht hatte. Gas aus Norwegen steigerte den Anteil hingegen auf 37,6 Prozent nach 19,2 Prozent vor Jahresfrist. Lieferungen aus dem
Niederlande kletterten auf 29,6 Prozent nach 13,7 Prozent.
WIE HABEN SICH DIE GASPREISE ENTWICKELT?
Die Gaspreise für die Lieferung im Folgemonat an dem für Kontinentaleuropa maßgeblichen niederländischen Handelspunkt liegen derzeit bei 104 Euro pro Megawattstunde, ein Level von etwa 15 Prozent über Vorjahresniveau. Ende August,
als keine Gaslieferungen mehr über die Nord Stream 1 Pipeline ankamen, lagen sie in der Spitze bei 343 Euro. Wegen der inzwischen eingeleiteten Ersatz-Beschaffung und des hohen Speicherfüllstands hat sich die Lage nun entspannt und der Preis liegt 70 Prozent unter dem Rekordniveau.
WIE HABEN SICH DIE GROSSEN GASIMPORTEURE UMGESTELLT?
Unternehmen wie der vor der Verstaatlichung stehende Konzern Uniper, die angeschlagene Leipziger EnBW-Tochter VNG oder unter Treuhand Deutschlands gestellte Konzern Sefe (früher Gazprom Germania) sind durch den Ausfall russischer Lieferungen schwer getroffen. Sie müssen die ausgefallenen Mengen zu hohen Preisen am Markt zukaufen. Vor allem Uniper hing am russischen Gas - mehr als die Hälfte seiner Lieferungen bezog das Unternehmen vom russischen Gazprom-Konzern. Uniper bringe Pipeline-Gas auch aus Norwegen, den Niederlanden und Aserbaidschan sowie per Schiff als Flüssiggas (LNG) nach Deutschland, erläuterte das Unternehmen. Uniper ist eigenen Angaben zufolge der größte deutsche LNG-Händler, der weltweit im letzten Jahr 350 Schiffsladungen umschlug. Der kleinere Rivale VNG hat ganz konkret zwei Verträge, die von den russischen Lieferausfällen betroffen sind - einer über eine Menge von 6,5 Milliarden Kubikmeter im Jahr, ein weiterer mit 3,5 Milliarden Kubikmeter. Seit Mai kaufe VNG die ausfallenden Mengen am Markt nach, erklärt das Unternehmen. Die ausgefallenen russischen Mengen würden ersetzt durch Lieferungen aus Deutschland und anderen europäischen Ländern, in die mehr LNG angeliefert wird, das aus unterschiedlichen Quellen komme. Konkreter wollte das Unternehmen nicht werden. Die Sefe-Gruppe kauft seit der Einstellung der russischen Lieferungen im Mai 2022 ihr Gas nach eigenen Angaben sowohl auf
Tagesbasis am europäischen Spotmarkt als auch terminlich an der Energiebörse oder über Direktverträge. Zum Großteil handele es
sich dabei um norwegisches Gas und Mengen, die über LNG-Importterminals in Nordwesteuropa in den Markt kommen.
WELCHE ROLLE WIRD FLÜSSIGGAS LNG SPIELEN?
LNG biete eine noch größere Auswahl an Bezugsquellen für Erdgas, betont VNG. Neben Pipelinegas werde LNG per Schiff nach Europa gebracht und hier an den Handelsmärkten veräußert. "Solange Europa in der Lage ist, weltweit die höchsten Preise für LNG zu bezahlen, wird es nach Europa kommen." Die Gaslobby-Gesellschaft "Zukunft Gas" verweist auf die von der Bundesregierung angemieteten vier schwimmenden LNG-Terminals (FSRU). Davon sollen zwei im Winter 2022/2023 für Wilhelmshaven und Brunsbüttel und zwei weitere ab 2023 für Stade und Lubmin zur Verfügung stehen. Die Kapazität aller vier FSRUs soll dann 22,5 Milliarden Kubikmeter betragen. Das wäre fast ein Viertel des durchschnittlichen Jahresbedarfs Deutschlands. Darüber hinaus seien weitere FSRU durch verschiedene Konsortien geplant. Zudem seien in Deutschland Stand jetzt vier stationäre LNG-Terminals geplant. Bis zu 13 Milliarden Kubikmeter würde die jährliche Kapazität eines stationären Terminals betragen. "Auch wenn wir in Deutschland noch keinen LNG-Terminal haben, nutzen wir die Infrastruktur unserer europäischen Nachbarn", erklärt Uniper. Wenn das von Uniper geplante LNG-Terminal in Wilhelmshaven fertig sei, könne darüber fast ein
Zehntel des deutschen Jahresverbrauchs an LNG importiert werden. Ziel ist die Inbetriebnahme noch in diesem Winter.
(Bericht von Tom Käckenhoff, Vera Eckert; redigiert von Sabine Wollrab. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und
Märkte).)