18. Dezember 2006
Die Weltwirtschaft boomt, melden die Gazetten, die Börsen laufen schon seit dreieinhalb Jahren nach oben. Nichts scheint sie aufgrund des hohen Optimismus aufhalten zu können.
Star-Ökonom Stephen Roach ist im fogenden Interview etwas skeptischer.
Herr Roach, die Weltwirtschaft läuft auf vollen Touren. Warum sind Sie so pessimistisch für 2007?
Wir haben die Lehren der Jahrtausendwende vergessen. Dem Boom folgt üblicherweise der Abschwung. Wir beobachten momentan eine Abkühlung auf dem amerikanischen Immobilienmarkt. Das hat Auswirkungen auf die Wirtschaft insgesamt.
Erinnern Sie sich: Als die Internetblase geplatzt ist, hat dies die Aktienkurse der 500 größten Unternehmen in Amerika in den nächsten zweieinhalb Jahren um fast 50 Prozent gedrückt. Die Verbraucher gaben weniger aus, die Unternehmensgewinne brachen ein, und Amerikas Wirtschaft driftete volle sechs Quartale in die Rezession ab.
Nein. Im Moment platzt da gerade eine Blase. Der Abschwung auf dem Immobilienmarkt hat begonnen und greift schon auf die Bautätigkeit und die Arbeitsplätze dort über. Er wird bald auf verwandte Branchen wie die Möbelindustrie, Haushaltsgeräte, die Hypothekenfinanzierung und Immobilienmakler überspringen. Und er wird das Kaufverhalten der Verbraucher beeinflussen. In letzter Zeit haben die Menschen beträchtlich mehr ausgegeben, als sie durch Löhne eingenommen haben. Ihr Zusatzkonsum wurde durch Kredite auf überbewertete Eigenheime finanziert. Diese Möglichkeit wird bald nicht mehr offenstehen.
Sind auch die Unternehmer schon vorsichtiger geworden?
Ja, und das ist auch vernünftig. Angesichts unsicherer Aussichten für die Nachfrage werden viele Unternehmen ihre Expansionschancen bald pessimistischer bewerten und Investitionen kürzen. Die ersten Anzeichen dafür wurden bereits sichtbar.
Wie schlimm steht es denn schon?
Wir sind in der Frühphase der Anpassung. Amerikas Wirtschaft durchlebt eine Wachstumsrezession. Das ist eine ziemlich schwache Phase, in der die Wirtschaft nur zwei Prozent wächst und die Arbeitslosenquote zu steigen beginnt.
Zwei Prozent klingen ziemlich gut für deutsche Ohren?
Der Punkt ist: Eine ausgewachsene Rezession im ersten Halbjahr des kommenden Jahres ist sogar noch wahrscheinlicher geworden. Die Chancen dafür stehen momentan bei etwa 45 Prozent.
Ist das viel?
Ja, meiner Ansicht nach ist das bedeutsam.
Nehmen wir an, das amerikanische Bruttoinlandsprodukt würde 2007 schrumpfen. Was würde das für die Aktienmärkte bedeuten?
Derzeit sind die Märkte nicht auf eine Rezession eingestellt. Wir hätten daher mit einem umfangreichen Rückgang der Unternehmensgewinne zu rechnen. Viele Sektoren der Finanzmärkte, die nicht auf große Risiken vorbereitet sind, würden leiden.
Staatsanleihen dagegen könnten zu den Gewinnern zählen?
Grundsätzlich ja, denn die Inflationsrisiken nähmen ab, und die Notenbanken würden ihre Zinsen nicht weiter anheben, sondern senken. Bis zur Mitte des kommenden Jahres könnte dies der Fall sein.
Welche Region wäre von einer Rezession in Amerika schwerer betroffen - Europa oder Asien?
Für Asien wäre es besonders schwierig, weil diese Region sehr stark von Exporten abhängt. Viele glauben, daß die Verbraucher in Asien die Lücke schließen könnten. Ich glaube, das ist ein Trugschluß. Im Jahr 1970 hatte der Verbrauch in den sich entwickelnden Volkswirtschaften Asiens einen Anteil von 70 Prozent. Heute sind es weniger als 50 Prozent. Asien bezieht fast seine gesamte Wachstumsdynamik aus Exporten und langfristigen Kapitalanlagen. Ein Einbruch der Nachfrage bei Asiens größtem Abnehmer - Amerika - würde der Region ganz sicher massive Probleme bereiten.
Genau wie Europa?
Ich glaube nicht, daß die Auswirkungen für Europa so verheerend wären. Europas Problem ist eher, daß die Wirtschaft selbst zu den besten Zeiten nur zögerlich wächst. Im Moment hat sich das Wachstum in Europa beschleunigt, besonders in Deutschland. Aber ich halte das nur für vorübergehend, weil viele Menschen ihre Ausgaben vor der Anhebung der Mehrwertsteuer erhöht haben. Europa fehlt es an Unterstützung durch den Verbrauch der privaten Haushalte.
Steigen die Risiken für Aktienanleger in Europa?
Relativ gesehen würde es Europa wahrscheinlich nicht so hart treffen, sollte das globale Wirtschaftswachstum unerwartet schrumpfen. Global gesehen würden es die Aktienmärkte sicherlich fühlen.
Auch Deutschland?
Ja, auch wenn ich derzeit für Ihr Land so optimistisch wie schon seit langem nicht mehr bin.
Sind wir ein Hoffnungsschimmer in all der Düsternis?
Es war lange Deutschlands Problem, daß das Land seinen Produktivitätsfortschritt nicht in anhaltendes Wachstum des privaten Verbrauchs umgesetzt hat.
Und das ist jetzt anders? Warum sprechen Sie gar von einem neuen „Wirtschaftswunder“?
Ich beziehe den Ausdruck „Wirtschaftswunder“ auf die Unternehmenslandschaft. Das ist eine Produktivitätsgeschichte. Meiner Meinung nach haben die deutschen Unternehmen sehr energisch und konstruktiv auf den wachsenden globalen Druck reagiert, indem sie die Effizienz der Arbeitskosten verbessert haben. Die Fixkosten bei Einstellungen und Entlassungen sind zwar immer noch sehr hoch. Aber die deutschen Unternehmer reagieren darauf, indem sie vermehrt Teilzeitkräfte beschäftigen. Die Macht der Gewerkschaften hat sich verringert. Ein Zeichen dafür ist, daß die sehr beliebte verkürzte Wochenarbeitszeit kurz vor ihrer Abschaffung steht. Darüber hinaus investiert die deutsche Wirtschaft endlich mehr in die Informationstechnologie. Und die Unternehmen sind so aktiv wie nie zuvor bei Fusionen und Beteiligungen.
Könnten deutsche Aktien zulegen, auch wenn Amerika leidet?
Das ist möglich. Aber Sie wissen, wie schwierig es für die europäischen Märkte ist, sich von Amerika abzukoppeln. Sollte Wall Street schwer getroffen werden, wäre es verständlich und wahrscheinlich, daß der deutsche Markt nach unten geht - aber er würde hoffentlich nicht allzu großen Schaden erleiden. Das ist vielleicht das Beste, worauf man hoffen kann.
Stehen Deutschland zwei oder drei gute Jahre bevor?
2007 wird nicht so gut ausfallen wie 2006, besonders wegen der höheren Mehrwertsteuer. Zwei Prozent Wachstum, vielleicht ein bißchen mehr, sind in den kommenden zwei Jahren denkbar. Das ist nicht großartig, aber es ist besser als in den Jahren davor.
Sollten die Anleger insgesamt vorsichtiger werden?
Meine Kernbotschaft lautet: Extrapolieren Sie nicht die vergangenen vier Jahre auf 2007. Das kommende Jahr wird ein Jahr des Übergangs. Es muß nicht in einer schrecklichen globalen Rezession enden. Aber ich vermute, wir werden dem Wachstum mehr Aufmerksamkeit schenken müssen als in den vergangenen Jahren.
Und 2008? Wird es besser oder schlechter?
Das ist zu diesem Zeitpunkt eine offene Frage. Es gibt Risiken in beide Richtungen.
Stephen Roach ist Chefvolkswirt der amerikanischen Investmentbank Morgan Stanley. Er reist unermüdlich durch die Welt und informiert sich auch gerne intensiv vor Ort über wirtschaftliche Entwicklungen. Bekannt geworden ist er vor allem durch seine pessimistischen Vorhersagen, für die er zeitweise ausgebuht worden ist. Auch aktuell beurteilt er die wirtschaftliche Entwicklung wieder negativer als viele Kollegen. Ob er recht behält?
Das Gespräch führte Thomas Schmitt
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 17.12.2006, Nr. 50 / Seite 51
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