HANDELSBLATT, Freitag, 21. Juli 2006, 10:36 Uhr
Interview mit Telekom-Chef Ricke
Die Fragen stellten M. Berni, S. Louven, T. Nonnast und B. Ziesemer
Die Deutsche Telekom hat ein Problem: Ihr laufen die Festnetz-Kunden weg. Um die Menschen zu halten, will Konzernchef Kai-Uwe Ricke das Tarifwirrwarr in seinem Haus beenden und stattdessen Pauschaltarife für Telefonieren, Surfen und/oder Fernsehen anbieten. Das kündigte er im Interview mit dem Handelsblatt an. Doch nicht nur bei den Tarifen will Ricke aufräumen.
Telekom-Chef Ricke prophezeit den Wettbewerbern, dass die schöne Zeit vorbei sei.
Handelsblatt: Herr Ricke, in den USA sind riesige Telekom-Konzerne wie AT&T und Verizon entstanden. Wird es auch in Europa eine Konsolidierung geben?
Kai-Uwe Ricke: Die Amerikaner haben verstanden, was der Markt verlangt - nämlich starke Wettbewerber zu kreieren. Ähnliche Tendenzen sehen wir derzeit in Asien. Die europäische Telekomindustrie muss aufpassen, dass sie hier nicht den Zug verpasst.
Werden wir in Europa Fusionen der großen Spieler über Landesgrenzen hinweg erleben?
Die Konsolidierung in der europäischen Telekomindustrie wird kommen. Allerdings wird das noch eine Weile dauern. Im Moment sprechen die politischen Rahmenbedingungen, die Brüssel setzt, dagegen.
Was passiert in der Zwischenzeit? Der europäische Markt hat deutlich überschüssige Netzkapazitäten in einzelnen Ländern. Die können nicht ewig bestehen. Nehmen Sie nur als Beispiel Großbritannien mit fünf Mobilfunkbetreibern.
Wie viel Geld würden Sie für Zukäufe in die Hand nehmen?
Stopp, bei allen Spekulationen zu möglichen Käufen der Deutschen Telekom gilt eins: Wir müssen den Cash-Flow sehr sorgfältig managen. Es geht darum, Umsätze durch Investitionen in künftige Produktfelder abzusichern und dazu die Kosten rigoros zu senken. Das bedeutet auch, verstärkt in Rationalisierungsinvestitionen zu gehen. Darüber hinaus gilt es, die Dividende im Blick zu behalten und die berechtigten Interessen der Aktionäre zu befriedigen. Und nur wenn bei diesen Planungen noch genügend Cash vorhanden ist, kann man über Zukäufe nachdenken, wobei wir uns nicht in Käufe treiben lassen, sondern strikte Kriterien anwenden.
Könnten die so aussehen, dass Sie im Ausland überall als integrierter Anbieter von Telefonie, Internet und Mobilfunk auftreten?
Nein, das ist nicht unsere Strategie. Wir entscheiden abhängig von dem jeweiligen Markt, wie wir uns vor Ort aufstellen. In Amerika zum Beispiel hat der Mobilfunk noch so ein großes Wachstumspotential. T-Mobile USA ist hier sehr gut positioniert, um vom Trend zur Festnetz-Substitution stark zu profitieren.
Sorgenkind Festnetz.
Zurück nach Deutschland. Das Kerngeschäft im Festnetz ist unter Druck. Was wollen Sie tun?
Wir werden ab Herbst unsere Preismodelle radikal vereinfachen. Das gilt für das Festnetz wie für den Mobilfunk; für Privat- wie für Geschäftskunden. Im Festnetz bedeutet das, Pauschaltarife für den Anschluss inklusive Leistungen für Telefonieren, Surfen oder Fernsehen - oder eine Kombination der drei. Im Mobilfunk darf niemand mehr Angst vor den Telefonkosten haben.
Sie haben 2005 ein aggressives Vorgehen angekündigt. Weshalb ist bisher nichts passiert?
Wir waren durch die ausstehende Verschmelzung von T-Online blockiert, die im Juni endlich genehmigt wurde. Aber ab Herbst sind die paradiesischen Zeiten für den Wettbewerb zu Ende - da können Sie mich beim Wort nehmen.
Riskieren Sie durch Preissenkungen nicht einen Umsatzeinbruch?
Nein, das bedeutet nicht zwangsläufig einen Umsatzeinbruch, sondern heißt vor allem, dass wir bestehende Kundenverhältnisse verteidigen.
Aber selbst Rationalisierungsinvestitionen reduzieren die Kosten nur langfristig. Muss Ihr Ergebnis in der Zwischenzeit nicht leiden?
Nicht zwangsläufig. Aber viel wichtiger ist, dass wir nicht nur in quartalsmäßiger Ergebnisoptimierung denken dürfen, sondern dass wir mittel- und langfristig den Cash-Flow des Konzerns sichern. Uns geht es um die langfristige Perspektive. Wir wollen als Nummer eins aus der Transformation der Branche hervorgehen.
Werden wir Ende des Jahres einen massiven Marketingaufwand der Telekom erleben?
Wir werden sehr konsequent am Markt unterwegs sein. Dabei wird das Komplettangebot aus Telefonie, Internet und Fernsehen im superschnellen VDSL-Netz in den nächsten 18 Monaten nicht das allein selig machende Mittel sein. Das ist eher eine langfristige Perspektive. Kurzfristig geht es darum, im traditionellen Festnetzgeschäft Marktanteile zu verteidigen.
Sorgekind T-Aktie.
Die T-Aktie liegt unter dem Ausgabekurs. Wie wollen Sie dem Kurs wieder Leben einhauchen?
Die Situation an den Finanzmärkten ist derzeit nicht einfach. Das liegt daran, dass die gesamte Telekom-Branche mitten in einer enormen Umbruchsphase steckt, die auch noch zwei bis drei Jahre dauern wird. Die Kurse zeigen, dass viele Investoren bezweifeln, dass die Giganten der Vergangenheit sich neu erfinden können. Daraus resultiert eine enorme Unterbewertung des Sektors.
Anleger sehen aber keine Wachstumsmöglichkeiten der Telekom.
Eine der wesentlichen Befürchtungen der Investoren ist, dass aufgrund des rasanten technologischen Wandels und des harten Wettbewerbs in der Branche die Kundenverhältnisse nicht sicher und damit die Cash-Flows nicht nachhaltig sein könnten. Das sind die Fragen, die wir adressieren müssen.
Wie soll das gehen?
Wir werden den Kunden beweisen, dass wir unsere Hausaufgaben auf der Produktseite gemacht haben. Darüber hinaus werden wir unsere Kosten noch radikaler senken als wir das bisher schon getan haben. Das heißt: Verstärkt Rationalisierungsinvestitionen etwa in neue Netze, die auf dem Internet-Protokoll basieren und weniger Personal sowie weniger teure Gebäudeflächen benötigen. Diese Kostenvorteile können wir an unsere Kunden weitergeben.
Wie wichtig werden künftig Inhalte für die Telekom sein?
Wir werden kein Unternehmen, das Inhalte produziert. Wir stehen immer in der Gefahr, zu viel gleichzeitig zu machen. Deshalb konzentrieren wir uns auf das Anschlussgeschäft. Das ist ein sehr einfaches Geschäftsmodell, das uns viele Möglichkeiten bietet. Und um dieses Anschlussgeschäft zu sichern, werden wir in Dienste investieren, die auf dem Internet-Protokoll basieren.
Was heißt das?
Das Speichern von 3D-Fotos in unserem Netz ist ein Beispiel. Wir werden unser Angebot so stricken, dass die Kunden den Anschluss bei uns haben wollen und nicht bei der Konkurrenz.
Die Telekom-Karriere
Kai-Uwe Ricke wird 1961 in Krefeld geboren. Nach Banklehre und Studium an der European Business School auf Schloss Reichartshausen geht er als Assistent des Vorstands zu Bertelsmann und danach als Vertriebs- und Marketingleiter zu der Tochter Scandinavian Music Club nach Malmö.Mit 29 Jahren wird Ricke Geschäftsführer des Mobilfunk-Dienstleisters Talkline.
Anfang 1998 übernimmt Ricke die Leitung der Telekom-Mobilfunksparte, die heute als T-Mobile firmiert, und baut diese international aus. Im Mai 2001 wird er in den Vorstand der Telekom berufen, wo er als Chief Operating Officer (COO) für die Mobilfunk- und Online-Aktivitäten der Telekom verantwortlich ist. Seit dem 15. November 2002 ist Ricke Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom. Ricke lebt in Bonn, ist verheiratet und hat zwei Söhne.