Zukunftsangst an der Börse
Drei Prozent runter, die Blue Chips sind wieder mitten im Bärenmarkt. An der Wall Street herrscht eine Vertrauenskrise. Man fürchtet eine weiter schwächelnde Konjunktur, aber auch noch vieles mehr: Manipulationen an den Rohstoffmärkten, etwa, oder inkompetente Politiker im Weißen Haus. Die nächsten Wochen werden spannend.
Die jüngsten Gerüchte um den Rohstoffmarkt sind spektakulär und beängstigend. Das Wall Street Journal berichtet über Untersuchungen gegen Raffinerien und die Energiebehörde der US-Regierung. Sie sollen die wöchentlichen Lagerbestände getürkt haben. In einer Branche, in der noch heftiger spekuliert wird als am Aktienmarkt, würden solche Geschehnisse wohl keinen Experten völlig überraschen, doch die aktuelle Geschichte wäre schon ganz besonders dreist.
Die Energy Information Administration, die dem Energieministerium in Washington unterstellt ist und zur Bush-Regierung gehört, beruft sich für die Bekanntgabe der wöchentlichen Lagerbestände auf die Angaben der Raffinerien, ohne diese je zu prüfen. Möglichkeiten Daten zu fälschen gäbe es allerdings schon; und Gründe gäbe es auch. In Absprache mit Öl-Händlern, die vorab auf steigende oder fallende Preise setzen, könnten dramatisch steigende oder fallende Pegel gutes Geld bringen - und genau diese Absprachen soll es, Gerüchten zufolge, gegeben haben.
Wenige Tage vor diesem Verdacht geisterte ein anderer über das Parkett: Die Öl-Konzerne sollen hinter den jüngsten Kursabgaben beim schwarzen Gold stecken, wird gemunkelt. Sie sollen damit den Republikanern zuarbeiten, die derlei Schützenhilfe im Wahlkampf brauchen könnten. Geht alles glatt, könnten Bush & Co dem Volk vor dem Urnengang erklären, man habe erfolgreich gegen steigende Ölpreise gekämpft und damit jedem einzelnen Autofahrer an der Tanke Entlastung verschafft.
Die Öl-Industrie würde durch derlei Manipulationen zwar Milliarden verlieren - trägt der Trick aber zum Machterhalt für die Republikaner bei, hätte man die schnell wieder eingeholt. Denn unter John McCain und Sarah Palin ginge es der Branche weitere vier Jahre gut. Die Frau aus Alaska, wo das halbe Land von ExxonMobil und Co. bezahlt wird, will jeden amerikanischen Quadratmeter für Bohrungen freigeben - egal, ob sich da gerade ein Eisbär ausruht oder ein Sequoia-Baum Wurzeln geschlagen hat.
Sarah Palin ist aber nicht nur in Bezug auf ihre Öl- und Energiepolitik ein Risikofaktor für die Wall Street. Man kritisiert auch offen ihre Unerfahrenheit in allen wirtschaftlichen Belangen. Der Staat mag zwar mit Blick auf das Pro-Kopf-Einkommen und das Bruttoinlandsprodukt einer der stärksten in den USA sein, doch kommt das ganze Geld allein aus der Öl-Industrie. Darüber hinaus gibt es in Alaska ein wenig Tourismus, eine stattliche Fischerei und die Umschlaghäfen von FedEx und UPS. Ein Spiegel für das ganze Land ist das nicht.
Umso schlimmer, dass im Falle eines republikanischen Sieges Sarah Palin die wirtschaftskompetentere Person an der Spitze des Landes wäre. John McCain hat bereits vor Wochen selbst klargestellt, dass er sich in diesem Bereich nicht allzu gut auskenne. Palin wiederum gleicht diesen Vorteil dadurch aus, dass sie sich, eigenen Aussagen zufolge, "bisher noch nicht zu sehr mit dem Irak-Krieg beschäftigt" hat.
Der Wall Street - wie dem Rest von Amerika - graut vor dem Team McCain/Palin. Und das schlägt sich auf die Kurse nieder. Denn wenngleich der demokratische Präsidentschaftskandidat Barack Obama und sein Weggefährte Joe Biden in den Umfragen zur Zeit deutlich vorne liegen, bringen die kommenden acht Wochen bis zur Wahl noch jede Menge Unsicherheit.