ftd.de, Fr, 9.8.2002, 8:24, aktualisiert: Fr, 9.8.2002, 19:20
Hartz-Kommission ist sich einig
Die Hartz-Kommission hat sich doch noch auf gemeinsame Vorschläge zur Reform des Arbeitsmarktes geeinigt. Bis 2005 soll sich die Zahl der Arbeitslosen um zwei Millionen reduzieren.
VW-Vorstandsmitglied Peter Hartz
Der Leiter der Kommission, der VW-Manager Peter Hartz, bekräftigte nach Abschluss der Beratungen am Freitag in Berlin das Ziel, in den kommenden drei Jahren die Zahl der Arbeitslosen um zwei Millionen zu reduzieren. "Heute ist ein schöner Tag für die Arbeitslosen in Deutschland. Wir haben in der Kommission einstimmig alle Eckpunkte beschlossen", sagte Hartz. Das Konzept sei "ein neuer Aufbruch".
Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) lobte, der Kommission sei mit ihrem einstimmigen Votum "ein wirklich großer Wurf gelungen". Er sagte am Abend, das Kabinett wolle die Vorschläge bereits am Mittwoch verabschieden. Leipzigs Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee (SPD) sagte, Arbeitslose, die nicht die geforderten Gegenleistungen erbrächten, müssten mit Einschnitten rechnen. Die Zumutbarkeitsregeln zur Annahme einer Stelle sollen dabei deutlich verschärft werden.
Pauschale Kürzungen verworfen
"Es gab ein einstimmiges Votum", sagte der Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Hanns-Eberhard Schleyer, zum Abschlussbericht des Gremiums. Er hoffe, dass die Regierung die Vorschläge zügig umsetzen werde. "Es wird eine ganze Reihe von individuellen Kürzungsmöglichkeiten (bei Arbeitslosen) geben", sagte Schleyer weiter. Falls die individuellen Kürzungen nicht ausreichten, müsse später auch über pauschale Kürzungen noch einmal nachgedacht werden. Ursprünglich waren auch pauschale Kürzungen für alle Arbeitslose in Erwägung gezogen, später jedoch verworfen worden.
Der so genannte "Job Floater", eine auf dem Kapitalmarkt zu finanzierende Anleihe für Arbeitsplätze in strukturschwachen Regionen, könnte nach Angaben eines Kommissionsmitglieds statt 150 nur rund 20 Mrd. Euro umfassen. Als weitere Reform sollen die Sozialbeiträge für Niedriglohnjobs bis 500 Euro pauschal auf zehn Prozent von bislang 22 Prozent gesenkt werden. Die Regelung ist jedoch auf haushaltsnahe Berufe beschränkt.
Umsetzung soll 2005 geprüft werden
Leipzigs Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee (SPD) sagte zudem, die Kommission habe vereinbart, die Umsetzung der Vorschläge Ende Juni 2005 kritisch zu prüfen. Sollte bis dahin die Zahl der Arbeitslosen nicht signifikant gesunken sein, "dann wird zu entscheiden sein, dass Paket wieder aufzumachen." Auch pauschale Leistungskürzungen für die Arbeitslosen seien dann nicht ausgeschlossen. Einen Automatismus gebe es hier aber nicht. Er gehe davon aus, mit dem jetzigen Konzept die Zahl der Erwerbslosen deutlich zu senken.
Das Konzept sehe auch vor, dass die Vermittler in den Arbeitsämtern vor Ort deutlich mehr Eigenverantwortung bekommen. Die Organisation der Bundesanstalt für Arbeit soll rationalisiert und das dort eingesparte Geld zur Vermittlung eingesetzt werden. Die Zahl der Vermittler könnte sich damit kräftig erhöhen. Die Halbierung der Arbeitslosigkeit in den nächsten drei Jahren bezeichnete er als ein realistisches und gut durchgerechnetes Ziel.
Keine zusätzlichen Kosten
Hartz, der am Freitag seinen 61. Geburtstag feierte, hatte vor der Sitzung am Morgen bestätigt, er wolle ein neues Förderprogramm zur Ausbildung von Jugendlichen durchsetzen. Dies solle jedoch nicht mit zusätzlichen Kosten für die Bürger verbunden sein. Die "Frankfurter Rundschau" hatte zuvor unter Berufung auf ein Konzeptpapier berichtet, jeder Haushalt solle hierfür 100 Euro zur Anschubfinanzierung zahlen. Darüber hinaus berichtete das Blatt, Hartz wolle nun doch das Arbeitslosengeld für Langzeiterwerbslose kürzen. Es solle während des Bezugs nicht mehr an die Bruttolohnsteigerungen angepasst werden.
Diverse andere Diskussionsvorschläge waren bereits im Verlauf der Beratungen an die Öffentlichkeit gelangt. Hartz hatte unter anderem eine Ausweitung der Zeitarbeit, die Förderung von Existenzgründungen durch so genannte Ich-AGs und ein milliardenschweres Investitionsprogramm für strukturschwache Regionen vorgeschlagen.
Kanzler Schröder hatte am Vormittag Reformen auch gegen den Widerstand von Interessengruppen angekündigt und bekräftigt, das Konzept werde voll umgesetzt. "Ich bin fest entschlossen, das, was Hartz vorschlägt, als ganzheitliches Konzept anzusehen und es als solches durchzusetzen", sagte er in Berlin.
Verdi sieht dramatische Lage auf dem Lehrstellenmarkt
Nach Einschätzung der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi ist die Lage auf dem Lehrstellenmarkt dramatischer als bisher angenommen. Während die Bundesanstalt für Arbeit von rund 100.000 fehlenden Ausbildungsplätzen ausgeht, rechnet die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Margret Mönig-Raane mit einer doppelt so hohen Zahl. "Stichproben zeigen: In Deutschland fehlen über 200.000 Ausbildungsplätze", sagte die Gewerkschafterin der "Bild"-Zeitung. Sie warf der Wirtschaft vor, zu wenig für eine Entschärfung der Krise zu tun.
Schröder hatte die Kommission vor fünf Monaten unter Leitung des Volkswagen-Vorstands einberufen, um Vorschläge zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu entwickeln. Uneinigkeit gab es unter den 15 Kommissionsmitgliedern aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gewerkschaften vor allem über kollektive Kürzungen für Arbeitslose und die Ausweitung des Niedriglohnsektors.
© 2002 Financial Times Deutschland , © Illustrationen: AP, bundestag.de
Quelle: www.ftd.de/pw/de/1028720500302.html?nv=hptn
Hartz-Kommission ist sich einig
Die Hartz-Kommission hat sich doch noch auf gemeinsame Vorschläge zur Reform des Arbeitsmarktes geeinigt. Bis 2005 soll sich die Zahl der Arbeitslosen um zwei Millionen reduzieren.
VW-Vorstandsmitglied Peter Hartz
Der Leiter der Kommission, der VW-Manager Peter Hartz, bekräftigte nach Abschluss der Beratungen am Freitag in Berlin das Ziel, in den kommenden drei Jahren die Zahl der Arbeitslosen um zwei Millionen zu reduzieren. "Heute ist ein schöner Tag für die Arbeitslosen in Deutschland. Wir haben in der Kommission einstimmig alle Eckpunkte beschlossen", sagte Hartz. Das Konzept sei "ein neuer Aufbruch".
Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) lobte, der Kommission sei mit ihrem einstimmigen Votum "ein wirklich großer Wurf gelungen". Er sagte am Abend, das Kabinett wolle die Vorschläge bereits am Mittwoch verabschieden. Leipzigs Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee (SPD) sagte, Arbeitslose, die nicht die geforderten Gegenleistungen erbrächten, müssten mit Einschnitten rechnen. Die Zumutbarkeitsregeln zur Annahme einer Stelle sollen dabei deutlich verschärft werden.
Pauschale Kürzungen verworfen
"Es gab ein einstimmiges Votum", sagte der Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Hanns-Eberhard Schleyer, zum Abschlussbericht des Gremiums. Er hoffe, dass die Regierung die Vorschläge zügig umsetzen werde. "Es wird eine ganze Reihe von individuellen Kürzungsmöglichkeiten (bei Arbeitslosen) geben", sagte Schleyer weiter. Falls die individuellen Kürzungen nicht ausreichten, müsse später auch über pauschale Kürzungen noch einmal nachgedacht werden. Ursprünglich waren auch pauschale Kürzungen für alle Arbeitslose in Erwägung gezogen, später jedoch verworfen worden.
Der so genannte "Job Floater", eine auf dem Kapitalmarkt zu finanzierende Anleihe für Arbeitsplätze in strukturschwachen Regionen, könnte nach Angaben eines Kommissionsmitglieds statt 150 nur rund 20 Mrd. Euro umfassen. Als weitere Reform sollen die Sozialbeiträge für Niedriglohnjobs bis 500 Euro pauschal auf zehn Prozent von bislang 22 Prozent gesenkt werden. Die Regelung ist jedoch auf haushaltsnahe Berufe beschränkt.
Umsetzung soll 2005 geprüft werden
Leipzigs Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee (SPD) sagte zudem, die Kommission habe vereinbart, die Umsetzung der Vorschläge Ende Juni 2005 kritisch zu prüfen. Sollte bis dahin die Zahl der Arbeitslosen nicht signifikant gesunken sein, "dann wird zu entscheiden sein, dass Paket wieder aufzumachen." Auch pauschale Leistungskürzungen für die Arbeitslosen seien dann nicht ausgeschlossen. Einen Automatismus gebe es hier aber nicht. Er gehe davon aus, mit dem jetzigen Konzept die Zahl der Erwerbslosen deutlich zu senken.
Das Konzept sehe auch vor, dass die Vermittler in den Arbeitsämtern vor Ort deutlich mehr Eigenverantwortung bekommen. Die Organisation der Bundesanstalt für Arbeit soll rationalisiert und das dort eingesparte Geld zur Vermittlung eingesetzt werden. Die Zahl der Vermittler könnte sich damit kräftig erhöhen. Die Halbierung der Arbeitslosigkeit in den nächsten drei Jahren bezeichnete er als ein realistisches und gut durchgerechnetes Ziel.
Keine zusätzlichen Kosten
Hartz, der am Freitag seinen 61. Geburtstag feierte, hatte vor der Sitzung am Morgen bestätigt, er wolle ein neues Förderprogramm zur Ausbildung von Jugendlichen durchsetzen. Dies solle jedoch nicht mit zusätzlichen Kosten für die Bürger verbunden sein. Die "Frankfurter Rundschau" hatte zuvor unter Berufung auf ein Konzeptpapier berichtet, jeder Haushalt solle hierfür 100 Euro zur Anschubfinanzierung zahlen. Darüber hinaus berichtete das Blatt, Hartz wolle nun doch das Arbeitslosengeld für Langzeiterwerbslose kürzen. Es solle während des Bezugs nicht mehr an die Bruttolohnsteigerungen angepasst werden.
Diverse andere Diskussionsvorschläge waren bereits im Verlauf der Beratungen an die Öffentlichkeit gelangt. Hartz hatte unter anderem eine Ausweitung der Zeitarbeit, die Förderung von Existenzgründungen durch so genannte Ich-AGs und ein milliardenschweres Investitionsprogramm für strukturschwache Regionen vorgeschlagen.
Kanzler Schröder hatte am Vormittag Reformen auch gegen den Widerstand von Interessengruppen angekündigt und bekräftigt, das Konzept werde voll umgesetzt. "Ich bin fest entschlossen, das, was Hartz vorschlägt, als ganzheitliches Konzept anzusehen und es als solches durchzusetzen", sagte er in Berlin.
Verdi sieht dramatische Lage auf dem Lehrstellenmarkt
Nach Einschätzung der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi ist die Lage auf dem Lehrstellenmarkt dramatischer als bisher angenommen. Während die Bundesanstalt für Arbeit von rund 100.000 fehlenden Ausbildungsplätzen ausgeht, rechnet die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Margret Mönig-Raane mit einer doppelt so hohen Zahl. "Stichproben zeigen: In Deutschland fehlen über 200.000 Ausbildungsplätze", sagte die Gewerkschafterin der "Bild"-Zeitung. Sie warf der Wirtschaft vor, zu wenig für eine Entschärfung der Krise zu tun.
Schröder hatte die Kommission vor fünf Monaten unter Leitung des Volkswagen-Vorstands einberufen, um Vorschläge zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu entwickeln. Uneinigkeit gab es unter den 15 Kommissionsmitgliedern aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gewerkschaften vor allem über kollektive Kürzungen für Arbeitslose und die Ausweitung des Niedriglohnsektors.
© 2002 Financial Times Deutschland , © Illustrationen: AP, bundestag.de
Quelle: www.ftd.de/pw/de/1028720500302.html?nv=hptn