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nachfolgend lesenswerter Artikel entnommen der heutigen ausgabe der faz:
Zucker, Zocker und Zement
Drei große Vertreter müssen sich auf den Märkten für Zement, Zucker und Kali neu orientieren. Das Gleichgewicht innerhalb der jeweiligen Absatzgebiete ist gestört.
08.07.2014, von Bernd Freytag
Viele Unternehmen erhöhen ihre Investitionen im Ausland, um nationalen Kartellämtern zu entgehen.
Für Zement interessiert sich kein Mensch. Zement ist da, wenn man ihn braucht, das reicht. Die überaus nützliche Mischung aus Kalk, Gips, Ton und Sand gibt es gefühlt schon immer und überall, Glamour verströmt sie nicht. Während neue Autos und neue Handys regelmäßig mit Blitzlichtgewittern begrüßt werden, fällt Zement nur auf, wenn er fehlt. In diese Kategorie der austauschbaren Gebrauchsgüter fallen auch Zucker und Kalidünger, zwei weitere Alltagsstoffe ohne Sex-Appeal, aber mit großer Bedeutung für deutsche Unternehmen.
Bernd Freytag
Autor: Bernd Freytag, Jahrgang 1967, Wirtschaftskorrespondent Rhein-Neckar-Saar mit Sitz in Ludwigshafen.
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Die vermeintlich tristen Märkte für Zement, Zucker und Kali haben drei veritablen Vertretern der hiesigen Industrie in den vergangenen Wochen haarsträubende Abenteuer beschert. Man könnte auch sagen: Die Welt von Südzucker, K+S und Heidelberg-Cement ist aus den Fugen geraten. Der weltgrößte Zuckerhersteller, der Düngemittelriese aus Kassel und der drittgrößte Zementhersteller der Erde müssen sich neu orientieren. Das Gleichgewicht auf ihren Märkten, über viele Jahre mühsam austariert, ist gestört. Sei es, weil ein Konkurrent aus dem Verkaufskartell ausgeschert ist, wie bei K+S; sei es, weil die größten Wettbewerber in der Not zu einem schier übermächtigen Gegner fusionieren, wie bei Heidelcement.; oder sei es, dass die Politik die alte Marktordnung auf den Kopf stellt, so geschehen bei Südzucker.
So unterschiedlich Zucker, Zement und Kali auch sind: Ihre Märkte sind es nicht. Keines der Güter ist knapp, keines neu, ihr Absatz ist eng mit dem Wachstum der Weltbevölkerung verknüpft. Mit Wirtschaftstugenden wie Erfindergeist und Ingenieurskunst kommt man auf keinem dieser Märkte weit. Zement bleibt Zement, Zucker bleibt Zucker. Auch der Versuch, Massengüter mit Werbung emotional aufzuladen und sie so von dem uniformen Angebot abzusetzen, taugt nur bedingt: „Gelber Strom“ oder „Zucker Grand Cru“ ist nur etwas fürs Nischengeschäft. Wer mit austauschbaren Massengütern sein Geld verdient, dem bleiben nur zwei Stellschrauben: Preis und Menge. Und selbst diese sind tückisch: Senken die Unternehmen den Preis, wird kaum mehr Zement verbaut oder Zucker gegessen oder gedüngt. Steigt der Preis, werden hingegen schnell Rufe nach dem Kartellamt laut. Als Zucker teuer war, hat die Lebensmittelindustrie in Europa Zeter und Mordio geschrien. Nachdem Zuckerrohr-Rekordernten den Preis empfindlich gedrückt hatten, kehrte Ruhe ein. Die Preise für Zuckerriegel wurden nicht gesenkt.
Wer als Lieferant in einem solchen Markt bestehen will, braucht Größe. Nur Massenproduktion hält die Kosten niedrig. Nur so kann ein Unternehmen auch bei niedrigen Preisen noch Geld verdienen und überleben, bis nur noch wenige Anbieter den Markt kontrollieren. In allen drei Märkten ist das schon passiert: Es herrscht ein Oligopol. Was klingt wie eine Lizenz zum Gelddrucken, hat sich zum kostenzehrenden Pokerspiel entwickelt. Kartelle tun sich in der Krise überraschend schwer: Dabei ist es just der marktwirtschaftliche Reflex, der die künstlichen Gleichgewichte gefährdet. Früher oder später verliert ein Anbieter bei langen Absatzkrisen die Nerven, dann gehen die Mengen hoch und der Preis runter. In der Zementindustrie verdienen viele Unternehmen heute nicht einmal ihre Kapitalkosten, und trotzdem kommt der Abbau von Überkapazitäten nicht voran. Jeder misstraut dem anderen und fürchtet das Kartellamt. Deshalb legt keiner Werke still. Denn: Schert ein Unternehmen aus dem Oligopol aus oder fliegt das Kartell auf, müssen alle auf Teufel komm raus produzieren, um ihre Kosten niedrig zu halten und keine Marktanteile zu verlieren. Das kann aber nur, wer freie Kapazitäten hat. Wer sich zuerst bewegt, verliert, deshalb bewegt sich keiner, und alle verlieren. In Europa tut die Politik ein Übriges: Viele Unternehmen haben ihre Werke nämlich auch deswegen nicht geschlossen, weil sie die zugehörigen Emissionsrechte nicht verlieren wollen. Wer also spielt mehr verrückt: die Märkte oder die Politik?
Während bei Pharmakonzernen gesellschaftlich akzeptiert wird, dass sie mit erfolgreichen Medikamenten horrende Margen erwirtschaften, damit sie die Forschung und damit auch so manchen Fehlschlag finanzieren können, gelten hohe Preise bei Massenprodukten als verdächtig. Dabei hat die Marktkonzentration wichtige Massengüter erst dauerhaft billig gemacht. Das ist das Dilemma: Mehr Konzentration senkt die Preise, zu viel Konzentration setzt den Markt außer Kraft. Sowohl die Zuckerindustrie als auch die Zementhersteller wurden schon zu horrenden Strafen wegen Kartellverstößen verurteilt, die Überkapazitäten sind geblieben.
Um nationalen Kartellämtern zu entgehen, verlagern die Unternehmen das Spielfeld in die Welt. K+S baut eine Mammutmine in Kanada, Südzucker hat sich am weltgrößten Zuckerhändler beteiligt. Heidelcement investiert in Afrika. Der Markt für Massengüter gleicht einem globalen Schachbrett, das in unterschiedlichen Teilen von unterschiedlichen Kartellämtern überwacht wird. Nur wer überall präsent ist, hat Verhandlungsmasse, um sich dieser Kontrolle noch zu entziehen. Deals nach dem Muster „Ich schließe mein Werk in Togo, gehe nicht nach Südamerika, dafür ziehst du dich aus Australien zurück“ bleiben auch heute noch im Verborgenen.