Konstruktive Opposition 2002-2006

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Konstruktive Opposition 2002-2006

 
23.09.02 22:06
Happy End:

Stoiber mustert Parteisoldaten Merz aus

 
23.09.02 22:09
Die neugewählten Abgeordneten der Union müssen keine Kampfabstimmung fürchten, wenn sie am Dienstag Angela Merkel zur neuen Fraktionschefin küren. Der Rücktritt von Amtsinhaber Friedrich Merz erleichtert den Übergang in die neue Zeit. Aber das Gewicht der CSU wird Merkel in Zukunft mehr denn je zu spüren bekommen.
 
Berlin - Friedrich Merz stürmte an den Journalisten vorbei, an den Kameras und Mikrofonen. Kein Wort fiel, kein einziges. Der Fraktionschef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion legte ein Tempo hin, als ginge es, die CDU-Bundesgeschäftstelle so schnell wie möglich zu verlassen. Sein Pressesprecher Thomas Raabe hastete hinterher.

Es war, als sei Merz auf der Flucht. Wohin sie ihn führte, das wusste nur er selbst. Um kurz nach 14 Uhr an diesem Dienstagnachmittag ist Merz eigentlich schon kein Fraktionschef mehr. Im Präsidium und Vorstand der CDU hatte Angela Merkel kurz zuvor ihren Anspruch auf das Amt angemeldet. Es sei besser, in der Opposition beide Ämter in einer "gebündelten Funktion" wahrzunehmen. Und Edmund Stoiber, der aus München nach Berlin geflogen war, hatte sie im Namen der CSU darin unterstützt.

Merz wusste zu diesem Zeitpunkt: Entweder nimmt er das Risiko einer Kampfabstimmung in Kauf. Oder er wirft das Handtuch. Um kurz nach halb vier am Montagnachmittag war es dann soweit: Merz gab im Pressesaal der Unionsfraktion im Bundestag seinen Rücktritt bekannt. Mit seinem freiwilligen Abgang leistete er seiner Fraktion einen letzten Dienst und rettete die Geschlossenheit über den Wahltag hinaus, mit der die Union die Monate vor dem 22. September so erfolgreich bestritten hat. Noch während Merz aus der CDU-Zentrale in Berlin hinausgestürmt war, hatte es danach nicht ausgesehen.

Der parlamentarische Geschäftsführer Hans-Peter Repnik erklärte da noch auf die Frage, ob es zu einer Kampfabstimmung komme: "Das werden wir sehen - ich hoffe aber, das wir zu einer einvernehmlichen Lösung kommen." Die schuf Merz selbst - was wäre ihm auch anderes übrig geblieben. In der Unions-Bundestagsfraktion hatte der Sonntag das gute Abschneiden insbesondere in Bayern das Gewicht zugunsten der süddeutschen Abgeordneten verschoben. Und hinter denen standen mit Stoiber und dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Erwin Teufel zwei gewichtige Männer - Merz hätte sich auf eine demütigende Niederlage einstellen müssen. Zumal Gerüchte wissen wollten, Merkel habe bereits vor der Wahl Absprachen mit Abgeordneten über die Sprecherposten im Falle ihrer Amtsübernahme getroffen. Angesichts dieser Ausgangslage zog es Merz vor, sich der Parteidisziplin unterzuordnen.

Nicht beliebt, aber ein anerkannter Fraktionschef

Jetzt gehe es um die "größtmögliche Geschlossenheit" der Union in der Opposition, erklärte Merz im Reichstag. Zweieinhalb Jahre Arbeit als Fraktionschef gingen an diesem Tag für Friedrich Merz zu Ende. Das Amt übernahm er nach dem Rücktritt von Wolfgang Schäuble, mitten in der CDU-Spendenaffäre. Viele trauten ihm die Führung der Fraktion nicht zu. Am Ende war er, wenn nicht beliebt, so doch ein anerkannter Fraktionschef. Doch was zählt das schon, wenn die Gewichte neu verteilt werden. Schon am Sonntagabend musste Merz es gespürt haben: Angela Merkel, die zugunsten von Edmund Stoiber auf die Kanzlerkandidatur verzichtet hatte, würde nun den Fraktionsvorsitz anstreben. Merkel und Stoiber redeten noch am selben Abend kurz darüber, Montagfrüh holte sich Stoiber für seine Unterstützung den Rückhalt im CSU-Vorstand in München.

Er habe das Amt "gerne ausgeführt", sagte Merz im Reichstag. Aber wenn es darum gehe, wie die Union aufgestellt sei, dann habe das Vorrang vor allen anderen Erwägungen - "auch persönlichen Erwägungen". Er wolle sich jetzt um einen Ausschuss bewerben - es wird wohl Haushalt oder Finanzen sein, beides Gebiete, auf denen Merz sich auskennt.

Während der Vorstandssitzung hatte der 46-jährige Rechtsanwalt noch einmal einen letzten Versuch gewagt. Da bekundete er, so erzählen es Teilnehmer, noch einmal sein Interesse am Job des Fraktionschefs. Doch an diesem Montag ging es schon nicht mehr um Friedrich Merz. Ein Mitglied der CDU sagte es so: "Wer am Sonntag die Ohren und Augen offen hatte, der wusste, für wen sich Stoiber entschieden hatte."

Merz muss einer neuen Konstellation weichen

Politik, das zeigt sich gerade nach Wahltagen, ist manchmal ein verdammt hartes Geschäft. Hermann Josef Arentz, der Vorsitzende der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), sagte es nach der Sitzung so: Er habe Verständnis, wenn Merz sein Amt, das er über zwei Jahre gut gemacht habe, nicht aufgeben wolle. Doch gebe es nun einmal zwei Paar Schuhe, fügt er hinzu: "Das, was man empfindet, und das andere, nämlich eine erfolgversprechende Konstellation zu schaffen."

Und die soll ab Dienstag, wenn CDU und CSU ihre neue Fraktionschefin wählen werden, weiterhin Angela Merkel und Edmund Stoiber heißen. "Es geht um Strukturentscheidungen", sagt der Vizechef des niedersächsischen Landesverbandes, Heinrich-Wilhelm Ronsöhr. Die Union habe ihre historischen Erfahrungen in der Opposition und da sei es "besser, Partei und Fraktionsvorsitze zusammenzulegen." Das sieht Christoph Böhr, Landeschef von Rheinland-Pfalz, genauso: "Für eine erfolgreiche Opposition ist es unverzichtbar, mit einer Stimme zu sprechen."

Stoiber festigt die Position der CSU

Kein Zweifel - die Stimmung in der Union war ein Tag nach der Wahl so gut wie am Abend zuvor. Besonders gut war sie aber bei Stoiber. Stolz verwies er darauf, dass die Union erstmals an Stimmen seit der Wahl von 1983 hinzugewonnen habe. Die Union wolle die Bundesregierung mit einer "konstruktiven Oppositionspolitik" sowohl von Berlin als auch "aus den Ländern heraus" begleiten. Nach Blockadehaltung klang das nicht - doch wird sich das wohl erst im Einzelfall zeigen. Vor allem aber wusste Stoiber darauf hinzuweisen, wer die eigentlich dritte Kraft in Deutschland wurde: Nicht die Grünen, sondern die CSU mit einem Stimmenanteil von neun Prozent. In Bayern konnte er ein Traumergebnis von knapp über 60 Prozent einfahren. Mehr Abgeordnete aus Bayern als zuvor werden der neuen Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU im Bundestag angehören.

"Wo stünde die Union insgesamt denn ohne Bayern", hatte Stoiber am Montag noch in München verkündet. In Berlin, in der CDU-Zentrale, nahm er diese Worte dann nicht mehr den Mund. Dass Stoiber mit seiner Zustimmung, Merz abzulösen, keineswegs daran denkt, sich nun wieder gänzlich nach München zurückzuziehen und das politische Geschäft allein seinem Landesgruppenchef Michael Glos zu überlassen, das machte er in Berlin nur allzu deutlich. Hin- und wieder werde er als Gast in Berlin sein, auch würden ja Merkel und er ständigen Kontakt halten. "Ich bin durch diese Wahl", erklärte Stoiber am Montag voller Selbstbewusstein, "logischerweise gestärkt worden."  
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Wirbel um Berliner CDU-Chef

 
23.09.02 22:10
Berlin - Mit einem indirekten Vergleich des rot-grünen Bundestagswahlsiegs mit einem Nazi-Wahlerfolg vor 70 Jahren und der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg hat der Berliner CDU-Vorsitzende Christoph Stölzl für erhebliche Aufregung in der Hauptstadt gesorgt. Die SPD forderte am Montag den Rücktritt Stölzls als Vizepräsident des Berliner Abgeordnetenhauses. "Wer den rot-grünen Wahlsieg mit Kräften vergleicht, die zum Ersten Weltkrieg und zum Aufstieg der Nazis geführt haben, ist nicht mehr tragbar als Vizepräsident des Abgeordnetenhauses", sagte SPD-Fraktionschef Michael Müller.

Stölzl hatte am Morgen dem InfoRadio Berlin-Brandenburg gesagt, eine Fortsetzung der rot-grünen Koalition sei "ein Sieg der Unvernunft über die Vernunft". Der Sender zitierte Stölzl weiter: "Die Deutschen haben immer Unglück gehabt, wenn sie sich irrationalen Stimmungen hingaben oder sich mit Propaganda-Phrasen in Gang bringen ließen. Das war 1914 so, das große Unglück der Erdrutsch-Wahlen von 1931/32 war so, und sie waren immer im Glück, wenn sie nüchtern waren."

Im Jahr 1914 begann der Erste Weltkrieg, im Juli 1932 lösten die Nationalsozialisten unter dem späteren Diktator Adolf Hitler die SPD als stärkste Reichstagsfraktion ab.

Stölzl wehrte sich: "Den mir unterstellten Vergleich habe ich nicht gezogen", behauptete er. "Auf die Frage Vernunft oder Unvernunft bei Wahlen habe ich im Rahmen eines Interviews als Historiker natürlich auch auf geschichtliche Ereignisse zurückgegriffen." Stölzl gab aber zu: "Sollte ich mich wirklich missverständlich ausgedrückt haben, dann tut es mir selbstverständlich leid."  
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Kampfabstimmung gegen Möllemann

 
23.09.02 22:11
Jürgen Möllemann hat seinen Rücktritt vom Amt des stellvertretenden FDP-Vorsitzenden angekündigt. Liberalen-Chef in Nordrhein-Westfalen will er offenbar bleiben. Aber dort droht ihm nun eine Kampfabstimmung.

Düsseldorf - Vor Möllemanns Rücktritt war ihm noch gedroht worden: Sollte er nicht freiwillig zurücktreten, werde man einen Sonderparteitag einberufen, um ihn los zu werden, hatte die bayerische FPD-Vorsitzende Sabine Leutheusser-Schnarrenberger am Rande der Präsidiumssitzung in Berlin angekündigt.
Er wolle seiner Partei eine Zerreißprobe ersparen, sagte Möllemann nach einer Sitzung von Vorstand und Fraktion seiner Partei in Berlin. Er zog damit die Konsequenzen aus der Empörung der Partei über seine im Wahlkampf mehrfach betonte antiisraelische Haltung. Möllemann will sein am Sonntag gewonnenes Bundestagsmandat nach einer Übergangsphase niederlegen.

"Unsere Partei steht vor harten Auseinandersetzungen, die aber sinnvollerweise wieder mit dem politischen Gegner geführt werden sollten", sagte Möllemann. Er verwies auf die kommenden Landtagswahlen. Mit seinem Rücktritt wolle er der FDP ersparen, dass sie sich weiter mit sich selbst beschäftige. Noch am Abend des Wahlsonntags hatte das FDP-Bundespräsidium Möllemann aufgefordert, von seinem Amt als stellvertretender Bundesvorsitzender zurückzutreten.

Parteichef Guido Westerwelle bezeichnete den Rücktritt Möllemanns als konsequent bezeichnet. Er habe Möllemanns Verhalten missbilligt und dabei großen Beifall erhalten. Die FDP sei eine weltoffene und tolerante Partei und werde keine rückwärts gewandte Diskussionen und keine "Verunklarung ins Diffuse" zulassen.

Die politische Zukunft Möllemanns steht inzwischen auch auf Landesebene auf dem Spiel. Sein Stellvertreter Andreas Pinkwart forderte den Rücktritt. Das enttäuschende FDP-Ergebnis bei der Bundestagswahl sei maßgeblich auf die Irritationen des von Möllemann angezettelten Antisemitismusstreits zurückzuführen. Möllemann müsse daher auch im Land die Verantwortung tragen und die Konsequenzen ziehen, sagte Pinkwart am Montag in Düsseldorf. "Ich gehe davon aus, dass Jürgen Möllemann von sich aus den Beitrag leistet, die Chance für einen jetzt möglichen Generationswechsel mitzugestalten." Pinkwart sagte der "Kölnischen/Bonner Rundschau", er sei bereit, gegen Möllemann auf einem Sonderparteitag zu kandidieren, falls dieser sein Amt nicht freiwillig räume.

Am Abend beschloss der Landesvorstand in Düsseldorf, einen Sonderparteitag einzuberufen, auf dem Möllemann aus dem Amt gewählt werden könnte. Ein FDP-Sprecher sagte, der Beschluss sei auf Initiative des Landesvorsitzenden Jürgen Möllemann einstimmig bei einer Enthaltung beschlossen worden. Der Sonderparteitag solle für den 7. Oktober einberufen werden.

Möllemann hatte zuvor vor Versuchen gewarnt, ihn auch aus diesem Amt zu drängen. Wer diese Forderung erhebe, werde daran keine Freude haben.  
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Stratege verlässt PDS unter schweren Vorwürfen

 
23.09.02 22:12
Einer der wichtigsten Vordenker der PDS, Thomas Falkner, verlässt die Parteizentrale. Der 45-jährige Journalist war seit Anfang 1999 Chef der neunköpfigen PDS-Grundsatz- und Strategieabteilung im Karl-Liebknecht-Haus und hatte in den vergangenen Jahren maßgeblich den realpolitischen Kurs seiner Partei mitbestimmt.

Berlin - Bis zuletzt hatte er im vergangenen Bundestagswahlkampf für ein Mitte-Links-Bündnis geworben. Intern hatte er sich intensiv dem radikaloppositionellen Kurs von Parteichefin Gabi Zimmer widersetzt. Vor wenigen Wochen war er mit einem Strategiepapier an die Öffentlichkeit getreten, in dem er für eine rot-rot-grüne Option im Bund warb. Falkner bestätigte gegenüber SPIEGEL ONLINE seinen Wechsel in die Wirtschaft.

Dem PDS-Vorstand bescheinigte er, lange Zeit gegen die eigene Wählerschaft Wahlkampf gemacht zu haben. "Es war eine Illusion so zu tun, als könne die PDS ein eigenständiges Lager bilden - gleichermaßen gegen Rot-Grün und Schwarz-Gelb. Das haben uns nicht einmal unsere eigenen Anhänger abgenommen." Falkner warnte vor einer "Reideologisierung der Partei ". Es gebe Tendenzen in Richtung Neokommunismus. "Wenn die sich durchsetzen, verabschiedet sich die PDS von der Wirklichkeit."  
Quigley:

Stoiber und sein Problem mit der Realität

 
23.09.02 22:15
...

da hat er es noch nicht begriffen, dass er neben der PDS der größte Verlierer der Wahl ist.
Was hat er denn gewonnen?
CDU/CSU ist immernoch 2 stärkste Fraktion, er ist immer noch nicht Kanzler und an der Regierung ist er auch nicht.

Was hat sich denn geändert? Nüscht...eben.

ausser dass unser traditionsbewusster Auerhahn mit stolz geschwellter Brust etwas unbeholfen vom Parkett stolpert.

Gruß,

Quigley
Happy End:

Hamm-Brücher ist aus der FDP ausgetreten

 
24.09.02 13:05
Die Grande Dame der Liberalen, Hildegard Hamm-Brücher, hat ihrer Partei den Rücken gekehrt. In einem Brief an Parteichef Westerwelle begründete sie ihren Austritt.

München - Enttäuschung ist der Hintergrund für den Parteiausstritt der 81-jährigen Hamm-Brücher. Am Wahlsonntag schickte sie einen Brief an Parteichef Guido Westerwelle, in dem sie wahr machte, was sie bereits vor Monaten angedroht hatte: Den Austritt aus der Partei, der sie seit 1948 angehörte. Als Begründung nennt sie vor allem die antiisraelischen Äußerungen des inzwischen zurückgetretenen Parteivize Jürgen Möllemann. Westerwelle wirft sie mangelnde Führungsverantwortung vor. "Sie haben zu lange geschwiegen und dem Möllemann-Kurs nicht rechtzeitig Paroli geboten", heißt es in dem Brief. In einer zur rechten Volkspartei à la Möllemann gestylten FDP könne sie keine Spuren aufrechter Liberaler mehr entdecken, schreibt Hamm-Brücher weiter.

Bereits im Mai hatte sie sich in einem Schreiben an Westerwelle gewandt und mit deutlichen Worten kritisiert, dass Möllemann eine neue Variante von Antisemitismus salonfähig mache. Damals hatte sie geschrieben: "Ich schäme mich für meine Partei, dass dieser Eindruck überhaupt entstehen konnte, und dafür, dass er nicht entschlossen, aufrichtig und glaubwürdig zerstreut wird." Gegenüber SPIEGEL ONLINE hatte sie ihren Parteiaustritt bereits am Samstag angekündigt, wollte mit der Veröffentlichung dieser Tatsache aber bis nach der Wahl warten, um sich "mit Anstand aus der Partei zurückzuziehen".

Hamm-Brücher gilt vor allem im bürgerlichen Lager als Ikone der sozialliberalen Ära. Sie diente Hans-Dietrich Genscher als Staatsminister im im Auswärtigen Amt und kämpfte bis zuletzt gegen das Bündnis mit der Union - auch als die FDP schon längst mit CDU/CSU koalierte. Aus Protest gegen eine Koalitionsaussage der bayerischen FDP zu Gunsten der CSU war sie 1998 bereits aus der Landespartei ausgetreten und hatte seither ihre Beiträge direkt an den Bundesverband gezahlt. 1994 war sie als Bundespräsidentschaftskandidatin für die FDP angetreten.  
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Möllemann sucht den Machtkampf mit Westerwelle

 
24.09.02 23:13
Auf Bundesebene hat Jürgen Möllemann vorerst die Segel gestrichen und auf seinen Job als FDP-Vize verzichtet. Jetzt sucht er im Landesverband NRW den Showdown. Anfang Oktober heißt es auf einem Sonderparteitag der NRW-FDP: Möllemann oder Westerwelle.

Düsseldorf - Freundlich lächelnd bot der nordrhein-westfälische FDP-Chef Jürgen Möllemann am Dienstag seinem Kontrahenten Guido Westerwelle eine weitere Zusammenarbeit an. Den Liberalen in Nordrhein-Westfalen sei daran gelegen, dass er und der Parteichef über den aktuellen Dissens hinwegkämen und gemeinsam weiter am "Projekt 18" arbeiteten. Zudem gestand er den umstrittenen antiisraelischen Flyer, den er im Alleingang an fünf Millionen Haushalte in NRW verteilt hatte, als Fehler ein. Doch in seiner Hosentasche ist das Messer längst aufgeklappt. Er machte gleichzeitig klar, dass er sich auf keinen Fall als Alleinschuldigen des schlechten Wahlergebnisses sieht: "Niemand kann ernsthaft auf die Idee kommen, es gebe nur einen Grund."

Am 7. Oktober soll auf einem Sonderparteitag der nordrhein-westfälischen FDP, der auch Westerwelle angehört, über das politische Schicksal Möllemanns entschieden werden. "Der Kampf um den Landesvorstand hat mit dem heutigen Tag eingesetzt. Ich werde keinen Millimeter nachgeben", hatte Möllemann am Montagabend nach einer Sitzung des Landesvorstands erklärt.

Möllemanns Stellvertreter Andreas Pinkwart, der von Westerwelle unterstützt wird, hatte angekündigt, er sei bereit, für den Landesvorsitz zu kandidieren. Was Möllemann am Dienstag mit den Worten kommentiert: "Das kann ich zwar verstehen, aber ich kann dem nicht entsprechen."

In der Parteiführung hieß es, Westerwelle werde es auf dem Landesparteitag auf eine Machtprobe mit Möllemann ankommen lassen und alles auf eine Karte setzen: "Dann wird er den Delegierten klarmachen: Entweder er oder ich." Wenn Westerwelle dabei aber unterliege, werde er sehr beschädigt sein. "Wenn Möllemann sich durchsetzt, hat der Bundesvorsitzende ein großes Problem", sagte ein hochrangiges Parteimitglied. Die genauen Konsequenzen seien nicht absehbar. Ein Sonderparteitag auf Bundesebene sei aber wahrscheinlich. "Wir können nur hoffen, dass Westerwelle in den nächsten zwei Wochen gut handelt. Er muss jetzt endlich ein für allemal die Grabenkämpfe beenden." In Führungskreisen der Partei gilt es keineswegs als sicher, dass Westerwelle den Kampf zu seinen Gunsten entscheiden wird. Die Liberalen in Nordrhein-Westfalen seien sehr gespalten, hieß es. Möllemann habe nun nichts mehr zu verlieren und werde alles daran setzen, eine Mehrheit der NRW-Parteibasis hinter sich zu bringen. Die Spaltung der NRW-FDP zwischen Möllemann-Anhängern und -Kritikern gehe bis in die Kreisverbände hinunter. "Das ist eine bedrohliche Situation für beide Seiten."

Für Möllemann spreche, dass er nun zwei Wochen Zeit habe, seinen Landesverband auf Linie zu bringen, hieß es. Zwar sei auch dort die Empörung über Möllemann groß. Dies könne aber in zwei Wochen schon wieder anders aussehen. Auch die eher unauffällige Rolle von Möllemann-Herausforderer Pinkwart spreche nicht gerade für einen Machtwechsel in NRW. Auf der anderen Seite könne den Delegierten klar werden, dass nun mehr als nur der Landesvorsitz in NRW auf dem Spiel stehe.

Westerwelle hatte Möllemann für das unerwartet schlechte Abschneiden der Liberalen bei der Bundestagswahl verantwortlich gemacht und seinen Rücktritt als Parteivize erzwungen. Möllemann sieht sich zu Unrecht als Hauptschuldigen für die Wahlniederlage angeprangert und verwies wiederholt darauf, dass sein Landesverband das beste FDP-Ergebnis im Bund erzielt hat.  
Kritiker:

Aus einem FDP-board ...

 
24.09.02 23:40
... habe ich Beiträge gelesen, überwiegend von Jüngeren = etwa 4:1 für Mölli!!
Und den Gegenkandidaten - kannst doch in der Pfeife rauchen. Hier zeigt sich klar die wahre Führungsschwäche von W-welle; früher habe ich ihm mehr zugetraut. Aber das wird genau die Plattform, worauf er ausrutschen wird.
Ihm fehlt das nötige Format! Er merkt gar nicht, daß er schon verloren hat, bevor es los geht; denn Mölli kommt wieder - zum 3. mal!!! - Kritiker.
hjw2:

mümmelmann ist unkaputtbar, armes guido o.T.

 
25.09.02 01:22
Reila:

für mümmelmann gibts copyright by fjs,

 
25.09.02 01:25
wie ich heute erfahren habe. Leider irrte der.

R.
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Thüringens Justizminister wirft das Handtuch

 
25.09.02 15:48
Thüringens Justizminister Andreas Birkmann (CDU) hat seinen Rücktritt angekündigt. Sein Nachfolger, Ex-Justizstaatssekretär Karl-Heinz Gasser, soll bereits in zwei Wochen vereidigt werden.

Erfurt - Ministerpräsident Bernhard Vogel sagte in der Landespressekonferenz, Birkmann habe familiäre Gründe genannt und den Rücktrittswunsch seit mehreren Monaten geäußert. Nun habe er ihm stattgegeben. Birkmanns Nachfolger soll Karl-Heinz Gasser werden, der von 1990 bis 1994 Staatsminister im thüringischen Justizministerium war. Gasser sagte, er werde voraussichtlich am 11. Oktober im Landtag vereidigt.

Birkmann war seit 1999 in Vogels Kabinett. Zuvor war der 63-jährige Jurist Staatssekretär im Finanzministerium und Richter am Bundesgerichtshof.

In den vergangenen beiden Jahren war Birkmann mehrfach unter Druck geraten. Hunderttausende Akten der Staatsanwaltschaft hatten 2001 beim Umzug in das neue Justizzentrum ungesichert in einer Tiefgarage gelegen.

Im Jahr zuvor hatte Birkmann im Zusammenhang mit dem Subventionsbetrugs-Prozess um den Unternehmer Reiner Pilz den Wirtschaftsminister vor einer Durchsuchung gewarnt. PDS und SPD hatten personelle Konsequenzen gefordert.  
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Lambsdorff über Möllemann: "IST DER NORMAL?"

 
25.09.02 22:25
Immer mehr Politiker der Liberalen gehen auf Distanz zu Jürgen Möllemann. Der FDP-Ehrenvorsitzende Otto Graf Lambsdorff hat offensichtlich sogar Zweifel am Geisteszustand des zurückgetretenen Vizechefs seiner Partei.

Hamburg - Lambsdorff unterstützte die Forderung, Möllemann müsse auch als Landeschef der nordrhein-westfälischen FDP abtreten. Im DeutschlandRadio Berlin sagte er, Möllemann habe den Wahlkampf der Liberalen zerstört und die Bundesrepublik möglicherweise um einen Politikwechsel gebracht. Es sei nicht nachvollziehbar, dass Möllemann einerseits seinem Parteichef Guido Westerwelle eine Zusammenarbeit anbieten und andererseits im Magazin "Stern" die Führungsarbeit kritisieren konnte, sagte Lambsdorff. "Man fragt sich manchmal: Ist der Mann bei all seiner Begabung, bei all seinem politischem Geschick, ist der normal?"

Falls es Möllemann gelänge, seinen Posten zu behalten, wäre Westerwelle in seiner Stellung als Parteivorsitzender geschwächt, sagte Lambsdorff, der Möllemann als "tickende Zeitbombe" bezeichnete. "Was wir jetzt erlebt haben, hat der Partei so schwer geschadet, dass eine weitere Zusammenarbeit zwischen den beiden nicht möglich ist."

Nach Angaben des "Stern" soll Möllemann über Westerwelle gesagt haben: "Er hat schwere strategische Fehler gemacht und sich nicht getraut, Führung zu zeigen, Themen zu setzen und die dazu passenden Figuren nach vorn zu schieben... Westerwelle ist einfach zu dünn." Möllemann dementierte erneut: "Dieses Zitat ist nicht von mir. Es ist frei erfunden." Er halte dies für "vollkommen unverantwortlich" und erwarte eine Klarstellung von dem Magazin.

Möllemann-Herausforderer Pinkwart optimistisch

"Stern"-Autor Hans-Peter Schütz blieb bei seiner Darstellung. Er habe sich am 6. September mit Möllemann in Düsseldorf zu einem Mittagessen getroffen. Bei diesem Gespräch sei das Zitat gefallen. In der Berliner FDP-Führung hieß es, Westerwelle habe keine Zweifel, dass der "Stern" Möllemann korrekt wiedergegeben habe. Westerwelle sei zutiefst enttäuscht und entsetzt darüber, "dass jemand die menschliche Basis der Zusammenarbeit in dieser Weise zerstört".

Möllemann war auf Forderung des Parteipräsidiums nach der für die FDP enttäuschenden Bundestagswahl als stellvertretender Vorsitzender der Liberalen zurückgetreten. Hauptkritikpunkt war Möllemanns kurz vor der Wahl mit Flugblättern erneut gestartete antiisraelische Kampagne. Gegen den Widerstand Westerwelles will er FDP-Landeschef in NRW bleiben und stellt sich am 7. Oktober bei einem Sonder-Landesparteitag einer Kampfabstimmung gegen seinen Stellvertreter, den Wirtschaftswissenschaftler Andreas Pinkwart.

In diesem Zusammhang distanzierten sich auch seine Stellvertreterin im Landesvorsitz, Ulrike Flach, und das FDP-Präsidiumsmitglied Birgit Homburger von Möllemann. Das Versöhnungsangebot Möllemanns an Westerwelle sei ein taktisches Manöver, sagte Homburger. Es sei nur der Versuch, "sich vor dem Sonderparteitag in Nordrhein-Westfalen eine günstige Ausgangsbasis zu schaffen", sagte Homburger dem Konstanzer "Südkurier".

Flach sagte nach dem "Stern"-Artikel, sie werde auf dem Sonderparteitag Pinkwart unterstützen. "Es ist an der Zeit, einen Neuanfang zu wagen." Am Montag hatte Flach Möllemann noch mit den Worten unterstützt: "Die Basis liebt ihn." Pinkwart selbst gibt sich gute Chancen, Möllemann abzulösen. "Die FDP muss aus dem Zwielicht raus und eine weltoffene und tolerante Partei in der Mitte bleiben. Wir brauchen jetzt den Neuanfang", sagte er der "Rhein-Zeitung".
TK-ONE:

Lambsdorff

 
25.09.02 22:31
hat keine moralische Berechtigung für Kritik an Möllemann.
Lambsdorffs hat zuviel Dreck am Stecken.

TK
Schnorrer:

Interessant, HE: drehen jetzt alle durch?

 
25.09.02 22:51
muß ich wirklich innen Pott, wo's angeblich sicher ist (lt. rpz)?
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PDS rutscht in die roten Zahlen

 
26.09.02 14:38
Die Wahlniederlage erschüttert die PDS in ihren Grundfesten. Abgeordnete und Fraktionsmitarbeiter stehen vor dem Nichts. Der Partei drohen gewaltige finanzielle Problemen und die ihr nahestehende Rosa-Luxemburg-Stiftung bangt um ihre Existenz.


Berlin - Auf dem Rad war Täve Schur einst einer der Schnellsten. Nun drückt er auch beim Kistenpacken aufs Tempo. "Ich beschleunige das. Je eher ich hier rauskomme, desto besser", sagt der 74-Jährige und klaubt ein paar Akten zusammen. Vier Jahre saß die lebende Radsportlegende aus vergangenen DDR-Tagen für die PDS im Bundestag. Weil die "Linke Kraft" bei der Wahl aber vor der Fünf-Prozent-Ziellinie schlapp machte, muss Schur seinen Schreibtisch jetzt räumen. Das Schicksal teilt er mit seiner Fraktion und 200 Mitarbeitern. Viele stehen vor dem Nichts.

Täve Schur hat es eilig. Andere wirken paralysiert. Wie in Trance schieben Fraktionsmitarbeiter Unterlagen in den Schredder. Auf den Fluren stehen Umzugskartons, Bilder werden abgehängt. "Vier Prozent! Wie konnte das passieren? So lautet die immer wieder gestellte Frage. "Es gab Warnsignale", sagt Fraktions-Vize Wolfgang Gehrke. "In Frankreich, in Spanien, in Portugal, Italien - überall wurde die Linke abgestraft. Warum sollte das an Deutschland vorbei ziehen," fragt Gehrke, als spräche er von Blitz und Donner, von einem gewaltigen Unwetter.

Das Unfassbare in Worte fassen

"Desaster", "worst case" - so beschreiben PDS-Abgeordnete, was sich nicht beschreiben lässt, weil es so unerwartet über der Partei hereinbrach. Nur 1 915 797 Wähler gaben der SED-Nachfolgepartei ihre Stimme. In nur zwei von 299 Wahlkreisen langte es zur Mehrheit für den eigenen Kandidaten. Ihren Fraktionsstatus hat die PDS damit verloren. Dass es nicht reichen könnte für eine dritte Legislaturperiode im Parlament, damit hat niemand gerechnet. Oder nicht rechnen wollen. Lag es an der blassen Parteiführung? Oder an der "fehlenden Sinnlichkeit zu den Wählern im Osten", wie Wolfgang Gehrke glaubt, der stellvertretender Fraktionsvorsitzender ist und nun arbeitslos wird. "Einer von vier Millionen Erwerbslosen", wie er bitter hinzufügt, als sei er noch mitten drin im Wahlkampf.

Besonders hart trifft es jene rund 100 Mitarbeiter, die von den Abgeordneten eingestellt worden sind. Ihre Verträge sind befristet und laufen Ende Oktober aus. Einen Sozialplan gibt es nicht. Es bleibt der Weg zum Arbeitsamt. "Aussichtslos, sagt eine 53-jährige Fraktions-Angestellte. "Wer bei der PDS war, kriegt woanders keine Arbeit und im meinem Alter schon gar nicht."

Immerhin: Das Häuschen ist abbezahlt

Auch viele Abgeordnete wissen nicht, wie es weitergeht. Täve Schur ist da noch gut dran. "Ich bekomme 2400 Mark Rente, mein Häuschen ist abbezahlt", erzählt der 74-Jährige.

"Viele fallen einfach in ein tiefes Loch", sagt Petra Bläss. Die Noch-Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages sitzt in ihrem schmucken Büro im fünften Stock des Jacob-Kaiser-Hauses, redet und redet und findet doch kaum Worte. Seit 1990 sitzt sie im Parlament. Sie gehöre zum politischen Establishment, auch wenn ihr der Begriff nicht gefalle, sagt sie. Ihr Büro sieht aus, als sei am Wahlsonntag nichts geschehen. Die Akten stehen noch in den Schränken, die Bilder hängen noch, von Umzugskartons keine Spur. Jetzt bloß keine Auflösungserscheinungen. Das ist sie dem Amt schuldig. Und ihren Mitarbeitern. Am Donnerstag empfängt sie den polnischen Parlamentspräsidenten. Beinahe business as usal. Doch spätestens bis zum 22. Oktober muss sich der neue Bundestag konstituiert haben. So verlangt es das Grundgesetz. Dann ist Schluss für Petra Bläss. Und was kommt dann? "Im Fernsehen kann ich mich mit meiner Visage ja nicht mehr sehen lassen", sagt die ehemalige Redakteurin, die 1990 noch fürs DDR-TV arbeitete und lacht. "Galgenhumor", sagt sie dann.

Es trifft auch das soziale Milieu

Hinter den persönlichen Schicksalen stehen für die Partei nüchterne Zahlen. Im Karl-Liebknecht-Haus rechnen sie bereits mit spitzem Bleistift. Rund 600 000 Stimmen hat die Partei gegenüber der Bundestagswahl 1998 verloren - und pro Stimme 85 Cent. Soviel zahlt der Bund den Parteien an Wahlkampfkostenerstattung. Unterm Strich fehlen der PDS damit 510 000 Euro in der Kasse. Damit nicht genug. 6,3 Millionen Euro bekam die Fraktion im vergangenen Jahr an Zuschüssen. Die Fraktionsmitglieder verpflichteten sich pro Jahr 18 000 Euro zu spenden - an die Partei, an Regionalbüros, vornehmlich im Westen, aber auch für soziale und kulturelle Projekte wie Jugendlager oder Antifa-Konzerte. So erwischt es nicht nur die Partei, sondern auch ihr soziales Milieu.

Auch der intellektuelle Überbau steht plötzlich auf tönernen Füßen. Die parteinahe Rosa-Luxemburg-Stiftung fürchtet um ihre Existenz. Insgesamt 8,9 Millionen Euro bekommt die sozialistische Denkfabrik in diesem Jahr von verschiedenen Ministerien und vom Bundestag. Das Gesamtbudget beträgt 9,25 Millionen Euro. Ohne Zuschüsse ist die Stiftung am Ende. 48 Mitarbeiter und 350 Stipendiaten hängen an ihrem finanziellen Tropf.

Stiftungs-Sprecher Jörn Schütrumpf baut bereits vor, verweist aufs Bundesverfassungsgericht und einen "Präzedenzfall", wie er es nennt. Als die Grünen 1990 den Einzug in den Bundestag verpassten, sei die Heinrich-Böll-Stiftung trotzdem weiter gefördert worden. Damals wählten Ost und West noch getrennt. Im Osten schaffte "Bündnis 90" allerdings mit sechs Abgeordneten den Sprung ins Parlament.

Rosa-Luxemburg-Stiftung bang um Zuschüsse

Laut Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes genügt der Staat seiner Neutralitätspflicht, wenn er "die dauerhaften, ins Gewicht fallenden Grundströmungen der Bundesrepublik Deutschland angemessen berücksichtigt". Was aber heißt dauerhaft? Und was ist angemessen? Die politischen Stiftungen haben sich darauf verständigt, dass der Maßstab für "Dauerhaftigkeit" und "Gewichtigkeit" die Stärkeverhältnisse sein sollten, die vier Bundestagswahlen widerspiegeln. Scheidet eine Partei aus dem Bundestag aus, soll die ihr nahestende Stiftung mindestens eine Wahlperiode lang Anspruch auf Zuschüsse haben. Darauf bauen sie bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Die Entscheidung liegt allerdings in der Hand des Parlaments, über die Vergabe der Mittel befindet der Haushaltsausschuss. Nicht ausgeschlossen also, dass die Stiftung den Gürtel zumindest enger schnallen muss.

So erschüttert die Wahlniederlage die Partei in ihren Grundfesten. Im Präsidialbüro schaut Petra Bläss wie verloren den Konferenztisch entlang. "Das kann doch alles nicht wahr sein", sagt sie. Es ist wahr, und die Folgen für die PDS sind noch längst nicht abzusehen.  
Happy End:

Möllemann: Dubiose Geschäftsbeziehungen

 
27.09.02 09:10
Jürgen Möllemanns angeblicher Erfolg als Arabien-Unternehmer ist eine Luftnummer. Real hingegen: eine anrüchige Geschäftsbeziehung nach Düsseldorf.
 
Harald Schumacher/Hans Jakob Ginsburg/DÜSSSELDORF. Die Düsseldorfer Achenbachstraße ist eine gute Adresse mit Villen und soliden Stadthäusern. Die Nummer 56 allerdings fällt deutlich aus der Reihe: lehmbraune Fassade, ungepflegter Vorgarten. Die Wohnungen, so berichten Mieter, befinden sich in sanierungsbedürftigem Zustand. Auch der Eingangsbereich wirkt vernachlässigt. Über einen der abgegriffenen Briefkästen hat jemand – wohl als Orientierungshilfe für den Briefträger – mit Kugelschreiber in Versalien „MOELMANN“ ins grau lackierte Holz geritzt.

Die Schreibweise stimmt nicht ganz. Hier residiert die Firma WebTec des Geschäftsmanns Jürgen Möllemann, der bis Anfang dieser Woche stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP war und – zumindest bis zum außerordentlichen Landesparteitag am 7. Oktober – NRW-Landesvorsitzender ist. Dank WebTec sei er „wirtschaftliche von der Politik völlig unabhängig“ und müsse „auf niemanden Rücksicht nehmen“, prahlte der liberale Luftikus in „Bild“: „Es läuft glänzend, ich könnte mich mit meiner Firma dumm und dusselig verdienen.“ WebTec bringe ihm mehr ein „als der Bundeskanzler verdient“. Das wäre im Jahr gut 300 000 Euro – ungefähr so viel, wie ihn das umstrittene Faltblatt kostete, das nun möglicherweise sein politisches Ende einleitete.

Doch was macht Möllemanns Firma? Ein Viertel seiner Geschäfte wickele er mit arabischen Ländern ab, erzählt der 57-Jährige, ein weiteres Viertel mit angrenzenden Staaten wie Iran, Kasachstan, Pakistan und Turkmenistan. Möllemann pflegt sein Image als Jürgen von Arabien seit langem. Dass der liberale Luftikus beste Beziehungen zu Ölscheichs pflegt, hat ihm die Öffentlichkeit ja stets abgekauft. Möllemann war in den Achtzigerjahren Staatsminister im Auswärtigen Amt, pflegte als „Minenhund“ des Chefdiplomaten Hans-Dietrich Genscher den brisanten Kontakt mit der arabischen Welt und ließ sich mit dem im Westen verfemten Jassir Arafat ablichten. Als Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler kultivierte der gelernte Volksschullehrer weiter seinen Ruf als Nahostexperte.

Israel-Angriff aus wirtschaftlichem Interesse?

Nachdem er 1993 sein Amt verlor und die „Wirtschafts- und Exportberatung Jürgen Möllemann Trade and Export Consult (WebTec)“ gründete, erschien es selbstverständlich, dass er groß im Geschäft sei als Vermittler zwischen deutschen Unternehmen und islamischen Ländern. Selbst seine Gegner glauben das: So argwöhnte Außenminister Joschka Fischer im Frühjahr, Möllemann verfolge mit den Attacken gegen Israel und den Vizevorsitzenden des Zentralrats der Juden, Michel Friedmann, wirtschaftliche Interessen im Orient.

Was aber wirklich passiert hinter den oft heruntergelassenen Rollläden des 125-Quadratmeter-Büros in Düsseldorf, bleibt schleierhaft. Die wenigen konkreten Angaben, die Möllemann dazu macht, halten einer Überprüfung nicht Stand.

So protzt Möllemann, er kassiere „manche Provision im siebenstelligen Bereich“. Die Wirtschaftsauskunftei Creditreform aber weist für WebTec unter der Registriernummer 505.0270568 selbst aufs Jahr gerechnet niedrigere Zahlen aus: 325000 Euro Umsatz für 1998, 250000 Euro für 2001, ähnliche Summen für die Jahre dazwischen. Mit Millionenprovisionen passen sechsstellige Umsätze schlecht zusammen. Die Zahlen von Creditreform seien „frei erfunden und falsch“, entgegnet Möllemann. Die richtigen will er nicht nennen. Creditreform hält dagegen: die Angaben stammten „vom Unternehmen selber“.

Er habe „drei feste und drei freie“ Mitarbeiter, behauptet Möllemann weiter, ein Araber sei darunter, dessen weitere Identität Geschäftsgeheimnis ist, ein ehemaliger deutscher Botschafter auch, von dem in der überschaubaren Gemeinde der Altdiplomaten allerdings keiner etwas weiß. Creditreform zählt hingegen eine einzige Angestellte bei WebTec.

Je näher man hinschaut, desto abstruser wirkt Möllemanns Story. Die Nachbarn in der Achenbachstraße sehen außer der Sek-retärin und dem Politiker („der grüßt nicht“) so gut wie nie jemanden ein- und ausgehen – auch keine Besucher. Seine Klienten, erklärt Möllemann dazu, „haben es nicht gerne“, wenn man sie sieht. Er fahre mit ihnen in die Tiefgarage und führe sie von dort aus ins Büro. Wenn das stimmt, muss es sich um Geschäftsleute der hartgesottenen Art handeln, jedenfalls nicht um anspruchsvolle Araber: Der Weg von der Tiefgarage ins Erdgeschoss führt vorbei an herumliegendem Müll und Altreifen, an toten Topfblumen, einem stillgelegten Auto mit fingerdicker Staubschicht und einem finsteren Kellerverschlag mit Lattentür.

An Sorgfalt fehlt es auch im Unternehmen. Über das Ausscheiden seines Prokuristen Klaus Geerdts 1999 hat Möllemann das Amtsgericht trotz gesetzlicher Verpflichtung nicht informiert. Ein Handelsregisterauszug über WebTec (Nummer HRA 12016) vom Sommer 2002 gibt Verhältnisse wieder, die seit drei Jahren überholt sind. Auch auf dem Briefkasten im Treppenhaus klebt noch neben dem WebTec-Schild der Name Geerdts.

So tun sich Welten auf zwischen der Selbstdarstellung des Nahostunternehmers und seiner bescheidenen Wirklichkeit. Zwar haben Geschäftsleute aus Saudi-Arabien oder den Vereinigten Arabischen Emiraten, die in Deutschland Handel treiben, fast alle von dem Politiker Möllemann gehört, der mit kurzer Unterbrechung seit 20 Jahren der Deutsch-Arabischen Gesellschaft (DAG) vorsteht. Aber der Geschäftsmann Möllemann? Fehlanzeige. Ein Araber aus hocharistokratischer Familie, der für sein Land in der Außenwirtschaft tätig ist: „Solche Mittelsmänner haben mit meinem Vater früher viel Geld verdient. Aber wenn ich heute in Deutschland etwas einkaufen will, gehe ich gleich zum Hersteller.“Der romantisch-schmierige Charakter des Orienthandels alter Art ist weit gehend passé. „Bei den verbleibenden Besonderheiten im Arabien-geschäft“, sagt auch Abdulaziz Al-Mikhlafi, Generalsekretär der Ghorfa Arabisch-Deutschen Vereinigung für Handel und Industrie, „geht es nicht um Beziehungen.“

Tragik des Unternehmers Möllemann

Das ist die Tragik des Unternehmers Möllemann: Als junger Mann bereiste er einen vormodernen Orient, wo manches europäische Schlitzohr als Vermittler zu Geld kam. Als Juniorminister durfte Möllemann da nicht mitmachen. Als er Anfang der Neunzigerjahre dann einstieg, hatten sich die Regeln geändert. Die große Unternehmensberatung wurde zur Fata Morgana.

Auch seine DAG leistet eher symbolische Dienste für den Wirtschaftsaustausch mit den Ländern unter dem Halbmond. Sie fungiert vor allem als Sprachrohr arabischer Positionen in der deutschen Nahostdebatte. Präsident Möllemann nutzt den 1000-Mitglieder-Verein, in dem keiner was zu sagen hat außer ihm selber, als Plattform für politische Statements. Dann und wann organisiert die DAG Unternehmerreisen in den Orient, meist mit honorigen Reiseleitern wie dem Journalisten Peter Scholl-Latour. Doch der ökonomische Nutzen der Besichtigungen von Kulturdenkmälern und der Politikertreffen ist gering. Ein Teilnehmer einer DAG-Reise nach Libyen im Jahr 2000 war enttäuscht, dass an den Terminen „nur wenige private Geschäftsleute teilnahmen“. Zur arabischen Wirtschaftselite von heute fehlt Möllemann offenbar der Draht.

Selbst bei Geheimdienstleuten, die sonst jeden Waschmaschinenexport nach Syrien registrieren, sind die WebTec-Dossiers leer. Pipelines, Flughäfen, Aufzüge: Egal, in welcher Branche und in welcher Region man recherchiert – den jeweiligen Insidern ist WebTec unbekannt. Möllemann nennt aus neun Jahren angeblich erfolgreicher Arbeit keinen einzigen Geschäftspartner: „Meine Kunden schätzen das nicht.“

Diskretion? Oder Geheimnistuerei mangels Masse? Letzteres glauben selbst Weggefährten des umstrittenen FDP-Politikers. Ein Unternehmer, der Möllemann seit zehn Jahren kennt und mit ihm in einem politischen Gremium sitzt, sagt: „Möllemann spielt nur Unternehmer. Jeder, der sich auskennt, lacht darüber.“ Möllemann wäre demnach in der Weise Unternehmer wie Karl May der Wüstenheld Kara ben Nemsi war: ein Hochstapler mit erzählerischem Talent. Doch wozu der Bluff?

Als er WebTec gründete, bekennt Möllemann, steckte er in einem „tiefen Loch“. Als Wirtschaftsminister war er zurückgetreten, weil er auf dem Briefpapier seines Ressorts eine Empfehlung für einen Verwandten unterschrieben hatte, der Einkaufswagenchips verkaufte. Mit der Selbstständigkeit rettete er sich aus der Psychokrise in einen alten Traum. Schon in den Achtzigerjahren hatte sich Möllemann als Zeitschriftenverleger („Twen“) versucht und war Mitinhaber einer PR-Agentur. 200000 Mark inklusive der Übergangsgelder steckte er angeblich in WebTec. Arabienkontakte waren scheinbar sein Kapital; mit Klaus Geerdts, früher Militärattaché an deutschen Botschaften in Nahost, hatte er einen kundigen Partner.

Nicht auszuschließen, dass damals die Geschäfte gut anliefen. Doch spätestens in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre wich die Substanz der Fantasie. Geerdts schied aus. Möllemann wurde wieder, zuerst in NRW, später auch in der Bundespartei, zum Motor der FDP. Seitdem garantieren ihm Pensionen und Diäten ein Monatseinkommen von rund 22 000 Euro aus öffentlichen Kassen. Angewiesen ist Möllemann auf unternehmerische Einkünfte also nicht.

„Mauer des Schweigens“

Dass er WebTec trotz flauer Geschäfte bestehen lässt, beflügelt die Fantasie der Beobachter. Möllemann ziehe um seine Geschäfte eine „Mauer des Schweigens“, stellt die Düsseldorfer „Rheinische Post“ fest. Und der „Spiegel“ findet WebTec undurchdringlich „wie eine Black Box“. Nordrhein-Westfalens FDP-Schatzmeister Andreas Reichel behauptet, sein Spezi Möllemann habe „einige Jahre sehr gut verdient, unter anderem in den Bereichen Logist, Bau und Energie bei Projekten in Russland und einer Finanzierungsberatung im Ruhrgebiet“. Klingt alles bombastisch, ist aber nicht nachprüfbar.

Wenn WebTec mehr als ein Potem-kin'sches Dorf sein sollte, dann könnte das an einem dubios anmutenden Geschäftsmann liegen, mit dem Möllemann enge Beziehungen pflegt: dem Düsseldorfer Kaufmann Rolf Wegener, der als Wohnsitz Monte Carlo angibt. Wegener vermietet in der Landeshauptstadt rund ein Dutzend einfacher Häuser. Zurzeit muss er sich gegen Vorwürfe eines Mitarbeiters aus Afrika wehren, den er neun Jahre lang für ein Taschengeld als Hausdiener beschäftigt haben soll. Der Düsseldorfer „Express“ betitelte den Fall: „Millionär hielt mich als Sklave“.

Wegener kassierte als Treuhänder einer panamaischen Briefkastenfirma 8,93 Millionen Mark, als Thyssen-Henschel 1991 drei Dutzend Fuchs-Spürpanzer nach Saudi-Arabien lieferte – ein Geschäft, das der gerade ernannte Bundeswirtschaftsminister Möllemann sehr unterstützte. 1996 spendete Wegener der NRW-FDP 300 000 Mark. Das vermutete Koppelgeschäft dahinter konnte aber nie nachgewiesen werden.

Möllemann hätte also Grund, zu diesem Businessman Abstand zu halten. Aber ihre Beziehungen scheinen enger denn je. Möllemann ist mit WebTec Wegeners Mieter – denn dem gehört das Haus Achenbachstraße 56. Beide betreiben das kleine Flugunternehmen MS Air in Münster, das Fallschirmspringer absetzt. Auch beim FC Schalke 04, wo Möllemann seit 1992 Aufsichtsrat ist, ist Wegener im Geschäft. Ein Aufsichtsratsmitglied bestätigte der WirtschaftsWoche, dass Möllemann seinen Freund dem Bundesligisten 1996 ans Herz legte: Wegener könne mithilfe einer saudischen Bank die Finanzierung der damals erst geplanten Schalke-Arena organisieren. Den Aufsichtsräten des Fußballclubs war die Möllemann-Monte-Carlo-Riad-Connection aber nicht geheuer.

Dennoch kam Wegener, so recherchierte die „Süddeutsche Zeitung“, mit Schalke ins Geschäft. Zu Wegeners diskreten Tätigkeiten gehört nämlich, obwohl er keine Lizenz als Spielervermittler besitzt, die Vermittlung afrikanischer Fußballer. 2001 sorgte er dafür, dass der Nigerianer Victor Agali von Rostock zu Schalke wechselte. Die Transfersumme betrug rund acht Millionen Mark, die Provision 250000 bis 500000 Mark. Den Gedanken, dabei habe er mitverdient, weist Möllemann von sich: „Ich bin doch kein Wahnsinniger.“ Ehrenämter und Geschäft verknüpfe er nicht miteinander.

Auch den Verdacht, Wegener habe die Kosten für Druck, Papier und Vertrieb jenes Faltblattes getragen, mit dem Möllemann erneut Scharon und Friedmann angriff und sich ins politische Abseits brachte, bestreitet der Politiker. Wer den Flyer finanziert hat, will er aber – wie gehabt – nicht sagen.  
Happy End:

Bundesrat stoppt Anti-Korruptionsgesetz

 
27.09.02 15:06
Die rot-grüne Koalition hat im von der Union dominierten Bundesrat eine empfindliche Niederlage erlitten. Die Länderkammer lehnte das geplante Anti-Korruptionsgesetz ab.

Berlin - Mit dem Nein des Bundesrats ist das Vorhaben der Regierung endgültig gescheitert. Die Koalition wollte mit dem Anti-Korruptionsgesetz erreichen, illegal arbeitende Firmen in einem Register zentral zu speichern und von öffentlichen Aufträgen auszuschließen.

Die Union ist nicht grundsätzlich gegen ein Korruptionsregister, fordert aber, dass nur solche Firmen aufgenommen werden, die unmittelbar der Bestechung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge überführt wurden. "Der Katalog der Straftaten geht weit über das Ziel der Korruptionsbekämpfung hinaus", kritisierte der bayerische Bundesrats-Minister Reinhold Bocklet (CSU). Die Regierung will dagegen auch Delikte wie Geldwäsche berücksichtigen.

Vor gut zwei Wochen hatte der Bundestag der zuvor vom Vermittlungsausschuss formulierten Gesetzesfassung mit der rot-grünen Stimmenmehrheit zugestimmt. Die Union hatte sich im Vermittlungsausschuss der Stimme enthalten, im Parlament dann aber gemeinsam mit der FDP gegen das Gesetz gestimmt.  
Nassie:

Da die Gedanken ja bekanntlich frei sind

 
27.09.02 15:10
kann sich jeder selbst überlegen, warum die Union gegen dieses Gesetz gestimmt hat.
Happy End:

Merz' Abrechnung mit Stoibers Strategie

 
27.09.02 19:01
Kaum vier Tage hielt die Geschlossenheit der Union. Als Erster meldete sich der in die zweite Reihe zurückgedrängte Ex-Fraktionschef Friedrich Merz mit einer harschen Kritik an der Wahlkampf-Strategie seiner Partei zu Wort, dann folgte Niedersachsens CDU-Landeschef Christian Wulff.

Konstruktive Opposition 2002-2006 800298
Unions-Fraktionschef Merz am Tag seines Rücktritts: "Fatale Entwicklung für die Union"  
 
Berlin - Noch am Montag, nach der Präsidiums- und Vorstandssitzung der CDU in Berlin, hatte Edmund Stoiber erklärt: "Nach wie vor sind wir der Gewinner der Wahl." Als der bayerische CSU-Ministerpräsident diesen Satz aussprach, war Unions-Fraktionschef Friedrich Merz bereits so gut wie abgemeldet - noch am selben Tag verkündete er seinen Rücktritt. Vier Tage später keilt der 46-jährige Rechtsanwalt in der Tageszeitung "Welt" zurück. "Nein, die Union hat am Sonntag eine schwere Wahlniederlage erlitten."
Was Merz artikuliert, wird von anderen Unionsmitgliedern ebenso gesehen - nur noch nicht so offen ausgesprochen. Die Posten in der Fraktion sind noch nicht alle verteilt.

Der Sauerländer, der zu Gunsten der CDU-Parteichefin Angela Merkel sein Amt zur Verfügung stellte, kann seinen Ärger über Stoiber in diesen Tagen kaum zurückhalten. Am Dienstag, nach der Wahl Merkels zur neuen Fraktionschefin, war auf den Fluren des Reichstages der Zorn des Verdrängten auf den CSU-Chef ein Thema unter den Unionsabgeordneten.

Merz, so hieß es, fühle sich vom Kanzlerkandidaten im Stich gelassen. Dieser hatte im Vorstand der CDU für Merkel als neue Fraktionsspitze plädiert - und damit das politische Ende des bis dahin loyalen Fraktionschefs eingeleitet. Zusätzlich demütigend musste es für Merz sein, wieder als einfacher Abgeordneter "ins Glied zu treten", wie ein hochrangiger CDU-Politiker gegenüber SPIEGEL ONLINE erklärte. Künftig wird Merz, der sich in den neunziger Jahren als Finanzexperte der Fraktion einen Namen gemacht hatte, nun noch im Rechtsausschuss mitarbeiten. Ein Trost bleibt ihm: Sein nordrhein-westfälischer Landesverband schlug ihn für das CDU-Präsidium vor. Dort wird er dann künftig in Sitzungen regelmäßig auf Merkel treffen.

Konstruktive Opposition 2002-2006 800298
Merz und Stoiber: Die Wut über den CSU-Chef sitzt tief
 
Ohne Stoiber namentlich zu nennen, ließ Merz in der "Welt" vom Freitag seiner Enttäuschung über das Abschneiden der Union freien Lauf. Doch auch so war klar, wer gemeint war. Man müsse "über die strategische Ausrichtung der Union insgesamt sprechen", forderte Merz. Und: Die Union müsse "wieder unterscheidbarer von den Sozialdemokraten werden". Fast wie ein Angriff auf den Stoiber-Berater Michael Spreng klang der Satz, wer "immer nur mit dem Zeitgeist segelt, dessen Weg wird von anderen bestimmt". Spreng hatte - zum Ärger mancher in der Union - maßgeblich Stoiber weichgezeichnet.

Auch was die Ausgangslager der Union angeht, fand Merz deutliche Worte. Während die CDU-Vorsitzende Angela Merkel am Montag sogar noch die schmalen Zuwächse ihrer Partei in Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Berlin (plus 1,9 Prozent, plus 1,5 Prozent und plus 2,2 Prozent gegenüber der Wahl 1998) herausgestrichen hatte, sprach der Ex-Fraktionschef Tacheles. Gerade in den Großstädten sei die Partei "praktisch nicht mehr vorhanden, überall nur die zweite, zuweilen die dritte Wahl". Das, schlussfolgert der enttäuschte Christdemokrat, sei "eine fatale Entwicklung für die Union".

Auch Altkanzler Helmut Kohl forderte zum Realitätssinn auf. Die Ergebnisse in den Ost-Ländern dürfe die Union nicht gelassen hinnehmen. Hier habe die Union schlechter abgeschnitten als "man erwarten konnte."

Wie Merz denken auch andere

Schonungslos beschrieb Merz das Erscheinungsbild von CDU und CSU: Weder erreiche die Union mit ihrer "im Kern richtigen Familienpolitik" die Frauen, noch gebe es unter der Kulturszene "bekannte Vertreter, die sich zur Union bekennen".

Wohl wahr. Kurz vor dem 22. September hatte die "Bild"- Zeitung auf einer ganzen Seite hundert Prominente zu ihrer Stimmabgabe befragt. Ergebnis: Der überwiegende Teil wollte für SPD oder Grüne stimmen - oder für den Konkurrenten der Union im bürgerlichen Lager, die FDP.

Auch das Nein zu einer deutschen Beteiligung an einem Irak-Krieg, den Schröder zu seinem Thema machte, war aus Merz' Sicht entscheidend für die Wahlniederlage der Union. "Wir hatten erkennbar keine Strategie, wie wir mit allen Eventualitäten umgehen, was wir für richtig und für falsch halten", so Merz.

In der Tat: Zunächst hatte sein Mentor Wolfgang Schäuble eine "angemessene" Beteiligung Deutschlands im Falle eines Uno-Mandats in Aussicht gestellt, dann ruderte kurze Zeit später Stoiber zurück und warnte vor einem Alleingang der USA. Um dann schließlich zwei Tage vor der Wahl mit einer missverständlichen Äußerung zur Nutzung von US-Stützpunkten in Deutschland für zusätzliche Verwirrung zu sorgen.

Angst vor Roland Koch

Nach der Wahlniederlage - CDU und CSU erreichten zusammen 38,5 Prozent, und das auch nur wegen des sehr guten Ergebnisses in Bayern - beginnt in den Reihen der Funktionsträger der allgemeine Katzenjammer. Die Aussicht, vier weitere Jahre in der Opposition zu sitzen, liegt manchem schwer auf dem Gemüt. Zwar beschwor Stoiber zu Wochenanfang noch, die Regierung werde binnen zwei Jahren zusammenbrechen, doch so recht glauben mag das wohl niemand.

Auch die Versicherung der Partei- und Fraktionschefin Merkel, Stoiber werde dann wieder Kandidat sein, klang eher pflichtschuldig. Viel stärker als Rot-Grün blickt mancher in der Union auf die innerparteiliche Konkurrenz am rechten Flügel. "Im Februar muss erst einmal eine Wahl gewonnen werden", sagt ein CDU-Mitglied - und spielt auf die Zukunft von Hessens Ministerpräsidenten Roland Koch an. Der, wird von manchem Christdemokraten befürchtet, könnte mit einem stramm konservativen Wahlkampf die Geschlossenheit der Union auf die Probe stellen - insbesondere des liberalen Flügels um Merkel.

Wulff rechnet ebenfalls ab

Konstruktive Opposition 2002-2006 800298
Niedersachsens CDU-Chef Wulff: "Wachstum allein ist den meisten gar nicht wichtig"
 
Wie künftige Erfolge erreicht werden, darüber herrscht trotz aller zur Schau gestellten Geschlossenheit keine Einigkeit in der Union. Vorsichtig werden erste neue Akzente gesetzt. Auf einer Tagung der Konrad-Adenauer-Stiftung tadelte Niedersachsens Landeschef Christian Wulff schon einmal wesentliche Teile der Stoiber-Strategie. Kandidat Stoiber, betonte Wulff zunächst pflichtbewusst am Freitag, habe einen "glänzenden Wahlkampf" geführt. Doch dann griff er einen Kern des Stoiber-Wahlkampfes an: dessen Plädoyer für Wirtschaftswachstum. "Wachstum allein ist den meisten gar nicht wichtig und bedeutet ihnen nichts", interpretierte der hochgewachsene Niedersachse die Befindlichkeiten der Wähler.

Stattdessen forderte Wulff eine Hinwendung zu weicheren Themen. Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Erziehungsprobleme, die Vereinsamung von alten Menschen, Schutz von Kindern und Kultur seien Felder für die Union. Wenigstens in dieser Frage sind sich Merz und Wulff einig. "Wir müssen", appellierte der frühere Fraktionschef in seinem wohl letzten großen Interview vor dem Abgang in die zweite Reihe, " heraus aus der reaktiven Haltung".

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,215913,00.html
Happy End:

PDS: Die Selbstzerfleischung geht weiter

 
01.10.02 00:00
Die PDS streitet weiterhin heftig über Konsequenzen aus dem Debakel bei der Bundestagswahl. Zu sehr in den Westen geschielt habe die Partei, meinen die einen, das Führungspersonal habe keine Ausstrahlung, glauben die anderen.

Berlin - "Einige der Wähler hatten das Gefühl, es geht der PDS vor allem darum, neue Stimmen im Westen zu gewinnen", sagte die direkt gewählte PDS-Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch, die neben Petra Pau die einzige Abgeordnete ihrer Partei im Bundestag ist, der "taz".
Ex-PDS-Wahlkampfleiter André Brie sagte der Zeitschrift "Super Illu", die Partei müsse ihre gesamte Arbeitsweise, Organisation und ihr Erscheinungsbild grundlegend verändern. "Schafft sie das nicht, verschwindet sie als bundespolitischer Faktor", sagte der Europaparlamentarier. Die PDS habe personell Schwächen, "vor allem in der Ausstrahlung". PDS-Chefin Gabi Zimmer hatte derweil am Wochenende gefordert, "mit der PDS und nicht in erster Linie über die Medien" über die Ursachen für die Wahlniederlage zu diskutieren.

Der ehemalige PDS-Vorsitzende Lothar Bisky sagte, die Partei habe vor der Wahl geglaubt, den Sieg schon in der Tasche zu haben. "Aber wir haben uns nicht in die Herzen der Ostdeutschen begeben können, haben nicht konkrete Lösungen für ihre Probleme angeboten." Dafür habe die Partei die Quittung erhalten.

Der Leipziger Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee (SPD) warnte seine Partei unterdessen vor der Aufnahme von PDS-Funktionären. "Der Adressat der SPD ist die PDS-Wählerschaft, weniger die Mitglieder und schon gar nicht die Funktionäre", sagte er der "Welt". Damit widersprach Tiefensee SPD-Vize Wolfgang Thierse, der PDS-Mitgliedern die Aufnahme in die SPD angeboten hatte.  
Happy End:

Stoiber knöpft sich Merz vor

 
01.10.02 00:02
Edmund Stoiber hält nichts von den Gedankenspielen innerhalb der Union über mögliche Koalitionen mit den Grünen. Der CSU-Chef warnte davor, nach der verlorenen Wahl künftige Strategien zu debattieren.

Konstruktive Opposition 2002-2006 802500
Hält nichts von Schwarz-Grün: Edmund Stoiber

München - Stoiber kritisierte das Verhalten des abgetretenen Unions-Fraktionschefs Friedrich Merz. Dieser habe mit seinem Vorstoß eine abweichende Haltung provoziert, die der Union im weiteren Wahlkampf schaden könne, sagte Stoiber. Er sprach sich zugleich dagegen aus, über Koalitionen mit den Grünen nachzudenken. "Die Grünen sind der natürliche Partner der SPD, nicht der Union", stellte der gescheiterte Kanzlerkandidat der Union klar. CDU und CSU müssten jetzt erst in aller Ruhe die Wahl analysieren, bevor sie eine Debatte über die künftige Strategie begönnen.
In der CDU war nach der Bundestagswahl ungeachtet von Appellen der Parteichefin Angela Merkel eine Debatte über die künftige Ausrichtung der Union entbrannt. Merz, den Merkel in der vorigen Woche als Fraktionschef ablöste, hatte am Freitag gefordert, die Union benötige ein klareres Profil. Mehrere CDU-Politiker wie NRW-Landeschef Jürgen Rüttgers brachten am Wochenende mögliche Bündnisse mit den Grünen ins Spiel.

Stoiber mahnte bei der CDU weitere Schritte an, um die Union zu stärken. Die CDU müsse ihre Mitgliederbasis in Ostdeutschland und ihre Organisationsstruktur insgesamt verbessern, sagte Stoiber weiter. Die CSU werde "ihre besondere Stärke" nach dem Wahlausgang aber nicht dazu nutzen, um die Schwester zu dominieren.

Der Grünen-Vorsitzende Fritz Kuhn lehnte die Annäherungsversuche von Teilen der CDU ab. "Wir stehen mit unserem frischen und kräftigen Grün als Jungbrunnen für eine alte und spießige CDU nicht zur Verfügung", sagte Kuhn nach einer Grünen-Vorstandssitzung in Berlin.  
Happy End:

MEDIENSCHELTE DER CSU

 
14.10.02 11:40
"Schröder war immer der Held!"

Die Schuld für die Unions-Niederlage bei der Bundestagswahl tragen die Medien, glaubt die CSU. Während Edmund Stoiber ironisch belächelt worden sei, hätten vor allem die TV-Stationen Gerhard Schröder hochgejubelt. So mancher in der CSU will ARD und ZDF am liebsten gleich den Geldhahn abdrehen.

Konstruktive Opposition 2002-2006 815403
Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) hat jetzt die Schuldigen für die Niederlage bei der Bundestagswahl gefunden
 
München - Keine drei Wochen ist die Bundestagswahl her, und schon haben die Unions-Strategen rund um München einen Schuldigen für die schmerzhafte Niederlage ihres Kandidaten Edmund Stoiber ausgemacht: Die öffentlich-rechtlichen Medien. Diesmal sind es jedoch härtere Vorwürfe, als dass Kanzler Schröder ein TV-Mann, ein Kameramagnet, aber eigentlich nur ein Schauspieler ist. Die CSU-Führung klagt über massive Benachteiligungen in der Wahlkampfberichterstattung der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender.
Der bayerische Innenminister Günther Beckstein kritisierte in der "Passauer Neuen Presse" die Porträts der Kanzlerkandidaten in der ARD. Die Berichte hätten journalistische Prinzipien verletzt: Gerhard Schröder sei hochgejubelt, Edmund Stoiber dagegen "angeblich ironisiert dargestellt" worden. Kurz vor der Wahl hätte man eine vergleichbare Darstellung erwarten können, sagte Beckstein.

Auch der Fraktionschef im bayerischen Landtag und designierte Nachfolger von Stoiber als bayerischer Landesvater, Alois Glück, sprach von einer massiven Parteinahme der ARD. "Wie es gelaufen ist, muss man die Legitimation der allgemeinen Rundfunkgebühren in Frage stellen." Der CSU-Medienpolitiker Markus Söder kritisierte auch das ZDF. Während Schröders Besuche in den Hochwassergebieten als Hilfe für die Betroffenen dargestellt wurde, seien Stoibers Visiten als Wahlkampf abgehandelt worden. Sogar die Puppen in der ZDF-Sendung "Frontal 21" seien einseitig ausgewählt worden, sagte Söder. "Schröder war immer der Held, Stoiber der Bösewicht."  
Happy End:

Wie konservativ darf's denn sein?

 
14.10.02 11:42
In der CDU/CSU ist ein heftiger Streit über den künftigen Kurs der Union entbrannt. Während sich CDU-Chefin Angela Merkel aus Konsequenz aus der Wahlniederlage für eine Liberalisierung ausgesprochen hat, warnt der brandenburgische CDU-Vorsitzende Jörg Schönbohm vor der Aufgabe konservativer Werte.

Konstruktive Opposition 2002-2006 815406
CDU-Chefin Merkel (im Juni): "Keinen Anlass zu großen Grundsatzdiskussionen"
 
Berlin - Merkels Forderung nach einem liberaleren Parteikurs hat die Union in zwei Lager gespalten. Während Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm im SPIEGEL vor dem "Verscheuern konservativen Tafelsilbers" warnt, verlangte die andere Seite im Sinne von CDU-Chefin Angela Merkel eine Modernisierung der Partei. Merkel will unter anderem mit Themen wie Umwelt- und Familienpolitik liberale Wählerschichten in den Großstädten erreichen.

Neben Schönbohm positionierten sich die Ministerpräsidenten von Thüringen und Baden- Württemberg, Bernhard Vogel und Erwin Teufel, sowie der rheinland-pfälzische CDU-Chef Christoph Böhr. Thüringens Regierungschef Vogel sagte der "Welt am Sonntag": "Ich kann nicht empfehlen, dass die Union von ihren Grundlinien abweicht und nach der Methode vorgeht: Wie hättet Ihr denn gerne, das die Union ist?" Böhr nannte die Aufgabe der Union "in dieser Gesellschaft für eine Politik zu werben, die nicht alles der Beliebigkeit anheim stellt". Die Grundfesten der Partei dürften nicht erschüttert werden, meinte auch Baden-Württembergs Regierungschef Teufel. Indirekt übte auch der Fraktionsgeschäftsführer Eckart von Klaeden und Fraktionsvize Hermann Kues Kritik an Merkel. "Es hat keinen Sinn, sich jetzt mal schnell liberal zu geben und beim nächsten Wahlergebnis das Steuer wieder herumzureißen", sagte er dem "Tagesspiegel am Sonntag". Kritik kam am Sonntag auch von der Schwesterpartei. CSU-Generalsekretär Thomas Goppel sagte der "Welt am Sonntag", wer "um des lieben Friedens oder der Anerkennung Willen Anbiederung" versuche, mache sich unglaubwürdig.

Hinter die CDU-Chefin und Fraktionsvorsitzende stellten sich dagegen die Ministerpräsidenten des Saarlands, Sachsens und Sachsen-Anhalts, Peter Müller, Georg Milbradt und Wolfgang Böhmer. Auch CDU-Vize Jürgen Rüttgers sprach sich für eine Modernisierung aus: "Auch das Konservative in der Union muss revitalisiert werden." Milbradt sagte der "Welt am Sonntag", er teile Merkels Auffassung, neue "Ziel- und Wählergruppen für die CDU erschließen" zu müssen. Merkel sei "die beste Gewährsträgerin dafür, dass auch bei den Themen Umwelt- und Familienpolitik ein besonderer Akzent gesetzt wird", erklärte Niedersachsens CDU-Chef Christian Wulff. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Böhmer betonte, dass bei der bisherigen Unions-Programmatik den Befindlichkeiten der Menschen "nördlich der Mainlinie" nicht ausreichend Rechnung getragen worden sei.

Merkel selbst betonte in einem am Sonntag vorab veröffentlichten Interview der Zeitschrift "Super Illu", das Wahlergebnis der Union biete "keinen Anlass zu großen Grundsatzdiskussionen". "Unsere Strategie im Wahlkampf war richtig und alternativlos," sagte sie. Am Freitag hatte Merkel allerdings verlangt, die CDU müsse in ihrer Forderung nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf und nach der Wahlfreiheit junger Frauen zwischen Lebensentwürfen glaubwürdiger werden.

CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer warnte angesichts der Strategiedebatte davor, an eine Auflösung der Gemeinschaft von CDU und CSU zu denken. "Die Geschlossenheit der Union ist auch in Zukunft Voraussetzung für unseren Erfolg", sagte Meyer der "Leipziger Volkszeitung". Auch Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) beschwor in NDR die Geschlossenheit der Union: Diese sei "auch in Zukunft notwendig. Wenn wir uns als Union streiten, dann haben wir überhaupt keine Chance, unsere Argumentation in die Gesellschaft hineinzutragen."  
Happy End:

Merkel: Das Jahrhundert der Christdemokratie

 
14.10.02 11:46
Die Frau umwehte offenbar der Hauch der Geschichte. Zwar hat die Union den Regierungswechsel verpasst, aber dennoch, so die CDU-Partei- und Fraktionschefin Angela Merkel, breche nun das Jahrhundert der Christdemokratie heran. Wie der Weg dahin aussehen soll, darüber wird derzeit in der Partei gestritten. Schwarz-Grün soll er jedenfalls nicht sein.

Berlin - "Ich bin der festen Überzeugung, dass wir vor einem christdemokratischen Zeitalter stehen", erklärte Merkel am Montag nach der dreistündigen Präsidiumssitzung. Die Union müsse mehr zu denen gehen, "die uns noch nicht ausreichend zuhören," umschrieb sie wolkig den Marsch zum Säkulum der Union. Sicherheit, Eigenverantwortung und Geborgenheit seien konservative Werte, für die die CDU stehe und die gerade in Zeiten des Wandels gefragt seien. Doch müssten diese immer wieder überprüft werden - genauso wie die drei Wurzeln, die Merkel unter der Fragestellung "Was ist christdemokratisch" benannte: "Sozial, liberal, christlich".
"Den Geist der Zeit prägen", lautete Merkels Formel am Montag in Berlin. Doch davon, das weiß die Vorsitzende, ist ihre Partei noch weit entfernt. Zunächst einmal betreibt die CDU Nabelschau. Eine tiefe Verunsicherung hat die Union nach der Wahl ergriffen, eine Suche nach der Frage, wo der Konservatismus noch zu verorten ist. Nicht zuletzt die Ergebnisse in den meisten Großstädten machen der Partei Sorge. In vielen Städten sei die Union nur noch zweite, ja dritte Wahl, stellte ernüchtert der von Merkel und CSU-Ministerpräsident Edmund Stoiber ins Abseits gedrängte Ex-Fraktionschef Friedrich Merz fünf Tage nach der Wahl fest.

Buhlen um die Stimmen der Städte

Merkel sieht das Problem - am Montag sprach sie von den Städten und nahm, eine kleine Verbeugung vor der CSU, ausdrücklich die Bundestagswahlergebnisse in München und Nürnberg aus. Hier zeige sich, wie auch in Großstädten Mehrheiten zu gewinnen seien. Nur mit welchen Themen - dies blieb auch Merkel schuldig. Als eine der ersten Maßnahmen kündigte sie am Montag einen CDU-Arbeitskreis "Städte" unter Führung des nordrhein-westfälischen Landeschefs Jürgen Rüttgers an.

Der frühere Bundesminister soll das Personal für das Gremium auswählen - sicherlich nicht ohne Zustimmung der Vorsitzenden, die ein Augenmerk darauf haben wird, wohin eine programmatische Neuausrichtung der CDU führt. Dass die CDU ausgerechnet bei den Frauen nicht ankommt, ist mittlerweile Allgemeingut in der Partei. Merz hatte nach der Wahl von einem im "Kern richtigen Familienprogramm" gesprochen - Merkel nannte es ein "exzellentes Programm", dessen Inhalte noch nicht ausreichend klar gemacht worden seien. Familie sei dort, wo Eltern für Kinder und Kinder für Eltern Verantwortung übernähmen, wiederholte sie einen Kernsatz des Unions-Programms. Die Ehe, so Merkel allerdings einschränkend am Montag, sei für die CDU nach wie vor die "verlässlichere Form" des Zusammenlebens, andere Lebensformen "respektiere" ihre Partei.

Spielereien mit Schwarz-Grün kommen Merkel nicht unrecht

Am Montag kleidete Merkel die Ablehnung schwarz-grüner Bündnisse in folgende Formel: Koalitionen mit den Grünen stünden "nicht auf der Tagesordnung". Das sei im Vorstand übereinstimmend festgestellt worden. Zumal, gab sie zu bedenken, eine solche Debatte "auch unsere Wähler verwirrt". Es hätten ja viele der CDU ihre Stimme gegeben, weil sie mit der Politik der Grünen nicht einverstanden seien, fügte sie hinzu. Doch Tagesordnungen, das weiß Merkel nur allzu gut, können sich auch wieder ändern. Spielereien mit Schwarz-Grün, wie sie jüngst vom CDA-Chef Hermann-Josef Arentz geäußert wurden, mögen ihr da gar nicht so unrecht kommen. Deuten sie doch letztlich an, dass mit Merkel das Pendel stärker zur Mitte ausgerichtet werden könnte.

Diesseits aller schwarz-grünen oder Modernisierungsüberlegungen gilt für Merkel: Sie muss parallel dazu die Geschlossenheit der Union wahren. Ob sie nicht Angst habe, das manche in der Union ihrem Kurs nicht mehr folgen könnten, wurde sie am Montag gefragt: "Überhaupt nicht." Nur das Zusammenwirken von katholisch und protestantisch geprägten Kräften, von Arbeitnehmerflügel und Wirtschaftsverbänden garantiere den Erfolg. "Gut sind wir immer nur dann, wenn wir geschlossen auftreten", stellte Merkel fest.

Diese Geschlossenheit wird, je ferner der Wahltag rückt, jedoch immer stärker auf die Probe gestellt. Im kommenden Jahr wählen die Bürger in Hessen und in Niedersachsen. Mit dem früheren Kohl-Vertrauten Roland Koch und dem Merkel-Anhänger Christian Wulff könnten sich zwei Wahlkampfkonzepte in der Union gegenüberstehen. Eines, das wie in Hessen auf die Fortsetzung der Koalition mit der FDP setzt, und eines, das die Möglichkeit einer Koalition mit den Grünen offen hielte.

Pflege des sozialen und liberalen Tafelsilbers

Dass schwarz-grüne Optionen innerparteilich nicht auf Gegenliebe stoßen, hatte erst am Wochenende Brandenburgs Landeschef Jörg Schönbohm deutlich gemacht. Auf dem Feld der Inneren Sicherheit, so der Ex-General und Innenminister in provokativer Zuspitzung, gebe es sogar mehr Überschneidungen der CDU mit der PDS als mit den Grünen. Schönbohm Unbehagens steht für den Teil der Union, die vor einer vorschnellen Aufweichung konservativer Werte warnen. "Gefühlsduselei" hatte der CSU-Generalsekretär Thomas Goppel vor kurzem derartige Forderungen von CDU-Politikern wie Arentz und Heiner Geißler genannt.

Merkel selbst ging am Montag in der Vorstandssitzung auf Vorbehalte gegen eine zu starke Hinwendung auf neue Wählerschichten mit dem Satz ein, ihr sei daran gelegen, dass "konservative Tafelsilber in vollem Glanz" erscheinen zu lassen. Sie fügte aber auch ausdrücklich hinzu, das heiße auch, dass "das liberale und soziale Tafelsilber gepflegt werden muss".  
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