In Krisenzeiten wie den vergangenen Wochen nimmt das Mitteilungsbedürfnis dabei deutlich zu.
Allein am 21. Januar, dem »schwarzen Montag«, als allein der Dax um sieben Prozent einbrach und die Aktienmärkte weltweit die höchsten Tagesverluste der vergangenen Jahre hinnehmen mussten, diskutierten die Nutzer dreimal so viel wie an normalen Tagen.
Auch das Finanzportal Ariva verzeichnete in keinem Monat mehr Seitenaufrufe als im Januar 2008.
Die da leiden, sind weniger Kleinanleger, die den Stand ihrer Depots einmal die Woche oder morgens beim Blick auf die Kursseiten überprüfen.
Vielmehr sind es Day-Trader und Zocker,
die Finanzportale semi-professionell nutzen und, immer auf eigene Rechnung, mit Wertpapieren handeln.
Unterm Strich haben die Onlinezocker wenig Aussicht auf Erfolg
»Sie fahren bewusst eine risikoreichere Strategie«, charakterisiert Markus Glaser vom Fachbereich Finanzwirtschaft an der Universität Mannheim diesen Anlegertyp und verweist auf eine Untersuchung seiner Universität über das Verhalten der Anleger bei einem der größten deutschen Onlinebroker.
»Sie kaufen und verkaufen, mit dem Ziel, eine maximale Rendite zu bekommen.«
Unterm Strich allerdings ohne Erfolg.
»Je mehr die Leute handeln, desto stärker schmälern Transaktionskosten die Rendite«, hat Glasers Team beobachtet.
Dieses Verhalten charakterisiert die Hälfte der Kunden des analysierten Onlinebrokers.
Unter der Annahme, dass rund ein Drittel aller Privatanleger hierzulande ein Konto bei einer solchen Direktbank unterhält, schätzt Glaser die Zahl der Internetzocker in Deutschland auf rund 15 Prozent aller Deutschen, die ihr Geld direkt in Aktien investieren.
Das wären mehr als eine halbe Million Menschen.
»Vor allem männlich und tendenziell jünger«, wie der Finanzmarktforscher ergänzt.
Diesem Profil entsprechen auch die rund 600 Kunden des Onlinebrokers Sino. Ingo Hillen, Vorstand des Düsseldorfer Unternehmens, zählt ausschließlich sogenannte Heavy Trader zu seinen Kunden – Anleger, die im Durchschnitt rund 400.000 Euro schwere Depots unterhalten und mit der Börse ihren Lebensunterhalt zu bestreiten versuchen.
Im vorigen Monat führte jeder der Extremhändler rund 270 Käufe und Verkäufe durch – 40 Prozent mehr als im Januar 2007.
Schön für die Brokerhäuser: Sie verdienen ihr Geld vor allem mit den Provisionen, die angesichts zunehmenden Handels auch und gerade in Zeiten fallender Aktienkurse zulegen.
Der Gewinn steigt mit jedem zusätzlichen Kauf oder Verkauf überproportional, denn die Fixkosten sind überschaubar.
Für Sino bedeutete dies im Januar ein 50 bis 60 Prozent höheres Ergebnis als im Dezember.
Für die Comdirect, die Direktbanktochter der Commerzbank, war der Januar der zweitbeste Monat in der 13-jährigen Unternehmensgeschichte.
Die Kunden handelten 75 Prozent mehr Wertpapiere als im Vormonat.
Ihr Depotvermögen nahm allerdings infolge des Börsenrutsches innerhalb eines Monats um eine Milliarde Euro auf 7,7 Milliarden Euro ab.
»Mich reizt es, in diesem Haifischbecken zu überleben«
Im letzten Monat habe er in fünf Crashtagen zirka 40 Prozent des Vermögens verloren, das er zuvor an der Börse aufgebaut hatte, sagt wallstreet : online-Nutzer »stephenk« im Gespräch.
»Viele tun so, als hätten sie an der Börse nur Erfolg«, erzählt er.
Da die Verluste solange nicht spürbar würden, bis sie durch Verkauf realisiert worden seien, litten viele Anleger unter einer Art Realitätsverlust, glaubt der ehemalige Philosophiestudent.
»Mich ärgert die überhöhte Rechnung der Handwerker an unserem Haus zunächst auch mehr als die Verluste an der Börse«, räumt er ein.
Für Glaser von der Uni Mannheim passt das ins Bild.
»Das Zockerverhalten kann nicht mit traditionellen Anlagezielen erklärt werden«, sagt er.
»Dahinter steckt der psychologische Wunsch, den Markt zu schlagen.«
Das bestätigt auch Jörg H. aus Düsseldorf.
»Die Börse ist Psychologie.
Letztlich kann man sich auf keine fundierten Grundlagen verlassen«, sagt der selbstständige Entwickler von Computerspielen, der nebenbei mit Devisen spekuliert.
»Das ist reines Zocken.
Doch selbst seriöse Banken spielen, wie der Fall der französischen Société Générale zeigt.
Welchen Unterschied gibt es da zum Spiel des Privatanlegers?«, fragt er. «
Auch »stephenk« will nicht resignieren.
»Warum über 100 Prozent Verlust weinen, wo man 1.000 Prozent gewinnen kann?
Mich reizt es, in diesem Haifischbecken zu überleben, auch wenn der Preis für den Kick, besser als die Masse sein zu wollen, Totalverlust heißt
.« Die Herausforderung sei, mit Vorständen und Börsenprofis mitzuspielen, die vom Start weg im Vorteil seien.
»Denn Analysten, selbst ernannte Gurus und Insider sahnen schon ab, bevor wir normalen Anleger die nötigen Informationen haben«.
Nicht nur im Netz klagen Anleger derzeit ihr Leid, auch die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) betreibt eine Art Kummertelefon.
Dort melden sich auch viele, die nicht zocken, aber von Banken schlechte Tipps bekamen.
Jetzt müssten die SdK-Berater »teils die Aufgaben eines Seelsorgers übernehmen«, sagt Sprecher Lothar Gries.
Viele lässt die Börse trotz negativer Erfahrungen nicht los. So schreibt der Onlinespieler »safaga«: »Es gibt noch Schlimmeres als Geld zu verlieren, nämlich die Gesundheit. Deshalb musste ich vor fünf Jahren das Zocken aufgeben – apropos: Weiß einer, ob es Optionsscheine zur HHLA gibt?«
DIE ZEIT, 14.02.2008 Nr. 08
Global Market Watch