Dax-Konzerne verbreiten plötzlich gute Laune
(34) Von Tobias Kaiser und Flora Wisdorff 13. Juni 2009, 10:04 Uhr
Krise? Welche Krise? Diese Einstellung scheint bei vielen Dax-Konzernen nach einer Umfrage von WELT ONLINE vorzuherrschen. Die 30 größten deutschen Unternehmen zeigen sich in der Wirtschaftskrise robust. Die Kurzarbeit wird bereits zurückgefahren. Nur vier Unternehmen haben Stellen abgebaut.
Für Flachbildschirme und Digitalkameras scheint selbst in der Krise noch genügend Geld da zu sein. Als jüngst die Elektrokette Saturn am Alexanderplatz in Berlin ihr bislang größtes Geschäft eröffnete, drängten sich Tausende kurz vor Mitternacht vor den verschlossenen Türen, um um 0 Uhr zu den ersten Kunden zu gehören und eins der begehrten Schnäppchen zu bekommen.
Die Deutschen kaufen derzeit recht unbeeindruckt von der Wirtschaftskrise weiter ein, das freut vor allem Handelskonzerne wie Metro. Den Essenern gehört Saturn, aber auch der Konkurrent Media Markt, die Real-Supermärkte und Kaufhof. Metro-Chef Eckhard Cordes sieht die Krise sogar als „Chance, für ein gesundes und finanzstarkes Unternehmen, die eigene Marktposition auszubauen“.
Metro ist eines der vielen Unternehmen aus dem Deutschen Aktienindex Dax, die die Krise noch nicht oder kaum trifft – und das sind erstaunlich viele, wie eine Umfrage der WELT unter allen Dax-Konzernen, die nicht zur Finanzbranche gehören, offenbart. Umsatzplus, Neu-Einstellungen und kaum Kurzarbeit – fast könnte man meinen, die größten deutschen Unternehmen machen ihre Geschäfte auf einem anderen Planeten. Und alle befragten Unternehmen, selbst die krisengeschüttelten, sind entschlossen, möglichst viele ihrer Mitarbeiter durch die Rezession mitzunehmen.
Bisher, so scheint es, konzentrieren sich Umsatzeinbrüche und Kurzarbeit eindeutig im verarbeitenden Gewerbe – und es könnte so bleiben. „Es besteht die Chance, dass die Krise in der Industrie bleibt“, glaubt etwa Gernot Nerb, Branchenexperte beim Ifo-Institut in München. Für die deutsche Wirtschaft wären das gute Nachrichten, denn immerhin rund 75 Prozent der deutschen Wertschöpfung kommen inzwischen aus dem Dienstleistungsbereich.
Der Dax spiegelt diesen Strukturwandel wieder. Zur Gruppe der 30 prominentesten deutschen Aktiengesellschaften gehören nicht nur vier Finanzdienstleister, sondern auch der Gesundheitskonzern Fresenius und dessen Tochter Fresenius Medical Care. Sie stellen Dialysegeräte her, produzieren Flüssignahrung und betreiben Kliniken. Beide erfreuen sich bester Gesundheit. Bei Fresenius legte der Umsatz im ersten Quartal um 15 Prozent zu. Der Konzern stellte 4600 Mitarbeiter weltweit ein und will im Laufe des Jahres weiter aufstocken.
Der Boom der Gesundheitsbranche scheint auch Bayer vor den schlimmsten Folgen der Krise zu schützen; der Pharma- und Agrochemiekonzern hat im ersten Quartal ebenfalls eingestellt.
Auch die Energieriesen RWE und E.on sind im ersten Quartal um zwölf Prozent beziehungsweise 14 Prozent gewachsen – E.on allerdings vor allem wegen Zukäufen. RWE hatte im ersten Quartal zudem noch 492 neue Mitarbeiter eingestellt. Der Umsatz von Henkel, dem Hersteller von Persil, Pritt und Schauma, legte um 3,1 Prozent zu.
Besonders erfreulich für die Mitarbeiter ist, dass selbst einige Unternehmen, die unter der Krise leiden, auf Kurzarbeit und krisenbedingte Entlassungen verzichten wollen. Offenbar fällt es den großen Konzernen leichter als Mittelständlern aus der Industrie, die Krise abzufedern.
Die Industrie-, Chemie- und Auto-Konzerne im Dax trifft die Krise allerdings im Moment mit voller Wucht: Bei MAN ist der Umsatz im ersten Quartal gegenüber dem Vorjahr um 27 Prozent eingebrochen, bei ThyssenKrupp um mehr als 25 Prozent und bei Salzgitter und BASF jeweils um 23 Prozent.
WELT ONLINE hat die meisten der 30 Dax-Konzerne gefragt, ob sie seit Beginn der Wirtschaftkrise Personal gestrichen haben, in welchem Umfang sie Kurzarbeit einsetzen und ob sie in den nächsten Monaten Entlassungen planen.
Doch selbst hier hält sich der Stellenabbau noch in Grenzen. Seit Beginn der Krise haben nur vier der 25 befragten Dax-Unternehmen in Deutschland Mitarbeiter krisenbedingt entlassen: BMW und Linde haben ihre Belegschaften weltweit um jeweils gut ein Prozent geschrumpft, Thyssen-Krupp sogar um 3,5 Prozent. Bei SAP in Deutschland mussten nur 60 von 15.000 Mitarbeitern gehen.
Bisher hat der Einsatz von Kurzarbeit in den besonders stark betroffenen Unternehmen Entlassungen verhindert. Acht Dax-Konzerne setzen im Moment stark auf verkürzte Arbeitszeiten, um Auftragsrückgänge abzufedern: BASF, BMW, Daimler, K+S, MAN, Siemens, Thyssen-Krupp und Volkswagen. Insgesamt haben die befragten Unternehmen im ersten Quartal rund 200.000 Beschäftigte in Kurzarbeit geschickt. Das betraf vor allem die Autobauer und Stahlproduzenten, allein bei Daimler arbeiteten nach Konzernangaben im Mai 57.000 Beschäftigte kurz. Bei Volkswagen verhinderte offenbar die Abwrackprämie Schlimmeres. Besonders sparsame, kleinere und vergleichsweise günstige Autos sind derzeit gefragt, das stützt die Wolfsburger, deren Produktpalette breiter ist als etwa die von BMW und Daimler, die vor allem teure Fahrzeuge anbieten. VW berichtete, dass die Zahl der Kurzarbeiter sich bereits im März auf 30.000 Beschäftigte halbiert habe und im April und Mai weiter auf wenige Tausende Beschäftigte gesunken sei.
Befragt wurden 25 Unternehmen: Adidas, BASF, Bayer, Beiersdorf, BMW, Daimler, Deutsche Börse, Deutsche Lufthansa, Deutsche Post, Deutsche Telekom, E.on, Fresenius, Fresenius Medical Care, Henkel, K+S, Linde, MAN, Merck, Metro, RWE, Salzgitter, SAP, Siemens, ThyssenKrupp und VW.
Von den übrigen befragten Unternehmen setzt nur Beiersdorf in nennenswertem Umfang auf Kurzarbeit: Bei der Klebstofftochter Tesa arbeitet jeder vierte Beschäftigte kurz. Bei zwei weiteren Unternehmen ist Kurzarbeit eher eine kuriose Marginalie: Henkel lässt 30 von mehr als 10.000 Mitarbeitern in Deutschland kurzarbeiten, die Deutsche Post 900 von 200.000.
„Noch hält die Kurzarbeit. Die Entscheidung darüber, ob es in der Industrie zu Massenentlassungen kommt, kommt erst im Herbst“, sagt Ifo-Experte Nerb. „Die Frage ist nun, ob die Industrie-Branche sich so schnell erholt, dass die anderen Branchen gar nicht erst infiziert werden.“
Es gibt aber Anlass zur Hoffnung: Die Exporte und die Industrieproduktion gingen zwar im April stärker zurück als erwartet, aber der Ifo-Geschäftsklimaindex aus dem Mai deutet darauf hin, dass sich selbst in der krisengeschüttelten Industrie die Stimmung verbessert. Die befragten Unternehmen rechnen in den nächsten sechs Monaten mit besseren Exportchancen und Personalplanungen deuten weniger auf Stellenabbau hin, ergab die Umfrage. Ralph Solveen, Volkswirt bei der Commerzbank, glaubt ebenfalls an eine Stimmungsaufhellung: „Gemessen an der Vergangenheit liefern alle wichtigen Frühindikatoren das verlässliche Signal, dass der Tiefpunkt des Wachstumseinbruchs erreicht ist. Die Talfahrt der Wirtschaft verlangsamt sich. Das bestätigt die Erwartung, dass die Wirtschaft sich ab dem zweiten Halbjahr wieder erholen wird.“
Wer wurde nicht befragt
Ausgenommen waren die fünf Finanzdienstleister im Dax: Allianz, Commerzbank, Deutsche Bank, Hannover Rück und Münchener Rück. Sie sind von der Krise in besonderer Weise betroffen, teilweise bekommen sie besonders weitgehende staatliche Unterstützung, so dass die Ergebnisse aus dem Sektor nicht besonders aussagekräftig wären.
Angesichts der besseren Stimmung warten die Unternehmen im Moment mit Entlassungen ab und setzen darauf, die Beschäftigten über das Konjunkturtief hinaus halten zu können. Einzig BASF, ThyssenKrupp und Linde wollen hierzulande in den kommenden Monaten Mitarbeiter entlassen – in welchem Umfang ist teilweise noch nicht klar. Adidas hat bisher nur im Ausland Beschäftigte krisenbedingt entlassen, auch bei SAP gab es krisenbedingte Entlassungen vor allem im Ausland.
Auch wenn andere Dax-Unternehmen zunächst auf Entlassungen verzichten wollen; Stellen streichen trotzdem viele von ihnen. Vier Unternehmen haben komplette Einstellungsstopps verhängt und besetzen Stellen die frei werden, nicht mehr neu. Durch diese Fluktuation schrumpft die Belegschaft der Deutsche Post jährlich um vier bis fünf Prozent. Zudem laufen Programme zum Stellenabbau, die vor Beginn der Krise geplant oder gestartet wurden, bei Henkel, Metro und Siemens weiter. Die Deutsche Telekom hat gerade solch ein Schrumpfprogramm beendet, „aber der Umbau geht weiter“, heißt es aus dem Unternehmen.