Die Energiewende scheint in einer Krise zu stecken. Unsere Gastkommentare zu diesem Thema haben zu einer lebhaften Diskussion geführt. In seinem neuen Beitrag kritisiert der Direktor des Energiewirtschaftlichen Instituts (EWI) die Rhetorik des Jahrhundertprojekts.
Ob August Heinrich von Fallersleben sich über das deutsche Projekt der sogenannten 'Energiewende' gefreut hätte? Immerhin hat Deutschland wieder eine Mission. Dieses Mal geht es um nichts weniger als die Rettung der Welt. Hehre Ziele für die Gestalt unseres Energiesystems sollen uns zu edler Tat begeistern. Und auch wenn wir nur ein Vierzigstel der globalen Energiewirtschaft sind, ist unsere Verantwortung gewaltig. Denn, so wird gesagt, "wenn es Deutschland nicht schafft, wer dann?" (Jeffrey D. Sachs).
Kritischen Beobachtern wird getrotzt statt ihnen zugehört. Denn nun halten wir in guter deutscher Tradition auf dem einmal eingeschlagenen Weg brüderlich zusammen. Die Energiewende sei "ein nationaler Konsens" (Winfried Kretschmann) und daher müssten sie "alle Menschen in Deutschland gemeinsam stemmen" (Peter Altmaier).
Die großspurige Rhetorik, zu der die "Energiewende" seit dem atomaren Raus-aus-den-Kartoffeln-Moment im März 2011 offensichtlich einlädt, hätte Herrn von Fallersleben sicherlich gut gefallen. Doch genau diese Grandiosität der Sprache steht einer aufgeklärten Debatte über die deutsche Energiepolitik im Wege.
Beim Wort genommen bezeichnet "Energiewende" den Übergang hin zu einer imaginierten Energie-Zukunft, in der erst Deutschland und bald darauf die ganze Welt vollständig auf die Umwandlung fossiler und nuklearer Energieträger verzichten werden. Darunter machen wir es nicht.
Diese radikale Vision begeistert viele Deutsche. Denn sie suggeriert ein Ideal der vorzivilisatorischen Unschuld, und sie beweist unseren Edelmut vor allen anderen Völkern auf unserem Planeten. Im Lichte solcher Hochherzigkeit verblassen ökonomische oder machtpolitische Erwägungen zu kleinmütiger Krämermentalität. Was zählt, ist die edle Tat: "Gutes" finanziell fördern (Wind, Photovoltaik, sonstige Energieeffizienztechnologien) und auf "Böses" verzichten (Nuklear, fossile Energieträger).
Doch in der realen Welt des Jahres 2015 haben die derart verteufelten Energiequellen immer noch global einen Anteil von über 90 Prozent am Energiegeschäft. Und auch im selbst ernannten Vorbildland zwischen Rhein und Oder-Neiße liegt ihr Anteil nur geringfügig darunter. Daher ist die idealistische, moralisch aufgeladene Teilung in "gute" und "böse" Energieträger für reale Energiepolitik ungefähr so hilfreich wie ein sortenreiner Pazifismus für eine erfolgreiche Außen- und Sicherheitspolitik. Oder wie die Vorstellung des natürlichen 'Endziels' einer 'klassenlosen Gesellschaft' für die gedeihliche Entwicklung von Wirtschaft und Gemeinwesen.
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