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Die Energiekonzerne sollen nach Ansicht der Bundesregierung unbegrenzt für ihren Atommüll haften
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Die Bundesregierung will die Energiekonzerne für Abriss- und Entsorgungskosten von Kernkraftwerken per Gesetz zeitlich nahezu unbegrenzt in Haftung nehmen. Mit einem Eil-Gesetz versucht Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) zu verhindern, dass sich große Energiekonzerne wie E.on oder Vattenfall durch Umstrukturierung aus der Verantwortung stehlen.
Offenbar befürchtet die Bundesregierung, dass die Atomkonzerne eine bestehende Gesetzeslücke ausnutzen und Fakten schaffen könnten. Denn völlig unüblich wurde der Referentenentwurf noch vor der Ressort-Abstimmung der betroffenen Ministerien bereits an "Fachkreise und Verbände" verschickt.
In dem Anschreiben wird ausdrücklich auf die "besondere Eilbedürftigkeit des Vorhabens" hingewiesen. Nur bis zum 9. September sollen die betroffenen Fachkreise Zeit haben, ihre Stellungnahmen zu dem Referentenentwurf abzugeben, heißt es dort: "Der anliegende Gesetzentwurf soll dem Kabinett möglichst noch im September 2015 vorgelegt werden."
Atomkonzerne könnten Fakten schaffen
Die Eile tut offenbar not: E.on hatte mit der gesellschaftsrechtlichen Zweiteilung des Konzerns Befürchtungen geweckt, die Konzernmutter könne das abgespaltene Unternehmen Uniper über kurz oder lang mit allen atomaren Folgekosten alleinlassen. Sollte Uniper scheitern, würden die atomaren Folgekosten der Entsorgung dann beim Steuerzahler hängen bleiben. E.on will die Aufteilung des Konzerns Anfang kommenden Jahres juristisch vollziehen.
Der schwedische Staatskonzern Vattenfall hat längst schon die vertragliche Verbindung zu seiner Deutschlandtochter gekappt – gerüchteweise mit dem Ziel, nicht mit schwedischen Steuergeldern auf ewig für die deutschen Pannenmeiler Krümmel und Brunsbüttel geradestehen zu müssen.
Das geplante Gesetz soll gewährleisten, dass Konzerne auch dann für den Abriss und die Entsorgung von Atomkraftwerken einstehen müssen, wenn sie die Betreibertöchter nach Inkrafttreten des Gesetzes abspalten oder den Konzern anderweitig umbauen, wie es E.on plant. Bislang gilt eine Nachhaftung von Konzernmüttern für ihre Töchter lediglich fünf Jahre.
Streit um Atommüll
Wohin mit unserem radioaktiven Abfall?
Doch die jetzt ausgebrochene Hektik könnte dem Gesetzgebungsprozess schaden. Denn der Referentenentwurf verlangt die unbegrenzte Haftung der Atomkonzerne "bis zum Abschluss der Endlagerung der nuklearen Abfälle". Und das kann dauern: Sollte sich die Suche nach einem Atomendlager wie bislang hinziehen, könnten noch 100 Jahre vergehen, bis der strahlende Abfall endlich unter der Erde ist – ein Zeithorizont, der in der Endlagerkommission des Bundes inzwischen völlig ironiefrei diskutiert wird.
Ob es rechtlich zulässig ist, Atomkonzerne auf so lange Zeiten zu verpflichten, ist durchaus unsicher. Denn zur Einrichtung eines nuklearen Endlagers ist laut Atomgesetz der Staat selbst verpflichtet. Scheitert der Staat aber wie in den vergangenen 40 Jahren auch weiterhin an seiner gesetzlichen Pflicht, ein nukleares Endlager zur Verfügung zu stellen, dürften für dieses Versagen wohl kaum die Energiekonzerne finanziell in Haftung genommen werden.
Eltern haften für ihre Kinder – auch Vater Staat?
"Eltern haften für ihre Kinder", hatte Bundeswirtschaftsminister Gabriel zwar die Logik des geplanten Gesetzes umschrieben. Ziel des Gesetzesvorhabens müsse es sein, "durch eine Neuregelung eine langfristige Nachhaftung für die nukleare Entsorgung zu gewährleisten und somit die Risiken für die öffentlichen Haushalte zu reduzieren".
Nur: Eltern sind immer zwei. Auch Vater Staat hat eigene gesetzliche Verpflichtungen für die Endlagerung atomarer Abfälle übernommen, die er nun nicht einfach einseitig auf die Konzernmütter abschieben kann. Dieser Auffassung ist jedenfalls Gabriels Parteifreund Garrelt Duin (SPD), Wirtschafts- und Energieminister in Nordrhein-Westfalen, der Heimat von E.on und RWE.
"Wir lassen die Unternehmen nicht aus der Haftung", sagte Duin, "aber der Staat wird auch nach Möglichkeiten suchen müssen, wie er Haftung mitträgt." Schließlich habe erst die Politik in der Nachkriegszeit den Weg in die Atomkraft geebnet.
E.on kündigt Verfassungsbeschwerde an
Eine Äußerung ganz im Sinne des Düsseldorfer Energiekonzerns E.on – der kündigte nach Bekanntwerden des Gesetzentwurfs schon mal Verfassungsbeschwerde an.
"Der Entwurf für ein sogenanntes Konzernnachhaftungsgesetz dürfte einer verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht standhalten", erklärte ein E.on-Sprecher. "Das gilt insbesondere für die vorgesehene zeitlich und betragsmäßig unbegrenzte Haftung. Sollte es in dieser Form verabschiedet werden, müssten wir aller Voraussicht nach Rechtsmittel einlegen."
Im Detail soll das neue Gesetz sicherstellen, dass Konzerne mit ihrem kompletten Vermögen zur Deckung der nuklearen Entsorgungskosten herangezogen werden können. Bedingung für eine solche Konzernhaftung ist, dass der Kraftwerksbetreiber von einem Mutterkonzern beherrscht wird. Eine Beherrschung liegt vor, wenn ein Konzern die Kapital- oder Stimmrechtsmehrheit an dem Betreiber hält oder diesen leitet.
Rückstellungen für den Abriss reichen nicht aus
Die vier bestimmenden deutschen Energiekonzerne und Atomkraftwerksbetreiber E.on, RWE, Vattenfall und EnBW haben Rückstellungen für den Abriss der Atomkraftwerke und die Lagerung ihres noch Tausende Jahre strahlenden Mülls von rund 38 Milliarden Euro angesammelt. In der Politik kommen immer wieder Zweifel auf, ob die Summe ausreicht.
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Atomausstieg
Rückstellungen der Energie-Konzerne sind nicht sicher
Der E.on-Konzern hat für 2016 eine Umstrukturierung angekündigt, wobei er sich in einen Öko- und einen Atomkonzern aufspalten will. Investoren zweifeln daran, dass die Aufspaltung noch Sinn ergibt, wenn die Bundesregierung eine unbegrenzte Nachhaftung der Konzernmutter vorschreibt. An der Börse gaben die Aktienkurse der Atomkonzerne nach Bekanntwerden des Referentenentwurfs nach.
"Der Gesetzentwurf löst nicht das grundsätzliche Problem", kritisierte der stellvertretende Fraktionschef der Grünen im Bundestag, Oliver Krischer: "Die Bundesregierung liefert weiter keine Antworten darauf, was passiert, wenn auch das Mutterunternehmen pleitegeht." Deshalb forderten die Grünen einen öffentlich-rechtlichen Fonds: "Nur so lässt sich sicherstellen, dass die über Jahrzehnte anfallenden immensen Atomkosten auch tatsächlich von den Verursachern getragen werden."
mit Reuters
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