Politiker schmeißen Spekulanten Geld hinterher
Interview mit Uni-Professor Hans-Peter Burghof von Regina Bruckner,
06. Oktober 2011 06:15
Warum mehr Banken gerettet werden als nötig und sich die Finanzindustrie darüber diebisch freut, erklärt Hans-Peter Burghof
Die Banken sind wieder Thema. Die EU zweifelt an ihrer Stabilität, die Bonität zahlreicher Institute wurde abgestuft, die Banken leihen einander wieder ungern Geld. Dabei wurden sie doch - so die Politiker-Aussagen - mit den Stresstests auf Herz und Nieren getestet. Wo es hapert erklärt Banken-Experte und Uni-Professor Hans-Peter Burghof im Interview.
derStandard.at: Seit der Lehman-Pleite 2008 schweben Bankenpleiten wie ein Damoklesschwert über uns. Wie dramatisch ist es wirklich?
Hans-Peter Burghof: An sich haben wir gedacht, die Banken wären jetzt besser vorbereitet. Sie haben mehr Eigenkapital, sie haben viele Risiken begradigt. Das Problem ist, dass jetzt ihre ganze Portfolio-Politik auf den Kopf gestellt wird. Ursprünglich waren Staatsanleihen die sicheren Anlagen. Aufbauend auf diesen ist man zusätzlich Risiken eingegangen.
derStandard.at: Die Bankenstresstests haben uns beschieden, dass die Institute überlebensfähig sind. Waren sie für die Katz?
Burghof: Ja, natürlich. Ein Stresstest modelliert ja immer nur ein bestimmtes Szenario. Sie können aber immer ein beliebig härteres Szenario konstruieren, das niemand überlebt. Der Stresstest ist nicht zu verstehen als "wir sichern uns gegen die schlimmste aller denkbaren Krisen ab." Das geht gar nicht. Er ist deswegen nur ein sehr grobes und eines von vielen Bankenaufsichts-Instrumenten und hilft nur sehr eingeschränkt. Diese Überhöhung der Stresstests in der öffentlichen Debatte ist offenkundig verfehlt.
derStandard.at: Wird die Welt auch durch Basel III nicht sicherer?
Burghof: Doch. Basel III und die Vereinbarung, dass der Bankenapparat insgesamt mit mehr Eigenkapital versorgt werden soll, ist eigentlich der einzige Lichtblick, den wir im Moment haben, auch wenn nicht jedes Element sachgerecht ist. Der kleine Haken ist nur, machen alle mit?
derStandard.at: Bei wem liegt das Hauptproblem?
Burghof: Bei den kleinen Staaten kann man immer sagen, entweder ihr macht mit, oder ihr spielt nicht mit. Es gibt aber einen großen Partner, bei dem wir das nicht sagen können. Das sind die USA. Dort gibt es massives Lobbying gegen Basel III. Eine Aussage des Chefs von J.P.Morgan Chase lautet, dass Basel III antiamerikanisch sei und dass es amerikanisches Interesse sei, Basel III nicht zu befolgen. Es ist immer eine sinnvolle Strategie, wenn alle anderen sich durch Regeln binden und man selbst sich dann eine so genannte Regulierungsarbitrage verschafft, indem man sich nicht bindet. Nur nach diesem Prinzip wird man nie zu einem stabilen Finanzsystem kommen. Wenn wir uns da nicht einigen können, haben wir keinerlei Reform und keinerlei Konsequenzen aus der Krise gezogen, die in irgendeiner Hinsicht produktiv und positiv wären.
derStandard.at: Zurück zu den Staatsanleihen. Die EU zweifelt massiv an der Stabilität der Banken in Europa. Wie riskant sind für die Institute die Staatsanleihen?
Burghof: Viele von ihnen sind sehr riskant. Das führt dazu, dass man eigentlich viel zu viele für ein optimales Portefeuille einer Bank, die ja sehr sicher sein sollte, hat. Viele Banken, vor allem solche, die vorher schon in Schwierigkeiten waren, haben ein sehr starkes Übergewicht an solchen Staatsanleihen. Die sind jetzt zum Bedrohungsfaktor geworden.
derStandard.at: Gerade eben wurde Italiens Bonität wieder abgestuft. So wie die Lage in vielen Schuldenstaaten ausschaut, wird sich da wohl nicht so schnell sehr viel ändern?
Burghof: Diese Krise wird noch eine ganze Weile schwelen, vor allem weil es eine abgeleitete ist. Die Hauptkrise ist eine der Staatsfinanzen. Die Konzepte, die Europa im Moment verfolgt, um sie zu lösen, sind offenkundig nicht zielführend. Sie verschaffen uns nur Zeit. Der Glaube der Politik, dass das Problem einfach irgendwie verschwindet, wenn nur genug Zeit vergeht, egal wieviel das kostet, ist falsch.
derStandard.at: Denken Sie nicht, dass man damit spekuliert, Griechenland in eine kontrollierte Insolvenz zu schicken, wenn die Zustimmung zum erweiterten Rettungsschirm in den Nationalstaaten abgesegnet ist?
Burghof: Darauf hoffe ich sogar sehr. Das ist das einzige, was Sinn macht. Die gegenwärtige Situation ist ja, dass wir immer mehr Geld vergraben, das wir nie wieder zurückbekommen werden.
derStandard.at: Das war in der Vergangenheit nicht anders, was ist jetzt daran so schlimm?
Burghof: Im 19. Jahrhundert wurde ein solches Land teilweise unter Zwangsverwaltung gestellt. Das war auch in Griechenland der Fall. Da wurden eben bestimmte Staatseinnahmen von einer internationalen Behörde quasi verwaltet und sofort den Gläubigern zugeführt. Das ist eine Form von Gewaltanwendung gegenüber souveränen Staaten, die wir so nicht mehr betreiben können. Unsere Möglichkeiten, solche Schulden einzutreiben, sind eigentlich noch viel schlechter als im 19. Jahrhundert. Damit müssen wir akzeptieren, dass Griechenland einfach pleite ist. Griechenland kann seine Schulden nicht bezahlen und die Bevölkerung will auch gar nicht. Der griechische Staat ist nicht mehr in der Lage, Maßnahmen im Kampf gegen die Schuldenkrise in der eigenen Verwaltung durchzusetzen. Was immer die Griechen uns zusagen, ist also vollkommen wertlos.
derStandard.at: Griechenland ist aber ökonomisch gesehen ohnedies ein Zwerg. Wieso berührt uns das überhaupt so?
Burghof: Zunächst einmal haben wir die berühmt berüchtigte Hebelwirkung. Allein mit Griechenland können wir gewaltigen Schaden anrichten. Aber gefährlicher ist, dass in Brüssel jetzt versucht wird, den Eindruck zu erwecken, den Rettungsschirm soweit ausbauen zu können, dass er sogar Italien retten kann. Man sagt: Er muss noch mehr Feuerkraft haben, sodass man mit ganz, ganz viel Geld auf den Feind schießen kann. Das ist eine sehr merkwürdige Vorstellung von der Funktionsweise von Kapitalmärkten. Mich erinnert sie immer daran, wie sich die Menschen die Funktionsweise von Vulkanen in Island vorgestellt haben. Da lauern irgendwo Drachen unter den Bergen und man muss nur mit starken Rittern dagegen antreten. Das ist vollkommener Blödsinn. So funktionieren Kapitalmärkte überhaupt nicht.
derStandard.at: Das Geld, das verschossen wird, ist also weg?
Burghof: So ist es. Die Leute, die in diesen Ländern investiert und gute Zinsen verdient haben und dann zum Beispiel ihre Staatsanleihen wieder überteuert zurückverkaufen können, haben etwas geschenkt bekommen. So einfach ist das.
derStandard.at: Mit anderen Worten: Die Politiker schmeißen ihrem erklärten Feind - den Spekulanten - noch Geld hinterher?
Burghof: Genau. Das Schlimmste dabei ist: Man nimmt den Druck der Kapitalmärkte von den betroffenen Ländern. Die Regierung Berlusconi agiert ja nur, wenn sie ganz kurzfristig Konsequenzen auf ein Fehlverhalten erfährt. Berlusconi ist es am Ende egal, was mit Italien passiert. Der wird irgendwo auf der Welt mit seinen Milliarden leben. Das einzige, was ihn interessiert, ist, was nächste Woche passiert. Wir nehmen den Hammer der Kapitalmärkte weg, indem wir sagen: Guck mal, da ist der Rettungsfonds, egal was die Kapitalmärkte machen, du wirst nicht Pleite gehen. Der Effekt ist vor allem einer: Es wird nichts passieren. Und Italien verliert immer mehr Zeit. Italien ist aber zu groß, um es irgendwie zu retten. Italien muss sich selbst retten.
derStandard.at: Wieso sind Sie so pessimistisch, Italien hat doch ein ambitioniertes Spargrogramm vorgelegt?
Burghof: Sicher. Das müssen sie aber erst umsetzen. Aber kaum war der Druck der Märkte weg, ist Berlusconi schon wieder dazu übergegangen, das Sparprogramm zu verwässern. Die Regierung Berlusconi ist wie ein ungezogenes Kind, das ein Gedächtnis von drei Minuten hat. Eine Bank hat einmal ausgerechnet, der Ersatz der Regierung Berlusconi durch eine seriöse stabilitätsorientierte Regierung würde unmittelbar den Spread zwischen Bundesanleihen und italienischen Anleihen auf einen Prozent senken.
derStandard.at: Zurück zu unseren Banken. Fällt Griechenland um, zieht es eine Menge Banken mit in den Abgrund, heißt es. Müssen wir wirklich alle Banken retten?
Burghof: Der Zusammenhang besteht leider wirklich. Wir haben ein systemimmanentes Versagenspotenzial bei den Bankenmärkten. Das ist auch an die Funktion der Banken selbst geknüpft. Möchte man das ausschalten, hat man keine Banken mehr. Dann haben sie vielleicht eine andere Institution, die leider sehr viel weniger effizient die Wirtschaft mit Kapital und vor allem mit Liquidität versorgt. Das Systemrisiko ist einfach da. Die Frage ist, wie man damit umgeht. Man kann verschiedene Verteidigungslinien machen. Zum Beispiel indem man sagt, wir schützen Banken vor allen Risiken, indem man Staatspleiten grundsätzlich verhindert. Das ist aber unendlich teuer.
derStandard.at: Das ist das, was die Europäer jetzt als Strategie verfolgen?
Burghof: Ja, und die Finanzindustrie freut sich darüber diebisch, weil da auch Banken gerettet werden, die überhaupt nicht in Gefahr sind. Man könnte einige Banken auch erhebliche Verluste tragen lassen. Einer Deutschen Bank tut zum Beispiel eine Griechenlandpleite weh, aber sie kann das locker wegstecken. Das gilt für die meisten deutschen Banken. Ich nehme an, dass das bei vielen anderen Banken Europas auch so ist. Die zweite Ebene ist, dass man tatsächlich die Banken, die bedroht sind, rettet. Das ist das, was wir in der Bankenkrise gemacht haben, indem einige Banken Eigenkapital bekamen. Das ist gezielter und deswegen deutlich weniger teuer. Die dritte Ebene ist das, was wir in Deutschland versuchen. Wir versuchen Banken in systemische und nicht systemische Teile zu spalten und nur diesen systemischen Teil zu retten. Das ist ein Experiment. Wir wissen nicht, ob das wirklich funktioniert. Irgendwo dazwischen sollten wir uns bewegen, die teuerste Lösung ist aber die schlechteste.
derStandard.at: An der These, dass all die Rettungsmilliarden, die in der Eurozone bereitgestellt werden, in hohem Ausmaß dazu dienen, einen Wall um die Banken zu bauen, ist was dran?
Burghof: Da ist was dran. Wobei sich unterschiedliche Interessen verbinden. Das ist bei den Südstaaten das Interesse der Politiker, an der Macht zu bleiben. Eine Regierung Berlusconi würde in einem italienischen Staat, der der vollen Marktkraft ausgesetzt ist, einfach weggewischt. In den nördlichen Staaten wie Frankreich oder Belgien sind hingegen wesentliche Banken betroffen. Deutschland hat eine andere Bankenstruktur. Wir haben sehr viele regionale Banken. Die politische Macht der wenigen großen ist auch ein bisschen eingeschränkter als in Frankreich. Das führt dazu, dass wir große Zweifel haben, ob wir wirklich retten sollen. Das System ist also hoch komplex und jede Entscheidung, die wir im Moment treffen, ist mit hohem Risiko verbunden.
derStandard.at: Was halten Sie von der Idee, dass angeschlagene Institute Kredite direkt vom Rettungs-Fonds EFSF bekommen?
Burghof: Wenn in einfachen Denkmodellen bestimmte Lösungen einfach nicht funktionieren, weil sie die falschen Anreize setzen, dann werden sie in einer sehr viel komplexeren Realität mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht funktionieren. Das gilt für das Konzept der Rettungsschirme. Wobei wir über die Auswirkungen der Rettungsschirme auf den Euro, die Währungsstabilität und auf die Reputation der EZB als Garant derselben noch gar nicht geredet haben. Der Schaden ist noch viel gravierender. Denn eigentlich ist der Euro der große Wechsel auf die Zukunft Europas. Wenn Europa sich in dieser Weise in eine Bananenrepublik verwandelt, wird der Euro zu einer Weichwährung, die als Reservewährung für die Welt und als Stabilitätsanker für Europa überhaupt nicht mehr taugt. (Regina Bruckner, derStandard.at, 6.10.2011)
Hans-Peter Burghof ist Professor am Lehrstuhl für Bankwirtschaft und Finanzdienstleistungen an der Universität Hohenheim und dort Prorektor für Internationalisierung und Wirtschaftskontakte. Im Oktober 2008 initiierte er gemeinsam mit weiteren Hohenheimer Professoren den Aufruf zur Finanzkrise: "Keine Wirtschaftskrise herbeireden".