Rot-Grün hat eine Chance, die Wahl wieder zu gewinnen
Grünen-Parteichef Fritz Kuhn über die Erfolgsbilanz und die Perspektiven seiner Partei in der Berliner Koalition
Die SPD muss sich im Wahlkampf klar auf eine Fortsetzung der rot-grünen Koalition festlegen, fordert Grünen-Parteichef Fritz Kuhn. Nur so lasse sich der derzeitige Negativtrend für Rot-Grün umkehren. Mit Kuhn sprachen in Frankfurt am Main die FR-Redaktionsmitglieder Astrid Hölscher und Daniel Riegger.
FR: Herr Kuhn, die Grünen haben sich von der Spontipartei zur Regierungspartei gewandelt, die preußisch-diszipliniert ihre Programmparteitage durchzieht - wo bleibt der Spaß an der Politik?
Kuhn: Also mir haben die Parteitage viel Spaß gemacht. Es war anders als sonst. Wir haben nicht zum Gaudium des politischen Gegners eine Zerstrittenheit zelebriert, die uns im Wahlkampf schwächen würde. Aber wir haben mit großer Freude an der inhaltlichen Arbeit beschrieben, wie die ökologische und soziale Reformpolitik der Grünen aussehen wird, warum wir zufrieden mit der Koalitionsbilanz sind und in der nächsten Koalition noch mehr wollen und deswegen beabsichtigen,mit einem besseren Ergebnis aus der Wahlauseinandersetzung herauszugehen.
War die Einigkeit nicht manchmal künstlich, weil taktisch klug schwierige Streitthemen ausgeklammert wurden?
Wir hatten einen großen Vorteil. Wir hatten im Februar ein Grundsatzprogramm beschlossen und dabei tatsächlich über die Richtung vieles klären können. Deswegen waren die Einigungen beim Wahlprogramm-Parteitag in Wiesbaden einfacher, ohne dass wir Formelkompromisse gemacht haben. Wir sind die einzige ökologische Partei in Deutschland. Wir denken europäisch. Wir haben einen Gerechtigkeitsbegriff, der Verteilungsgerechtigkeit, Zugangsgerechtigkeit und Generationengerechtigkeit umfasst. Und wir wissen: Den Sozialstaat muss man erneuern, sonst wird es ihn nicht mehr geben. Aber der Erneuerungsprozess darf nicht neoliberal gestaltet werden. Sondern die Grünen auch als Partei der sozialen Gerechtigkeit mit großem Modernisierungsanspruch müssen immer die Frage nach Gerechtigkeit und sozialem Ausgleich mit stellen.
Das klingt sehr sozialdemokratisch. Unterscheiden Sie sich da überhaupt noch von der SPD?
Wir unterscheiden uns sehr deutlich, weil wir - nehmen Sie den Arbeitsmarkt - ganz klar sagen: nur mit Veränderungen in der Sozialstaatspolitik, etwa beim Arbeitsmarkt mit der Schleifung der Teilzeitmauer können wir soziale Gerechtigkeit bewahren. Wer alles nur verteidigen will, der kann einen sozialen Anspruch nicht untermauern. Wir verstehen uns auch hier als Reformmotor.
Bei so viel Geschlossenheit muss man schon fragen: Was dürfen denn Grüne noch? Beim Demonstrieren gegen George Bush hört der Spaß auf, oder?
Da geht es nicht um Spaß. Unser Verhältnis zu den USA ist das der kritischen Solidarität. Bei aller Solidarität, zu der wir stehen, machen auch wir deutlich, was wir an der gegenwärtigen US-Politik für falsch halten. Wir haben eine Erklärung verabschiedet . . .
. . . in der die Demonstration nicht vorkommt . . .
. . . zum Beispiel ist es absolut falsch, dass die USA in der Klimaschutzpolitik dermaßen auf der Bremse stehen, wie sie es getan haben. Es ist absolut falsch, dass beim Internationalen Strafgerichtshof die Anerkennung nicht erfolgt ist. Das ist eine Schwächung der Völkergemeinschaft. Es dient auch nicht dem Kampf gegen den Terrorismus, wenn jetzt Irak mit einem Angriff bedroht wird. Solche Punkte werden wir anlässlich des Besuches des US-Präsidenten zum Ausdruck bringen, aber in einer Weise, die nicht die Politik, die Rot-Grün gemacht hat, dementiert.
Also lieber nicht demonstrieren?
Wir werden als grüne Bundespartei eine Kundgebung machen, auf der unsere Position klar zum Ausdruck kommt. Es gibt Grüne, die darüber hinaus an Demonstrationen teilnehmen werden, aber nicht mit Aufrufen die eigene Regierungspolitik in Frage stellen.
Die Umfragewerte für Rot-Grün sind miserabel. Jüngste Zahlen sehen die Sympathien für die Regierung nur noch bei 29 Prozent. Woran liegt es?
Umfragen sind das eine und was im September rauskommt, ist das andere. Rot-Grün hat eine Chance, die Wahl wieder zu gewinnen, wenn Rot und Grün voll zur eigenen Politik stehen, wenn klar herausgearbeitet wird, was die Erfolge, was die Vorhaben für die nächste Legislaturperiode sind. Und wenn richtig kämpferisch deutlich gemacht wird, was eigentlich die Gelben und die Schwarzen vorhaben. Die FDP hat beschlossen, die Staatsquote auf 33 Prozent abzusenken. Das bedeutet eine Kürzung der Staatsausgaben um 320 Milliarden Euro jährlich bei einem Haushaltvolumen des Bundes von 250 Milliarden. Das bedeutet die systematische neoliberale Zerschlagung unseres Sozialstaates und auch vieler Investitionen, die wir dringend brauchen. Wir sind im Moment als Grüne im Auftrieb. Wir haben positivere Umfrageergebnisse . . .
. . . aber die reichen noch nicht an die der FDP heran . . .
Abwarten. Ich setze darauf, dass wir mit unserer Mischung aus ökologischen und sozialen Politikvorschlägen für die nächste Legislaturperiode, und den starken Personen, die wir damit verbinden, zulegen werden. Die SPD kann die Wahl nur mit den Grünen zusammen gewinnen. Wenn die Vorstellung übrig bleibt, es gibt vielleicht doch andere Optionen und man kämpft nur auf das eigene Konto, dann wird es keine Chance geben.
Was sehen Sie als den größten Erfolg von Rot-Grün? Was haben Sie verändert, was sich fortzusetzen lohnt?
Wir haben die ökologische Modernisierung in Deutschland vorangetrieben, mit einer neuen Energiepolitik, dem Atomausstieg, mit einer neuen Landwirtschaftspolitik. Der zweite Punkt: Wir haben ungeheuer viele gesellschaftspolitische Reformen geschafft, die dieses Land ganz dringend gebraucht hat: Staatsbürgerschaftsrecht, eingetragene Partnerschaften, das Einwanderungsgesetz. Diese Punkte - und es kommt die Außenpolitik dazu, weil wir da einen positiven Aufbruch zu Stande gebracht haben - würden durch Schwarz und Gelb sofort ins Gegenteil verkehrt werden. Wir haben es zum Beispiel in der Landwirtschaft wirklich erreicht, dass bei Entscheidungen die Verbraucher mit am Tisch sitzen. Wir haben aber erst den Fuß in der Tür. Die neue Landwirtschaft durchzusetzen, dauert viele Jahre und die nächsten vier Jahre sind entscheidend, ob die Tür aufgemacht wird. Mit der FDP ginge das alles den Bach runter.
Siehe auch das FR Top-Thema
Quelle: www.frankfurter-rundschau.de/