08.08.2002 07:13
Kommentar
Schröders Job-Debakel
Wenn der SPD-Kanzler überhaupt noch Chancen auf den Amtserhalt hat, dann nicht wegen seiner wirtschaftlichen Bilanz, sondern eher trotz derselben.
(SZ vom 08.08.02) - Schlimmer hätte es für Gerhard Schröder kaum kommen können. 45 Tage vor der Bundestagswahl hat die Arbeitslosenzahl in Deutschland wieder die Vier-Millionen-Marke durchbrochen.
Exakt 4.046.900 bei den Arbeitsämtern registrierte Menschen – das liegt zwar nur knapp über der magischen Grenze, deren psychologische Bedeutung jedoch nicht zu unterschätzen ist.
Wieder am Anfang gelandet
Der Bundeskanzler, für den Jobs immer Chefsache waren, liegt bei der Beschäftigung in etwa wieder dort, wo er vor vier Jahren begonnen hat. Das entspricht der Wahrnehmung seiner Wirtschaftspolitik in weiten Kreisen der Bevölkerung.
Vielfach heißt es: Schwacher Start mit Lafontaine, starker Zwischenspurt mit Sparhaushalt, Steuer- und Rentenreform, schwaches Ende im Zeichen der ruhigen Hand.
Kein erfolgreicher Wirtschaftspolitiker
Wenn der SPD-Kanzler überhaupt noch Chancen auf den Amtserhalt hat, dann nicht wegen seiner wirtschaftlichen Bilanz, sondern eher trotz derselben. Zustimmung zu Schröder mag sich aus seiner persönlichen Ausstrahlung speisen oder Erfolgen auf anderen Politikfeldern.
Frei von jeder Parteilichkeit lässt sich sagen: Schröder gilt der großen Mehrheit der Deutschen nicht als erfolgreicher Wirtschaftspolitiker. Er selbst hält dieses Urteil angesichts der weltweiten Turbulenzen für unfair. Hat er recht?
Falsche Prognose noch kein Grund zur Abwahl
Eine Prüfung in vier Schritten, erstens: Bis zur Besinnungslosigkeit reitet die Opposition im Wahlkampf auf der missglückten Arbeitsplatzprognose herum.
„Wenn wir die Arbeitslosigkeit nicht signifikant senken, haben wir es weder verdient, wiedergewählt zu werden, noch werden wir wiedergewählt“, hatte Schröder im September 1998 gesagt und sich im Mai 2000 gar auf die Zahl von weniger als 3,5 Millionen Arbeitslosen festgelegt.
Das Ziel hat die Regierung eindeutig verfehlt, freilich hat sich die Konjunkturlage seitdem überraschend dramatisch verdunkelt. Der Bruch eines in Zeiten allgemeinen Überschwangs gegebenen Versprechens mag ärgerlich sein und imageschädigend, kann aber allein nicht ernstlich eine Abwahl rechtfertigen.
630-Mark-Jobs in Arbeitsplätze verwandelt
Zweitens jedoch beharrt Schröder darauf, zusätzliche Jobs geschaffen zu haben. So ist er auf 1,2 Millionen neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze stolz.
Die Zahl stimmt, nur handelt es sich in ihrer großen Mehrheit um ehemalige 630-Mark-Jobs. Von Beschäftigungsaufbau kann nicht ernsthaft die Rede sein.
Schweres Erbe des Vorgängers
Schröder verweist, drittens, auf das verhängnisvolle Erbe seines Vorgängers Helmut Kohl, das er habe abarbeiten müssen.
In der Tat hat der Langzeitkanzler zuletzt mehr präsidiert als regiert und viele Aufgaben unerledigt gelassen. Dafür allerdings ist er, zu Recht, mit Pauken und Trompeten abgewählt worden.
Schlusslicht selbst in den Boomjahren
Hilfsweise pflegt der Kanzler, viertens, auf die Weltlage zu verweisen, die allgemeine Konjunkturkrise, den Ausfall der US-Weltleitwirtschaft. Das Argument übersieht großzügig, dass Deutschland seit Jahren im Beschäftigungsranking hinten liegt.
Mindestens in den Boomjahren 1999 und 2000, als in den USA noch die Bären tanzten, hätte es auch der Exportnation Deutschland bestens gehen müssen. Aber selbst damals war man in der EU eines der Schlusslichter beim Wirtschaftswachstum.
Reformscheu vor einem Fass ohne Boden
Über die Jahre ist zwar jede Menge Geld in zweifelhafte Beschäftigungsfördermaßnahmen gepumpt worden, doch machten die Regierungspolitiker eine weiten Bogen um die verkrusteten Strukturen am Arbeitsmarkt, der eben alles ist (vor allem ein Fass ohne Boden), nur kein Markt.
Der Auftrag an die Hartz-Kommission ist ein klares Eingeständnis bisheriger Versäumnisse.
Opfer der eigenen Selbstüberschätzung
In der Summe ist der selbst ernannte Macher Schröder ein Opfer seiner Verblendung geworden, einer wie er könne mal eben die Erneuerung des Landes moderieren.
So wenig eine schnelle Kanzler-Intervention einen Industriekonzern retten kann, so wenig reichen ein paar locker moderierte Runden im Bündnis für Arbeit und der Smalltalk mit Konzernbossen aus, eine erneuerungsbedürftige Industrienation gegen die Stürme der Globalisierung wetterfest zu machen.
Hartz entpuppt sich als Wahlkampfmasche
Auch mit der vermeintlichen Wunderwaffe Hartz droht schon wieder alles falsch zu laufen.
Begann die Kommissionsarbeit noch mit mutigen Vorschlägen, werden alle weiter gehenden Ansätze – kürzerer Bezug von Sozialleistungen oder pauschalierte Auszahlung des Arbeitslosengeldes – längst wieder von den Gewerkschaften bekämpft.
Stattdessen präsentiert sich der angeblich gute Makler Hartz als waschechter Wahlkämpfer und bringt ständig neue und zunehmend abstruse Vorschläge in die Öffentlichkeit.
Unrealistische Vorschläge
Eine Mega-Anleihe von 150 Milliarden Euro soll Arbeitsplätze subventionieren – eine unrealistische und fatale Vorstellung. Für den Osten soll der beschlossene Solidarpakt II vorgezogen werden, obwohl niemand weiß, wo das Geld so schnell herkommen soll.
Bessere Vermittlungsleistungen der Arbeitsämter dagegen sind sicher sinnvoll, aber der Misere am Arbeitsmarkt wird man allein damit nicht Herr.
Schlechter Zeitpunkt für einheitliche Reform
Die Hartz-Kommission hat den gleichen Geburtsfehler wie das Bündnis für Arbeit: Die Politik will von den zahlreichen, gegensätzlichen Interessengruppen im Land umfassende Lösungen serviert bekommen.
Das wird nicht funktionieren. Für ein Reformkonzept aus einem Guss ist der Wahlkampfendspurt der denkbar schlechteste Zeitpunkt.
Quelle: www.sueddeutsche.de/index.php?url=/...ll/49949&datei=index.php