Seit Oktober 2003 sitzt Michail Chodorkowski in Haft - In einem Gespräch äußert er sich über die Vorwürfe und die Haftbedingungen
von Newsweek
Haben Sie damit gerechnet, daß sich Ihre Haft so lange hinziehen wird?
Michail Chodorkowski: Ja, das habe ich. Offen gesagt habe ich auch meine Verwandten und Freunde vorgewarnt. Sie meinten, ich wolle mich zum Helden machen, und glaubten mir nicht. Leider hängt die Länge meines Aufenthaltes im Gefängnis in vielem nicht vom Gericht, sondern von einigen Staatsbediensteten und ihnen nahestehenden Unternehmern ab, die Angst haben, ich könnte mich für meine persönlichen Leiden und für Yuganskneftegaz rächen. Das sind Leute mit einer kriminellen Psychologie. Sie beurteilen alle anderen genauso.
Wann werden Sie frei sein?
Chodorkowski: Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich dann, wenn die Staatsmacht Staatsmacht wird und das Gericht ein unabhängiges Gericht und nicht ein Mechanismus zur Umverteilung des Eigentums. Vielleicht in diesem Jahr oder auch niemals.
Warum hat die Staatsmacht beschlossen, Sie zu inhaftieren?
Chodorkowski: Ende Oktober 2003 hat man Präsident Putin belogen, indem man ihm sagte, ich würde von einem Tag auf den anderen Senator für die Ewenken-Region werden, und dann würden rechtliche Schritte gegen mich unmöglich. Deshalb nahmen sie mich auch am Samstag morgen im Flugzeug auf dem Flughafen von Nowosibirsk fest. Ich wollte tatsächlich in die Region, aber, und das ist jetzt allen klar, um die Wahl meines Freundes Wassili Schachnowski in den Föderationsrat zu unterstützen. Außerdem glaube ich, daß es für die Organisatoren des Angriffs auf Yukos wichtig war, eine Grenze zu überschreiten, um sich selbst und vor allem andere dazu zu zwingen, die Sache bis zum Ende durchzuziehen.
Würden Sie der Behauptung zustimmen, daß Ihre Inhaftierung die Rache des Kreml dafür war, daß Sie sich zu aktiv mit Politik befaßt und versucht haben, Ihre Leute ins Parlament zu bringen?
Chodorkowski: Teilweise. Ich persönlich bin Anhänger eines starken Staates, aber ich meine, daß ein starker Staat nicht in der gewaltigen Zahl und in den Vollmachten der Staatsbediensteten besteht, sondern im Vertrauen der Menschen, in der Fähigkeit, die besten Hirne zur Lösung gesellschaftlicher Aufgaben heranzuziehen und zu konsolidieren, in der Konkurrenz und gegenseitigen Kontrolle staatlicher und gesellschaftlicher Institutionen. Ich habe verschiedene Parteien und gesellschaftliche Institutionen unterstützt, weil ich überzeugt bin: Unser Land braucht verschiedene Meinungen und Ansichten, unser Land braucht eine Opposition, die nicht unter Kontrolle der Staatsmacht steht. Aber heute bin ich völlig davon überzeugt, daß der wesentliche Grund für den Fall Yukos der Wunsch einer Gruppe aus vier, fünf Leuten war, ein großes und erfolgreiches Erdölunternehmen zu besitzen. Die Politik benutzen sie als Vorwand, um die Führung des Landes davon zu überzeugen, die geballte Staatsmacht für die Umverteilung des Eigentums einzusetzen, wobei sie Gesetze ignorieren. So etwas Ähnliches hat es im vergangenen Jahrzehnt oft gegeben, aber nie war so ein großes Unternehmen Ziel des Angriffs. Und niemals vorher wurden Leute in so hohen Positionen zur Waffe.
Ist Ihre Verhaftung ein Beispiel für Unbeugsamkeit gegenüber der Staatsmacht, oder ist sie eine Folge von Fehlern, die Sie im Geschäftsleben gemacht haben?
Chodorkowski: Sowohl als auch. Wenn ich mich nicht geirrt hätte, dann hätten mir viel mehr Leute geglaubt und mich verstanden. Aber ich hoffe, daß ich es noch schaffe, ihr Vertrauen zu verdienen. Aber wenn ich nicht prinzipienfest wäre, säße ich nicht im Gefängnis, sondern im Ausland oder in den entsprechenden Empfangszimmern. Das wollte und konnte ich nicht. Früher ja, aber von einem bestimmten Moment an fühlte ich mich mehr als Staatsbürger denn als Geschäftsmann. Aus dem Gefängnis heraus hat man weniger Möglichkeiten zu sprechen, aber dafür werde ich wesentlich besser gehört. Wäre ich emigriert, hätte man mich als Oligarchen betrachtet, der ein großes Vermögen verschwendet und in den Pausen zwischen Tennis und Sauna über das Schicksal Rußlands schwätzt. Heute habe ich es physisch schwer, dafür kann mir niemand das moralische Recht zum Reden absprechen.
Vor zwei Jahren sagten Sie, daß die Staatsduma nicht nur die Ernennung, sondern auch die Absetzung des Premiers bestätigen sollte. Sind Sie noch dieser Meinung?
Chodorkowski: Die Frage muß viel weiter gefaßt werden. Das Land braucht die Konzeption eines neuen politischen Systems. Darüber muß noch viel nachgedacht werden. Ich meine, daß der Präsident als Garant der nationalen Stabilität über den politischen Bataillen stehen sollte. Und die Frist der präsidialen Vollmachten wird weniger wichtig, wenn eine Regierung, die von der parlamentarischen Mehrheit gebildet wird, für die Lenkung der Wirtschaft verantwortlich ist. Dem Staatschef sollte es vorbehalten sein, einen Teil der Richter, den Generalstaatsanwalt und die Leiter der Geheimdienste zu ernennen und selbst die Rolle eines obersten politischen Schiedsrichters zu spielen. Viele kritisieren heute die außerordentliche Machtkonzentration in den Händen eines einzelnen Menschen. Aber wir vergessen, daß das leider direkt aus der Verfassung von 1993 folgt, die in vielem unter dem Druck kurzfristiger politischer Faktoren entstand. Wir sollten um Gottes willen das politische System nicht wieder unter dem Eindruck kleinlicher, konjunktureller Bestrebungen ummodeln.
Was halten Sie von den politischen Reformen, die der Kreml in Angriff nimmt - von der Ernennung der Gouverneure, den Parlamentswahlen nur nach Parteilisten?
Chodorkowski: Die Staatsmacht versucht, alle Politiker in Beamte zu verwandeln, die ernannt werden, und die herrschende Klasse so "einzuzementieren", so daß niemand von außen an die Macht kommen kann, der nicht zum inneren Machtzirkel gehört. Das ist ein typisches Stagnationsprojekt. Wie gefährlich das ist, sehen wir am Beispiel des Schicksals der herrschenden Sowjetelite der achtziger Jahre. Allerdings ist die Stabilitätsreserve Rußlands heute geringer als die der damaligen UdSSR. Solche Schritte sind gefährlich für das Land. Sie können dazu führen, daß die einzige Ausdrucksform der Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Macht die Rebellion ist - und zwar eine sinn- und gnadenlose. Wird die Staatsmacht in der Lage sein, sie zu verhindern? Ich bin nicht sicher.
Sind Sie noch immer der Meinung, daß die Großunternehmen gegenüber dem Volk Buße tun sollten für ihre Fehler?
Chodorkowski: Ja, das meine ich. Aber nicht nur die Großunternehmen, sondern die gesamte herrschende Elite, die verantwortlich dafür ist, daß die marktwirtschaftlichen Reformen der neunziger Jahre antisozial waren und damit das Vertrauen des Volkes in die liberalen Ideen und Werte zerstörten. Die gestrige und heutige Bürokratie - und das sind in hohem Grade dieselben Leute - sollte nicht glauben, daß die Reue der Unternehmer sie von der Verantwortung für Fehler und Zusammenbrüche befreit.
Haben Sie versucht, sich mit der Staatsmacht über Bedingungen für Ihre Freilassung zu einigen?
Chodorkowski: Ich habe offen und mehrfach der Staatsmacht das mir gehörende Aktienpaket von Yukos angeboten. Aber das war kein Versuch meinerseits, sich die Freiheit zu erkaufen. Ich hoffte vielmehr, daß diejenigen, die daran interessiert waren, sich Yukos anzueignen, den Konzern nicht zerstören würden und nicht Hunderttausenden Mitarbeitern von Yukos und den Bewohnern der von den Yukos-Steuern abhängigen Regionen Arbeit und Hoffnung nehmen. Aber das Schicksal dieser Menschen wurde eigensüchtigen Interessen geopfert, die auf Yuganskneftegaz gerichtet waren. Von dem Unternehmen hatte ich mich schon im Frühjahr 2004 verabschiedet. Die Tatsache, daß die Menschen, die Manager und Mitarbeiter von Yukos weiter arbeiten und kämpfen, charakterisiert sie nicht nur als professionelle Fachleute, sondern als Helden. Es ist überaus schade um die Leute, die verhaftet wurden, damit sie unter Druck falsche Aussagen machen, und um die, die zur Emigration gezwungen wurden, aber auch um die, die den weiteren Verlauf der Ereignisse schon sehen und trotzdem weiterkämpfen.
Inwieweit haben Sie das kontrolliert, was im Unternehmen vor sich ging? Welche Aussichten hat der Bankrottprozeß, der in Texas angestrengt wurde? Sollten die Aktionäre den Käufer von Yuganskneftegaz verklagen?
Chodorkowski: Als ich verhaftet wurde, begriff ich, daß sie mir das Unternehmen wegnehmen werden, aber ich konnte nie vermuten, daß sie dafür das Unternehmen zerstören. Im Gefängnis war es unmöglich, in angemessener Weise an der Leitung teilzunehmen. Bekanntlich habe ich ja gleich nach meiner Verhaftung meine Vollmachten als Mitglied des Yukos-Vorstandes niedergelegt. Die Manager des Unternehmens, der Vorstand tragen die Verantwortung gegenüber den Aktionären und handeln so, daß künftig keine Ansprüche ihnen gegenüber erhoben werden können, vor allem nicht von den Minderheitsaktionären. Das trifft auch auf die Direktoren der Menatep-Gruppe zu, wo ich vor der Verhaftung 9,5 Prozent der Aktien besaß und Begünstigter von weiteren 50 Prozent war. Jetzt nach dem Verkauf von Yuganskneftegaz ging auch das an andere Aktionäre über. Jetzt haben die in Freiheit befindlichen Aktionäre möglicherweise alles geändert, aber die Direktoren blieben unabhängig und handeln nach ihrer Auffassung im Interesse der Aktionäre, wie es das Gesetz vorsieht. Die Menatep-Gruppe als ein Aktionär von Yukos hat mehrfach erklärt, sie werde alle juristischen Personen gerichtlich verfolgen, die an der sogenannten Auktion beteiligt waren, sowie auch die Unternehmen, die in irgendwelche Geschäfte mit dem Eigentum von Yuganskneftegaz verwickelt sind. Ich persönlich habe nicht die Absicht, vom Unternehmen oder vom Staat irgendwelches Geld zu fordern.
Was würden Sie Putin jetzt sagen, wenn Sie eine Gelegenheit dazu hätten?
Chodorkowski: Herr Präsident, lassen Sie es nicht zu, daß die Staatsmacht entwertet und mißbraucht wird. Lassen Sie nicht zu, daß sie in eine Waffe zur Umverteilung des Eigentums und zum Schutz privater Interessen der Bürokratie wird. Das vervielfältigt die Fehler und Probleme der neunziger Jahre.
Was werden Sie tun, sollten Sie Ihre Freiheit wiedererlangen?
Chodorkowski; Ausreisen möchte ich überhaupt nicht. Im Geschäftsleben sehe ich mich auch nicht mehr, diese Etappe meines Lebens liegt hinter mir. Ich hoffe, daß ich die gesellschaftlichen und Bildungsprojekte, mit denen ich mich seit drei Jahren in der Gesellschaft "Offenes Rußland" beschäftige, fortsetzen kann, darunter das Universitätsprojekt.
Wie verbringen Sie Ihre Zeit, wenn Sie nicht mit Ihren Anwälten oder dem Gericht beschäftigt sind?
Chodorkowski: Ich lese und versuche, nicht meine intellektuelle Form zu verlieren. Ich bekomme ständig Bücher. Auch Journale und Zeitungen bekomme ich in großer Menge, obwohl ich manchmal nicht lesen will, um nichts zu erfahren, nichts zu hören. Ich antworte auf Briefe, die ich zahlreich aus Rußland und aus dem Ausland bekomme. "Böse" Briefe sind selten. Alle sind mitleidig, einige unterstützend, andere bitten um Hilfe. Sport zu treiben ist kaum möglich, es ist zu eng. Hofgang - eine Stunde am Tag.
Wer sind Ihre Zellennachbarn?
Chodorkowski: Im Gefängnis sind verschiedene Leute. Wahrscheinlich viele schlechte Leute, aber solche habe ich nicht getroffen. Bisher ist es mir gelungen, mit allen eine gemeinsame Sprache zu finden.
Sind Sie mit den Haftbedingungen zufrieden?
Chodorkowski: Im Gefängnis herrscht strenge Isolation. Die Bedingungen sind hart, aber besser als in anderen Gefängnissen. Das strenge Regime hat auch gute Seiten. Die Zelle hat zwölf Quadratmeter, die ich mit einigen Mitinsassen teile. Es sind einfache Leute mit ihren Leiden und Problemen, wir haben einen Kühlschrank, einen Fernsehapparat. Besonders niederdrückend ist das monatliche Wiedersehen mit meinen Angehörigen durch eine Glaswand. Ich vermisse meine Familie, meine Frau, meine Kinder, meine Eltern. Um sie tut es mir sehr leid. Und schwer ist, daß es hier überhaupt keine Sonne gibt.
Das Interview erschien Montag in Russki Newsweek. Wir drucken es mit geringen Kürzungen ab.
Artikel erschienen am Mit, 2. Februar 2005