Die von den Märkten erwartete Zinssenkung setzt die Europäische Zentralbank (EZB) unter Druck, Anleger mit weitreichenderen Beschlüssen positiv zu stimmen. "Sobald die Märkte etwas eingepreist haben, wollen sie, dass die EZB noch mehr tut", sagte Carsten Brzeski von der niederländischen ING Bank. So sieht das auch Ulrich Kater von der Dekabank: "Die Märkte werden wohl mit etwas Enttäuschung reagieren, wenn die EZB ,nur' eine Zinssenkung liefert."
Tatsächlich geht die große Mehrheit der Marktbeobachter von einer Lockerung aus, wenn EZB-Chef Mario Draghi am Donnerstag vor die Kameras tritt. In der FTD-Zinsumfrage sagten am Montag 20 von 35 Bankenökonomen, sie erwarteten eine Absenkung des aktuellen Leitzinses von 1,0 Prozent auf 0,75 Prozent, fünf Volkswirte rechneten sogar mit einem Zinssatz von nur 0,5 Prozent. Unmittelbar vor der einwöchigen Schweigepflicht vor der Notenbanksitzung hatte EZB-Chefvolkswirt Peter Praet die anstehende Lockerung de facto bestätigt, als er im FTD-Gespräch betonte, "kein Dogma" verbiete einen Zinssatz von unter 1,0 Prozent. Allerdings ist der Leitzins seit der Euro-Einführung 1999 noch nie unter diese Schwelle gesunke
Showdown in Griechenland Wie Premier Samaras die Troika überlisten will
Marktbericht Dem DAX geht die Puste aus
Marktbericht DAX kämpft sich weiter vor
Arbeitsüberlastung EZB-Bankern droht der Burnout
Mehr zu: EU, EZB, Euro-Krise, IWF, Mario Draghi
Die EZB hätte auch noch eine Möglichkeit, die Märkte mit einer zusätzlichen geldpolitischen Maßnahme zumindest ein wenig zu überraschen. Die Euro-Notenbanker könnten den Zinssatz auf die Einlagefazilität von derzeit 0,25 Prozent auf 0,1 Prozent senken. Das ist der Zinssatz, den Banken erhalten, wenn sie Geld bei der EZB über Nacht deponieren. "Ich denke, eine Absenkung um 15 Basispunkte auf 0,10 Prozent wäre eine Hilfe", sagte Julian Callow von der britischen Großbank Barclays. Denn dadurch könnten die Kreditinstitute einen Anreiz erhalten, sich untereinander mehr Geld zu leihen, statt es zum Minizins bei der EZB zu parken.
Weitere Beschlüsse, die jenseits des klassischen geldpolitischen Repertoires liegen, werden von Draghi, den Direktoriumsmitgliedern und den 17 nationalen Euro-Notenbankchefs schon länger im EZB-Rat besprochen. Eine Maßnahme, bei der die Diskussionen bereits weit gediehen sind, ist das Aussetzen der Mindestbonitätsstandards für Staatsanleihen, die Regierungen bei der EZB als Sicherheit im Austausch gegen Zentralbankliquidität hinterlegen müssen. Für die drei Euro-Krisenstaaten Griechenland, Irland und Portugal, die derzeit durch ein Hilfsprogramm der EU und des Internationalen Währungsfonds finanziert werden, hat die EZB diese Anforderungen bereits ausgesetzt. Der jüngst zurückgetretene Notenbankgouverneur Spaniens, Miguel Fernández Ordóñez, hatte eine solche Aussetzung auf eine Liste mit Maßnahmen gesetzt, die seinem Land aus der aktuellen Krise helfen würden. Auch Italien würde davon profitieren. Die Geldinstitute beider Länder haben Probleme, notenbankfähige Sicherheiten aufzubieten, um sich bei der EZB weiter mit Liquidität eindecken zu können.
Zur Debatte steht auch eine erneute Erweiterung der Anleihearten, die Geldhäuser bei der Zentralbank hinterlegen können. Vor knapp zwei Wochen hatte die EZB bereits beschlossen, verbriefte Baukredite und Anleihen, die mit Autokrediten und Gewerbeimmobilien besichert sind, mit niedrigeren Qualitätsanforderungen als Sicherheiten zuzulassen.
Doch viele Ökonomen raten der EZB ab, bei ihren Beschlüssen auf die Milde der Märkte zu schielen. "Es ist nicht EZB-Aufgabe, Märkte positiv zu überraschen", sagte Jörg Krämer von der Commerzbank. Uwe Angenendt von der BHF-Bank sieht dafür auch gar keine Notwendigkeit: "Die Risiken haben sich mit der Griechenland-Wahl, den EU-Gipfelbeschlüssen und dem Bankenrettungspaket für Spanien klar gedreht. Der DAX hat seither 600 Punkte gewonnen, die Risikoaufschläge sind gesunken, die Bundrenditen sind deutlich angestiegen."