Alan Greenspan: Superspan regiert die Welt
Die wenigsten können wohl behaupten, das
sie morgens um sieben Uhr auf dem
Höhepunkt ihrer geistigen
Leistungsfähigkeit sind. Um diese Zeit steigt
Alan Greenspan aus der Wanne - und hat
die wichtigste Arbeit des Tages bereits
hinter sich gebracht. In den eineinhalb
Stunden, in denen er täglich sein heisses
Bad einnimmt, erledigt der "mächtigste
Mann der Welt" einen großen Teil seiner
Aufgaben. Er liest dort unzählige Statistiken, gibt seinen Reden den
letzten Schliff und erledigt Geschäftspost. Bei diesem Ritual, das
ursprünglich als Therapie gegen sein Rückenleiden begann, fallen
die wichtigsten Entscheidungen der Welt. Morgens um sechs, sagt
Greenspan, sei sein Intelligenzquotient um 20 Punkte höher als
abends um sechs...
Der 74jährige Mann wirkt unscheinbar und zerbrechlich. Nur schwer
lässt sich hinter dem zierlichen Persönchen mit der großen Brille der
mächtigste Mann der Welt vermuten. Denn seit 13 Jahren ist Alan
Greenspan Präsident der amerikanischen Notenbank, hat Ronald
Reagen und George Bush "überlebt" - und ist immer noch da, wenn Bill
Clinton ab Februar die Lunchpakete für seine Frau packt.
Greenspan steht als Garant und Architekt für den längsten
Aufschwung in der Geschichte des Landes. Nach dem Börsencrash
1987 hatte der oberste Währungshüter das Land souverän durch
Krisen der späten 80er- und frühen 90er gesteuert bis hin zum
Börsenboom der späten 90er. Und jetzt, im Januar 2001, wo sich an
den Märkten die Panik vor einer Rezession breitmacht und ein Gros der
Unternehmen historische Tiefstände markiert, jetzt bringt Greenspan
mit der ersten Zinssenkung seit Oktober 1998 die Börsianer zu
Freudentänzen - auch wenn der Taumel vermutlich nicht lange währen
wird.
Master of the Universe
Doch nicht nur im eigenen Land feiern ihn Finanzexperten wie Politiker
als "Retter der Wirtschaft". Spätestens seit der Asienkrise im Herbst
1998 haben Börsianer rund um den Globus den kleinen Mann in ihr
Herz geschlossen. Damals hat er einen kühlen Kopf bewahrt und mit
drei beherzten Taten der Weltwirtschaft wieder auf die Beine geholfen.
Er senkte die Zinsen in den USA, zwang Banken, die Billionenpleite
eines hoch spekulativen Anlagefonds zu verhindern und zog mit einer
weiteren Zinssenkung nach. Er hatte Investoren und Spekulanten den
Glauben zurückgegeben, dass die USA die Welt nicht fallen lassen
würden.
Er hört Zahlen reden
Schon als kleiner Junge liebte Alan Greenspan das Zahlenspiel. Die
Rechenkünste hat er von seinem Vater geerbt. Der war Aktienhändler
in New York. Stundenlang sitzt Greenspan Junior heut noch oft einsam
vor seinem Computer und verschlingt Statistiken, Indikatoren und
Marktanalysen. "Er hört Zahlen reden", sagen Freunde Greenspans. Er
besitzt die Gabe, die reale Welt aus trockenen Zahlen und Tabellen
abzuleiten.
Diese Gabe entdeckten auch diverse Politiker. Nachdem er in den
50ern eine Wirtschaftsberatungsfirma gründete, holte ihn
Präsidentschaftskandidat Nixon 1966 in sein Beraterteam. Er arbeitete
in verschiedenen Funktionen für die republikanische Regierung, bis
1977 der Demokrat Jimmy Carter ins Weiße Haus einzog. Erst
Präsident Ronald Reagan holte Greenspan ins politische Kraftfeld nach
Washington zurück und machte ihn 1987 zum Chef der amerikanischen
Notenbank.
Immer am Ball
Gefürchtet ist Greenspans Rückhand im Tennis. Trotz seines Alters hat
der Linkshänder noch Schlagkraft. Auch als Basketballer machte er in
jüngeren Jahren eine gute Figur.
Doch nicht nur sportlich, auch musikalisch hatte Alan Greenspan das
Potential zu mehr. Die Leidenschaft für Musik hat ihm seine Mutter
weitergegeben. Als Student spielte Alan Klarinette und Saxophon und
hatte sogar Ambitionen, Berufsmusiker zu werden. Doch nach einem
Jahr auf Tour als Jazzspieler, merkte er schnell, dass seine große
Leidenschaft doch eher den Zahlen gilt. Er studierte
Wirtschaftswissenschaften in New York und schloss das Studium mit
Höchstnoten ab.
Das Orakel von Washington
Der Glaube an seine heilenden Worte hat Greenspan zum mächtigsten
Mann der Welt gemacht. Wenn Mister Dollar seine Lippen bewegt, die
müden Augenlider aufschlägt und seine hohe Stirn in Falten legt, dann
spitzen Finanzmakler rund um den Erdball die Ohren. In den
Börsensälen und an den Bildschirmen versuchen Broker und
Investoren ihre Schlüsse zu ziehen. Und das ist nicht einfach. Denn
Alan ist kein Mann der klaren Worte. Er spricht leise und monoton,
Syntax und Rhetorik sind eine Zumutung. Wenn er mit achtsam
gefeilten Sätzen seine Analysen zum Zustand der Wirtschaft preisgibt,
müssen Experten hinterher die Aussagen säuberlich sezieren und den
Sinn seiner Worte entschlüsseln. Spricht er dann vage von
"übertriebenen Kurssteigerungen" oder von "irrationalem
Überschwang", löst er damit innerhalb kurzer Zeit panikartige
Aktienverkäufe an den Weltmärkten aus.
Nuschelprosa im dritten Anlauf
Aber auch Personen, die ihm sehr nahe sind, verstehen nicht immer
auf Anhieb die Message hinter seinen Worten. Seine zweite Frau, die
Fernsehreporterin Andrea Mitchell, erzählt mit einem Schmunzeln,
Greenspan habe ihr drei Heiratsanträge machen müssen, ehe sie
verstanden habe, was er meinte.
Aus Angst falsch zitiert und verstanden zu werden, gibt er nie
Pressekonferenzen. Sein letztes Interview liegt Jahre zurück. Er hat
aber auch viel Sinn für Humor und kokettiert gern mit der Macht seiner
Worte. Auf die Frage nach seinem Befinden antwortet er: "Das darf ich
Ihnen nicht sagen."
Januar 2001