Alles Lug und Trug?

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Brummer:

Alles Lug und Trug?

 
08.02.02 14:00
++ Die gute alte Zeit ++
von Bernd Niquet

Kann sich noch jemand an die Zeit erinnern, als man unter Aktienrenditen noch Dividendenrenditen verstand, als die Buchführung noch ein ehrliches Geschäft war, als Äpfel noch wie Äpfel und nicht wie Laborerzeugnisse aussahen und als Schweinefleisch noch wie Schweinefleisch schmeckte, jedoch nicht wie ein wässriger Schwamm in der Pfanne zerschmolz?

Long, long time ago! Die Tendenz des Menschen – und hierbei hauptsächlich des Homo americanus – sich alles und jeden zum Untertan zu machen, dringt in immer weitere Bereiche unseres Lebens vor. Denn je stärker die Kontrolle über die Naturgewalten – wie über die selbstgemachten Dinge unseres Lebens – scheinbar gelingt, umso stärker scheint eine kleine, widerwärtig Gruppe von Racheteufelchen Oberwasser zu bekommen.

Der Philosoph Heraklit hatte hierzu bereits vor langer Zeit den Begriff "Enantiodromie" geprägt: Je mehr die Dinge sich in Richtung auf ein Extrem bewegen, umso größer wird die Wahrscheinlichkeit ihres plötzlichen Umkippens. Soll heißen: Da hat man die Tierhaltung ständig reformiert, reformiert und reformiert, wodurch das Fleisch billiger, billiger und billiger wurde – bis dann plötzlich der Punkt kam, an dem es mittlerweile auch dem Letzten klar ist, dass hier nur noch Abfall produziert wird.


  ++ Schwein gibt wieder Schwein ++
Und nicht anders, so sieht es aus, scheint es auch in der Finanzwelt zu stehen: Da hat man immer reformiert, liberalisiert, reformiert, liberalisiert, hat immer neuere, immer „sophisticatetere“ Konzepte entworfen, so dass die Aktien immer billiger, billiger und billiger wurden. Da man aus einem Dollar echtem Gewinn relativ unproblematisch ein Vielfaches an Papiergewinn machen kann:

Früher einmal schaute der Aktionär auf den Kurs einer Aktie und auf die Höhe der Dividende, die er bar auch die Hand bekam.

Dann ließ der Aktionär sich beschwatzen und schaute nur noch auf den Gewinn des Unternehmens, völlig egal, ob er ausgeschüttet wurde, also ihm zukam, oder nicht.

Dann ließ er sich erneut beschwatzen und gab sich damit zufrieden, nicht mehr die Größe "Jahresüberschuss" zur Ergebnismessung zu akzeptieren, sondern nur noch das (um außergewöhnliche Geschäfte bereinigte) Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit.

Dann ließ er sich noch einmal beschwatzen und akzeptierte fortan das EBIT-Konzept, also das Ergebnis vor Zinskosten.

Dann wiederum ließ er sich noch ein weiteres Mal beschwatzen und akzeptierte das EBITDA-Ergebnis, also das EBIT abzüglich der rechnerischen Abschreibungen.

In diesem Rahmen ließ er sich in den glorreichen Zeiten noch einmal beschwatzen und akzeptierte sogar das EDITDASO, das EBITDA ohne die Kosten für Mitarbeiterbeteiligungen.

Schließlich ließ er sich – man glaubt es kaum – noch einmal weiter beschwatzen und akzeptierte schließlich sogar Konzepte wie "Pro-Forma-Ergebnisse" oder "Ergebnisse der operativen Geschäftstätigkeit", denen keinerlei objektiv-feststellbare Grundprinzipien mehr zugrunde liegen.

Im Endergebnis gibt es heutzutage also zwischen Aktienbewertungen und Schweinefleisch keinerlei Unterschiede mehr: Beide sind bis zur Unkenntlichkeit gegenüber ihrem Urzustand verwässert – und jeder, der sie in Reinform zu sich nimmt, kann eigentlich nicht mehr ganz bei Verstand sein. Wie heißt doch das alte, schöne Sprichwort: Schwein gibt wieder Schwein. Und so, wie man in den Wald hineinmogelt, so wird früher oder später aus ihm auch wieder herausgemogelt.

Bleibt eigentlich nur eine Frage offen: Hat der Enron-Manager, der in dieser Woche tot durch den Zeitungswald ging, seine Selbsttötung eigentlich mit einem Bolzenschussgerät vorgenommen?


Quelle: Instock.de
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