der die Machenschaften von Kirch etwas näher bringt.
04. Dezember 2000 W I R T S C H A F T
S P I E G E L
"Vom Himmel hoch ..."
Absturz eines Superstars: Kein Unternehmer ist in Deutschland jemals so
schnell so steil aufgestiegen wie Thomas Haffa, der Gründer von EM.TV. Doch
seine Karriere basierte auf Phantasie und trickreichen Geschäften. Haffa hat
sich übernommen, seine Firma wird geschluckt.
Der Mann war gewohnt, sich alle seine Träume erfüllen zu können - auch bei
der Arbeit. Im Keller seines neuen Firmengebäudes im Münchner Vorort
Unterföhring brutzelt ein Drei-Sterne-Koch persönlich für ihn, Essensdüfte
künden den Mitarbeitern von den Lieblingsmenüs ihres Dienstherrn.
Selbstverständlich kann der EM.TV-Chef Thomas Haffa, 48, von der Tiefgarage
direkt mit dem Aufzug zur Vorstandsetage fahren, wo ein Sekretärinnenpool
über den Zugang zu den großzügig dimensionierten Büros wacht.
Dort sieht es aus wie in den "Trading Rooms" eines Investmenthauses:
Computerterminals zeigen die aktuellen Börsenkurse an. Manche Besucher
fühlen sich an den US-Film "Wall Street" erinnert, in dem ein Finanzhai
namens Gordon Gekko in einem ähnlichen Ambiente über Firmen und Aktien
gebietet.
Der Blick des Firmenchefs aus dem Fenster fällt auf eine große Südterrasse,
die mit Holzbohlen versehen ist - alles soll einem Schiffsdeck ähneln, dem
liebsten Aufenthaltsort des passionierten Yacht-Fans Haffa. Und wenn er
reden will, trifft der Vorstandschef einfach seinen Bruder und
Stellvertreter Florian, 35, vom Büro nebenan.
Dieses Idyll im Unterföhringer Gewerbegebiet werden die Haffa-Brüder
freilich nicht mehr lange wie bisher genießen können: Ihre Zeit als
selbständige Unternehmer läuft ab.
Eiszeit bei EM.TV
Der Neue Markt, der Haffas einzigartige Karriere in ungeahnte Höhen
getrieben hatte, sorgte auch für den jähen Absturz des Shooting-Stars. Die
Börse hatte die kleine Firma EM.TV (Umsatz 1999: 315 Millionen Mark) mit
aberwitzigen Milliardenbeträgen bewertet, weil sie den Fähigkeiten Haffas
vertraute, aus einer Klitsche ein Weltunternehmen im Disney-Format zu
machen. Stattdessen steht EM.TV jetzt vor einer Übernahme - und die Haffas
vor der Entmachtung.
Vor neun Monaten schien der frühere BMW-Lehrling und
Schreibmaschinen-verkäufer Thomas Haffa auf dem Gipfel seiner Karriere
angekommen. Damals, im Februar, kostete eine EM.TV-Aktie knapp 116 Euro, und
die ganze Firma mit ihren Film- und Sportrechten war mehr wert als die
Lufthansa mit ihren vielen Jets - sagenhafte 27 Milliarden Mark.
Vergangene Woche aber war der Aktienkurs bis auf 16 Euro gesackt, ein
dramatischer Verfall von 85 Prozent gegenüber dem Höchststand. Statt 27
Milliarden war EM.TV auf einmal nur noch 5 Milliarden Mark wert. Das laufe
ganz nach dem Motto "Vom Himmel hoch, da komm ich her", spottet Ex-RTL-Chef
Helmut Thoma, lange Zeit einer der wenigen Haffa-Kritiker.
Ganz plötzlich hat sich auch die wundersame Umsatz- und Gewinnvermehrung,
die den Börsenkurs lange Zeit beflügelte, ins Gegenteil verkehrt. Der Gewinn
vor Steuern und Zinsen, einst bei 600 Millionen Mark veranschlagt, rutscht
auf unter 50 Millionen. Auch der für das Jahr 2000 prognostizierte
Überschuss von rund 350 Millionen Mark muss deutlich reduziert werden - nun
wird daraus ein Verlust. Und statt der munter verkündeten 1,6 Milliarden
Mark Umsatz kommen 14 Prozent weniger zusammen: 1,38 Milliarden.
Noch im Oktober hatte Florian Haffa allen Investoren treuherzig versichert,
es bleibe bei den ursprünglichen Planungen.
Umverteilt: Der geplante EM.TV-Deal
Binnen weniger Wochen hat sich so eine vielfach beschriebene
Erfolgsgeschichte über die nahezu unendlichen Möglichkeiten der neuen
Wirtschaftswelt in eine ganz andere Geschichte verwandelt: Die handelt von
Größenwahn und Selbstüberschätzung. Und davon, dass auch in der New Economy
am Ende die alten Werte zählen: Die Zahlen müssen stimmen.
Die Geschichte des Thomas Haffa ist symptomatisch für den Aufstieg und den
Absturz des Neuen Marktes. Der stets gut gebräunte und lachfrohe
Selfmade-Mann Haffa war der Popstar dieser Risikobörse für Wachstumswerte,
eine Art Galionsfigur der deutschen New Economy. Was immer der
Jung-Milliardär auch anpackte, es schien ein rauschender Erfolg zu werden.
Und er wusste den neuen Reichtum zu genießen: Eine Hochseeyacht, eine
Riesenfinca auf Mallorca, ein Lear-Jet, ein Challenger-Flugzeug, eine neue
Prachtvilla im Münchner Nobelviertel Bogenhausen gehören zu seinen
Besitztümern.
"Wo er geht und steht, umweht den Macher von EM.TV das Parfum `Eau de
Erfolg`", dichtete die Illustrierte "Bunte". Auch die seriöse "Business
Week" brachte ihn auf den Titel: "The Cartoon King". Wie im Rausch kaufte
seine Medienfirma EM.TV eine Firma nach der anderen auf, zum Schluss etwa
das Hollywood-Studio The Jim Henson Company ("The Muppets Show") sowie eine
Beteiligung an der Formel 1. Doch die Shopping-Exzesse haben die
Management-Künste der Gebrüder Haffa offenbar arg überfordert, wie sich
jetzt herausstellt: Geschäftszahlen wurden falsch gemeldet, die Gewinne sind
zweifelhaft, eine hohe Verschuldung lastet auf der Bilanz - und die Zinsen
für Kredite drohen die Überschüsse aufzufressen.
Ändert sich nichts, wäre EM.TV möglicherweise schon bald am Ende. "Bisher
gab es keine Leistungsstörung", sagt ein Banker über die Finanzen der
Haffas.
Vom Abteilungsleiter zum Märchenprinzen und wieder zurück - die
unternehmerische Kontrolle bei EM.TV ergreift nun ein Mann, der schon seit
langem im Verborgenen hinter dem Erfolg der Bayern-Yuppies stand: der
Münchner Film- und Medienkaufmann Leo Kirch, 74. Dessen Firmengruppe will -
vermutlich bis auf einen kleinen Anteil - die EM.TV-Aktien der Haffa-Familie
übernehmen. Damit ist Kirch künftig wahrscheinlich Herr im Haus; eine
geplante Übernahme avisierte er bereits dem Bundeskartellamt. Als Ausgleich
soll Thomas Haffa rund drei Prozent an der Holding KirchMedia erhalten, in
der Fernsehsender (Sat.1, ProSieben), TV-Produktionen und Rechtehandel
vereint sind. Diese Gesellschaft ist nach einer letzten Firmenbewertung
offenbar rund 30 Milliarden Mark wert.
Vom Übernahmekandidaten Haffa verlangt Kirch hingegen einen deutlichen
Abschlag für dessen EM.TV-Paket, das an der Börse noch immer rund 2,5
Milliarden Mark wert ist. Kirch und seine Banken halten 1,2 Milliarden für
einen fairen Wert, wie sie den deprimierten Haffa-Brüdern bei den
Verhandlungen mitteilten. Die EM.TV-Strategen hatten fast acht Prozent an
KirchMedia gefordert.
Im Zuge der Neuordnung, die von Münchner Anwälten und den Investmenthäusern
Lehman Brothers und Merrill Lynch organisiert wird, wird das Geschäft mit
der Formel 1 aus EM.TV herausgelöst und als separate Einheit im
Kirch-Konzern fortgeführt werden. Ziel sei es, "eine neue EM.TV ohne
Schulden aufzubauen", sagt ein Kirch-Vertrauter. Kirchs Leute übernehmen die
Kontrolle, ob Haffa dem Management angehören wird, ist ungewiss. Die
jüngsten Rochaden scheinen all jene zu bestätigen, die EM.TV schon immer als
Satelliten des Münchner Medienhändlers gesehen haben. Tatsache ist: Beide
Firmen sind durch eine Reihe von Geschäften eng miteinander verbandelt. Das
trug dazu bei, dass der Börsenkurs von EM.TV überhaupt erst jene Schwindel
erregenden Höhen erreichen konnte, von denen er jetzt so jäh abstürzte.
Abgekartetes Spiel?
Der Verdacht, dass EM.TV eine "Ausgründung des Kirch-Konzerns zur
Geldbeschaffung" sei, liege sehr nahe, sagt der Unternehmensberater und
frühere Grimme-Instituts-Chef Lutz Hachmeister. Immerhin hat Kirch auch in
der Vergangenheit Geschäfte über Dritte betrieben. Doch Beweise für diese
These gibt es nicht, die Beteiligten dementieren.
Schon in den Achtzigern hatte der ehrgeizige Haffa, als Geschäftsführer bei
Kirch für die Vermarktung populärer TV-Figuren wie Biene Maja zuständig, von
einer Partnerschaft mit dem Chef geträumt. "Leo, ich brauch Equity", sagte
er damals, Leo, ich brauch Kapital.
Doch 1989 machte sich der Manager zunächst allein selbständig, mit eher
mäßigem Erfolg. Größter Hit war noch die Vermarktung des singenden Drachen
"Tabaluga" von Peter Maffay. Allmählich geriet die Firma in Schieflage. 1996
machte EM.TV bei einem Umsatz von 16,7 Millionen Mark immerhin 1,4 Millionen
Verlust. Interessenten wie Bertelsmann bot Haffa 50 Prozent der Anteile für
rund 20 Millionen Mark an - vergeblich.
Doch dann startete im März 1997 der Neue Markt, der bedrängte Firmenchef
durfte Mut schöpfen. Ausgestattet mit einem Kredit der Sparkasse in
Pfaffenhofen, dem langjährigen Wohnort der Familie Haffa, ging EM.TV im
Oktober 1997 unter Führung der WestLB an die Börse. Das brachte rund 20
Millionen Mark.
Der Anfang war gemacht. Doch der eigentliche Aufstieg begann erst, als Haffa
und Kirch zum beiderseitigen Wohle zusammenarbeiteten. Es begann die Zeit
der wundersamen Geldvermehrung.
Auf einmal half Kirch seinem Ziehsohn im Kampf um attraktive Senderechte. So
bekam EM.TV im Oktober 1998 die TV-Rechte für Faustkämpfe des Boxers Mike
Tyson - anschließend durfte Haffa sie mit Gewinn an Kirchs Pay-TV verkaufen.
Wenige Wochen später der nächste Coup: EM.TV kaufte der chronisch
finanzschwachen Kirch-Gruppe, die zu diesem Zeitpunkt Geld brauchte, für 500
Millionen Mark die Hälfte von deren üppigen Bestand an Kinder- und
Jugendfilmen ab. Dieses Archiv, von "Heidi" bis "Familie Feuerstein", ist in
den Büchern von Kirch großteils seit langem auf null abgeschrieben.
Gemeinsam starteten die Partner nun unter dem Namen "Junior.TV" eine Art
Vertriebsgemeinschaft mit inzwischen rund 31 000 Halbstunden-Episoden,
darunter etwa die Kultserie "Die Simpsons". Kirch räumte seinem Kompagnon
dabei alle Gewinne aus dem Joint Venture ein, "bis EM.TV 500 Millionen Mark
zuzüglich der aufgewendeten Fremdkapitalzinsen" erlöst hat, heißt es in
einem Börsenzulassungsprospekt.
Haffa ergriff die Chance. "Zeichentrick altert nie", redete er die Ware
schön. Schon sah er in "Junior" eine Weltmarke und sich selbst als
Herausforderer des Disney-Konzerns. Die EM.TV-Story war geboren, eine
Geschichte wie im Märchen - Anleger und Analysten hielten sie für Realität.
Merkwürdig nur: Der beste Kunde des neuen Medienkonzerns war auch
gleichzeitig der beste Lieferant. Schon sechs Monate nach dem Ankauf von
"Junior" verkaufte EM.TV viele attraktive Rechte aus dem Kinderpaket an
Kirchs Sender Sat.1.
Die Berliner zahlen den stolzen Kaufpreis von rund 200 Millionen Mark über
die Laufzeit von fünf Jahren. Haffa jedoch verrechnete sofort den Großteil
des Umsatzes in seiner Bilanz. Damit konnte er eindrucksvolle Wachstumsraten
ausweisen. Schon damals keimte bei Kritikern der Verdacht, die EM.TV-Manager
pflegten einen besonders kreativen Umgang mit Zahlen.
Für Sat.1 war der Deal weniger erfolgreich: Der Marktanteil der
"Junior"-Filme bei den 3- bis 13-Jährigen ist seit dem Sendestart im Januar
von 18 Prozent auf 14,7 Prozent im Oktober geschmolzen. "Mir hat niemand
erklärt, warum Sat.1 die Kinderfilme nicht direkt bei Kirch einkaufen
konnte", wundert sich TV-Kenner Thoma.
Auch bei der Filmfirma Constantin, die ursprünglich Kirch und seinem
Getreuen Bernd Eichinger gehörte, funktionierte das Zusammenspiel. Wenige
Wochen vor dem Börsenstart von Constantin im September 1999 durfte sich
EM.TV mit über 25 Prozent beteiligen. Kaufpreis: 125 Millionen Mark.
Haffas damaliges Siegerimage war beim Gang des defizitären Kirch-Ablegers
aufs Börsenparkett gefragt. Und auch dem EM.TV-Kurs kam diese neuerliche
Allianz, nach dem alten Schema, zugute.
Viele Medienprofis erinnert das Kirchsche Kreislaufsystem mit den
"Junior"-Rechten an die Transaktionen mit dem Handelsmilliardär Otto
Beisheim (Metro) aus dem Jahr 1989. Damals verkaufte Kirch 2000 Filme für
rund 530 Millionen Mark an eine Schweizer Beisheim-Firma - um sie in der
Zeit danach von seinen Sendern Sat.1 und ProSieben zurückkaufen zu lassen.
Über diesen Umweg war die Ware auf einmal 1,1 Milliarden Mark wert, und die
Banken gaben dafür Kredit.
Das waren die alten Zeiten - Old Economy. In der neuen Wirtschaft kommt das
Geld von der Börse, und es lässt sich, wenn die Anleger mitspielen,
scheinbar mühelos vermehren.
Bei den Haffas spielten sie mit: Zwei Kapitalerhöhungen brachten EM.TV seit
dem Börsenstart 1,26 Milliarden Mark in die Kasse, mit einer Wandelanleihe
erlösten sie weitere 782 Millionen Mark.
Schnell nach dem "Junior"-Deal beispielsweise nutzte Haffa die aufkommende
Hochstimmung für eine kurzfristige Kapitalerhöhung. Sie spülte fast 300
Millionen Mark in die Kassen. Für die Banken war die Hyperaktivität von
Haffa, der die Niederungen des Alltags endgültig hinter sich zu lassen
schien, ein lohnendes Geschäft. Sie verdienten kräftig an Provisionen, die
sie von EM.TV und den Anlegern kassierten. Vor allem die
Sparkassen-Organisation mit ihren Spitzeninstituten WestLB und Bayerische
Landesbank war unter den Profiteuren und Animateuren. EM.TV verschieße
Erfolgsmeldungen "wie eine Stalinorgel", ließ sich der Pfaffenhofer
Sparkassen-Vorstand und Haffa-Freund Bernhard Seidl noch im Sommer
vernehmen.
Noch im Frühjahr schwärmte die WestLB, die EM.TV habe durch die Formel 1 ihr
Wachstumspotenzial erhöht, der Preis sei "günstig" und bereits für das Jahr
2000 seien "positive Auswirkungen auf die Gewinnentwicklung" zu erwarten.
Dabei brach bereits im ersten Halbjahr das Betriebsergebnis der EM.TV im
Stammgeschäft - also ohne die Zukäufe - um 37 Prozent auf rund 59 Millionen
Mark ein. Florian Haffa, der Finanzchef des Unternehmens, freilich machte
ungetrübt in Optimismus: Der Kurs werde sich verdoppeln, versprach er noch
im Juni. Damals notierte EM.TV bei rund 70 Euro.
Für die großen Fonds hat sich das Spekulieren mit der Zocker-Aktie lange
Zeit erst recht gelohnt. So verfügte der Fondsmanager Kurt Ochner vom
Bankhaus Julius Bär, eine bekannte Größe im Neuen Markt, im Jahr 1998 nach
eigenen Angaben zeitweise über jede dritte EM.TV-Aktie, die frei auf dem
Markt verfügbar war. Schon kleine Käufe sorgen bei solchen engen Werten für
große Kurssteigerungen.
Auch der Fonds VMR Strategie Quadrat stieg 1998 bei den Haffas ein. Der
zuständige Berater Marian von Korff, ein Freund Florian Haffas, kooperiert
seit langem mit Ochner. Während Korffs Zeit als Redakteur des Magazins
"Focus" (bis Januar 1999) erschienen positive Artikel über EM.TV auf den
Geldmarktseiten der Zeitschrift - für die der damals schon als Fondsberater
und Investor tätige Korff laut Impressum zuständig war.
In diesem Geflecht konnte EM.TV im Rekordtempo wachsen. Gründer Haffa fachte
die Euphorie immer wieder mit neuen Ankündigungen an. "2004 sind wir ein
globales Medien- und Entertainmenthaus", versprach er. "Wir können ein
Gegengewicht zu den Amerikanern bilden", behauptete er. "Wir spielen in der
Weltliga", versicherte er.
Sogar mit Disney-Chef Michael Eisner verglich er sich öffentlich. Nur ein
Scherz? Oder Größenwahn?
Der Erfolg von EM.TV habe "viele besoffen" gemacht, sagt Michael Kölmel,
Chef und Hauptaktionär des Konkurrenten Kinowelt Medien AG. Was jetzt
passiere, sei "eine Katastrophe für den Markt". Vergeblich habe er, so
Kölmel, bei den Haffas beizeiten ein "Soft Landing" der überhöhten Kurse
angeregt, ein langsames geordnetes Zurückführen - doch dafür habe es bei
EM.TV kein Gespür gegeben.
Opfer sind die Kleinaktionäre. Wer in den ersten Monaten dieses Jahres bei
EM.TV eingestiegen ist, erlebt eine massive Vermögensvernichtung.
"Die Analysten haben immer nur gejubelt, dabei waren die Transaktionen mit
Kirch für jeden erkennbar gewesen", sagt Klaus Schneider von der
Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre. Von Kirch hält er nicht viel, "der
will nur das Geld von der Börse, sich aber nicht reinreden lassen".
Möglicherweise sei nicht alles rechtens zugegangen, sagt Schneider: "Wir
werden genau prüfen, inwieweit es Haftungsansprüche gibt."
Streit könnte es um eine Wandelanleihe geben, die die WestLB Panmure im
Februar auf den Markt gebracht hatte. Sie brachte der EM.TV über 750
Millionen Mark, die Firma muss Anlegern dafür jährlich nur vier Prozent
Zinsen zahlen.
Die Zinsen sind so niedrig, weil EM.TV den Investoren das Recht einräumt,
die Anleihe in Aktien umwandeln zu können - allerdings lohnt sich das für
den Anleger nur bei einem Kurs von mindestens 106 Euro; dieser Preis war bei
der Emission der Wandelanleihe festgelegt worden.
Der Kurs der Wandelanleihe ist deshalb parallel zum EM.TV-Kurs abgestürzt.
Im Falle eines Mehrheitswechsels bei EM.TV können die Anleger indes eine
vorzeitige Rückzahlung der Anleihe nebst aufgelaufenen Zinsen verlangen. Das
könnte einem möglichen Mehrheits-Eigentümer Kirch Sorgen bereiten.
In der Vergangenheit fragte selten jemand nach, was aus den Plänen Thomas
Haffas wurde. So fehlen bis heute die avisierten Kinderreisen,
Freizeitparks, Joghurtbecher und 400 Spielzeugläden der Marke "Junior". Das
Projekt eines TV-Reisekanals verschwand lautlos, eine angedachte Verbindung
mit Microsoft erwies sich als Trugbild.
Was zu Stande kam, passte nicht immer zum Siegerimage, das sich Haffa
erfolgreich aufgebaut hatte. So geriet etwa die Vermarktung der
Merchandising-Rechte der Weltausstellung Expo zum Flop. Die hässlichen
T-Shirts und Biergläser, die unter EM.TV-Verantwortung zu horrenden Preisen
angeboten wurden, fanden kaum Interessenten. Viele Lieferanten der
Souvenirshops blieben auf ihren Forderungen sitzen, zwischenzeitlich hatte
die Expo sogar juristische Schritte gegen EM.TV erwogen. Auch Haffas
Expo-Maskottchen "Twipsy" erwies sich als Publikumsschreck.
Lange Zeit aber übertünchten die immer waghalsigeren Deals des Thomas Haffa
seine Probleme im Tagesgeschäft. Immer phantastischer wurden die Kaufpreise
und Konditionen, die Börse störte das nicht. So gab Haffa im September 1999
rund 800 Millionen Mark für 45 Prozent der Tele-München-Gruppe des
Filmhändlers Herbert Kloiber aus - ein absurd hoher Betrag. Kirch-Manager
sollen Haffa vor diesem Kauf erstmals gewarnt haben. Im Februar dieses
Jahres spendierte er dann 1,3 Milliarden Mark für das "Muppets"-Studio Jim
Henson Company, dessen Hauptakteure Miss Piggy und Kermit dringend einer
Frischzellenkur bedürfen.
Und kurz darauf stieg der Münchner auch noch ziemlich naiv in das schwierige
Geschäft mit der Formel 1 des Rennzirkus-Patrons Bernie Ecclestone ein. Für
3,6 Milliarden Mark kaufte EM.TV die Hälfte an Ecclestones Holding SLEC. Die
Verkäufer - eine Deutsche-Bank-Tochter und die Finanzfirma Hellman &
Friedman - hatten die Anteile kurz zuvor von Ecclestone für 1,5 Milliarden
Mark weniger gekauft.
Zu seinem Pech aber musste Haffa beim Einstieg in die Formel 1 eine Summe
von 712 Millionen Dollar bar zahlen. Das schaffte er nur mit einem teuren
kurzfristigen Kredit, Laufzeit bis zu zwei Jahren. Zurzeit muss er hierfür
nach ersten Tilgungen pro Jahr rund 40 Millionen Dollar für Zinsen
aufbringen. Ihren Kredit ließ sich ein Konsortium aus sechs Banken, mit der
Schweizer Investmentbank Credit Suisse First Boston an der Spitze, gut
absichern. Als Pfand dienen, allen Haffa-Dementis zum Trotz, die 50 Prozent
der EM.TV an der SLEC.
Doch damit enden die Probleme nicht. Eine komplizierte Regelung sieht zudem
vor, dass Haffa bis zum Jahresende für weitere 1,8 Milliarden Mark noch mal
25 Prozent der SLEC kaufen kann. Verzichtet er, kann wiederum Ecclestone ab
April 2001 von EM.TV verlangen, dass sie ihm gut 2 Milliarden Mark für 25
Prozent an der SLEC zahlt. Das könnte EM.TV auf konventionelle Art wohl
nicht mehr finanzieren.
Vor allem die Details des Vertrags mit Ecclestone entsetzen die Kirch-Leute.
Selbst bei einem Kapitalanteil von 75 Prozent würde EM.TV nämlich nicht die
Kontrolle über die Formel 1 erlangen. In zwei entscheidenden
Management-Firmen, die das operative Geschäft verantworten, sitzen jeweils
zwei Ecclestone-Vertreter einem EM.TV-Mann gegenüber. "Haffa hat sich über
den Tisch ziehen lassen", sagt ein Kirch-Angestellter.
Dass sich die kleine EM.TV zu viel zugemutet hat, zeigte sich spätestens bei
der Bilanzierung der Milliardendeals. Für das erste Halbjahr meldete die
Firma zunächst falsche Zahlen, später mussten sie korrigiert werden. Nach
der peinlichen Aktion übergab Florian Haffa das Finanzressort an den
farblosen Rolf Rickmeyer, 48, der sich seit Januar als selbständiger
Firmenberater durchgeschlagen hatte. Zuvor war er Finanzchef einer
RWE-Tochter.
Auch Rickmeyer kann erst im März eine stimmige Gesamtbilanz präsentieren. Er
müsse zunächst einmal ein effizientes Controllingsystem aufbauen, verkündete
der studierte Kaufmann Anfang November bei einer Konferenz vor 150
geschockten Analysten und Investoren. Er könne aber nicht sagen, so
Rickmeyer, ob er sich "in drei, sechs oder neun Monaten" einen Überblick
verschafft habe. Danach stellten viele der Anwesenden EM.TV zum Verkauf, der
Kurs stürzte weiter ab.
Während EM.TV immer stärker einem Börsendesaster entgegentrudelte, lotete
Haffa schon seit dem Spätsommer die Möglichkeiten neuer Allianzen aus -
inklusive eines Verkaufs von Anteilen. In einem Gespräch mit Bertelsmann-Che
f Thomas Middelhoff kam etwa die Übernahme von 25 Prozent an der Formel 1
zur Sprache. Middelhoff ließ den Wert von EM.TV kalkulieren und erhielt
klare Antworten: "Nicht sinnvoll, zu teuer." Insgesamt wurde EM.TV auf
gerade mal 2 Milliarden bis 2,5 Milliarden Mark taxiert. Es gebe zu viele
Kinderprogramme und Haffa habe seine Akquisitionen total überbezahlt,
urteilten die Bertelsmänner.
Auch mit der Deutschen Telekom und der spanischen Telefónica gab es
Kontakte. Am Ende lief alles auf Leo Kirch zu.
Der TV-Unternehmer verbreitert damit seine Geschäftsbasis. Besonders wichtig
ist Kirch die Formel 1. Sie soll wieder aus EM.TV verschwinden und als
selbständiges Unternehmen im Kirch-Reich geführt werden, mit der Perspektive
eines Börsengangs. Bezahlt werden soll die Transaktion - erneut ein
Gegengeschäft - mit Anteilen an Kirch-Firmen. Geplant ist etwa, dass die 50
Prozent, die Kirch an dem Joint Venture "Junior TV" noch selbst hält, in
Kürze auf EM.TV übertragen werden.
Die Option auf weitere 25 Prozent an der Formel 1 soll ebenfalls eingelöst
werden, ein Bankenkonsortium unter Führung der Deutschen Bank und der Credit
Suisse First Boston steht bereit. Gleichzeitig aber will Kirch die Verträge
mit der Formel 1 unbedingt nachbessern. Vergangenen Dienstag redete sein
Stellvertreter Dieter Hahn beim Mittagessen in London mit PS-Patron
Ecclestone über mögliche Neuregelungen.
Hahns Plan: Er will die Liveübertragungen der Autorennen möglichst schnell
exklusiv dem konzerneigenen Pay-TV übertragen. Wenn es nach ihm geht, dreht
Michael Schumacher schon bald nur bei Premiere World seine Runden - so
könnte er die stagnierenden TV-Abonnentenzahlen von Premiere liften. Über
die Konditionen freilich wurden sich Hahn und Ecclestone nicht einig.
Die Kirch-Leute gehen offenbar davon aus, dass es in den Verträgen der
Formel 1 mit dem Free-TV-Sender RTL (Laufzeit: bis Ende 2003) noch Lücken
gibt. "Der Vertrag ist wasserdicht, wir werden darum kämpfen", kündigt
dagegen ein RTL-Manager an.
Für EM.TV ist die Zeit der großen Pläne erst mal vorbei: Jetzt muss saniert
werden. In der Bilanz sollen jetzt - endlich - alle Lasten ausgekehrt
werden, auch wenn dies zu Lasten des Gewinns geht. Allein für Abschreibungen
auf die hohen Werte der gekauften Firmen erwartet das Bankhaus UBS Warburg
eine Last von 160 Millionen Mark. Und das Finanzergebnis sei, wegen der
hohen Kreditzinsen, mit 245 Millionen Mark im Minus. Inhaltlich soll sich
EM.TV wieder auf das Stammgeschäft besinnen, das Vermarkten von
Fernsehfilmen und Lizenzfiguren.
Nur Haffa selbst mochte vergangene Woche nicht einsehen, dass sein Traum
vorbei ist. Intern sprach er von irrationalen Übertreibungen der Börse und
kündigte personelle Konsequenzen an. Im Kinosaal der Firmenzentrale gab er
sich Freitagabend vor 200 Mitarbeitern kämpferisch.
Es gebe nicht nur Gespräche mit Kirch, "sondern auch mit zwei anderen
Interessenten", sagte Haffa. Und dann erklärte er noch: "Ich bleibe
Vorstandsvorsitzender." Einige sollen applaudiert haben.
HANS-JÜRGEN JAKOBS, CHRISTOPH PAULY
Quelle: spiegel.de
Gruss
mizuno