Vertrauenskrise erschüttert Aktienmärkte
Nach dem Einbruch der Aktienmärkte am Freitag ist auch für diese Woche keine Entspannung zu erwarten. Es gibt nur wenige Nutznießer der schlechten Börsenlage.
Dagegen rechnen Analysten mit einer anhaltenden Hausse an den Rentenmärkten. Auch der Euro dürfte seinen Höhenflug gegenüber dem Dollar fortsetzen. Am Freitag schlugen die Bären an den Aktienmärkten erneut kräftig zu. "Die Anleger reagieren panisch", sagte ein Händler. Vor allem High-Tech-Aktien brachen weltweit ein. Der Stoxx-Technologie-Index fiel auf den tiefsten Stand seit Mai 1997. Die Aktie der Deutschen Telekom rutschte erstmals unter die Marke von 10 Euro auf ein Allzeittief von 9,71 Euro und schloss mit 9,83 Euro um 3,8 Prozent schwächer.
"Crash auf Raten"
Trotz positiver Konjunktursignale für die wichtigen Volkswirtschaften setzt sich die weltweite Baisse unvermindert fort. Besserung ist nicht in Sicht. Deutsche-Bank-Chefvolkswirt Norbert Walter sprach von einem "Crash auf Raten" und der "Korrektur einer ungesunden und viel zu raschen Erholung" nach den Terroranschlägen in den USA.
Börsianer sehen eine tiefe Vertrauenskrise der Anleger. "Die Indizes haben charttechnisch wichtige Unterstützungslinien durchbrochen", sagte ein Händler der Bayerischen Landesbank. Es gebe keinen Grund für einen Richtungswechsel. "Der Markt ist überverkauft, der Vertrauensverlust ist weiter vorhanden."
Auch für Volker Borghoff, Aktienstratege bei Trinkaus & Burkhardt, ist der Abwärtstrend noch nicht beendet. "In den nächsten drei bis vier Wochen besteht ein hohes Risiko, dass der Dax auf 4000 Punkte fällt." Die Angst vor neuen Terrroranschlägen nach der Bombenexplosion in Karatschi, die Nahost-Spannungen und die Furcht vor weiteren US-Bilanzskandalen lassen keine baldige Stimmungsaufhellung erwarten.
Hinzu kommt, dass sich der Aktienmarkt immer mehr von der Realwirtschaft abkoppelt. Die eher positiven Konjunkturdaten werden kaum noch beachtet. Dagegen führt jede negative Nachricht zu neuen Rückschlägen. "Schon finden sich die ersten Stimmen, die von einem dauerhaften Phänomen sprechen und auch den künftigen Einfluss von Makro-Daten eher als gering einschätzen", schreiben die Analyten von M. M. Warburg, die jedoch davon ausgehen, dass es sich um eine vorübergehende und keine ungewöhnliche Phase handelt.
Der Dax verlor im Wochenvergleich 6,7 Prozent. Am schlimmsten traf es den Neuen Markt: Der Nemax 50 rutschte am Freitag um 7 Prozent auf ein Allzeittief bei 624 Punkten ab - im Wochenvergleich verbuchte er ein Minus von 12,3 Prozent. Der Euro Stoxx 50 verlor binnen Wochenfrist 4,7 Prozent. Der Nasdaq Composite büßte 2 Prozent ein, der Dow Jones 1,2 Prozent.
Oracle gibt Ausblick
Diese Woche stehen in den USA neben Oracle die Ertragszahlen der großen Brokerhäuser auf dem Programm. Oracle hatte bereits angekündigt, das vierte Quartal (per 31. Mai) mit einem Gewinn von 13 bis 14 Cents je Aktie abzuschließen und damit die Erwartungen zu übertreffen. Analysten sind nach den jüngsten negativen Überraschungen aus der Tech-Branche nun auf den Ausblick für den Softwaremarkt gespannt.
Mit Lehman Brothers am Dienstag, Bear Stearns und Morgan Stanley am Mittwoch und Goldman Sachs tags darauf berichten die großen Brokerhäuser. Merrill Lynch hat seine Gewinnerwartungen für zahlreiche Branchenvertreter jeweils zwischen zwei und drei Prozent gesenkt.
In Europa stehen kaum Firmendaten an, die Hauptversammlungs-Saison ist allerdings in vollem Gang: Die Lufthansa -Aktionäre rechnen am Mittwoch vor allem mit der Prognose für 2002. Am Dienstag werden Halbjahresdaten von Club Med , am Mittwoch Quartalsergebnisse von Gucci sowie Hennes & Mauritz erwartet.
Rentenmarkt als "sicherer Hafen"
Nutznießer der desolaten Börsenlage sind weiterhin die Rentenmärkte und andere "sichere Häfen" wie Gold. Auch der Euro profitierte und kletterte am Freitag zeitweise auf ein 17-Monats-Hoch bei 0,9523 $. Die Staatsanleihen zogen weltweit kräftig an, die Renditen fielen steil nach unten. Am Freitag rutschten die Renditen zehnjähriger Bundesanleihen und US-Treasuries unter fünf Prozent.
Die Bondmärkte dürften so lange von der Aktienschwäche und der nur langsamen Konjunkturerholung profitieren, wie sich keine Zinserhöhungserwartungen aufbauen. Die Deutsche Bank hält aber ein nachhaltiges Unterschreiten der Rendite-Marke von fünf Prozent im zehnjährigen Bereich für unwahrscheinlich.
Vor allem die Anleihemärkte werden auf neue Konjunkturdaten achten. Im Fokus steht der US-Index der Wirtschaftsfrühindikatoren am Donnerstag, der im April erstmals 2002 gesunken war. Volkswirte erwarten, dass der Aufschwung weiter auf Sparflamme kocht und der Index im Mai nur leicht um 0,2 Prozent zulegte. Ebenfalls Donnerstag werden die April-Handelsbilanz und der Index der Philadelphia Fed erwartet.
Zinsen bleiben niedrig
Vorsichtig optimistisch fallen die Erwartungen für die morgen anstehenden Konsumentenpreise aus. Analysten rechnen mit einem Anstieg der Kernrate - also ohne Nahrungsmittel- und Energiepreise - um 0,2 bis 0,3 Prozent aus. Dies gäbe der US-Notenbank Fed Spielraum, angesichts des stotternden Aufschwungs eine Zinserhöhung auf die lange Bank zu schieben. UBS-Volkswirtin Maury Harris rechnet bei der bevorstehenden Fed-Sitzung am 25./ 26. Juni nicht mit einem Zinsschritt - insbesondere wegen des zuletzt schwachen privaten Konsums: "Die Fed wartet darauf, dass die Kapitalinvestitionen wieder anziehen, aber dazu müssen die produzierenden Unternehmen davon überzeugt sein, dass die Amerikaner weiter einkaufen."
In der Euro-Zone stehen die ersten Inflationsdaten für Juni aus Italien (Montag) sowie die EU-Preise für Mai (Dienstag) an. Am Mittwoch folgt die Industrieproduktion in der Eurozone im April, die Erholung signalisieren dürfte.
Der Dollar steht nach Ansicht der Deutschen Bank weiter unter Druck. Die nächste Schlüsselmarke für den Euro sehen sie bei 0,96 $. Werde diese überschritten, bestätige sich, dass der Dollar auf einen längerfristigen Abwärtstrend eingeschwenkt ist, der bis 2004 anhalten könnte.