Klageflut gegen Telekom
Mammutprozess beginnt
Von Nikola Rotscheroth, Reuters
Der Streit zwischen der Deutschen Telekom und tausenden Aktionären geht am Montag vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt/Main mit einem Musterprozess in eine entscheidende Runde. Die Anleger verlangen Schadensersatz für ihre Kursverluste. Sie fühlen sich getäuscht, weil die Telekom ihrer Meinung nach in den Prospekten zu ihren Börsengängen 1999 und 2000 falsche oder unvollständige Angaben gemacht hat. Das hat der Konzern stets zurückgewiesen.
Um den Mammutprozess zu bewältigen, hat das OLG zwei Klagen stellvertretend als Musterverfahren ausgewählt. In einem Prozess geht es um den Börsenprospekt von 2000 zum dritten Aktienverkauf der Telekom, auf den sich der Großteil der Klagen richtet. Das Musterverfahren zum Prospekt für die Aktienplatzierung 1999 ist noch nicht terminiert. Der Börsengang der Telekom von 1996 ist unstrittig.
Die Klageflut ist gewaltig: Seit Frühjahr 2001 wurden der Telekom 2770 Klagen von mehr als 17.000 Aktionären zugestellt, zumeist Kleinaktionäre, die sich um ihre angelegten Ersparnisse gebracht sehen. Knapp 1000 Kläger haben sich zurückgezogen oder sind gestorben. Die Schadenersatzforderungen belaufen sich auf insgesamt 80 Millionen Euro. Nach Aussagen der Telekom sind auf Seiten der Kläger 800 Anwaltskanzleien mit dem Fall beschäftigt. Deshalb finden die Musterverfahren statt im Gericht in einem großen Bürgersaal statt.
Das OLG hat 17 Verhandlungstage bis Ende Mai angesetzt. Vom 14. bis 29. April sollen zwölf Zeugen vernommen werden, darunter die ehemaligen Konzernchefs Ron Sommer und Kai-Uwe Ricke, der frühere Aufsichtsratschef Hans-Dietrich Winkhaus und der amtierende Finanzvorstand Karl-Gerhard Eick.
Im Mittelpunkt stehen zwei Vorwürfe: Die Telekom soll den Wert ihrer Immobilien zu hoch angesetzt haben. Zudem soll sie während der Zeichnungsfrist vom 26. Mai bis 16. Juni 2000 den Kauf des US-Unternehmens VoiceStream verheimlicht haben. Doch das sind nicht die einzigen Anklagepunkte. Die Telekom spricht von nicht weniger als 33 verschiedenen Themen.
Anw älte drängen Telekom zu Vergleich
Der Konzern gibt sich dennoch zuversichtlich, dass das Gericht die "Ordnungsmäßigkeit des Prospekts" bestätigen wird. Einen Grund für einen Vergleich sehe die Telekom nicht, hieß es in Bonn. Sollte sie unterliegen, werde sie mit hoher Wahrscheinlichkeit vor den Bundesgerichtshof ziehen.
Die Kanzlei Tilp, die beide Musterkläger vertritt, forderte wenige Tage vor Prozessbeginn nochmals einen Vergleich. Es sei unverständlich, warum deutschen Anlegern vorenthalten werde, was die Telekom US-Klägern 2005 mit einem Vergleich über insgesamt 120 Millionen Dollar längst gewährt habe, sagte Rechtsanwalt Peter Gundermann am Mittwoch. Auch aus Kostengründen wäre ein Vergleich für die Telekom günstiger als jahrelange Verfahren.
Das OLG entscheidet selbst nur über die beiden Musterklagen. Auf dieser Grundlage fällt dann das Landgericht Frankfurt, bei dem die Klagen anhängig sind, später die Einzelurteile. Möglich macht dieses Vorgehen das erst seit dem 1. November geltende Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG).
Der Musterkläger in dem ab Montag verhandelten Fall ist übrigens kein Kleinanleger: Er kaufte Aktien für mehr als eine Million Euro und ist damit der Kläger mit dem höchsten Streitwert.