Ungeniert kassieren Spitzenmanager achtstellige Jahresbezüge – wofür eigentlich?
Manchmal lohnt es sich, bei Platon nachzulesen. In den „Gesetzen“ (Nomoi), die der einer aristokratischen Familie entstammende Athener vermutlich in hohem Alter geschrieben hat, hält er konsequent an seiner Ansicht fest, dass in einer Gesellschaft große soziale Gegensätze zu vermeiden seien. „Es darf sich weder bei einigen Bürgern drückende Armut noch dagegen auch Reichtum finden.“ Und der Philosoph konkretisiert dieses Prinzip mit der Forderung, niemand in einer solchen Gesellschaft dürfe mehr als das Vierfache des Vermögens eines anderen besitzen.
Nun war Platon, dessen Werk zweieinhalb Jahrtausende überdauert hat, kein Nationalökonom, sondern eben ein Weisheitslehrer. Immerhin schreibt Joachim Starbatty im Vorwort der von ihm herausgegebenem Sammlung „Klassiker des ökonomischen Denkens“ (Verlag C. H. Beck): „Mit Platon und Aristoteles beginnt die nationalökonomische Wissenschaft. Platon hat als Philosoph in seinem Dialog ,Der Staat‘ ein ideales Gemeinwesen entworfen, als ob er die Welt neu hätte erschaffen können.“
Platon hat Ansichten niedergeschrieben, die geradezu klassisch nationalökonomisch klingen. Er plädiert für eine konsequente Arbeitsteilung, da Menschen verschiedene Bedürfnisse haben, verschiedene Dinge benötigen und unterschiedliche Fähigkeiten besitzen.
Warum dies alles hier ausführlich zitiert wird? Nun – Platons Forderung, sein „höchstens eins zu vier“, ist radikal und heutzutage nicht nachzuvollziehen. Sie wurde nie, auch nicht zu seiner Zeit und in keinem sozialistischen System, befolgt. Sie zeigt aber, dass extreme Ungleichheit als Gift für das Funktionieren einer Gesellschaft galt. Das ist sie noch immer. Platon schreibt, die Unehrlichkeit im Handel beklagend: „Der Reichtum verdirbt die Seele des Menschen durch Genusssucht, die Armut wird durch ihren Jammer in das schamlose Gebahren selbst hineingetrieben.“
Solches bedenkend, schaut man auf die aktuelle Realität. Da war vor einigen Wochen im Wirtschaftsteil dieser Zeitung folgendes zu lesen: „Nach einer Studie der Beratungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Arthur Andersen waren (im Jahr 2000) in den Top-Etagen Barvergütungen und Aktienoptionen in zweistelliger Millionenhöhe keine Ausnahmen mehr. So bezog ein einfaches Vorstandsmitglied der Deutschen Bank im Durchschnitt gut elf Millionen Euro“– also gut zwanzig Millionen Mark, eine Zahl mit sieben Nullen...
Die Vorstände von Infineon wurden jeweils mit 7,3 Millionen vergütet. Dazu: Der Chip-Hersteller hat im dritten Quartal dieses Geschäftsjahrs 600 Millionen Euro Verlust gemacht und will 5000 von seinen weltweit 35000 Stellen streichen. Dritte an der Gehaltsspitze waren die Vorstände von Daimler-Chrysler, die durchschnittlich 6,3 Millionen Euro verdienten (oder besser gesagt: bekamen), davon 3,7 Millionen als Grundgehalt plus Bonifikation, der Rest Optionen auf Aktien.
Fast bescheiden wirken im Vergleich dazu die durchschnittlichen Jahresbezüge der Siemens-Vorstandsmitglieder mit knapp drei Millionen, wobei, wie in all diesen Fällen, ein ansehnlicher Teil auf Bonuszahlungen entfällt, die risikobehaftet sind, und auf Aktienoptionen. Auch sei vermerkt, dass der Siemens-Vorstandsvorsitzende Heinrich von Pierer in den letzten Jahren aus einem stetig, wie ein schwerer Ozeandampfer dahinstampfenden Koloss mit einem gewaltigen Kraftakt ein modern organisiertes und erfolgreich diversifiziertes Unternehmen gemacht hat, das ein Favorit der Börse wurde.
Es fällt auf, dass die Einkünfte der Infineon-Vorstände im Jahr 2000 mehr als doppelt so hoch waren wie die Bezüge der Vorstandsmitglieder im Mutterkonzern Siemens. Allerdings beziehen sich die Zahlungen auf ein Jahr, in dem nach dem Gründungsboom bei Infineon Umsatz, Gewinn und Börsenkurse steil anstiegen. Das hat sich auf die erfolgsabhängigen Bezüge ausgewirkt. Jetzt wird man kritisch beobachten müssen, wie sich die Einkommen der Spitzenmanager im zu Ende gehenden Jahr entwickeln werden – da zur konjunkturellen Flaute der Crash nach dem Terroranschlag auf das World Trade Center gekommen ist.
Aber was heißt: Man wird sehen! Genau dies kann man hier zu Lande nur sehr oberflächlich.
Im Unterschied zu den USA und Großbritannien werden die Einkommen der deutschen Großverdiener wie Staatsgeheimnisse behandelt.
Die Geschäftsberichte weisen oft nur Globalzahlen für Vorstand, Aufsichtsrat, ehemalige Mitglieder und Hinterbliebene aus – garniert mit wenigen erläuternden Sätzen.
Als unverschämt sind auch etliche Fälle von Abfindungen der letzten Jahre zu bezeichnen. Manager, die in manchen Fällen wegen Misserfolgs vorzeitig ihre Stühle räumen mussten, konnten gleichwohl ihre Bezüge aus den Fünf-Jahres-Verträgen kassieren, in etlichen Fällen ergänzt durch raffiniert ausgehandelte Sonderzahlungen. Dies lassen sich viele Unternehmen eine Menge Geld kosten, verzichten auf denkbare rechtliche Schritte gegen die Gefeuerten – womöglich aus Sorge, dass andernfalls Unliebsames an die Öffentlichkeit gelangen könnte.
Den Vogel abgeschossen hat in dieser Beziehung der blasse Ex- Mannesmann-Chef Klaus Esser, der die Übernahmeschlacht gegen den britischen Konzern Vodafone verlor und dabei, 52-jährig, nach seinem Ausscheiden rund 60 Millionen Mark kassierte – möglicherweise noch viel mehr. Darüber wurde geredet, ja sogar über strafrechtlich relevante Verfehlungen.
Alle diese Zahlen – selbst wenn sie sich auf das Vorjahr beziehen – muss man sehen angesichts der anstehenden Tarifverhandlungen. Da wird gehandelt um Zehntelprozente – können es nur zwei oder dürfen es 2,5 Prozent sein? Sogar Nullrunden wurden von Verbands- und Unternehmenssprechern gefordert. Die angekündigten Lohnforderungen der IG Metall von 5 bis 7 Prozent gelten als maßlos und unakzeptabel. Und sie sind in der Tat derzeit volkswirtschaftlich kaum zu vertreten.
Ungleich maßloser sind aber die Managerbezüge und ihre Zuwachsraten. Nicht selten sind sie pro Jahr zweistellig gestiegen. Das durchschnittliche Gehalt eines deutschen Vorstandsvorsitzenden hat in den letzten zehn Jahren um 250 Prozent zugenommen, war unlängst in der Frankfurter Allgemeinen zu lesen.
Da fragt sich der Bürger: Was tut der Mensch eigentlich mit so viel Geld? Mehr als ein exklusives Haus nebst Personal, einem Feriendomizil auf Mallorca, einem beziehungsweise zwei oder drei Autos (Dienstwagen), teuren Klamotten, kostspieligen Ferienreisen, ab und zu einem Schmuckstück für die Frau Gemahlin oder für eine anspruchsvolle Freundin kann sich auch der anspruchsvollste Manager nicht wünschen. Für mehr kann er sein Geld nicht ausgeben. Vielleicht noch für eine Kunstsammlung – ein Faible, das aber in diesen Etagen keineswegs selbstverständlich ist.
Ich erinnere mich an ein Gespräch im kleinen Kreis mit Jürgen E. Schrempp, damals noch Vorstandsvorsitzender der Deutschen Aerospace AG (Dasa). Bei einem guten Glas Wein, das er wohl zu schätzen wusste, sann er laut über die Frage nach, was denn ein Mensch mit einem Jahressalär von einer Million alles tun könne – eigentlich eine Summe, die gar nicht so leicht auszugeben sei. Offenbar verdiente er damals so viel. Inzwischen dürfte der robuste Chef von Daimler-Chrysler mehr als das Zehnfache bekommen. Viele Manager haben gar nicht die Zeit, ihre horrenden Einkommen zu genießen. Ein Termin löst den anderen ab, sie jetten um die Welt und handeln sich alle möglichen Gebrechen ein. Nicht unbedingt ein beneidenswertes Leben!
Bedenken wir nochmals Platons Forderung. Immerhin gab es bis vor zwei, drei Jahrzehnten so etwas wie ein ungeschriebenes Maß: Das Salär eines Spitzenmanagers sollte nicht höher sein als höchstens das Zwanzigfache des Jahreslohns eines Facharbeiters. Setzte man dieses mit damals 40.000 oder 50.000 Mark ein, so kam man höchstenfalls auf eine Million Mark.
Das Hundert- oder Zweihundertfache ist keine Seltenheit mehr. Zum Beispiel wenn man die 20 Millionen Mark eines Vorstandsmitglieds der Deutschen Bank mit dem Gehalt eines mittleren Bankangestellten vergleicht. Dies alles ist eine Folge der Globalisierung, von der– das sagen auch viele ihrer heißen Befürworter – die Reichen (sowohl Nationen als auch Individuen) ungleich mehr profitieren als die Armen.
In den USA sind die Unterschiede noch viel größer. Der US-Autor und Unternehmer Edward Luttwak veröffentlichte in seinem lesenswerten Buch „Turbo- Kapitalismus“ (Europa Verlag, 1999) eine Tabelle mit den Spitzengehältern amerikanischer Unternehmenschefs – Stand 1996, also keineswegs taufrisch. Sie führt an ein Herr namens Lawrence Coss (Green Tree Financial) mit 102 Millionen Dollar, vor Andrew Crove (Intel) mit 97 und Sanford Weill (Travellers Group) mit 94 Millionen Dollar. Die drei Herren haben also 1996, nach heutigen Kursen, jeweils weit mehr als 200 Millionen Mark verdient (der Microsoft-Gründer Bill Gates war damals noch nicht mit dabei).
Verglichen mit solchen Zahlen, ist der amerikanische Präsident ein armer Schlucker. Ebenso wie der Bundeskanzler im Vergleich mit deutschen Spitzenmanagern. Nebenbei: Helmut Kohl hat dies arg gestört.
Merkwürdig ist, dass viele Amerikaner eine solche Menge Geld nicht als unanständig betrachten. Hier spürt man das calvinistische Werteverständnis. Reichtum läuft der Tugendhaftigkeit nicht zuwider, ist vielmehr Zeichen besonderer göttlicher Gunst. Umgekehrt ist Misserfolg nicht die Folge von Pech oder ungerechter Verhältnisse; es rührt her von der versagten Gnade Gottes.
Unvermögen ist fast schon sündhaft. Allerdings hat die Sache auch einen Haken, so Luttwak: „Die Reichen dürfen in Amerika ihren Reichtum nicht genießen. Anstatt sich wie ihre nicht-calvinistischen Schicksalsgenossen in Europa, Lateinamerika oder Südostasien sexuellen und anderen Zerstreuungen hinzugeben, sind sie verpflichtet, weiterhin hart zu arbeiten und noch reicher zu werden.“
Was also ist zu halten von solchen Einkommen? Oder: Ist es Neid, wenn man sich darüber aufregt? Wer so viel verdientes Geld verteidigt, als Politiker, Ökonom oder journalistischer Kommentator, der argumentiert gern mit dem Markt: Auf ihm würden diese Gehälter ausgehandelt und von den Aktionären genehmigt. Wirklich von den Aktionären? In Aktiengesellschaften bestellt der Aufsichtsrat die Vorstandsmitglieder. In ihm sitzen natürlich Aktionärsvertreter. Das sind übrigens meist Banken, Versicherungen, andere Unternehmen – auch Belegschaftsvertreter, die ihrerseits gerne die Aufsichtsratstantiemen einstreichen. Das Gros der Kleinaktionäre lässt sich in den Hauptversammlungen auch wieder von Banken oder von Interessengemeinschaften vertreten. Wer von ihnen würde solche Millionengehälter genehmigen? Verhindern kann er sie nicht.
Der Markt also – was ist das? In Vahlens Wirtschaftslexikon lesen wir: „Der Markt als konstitutives Element der Wirtschaftstheorie wird zum einen als Vorgang verstanden – Angebot und Nachfrage treffen aufeinander, und Anbieter und Nachfrager tauschen, eingebettet in einen Wettbewerbsprozess, Leistungen aus. Dieser Prozess wird von Subjekten getragen und bezieht sich auf Objekte, woran eine zweite Bedeutungsvariante knüpft: der Markt als Menge von Nachfragern samt ihren Bedürfnissen, von Gütern als Nutzen stiftenden Eigenschaftsbündeln und von Anbietern mit den Instrumenten der Nutzenstiftung (Produkte, Preise, Werbung, Distribution).“
Verstanden? Lesen wir anderswo – im dtv-Lexikon unter dem Stichwort Marktwirtschaft: „Eine Wirtschaftsordnung, in der Gütererzeugung und - verbrauch, also Angebot und Nachfrage, den individuellen Entscheidungen der Wirtschaftssubjekte überlassen bleiben, wobei ein frei spielendes Preissystem Angebot und Nachfrage aufeinander abstimmt.“
wir fest: Der Markt ist ein Ort oder eine Einrichtung, wo Güter und Dienstleistungen gehandelt werden; selbige müssen marktfähig sein – jemand muss sie kaufen wollen. Der Markt verlangt einen Rahmen, bestehend aus Gesetzen und Regeln, eine Ordnung des Wettbewerbs, damit gleiche Startbedingungen entstehen. Der Markt muss transparent, er muss möglichst gut überschaubar, die Preise sollen vergleichbar sein. Der Wettbewerb darf nicht durch Monopole und Kartelle eingeengt werden. Ein Kartell ist eine Absprache, ein Schutzbündnis, mit dem zum Beispiel Preise oder Geschäftsbedingungen aufeinander abgestimmt werden. In Deutschland besteht nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung ein Kartellverbot, das jedoch Ausnahmen zulässt.
Ist es also zulässig, im „Handel“ mit Spitzenmanagern von einem Markt zu sprechen? Es fehlt ein institutioneller Rahmen, wie er auf dem sonstigen breiten „Arbeitsmarkt“ zu finden ist. Es gibt keine Transparenz, die Öffentlichkeit bleibt ausgesperrt. Es gibt wechselweise nur wenige Nachfrager und Anbieter. Das Geschäft kann kartellähnliche Züge annehmen.
Von dem ebenso mächtigen und wichtigen, oft auch weniger krisenanfälligen Mittelstand soll hier nicht die Rede sein. Und in diesen Spitzenrängen sitzt der Vorstand A im Aufsichtsrat B, jener Aufsichtsrat B im Vorstand C und dieser wiederum im Aufsichtsrat D – und so weiter. Da gibt es Seilschaften und Interessenklüngel, da wäscht eine Hand die andere. Da ist zuweilen der Schritt nicht weit zum Selbstbedienungsladen. Sicher läuft dies in der Regel alles nach Recht und Gesetz, aber wenn es um Macht und Geld und Einfluss geht, dann menschelt es schon einmal.
Dass übrigens juristische Tricks nicht ganz unüblich sind, hat neulich die FAZ beschrieben. Soll zum Beispiel der Kontrakt eines Vorstandsmitglieds vom Aufsichtsrat vorzeitig verlängert werden – laut Aktiengesetz darf dies frühestens ein Jahr vor Ablauf der bisherigen Dienstzeit geschehen –, dann wir der laufende Vertrag im beiderseitigen Einvernehmen gelöst. Unmittelbar darauf wird ein neuer Vertrag abgeschlossen. Für eine „juristische Sekunde“ ist der Betreffende also arbeitslos.
Erinnern wir uns noch einmal an die griechische Klassik. Da gab es einen Unterschied zwischen Tauschgerechtigkeit, um die es Aristoteles, und sozialer Gerechtigkeit, um die es vor allem Platon geht. Tauschgerechtigkeit – das bedeutet, dass ein Geschäft regelgerecht abgewickelt wird, dass nachgefragte und angebotene Mengen und Preise sich so lange aufeinander zu bewegen, bis ein Gleichgewicht erreicht ist.
Beim Begriff soziale Gerechtigkeit aber ist man an einem Herzstück der wirtschaftsethischen Diskussion bis auf den heutigen Tag. Mit wenigen anderen Begriffen wird in Politik und Wirtschaft so herumgeschludert. Dabei wäre vermutlich die gerechteste Gesellschaft eine, in der über Gerechtigkeit nicht geredet werden muss, weil jedermann fühlt, dass es einigermaßen gerecht zugeht.
Festzuhalten ist, dass Gerechtigkeit in Deutschland Verfassungsrang hat. In Artikel 1 des Grundgesetzes heißt es: „Das deutsche Volk bekennt sich zu unverletzlichen und unveräußerlichen Grundrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“
Nur – was ist das eigentlich? Bestimmt ist es nicht absolute Gleichheit, wohl aber Chancengleichheit. Der 1992 gestorbene Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek wurde in einem Interview gefragt: Was halten Sie von nationaler und internationaler Umverteilung als Element sozialer Gerechtigkeit? Seine Antwort: „Nicht das Geringste. Was heißt denn hier Gerechtigkeit? Wer ist denn da gerecht oder ungerecht? Die Natur? Oder Gott? Jedenfalls nicht Menschen, da die Verteilung, die aus dem Marktprozess hervorgeht, nicht das Ergebnis menschlichen Handelns ist. Es gibt nur eine Gerechtigkeit, das ist die Gleichheit vor dem Gesetz.“
Die gründlichste zeitgenössische wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema verdanken wir dem amerikanischen Philosophen John Rawls. In seinem schon vor 30 Jahren veröffentlichten Buch „Eine Theorie der Gerechtigkeit“ steht am Beginn ein Schlüsselsatz: „Gerechtigkeit ist die erste Tugend sozialer Institutionen, so wie die Wahrheit bei Gedankensystemen. ..“ Er definiert und argumentiert: Soziale Werte – das sind gewisse Grundfreiheiten, Kompetenzen, Verantwortlichkeiten, Chancen, Einkommen und Vermögen – müssen in einer gerechten Gesellschaft grundsätzlich gleich verteilt sein, sofern nicht eine ungleiche Verteilung jedermann besser stellt. Mit anderen Worten: Ungleichheit bei diesen Werten ist zulässig, wenn eine gleichmäßige Verteilung die am wenigsten Begünstigten nicht besser stellt.
Was wird eigentlich von einem Spitzenmanager, vor allem vom ersten Mann in einem Unternehmen verlangt? Er soll klare Ziele haben, strategisch denken können, er muss führen, motivieren und delegieren können, er muss heutzutage auch nach außen, in den Medien präsent sein. Er soll glaubwürdig sein, interessiert an den Problemen seiner Mitarbeiter. Er soll ein Unternehmen so führen, dass Belegschaft und Aktionäre, mit Maßen auch die Öffentlichkeit, zufrieden sind. Er soll ethischen Prinzipien folgen.
Natürlich ist es nicht zulässig, Deutschlands Unternehmensführer nur als einen raffgierigen Club zu sehen. Sie verdienen viel Geld, und die meisten von ihnen arbeiten auch viel. Sie sind wie die Politik mitverantwortlich für das Tal, das die deutsche Wirtschaft durchwandert, und damit für die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit. Mitverantwortlich heißt: Deutschland kann sich von der Weltpolitik ökonomisch nicht abkoppeln. Nur: Ständig über die hohen Arbeitskosten zu klagen und über die Soziallasten, Minilöhne zu fordern, mit Abwanderung ins Ausland zu drohen – gleichzeitig aber sich selbst maßlos zu bereichern, den Ruhestand sich mit Millionen auspolstern zu lassen, das ist ökonomisch falsch, und es ist unanständig.
Aber kaum jemand regt sich darüber auf: in den Medien nur ein paar Außenseiter, von Gewerkschaftsführern hört man fast nichts. Und auch die rot- grüne Regierung (die Opposition sowieso) schweigt. Bundeskanzler Schröder will sich, noch weniger als manche seiner Vorgänger, mit den Herren an der Spitze anlegen.
So absurd die Gehälter mit den sieben Nullen sind – sie sind nicht das Schlimmste, was man manchen Managern nachsagen kann. Vor allem: Sie sind keine Vorbilder und wollen es offenbar auch gar nicht sein. Sie gebärden sich als Lobbyisten. Sie schwören auf den Wettbewerb, solange es ihnen gut geht, und sie schreien nach dem Staat, wenn raue Lüfte wehen. Sie sanieren die Unternehmen, indem sie Tausende von Mitarbeitern vor die Türe setzen, und sie sanieren sich selbst dabei.
Dass es manchmal notwendig ist, die Belegschaft veränderten Wirtschaftslagen anzupassen, ist nicht zu bestreiten. Wohl aber ist zu beklagen, dass die so genannte „Freisetzung“ oft die einzige, einfallslose Krisenmedizin ist, manchmal auch die Folge einer vorangegangenen hektischen Expansion – siehe Infineon. Ganz zu schweigen davon, dass viele Unternehmen sich gerade in der Krise nicht mehr um die ökologische Nachhaltigkeit kümmern. Sie kippen ihre Lasten nachfolgenden Generationen vor die Füße.
Sie – das sind nicht wenige und nicht alle. Es ist schwer, wohl auch unfair, nur drei oder vier Namen herauszuheben. Dennoch: Der Siemens-Chef wurde bereits genannt. Der Vorstandsvorsitzende der Lufthansa, Jürgen Weber, hat die Fluggesellschaft saniert, konsolidiert, dabei Arbeitsplätze erhalten und vermehrt. Die jetzige Krise hat er nicht zu verantworten. Den ausscheidenden BMW-Chef Joachim Milberg kann man nennen, der in der noblen Tradition seines Vorgängers Eberhard von Kuenheim steht; vielleicht auch Albrecht Schmidt, den Vorstandsvorsitzenden der HypoVereinsbank.
Im letzten Frühjahr sagte er in der Katholischen Akademie: „Wirtschaftliches Verhalten darf nicht nur ökonomisch und juristisch vertretbar sein, es muss vor allem auch ethisch verantwortbar sein.“ Aber er zeigte auch Schwierigkeiten auf: „Ist es ethisch, einen Staudamm in Indien zu finanzieren, der Tausende von Menschen aus ihrer Heimat vertreibt, auf der anderen Seite aber für Zehntausende den Anschluss an Elektrizität bringt und damit ihre Lebensqualität erhöht?“
Quelle: Süddeutsche Zeitung