Der Gerechte Krieg - gibt es sowas? -

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BRAD PIT:

Der Gerechte Krieg - gibt es sowas? -

 
26.08.02 18:02
DER SPIEGEL 35/2002 - 26. August 2002
URL: www.spiegel.de/spiegel/0,1518,211009,00.html
Debatte

Die falsche Gewissheit

Peter Schneider zur deutsch-amerikanischen Debatte über den "gerechten Krieg"

 
DPA

Autor Schneider: "Geht es nicht eine Nummer kleiner?"


Der Intellektuellen-Streit über "den gerechten Krieg" ist in mehr als einer Hinsicht ein Kuriosum. Zunächst einmal fällt die Unterschiedlichkeit des Echos auf. In den USA findet die Debatte praktisch vor leeren Stühlen statt. Das im Februar publizierte Manifest der 60 amerikanischen Intellektuellen "What We're Fighting For" wurde hie und da erwähnt, aber in keiner großen amerikanischen Zeitung abgedruckt. Das amerikanische Publikum interessiert sich zwar brennend für den Krieg, aber offenbar nicht dafür, ob und warum seine Intellektuellen ihn für gerecht halten. In Deutschland machte das Manifest sofort Schlagzeilen in der überregionalen Tagespresse.

Auch hinsichtlich der Autoren fällt eine Asymmetrie ins Auge. Die amerikanische Unterzeichnerliste führt ein breites Spektrum unterschiedlicher Positionen zusammen. Konservative wie Samuel Huntington und Francis Fukuyama stellen sich in der Frage des "gerechten Krieges" neben liberale oder linke Denker wie Michael Walzer und Amitai Etzioni. Was die Verfasser der deutschen Entgegnung "Eine Welt der Gerechtigkeit und des Friedens sieht anders aus" angeht, gibt es keine Überraschungen. Es handelt sich um jene bewährte Gruppe von Mahnern und Warnern - darunter Walter Jens, Horst-Eberhard Richter, Friedrich Schorlemmer, Günter Wallraff -, deren Unterschrift man noch unter keinem Aufruf zur Verbesserung des Menschengeschlechts vermisst hat. Entsprechend unterschiedlich auch der Stil: Während die Amerikaner einen eher kommunikativen Redestil pflegen, der von Euphemismen ("Zu gewissen Zeiten hat unsere Nation eine fehlgeleitete und ungerechte Politik verfolgt") und plakativen Wendungen ("Wer sind wir? Was sind unsere Werte? ... Was ist mit Gott?") nicht zurückschreckt, herrscht in der deutschen Antwort eine Tonlage vor, die zwischen Bischofsbrief ("Sorgen Sie dafür ... Helfen Sie mit ...") und strenger politischer Zurechtweisung ("Die amerikanischen Werte ... stehen auf dem Prüfstand") schwankt.

Aber nun zum Anlass und Verlauf des Streits. Tatsächlich haben die amerikanischen Manifestler dem Rest der Welt einen schwer verdaulichen Brocken hingeworfen. "Es gibt Zeiten", schreiben sie, "in denen es nicht nur moralisch gerechtfertigt, sondern sogar geboten ist, den Krieg zu erwägen - als Antwort auf katastrophale Gewaltakte, Hass und Ungerechtigkeit. Derzeit erleben wir einen solchen Moment. Der Gedanke des ,gerechten Krieges' hat eine breite Grundlage; seine Wurzeln finden sich in vielen Religionen und säkularen Moraltraditionen."

Um es gleich zu sagen: Auch ich halte den Rekurs auf den "gerechten Krieg" für einen Fehlgriff. Der Begriff wurde vom Kirchenvater Augustin systematisch entwickelt und im Mittelalter zur propagandistischen Vorbereitung der Kreuzzüge missbraucht, die zu den großen Verbrechen des christlichen Abendlands gehören. Neuerdings ist es unter den Würdenträgern der westlichen Zivilisation Mode geworden, sich für solche Verbrechen - gleichviel ob Kreuzzüge, Hexenverbrennungen oder Sklaverei - mit einer Reise an die historischen "Tatorte" und einem herzhaften "sorry!" zu entschuldigen. Die Assoziationen, die sich mit dem Wort vom "gerechten Krieg" verbinden, lassen sich durch derlei Gesten natürlich nicht verscheuchen. Allein die Tatsache, dass der amerikanische Präsident in den ersten Tagen nach dem 11. September von einem "Kreuzzug gegen das Böse" sprach - den er dann auch noch auf den Namen "Unendliche Gerechtigkeit" taufte -, hätte die amerikanischen Professoren davor warnen müssen, den belasteten Begriff des "gerechten Krieges" zu rehabilitieren. Dass sie es taten, ohne ein einziges Wort zum Nahost-Konflikt und zum geplanten Krieg gegen den Irak zu sagen, hat zu Recht Fragen ausgelöst - nicht nur in Deutschland und Europa, sondern auch in den USA.

Ein Manifest für den Krieg
veröffentlichten Mitte Februar 60 führende US-Gelehrte. In ihrer Streitschrift "What We're Fighting For" ("Wofür wir kämpfen") erklären sie den Kampf gegen den Terror zum gerechten Krieg: Jeder Mensch habe Anspruch auf Freiheit und Individualität sowie das Recht zur Sinnsuche in Religion und Gewissen; niemand dürfe im Namen Gottes töten. Zwar gab es im April eine Erwiderung amerikanischer Gewaltgegner wie Gore Vidal, doch stärkeres Echo entstand in Deutschland. Anfang Mai erschien ein von 103 Intellektuellen unterzeichneter Gegenaufruf: "Eine Welt der Gerechtigkeit und des Friedens" könne nicht aus Gewalt entstehen, universale Werte seien so strikt nicht denkbar. Vor drei Wochen nun kam die Antwort aus den USA: Darin werfen die Autoren des ursprünglichen Thesenpapiers den mehrheitlich linksliberalen deutschen Kritikern der US-Politik vor, sie hätten "keine schlüssige moralische Position"; stattdessen, so einer der Unterzeichner, betreibe man antiamerikanische Rhetorik. "Wir erwarten Ihre Antwort", heißt es am Schluss. Hier antwortet der Schriftsteller Peter Schneider.


 
Wer hat das Recht, einen "gerechten Krieg" auszurufen? Geht es nicht eine Nummer kleiner? Ist es nicht angemessener, davon zu sprechen, dass es gerechtfertigte und notwendige Kriege gibt? Kriege, denen ein Volk oder eine Staatengemeinschaft nicht ausweichen kann?

Der Unterschied zwischen den Adjektiven "gerecht" und "gerechtfertigt" erscheint auf den ersten Blick belanglos. In Wirklichkeit läuft es auf den Unterschied zwischen einer Anmaßung und dem Eingeständnis hinaus, dass Regierungen, auch demokratisch gewählte Regierungen, die Gerechtigkeit nicht gepachtet haben.

Wer behauptet, dass er aus unausweichlichen und gerechtfertigten Gründen einen Krieg führen müsse, muss sich darauf einlassen, seinen Anspruch ständig an der Wahl der eingesetzten Mittel und an der Umsetzung seiner Kriegsziele messen zu lassen. Wer behauptet, dass er einen "gerechten Krieg" führe, muss ihn nicht mehr rechtfertigen und schließt die Möglichkeit des Irrtums aus. Er läuft Gefahr, die partiellen Interessen einer Nation mit den universellen Interessen der Menschheit zu verwechseln.

Aber im entscheidenden Punkt behalten die amerikanischen Manifestler Recht: Krieg ist nicht gleich Krieg. (Nicht von ungefähr wird seit altersher zwischen Angriffs- und Verteidigungskriegen unterschieden. Befreiungskriege unterliegen einer anderen Bewertung als kolonialistische Eroberungs- und Unterwerfungskriege. Und im letzten Jahrzehnt hat sich erneut gezeigt, dass gegen Gewaltherrscher manchmal kein anderes Mittel bleibt als die militärische Intervention.)

Der Krieg der Alliierten gegen die Aggression der faschistischen Achsenmächte Deutschland/Italien war alles in allem ein gerechtfertigter Krieg. Insofern war die deutsche Nachkriegslosung "Nie wieder Krieg!" eine zwar verständliche, weltweit erwünschte, aber unzureichende Lehre aus der deutschen Vergangenheit. Diese Losung, in der der Unterschied zwischen Angreifern und Angegriffenen, zwischen Tätern und Opfern verschwand, konnte sich wohl nur im Land der Täter durchsetzen. Die von den Deutschen überfallenen Nachbarvölker, die Polen, Niederländer, Franzosen oder Dänen hätten sich eine solche Formel nur um den Preis der Selbstverleugnung zu eigen machen können. Denn sie hatten Waffen in die Hand nehmen und Krieg führen müssen, um die deutschen Aggressoren zu stoppen und schließlich zu besiegen - und würden es im Wiederholungsfalle wieder tun. Hätte es nicht eher heißen müssen: Nie wieder Aggression! Nie wieder Überfall! Nie wieder Herrenwahn und Rassismus!? Erst in den späten neunziger Jahren hat die rot-grüne Bundesregierung das nie geprüfte Überlebensmotto der Nachkriegsdeutschen in Frage gestellt. An der Seite der Nato haben deutsche Soldaten mit dafür gesorgt, die ethnische Raserei im ehemaligen Jugoslawien zu beenden.



 
REUTERS

Einsturz des World Trade Center: "Affektive Enthemmung"


Der Skandal an der deutschen Antwort auf den Vorstoß der amerikanischen Intellektuellen ist, dass sie ihm mit den alten Formeln des deutschen Nachkriegskonsenses zu Leibe rücken: Krieg ist gleich Krieg, und wir, die deutschen Unschuldsengel, erklären der Welt, was moralisch ist. Verblüfft fragen die amerikanischen Autoren in ihrem Antwortbrief: "Abgesehen davon, dass Sie die Tradition des ,gerechten Krieges' als einen ,unglückseligen historischen Begriff' bezeichnen, entfalten Sie an keiner Stelle eine schlüssige moralische Position zur Frage des gerechtfertigten Waffengebrauchs."

Tatsächlich wird diese Kernfrage von den deutschen Entgegnern vollständig ignoriert. Im Ton von Schulmeistern gestehen sie zwar ein, dass die US-amerikanischen Truppen "einen hervorragenden Beitrag" zur Niederringung des Hitler-Faschismus geleistet haben - Note 1 -, aber für die nachfolgenden Jahrzehnte verteilen sie dann nur noch Sechsen. Im Einleitungssatz verurteilen sie den Anschlag auf das World Trade Center, um sogleich zu ihrem eigentlichen Anliegen zu kommen, nämlich "den Krieg, den Ihre Regierung und ihre Verbündeten, uns eingeschlossen, in der Anti-Terror-Allianz in Afghanistan führen und dem bisher über 4000 unbeteiligte Menschen ... zum Opfer gefallen sind, mit derselben Schärfe abzulehnen". Der Leser reibt sich die Augen. Woher die phantastische Zahlensymmetrie? Die Zahl der Opfer des Attentats vom 11. September liegt nach letzten Angaben bei 3038, die Zahl der zivilen Opfer in Afghanistan kennt niemand mit Gewissheit - in der seriösen internationalen Presse werden Zahlen zwischen 400 und 5000 genannt.

Jedes dieser Opfer ist eines zu viel, und es ist notwendig, den Bush-Kriegern in Afghanistan, die ihre menschlichen "targets" vorzugsweise aus der Luft verfolgen und dabei auch mal eine ganze Hochzeitsgesellschaft auslöschen, die zur Feier des Ereignisses mit Gewehren in die Luft geschossen hat, solche unentschuldbaren Vorfälle vorzuhalten. Aber ist es nicht makaber, dass die deutschen Mahner die Zahl der zivilen Toten des Afghanistan-Krieges eigenmächtig auf 4000 festsetzen, um ihr Argument zu haben: 4000 afghanische Ziviltote stehen rund 4000 Opfern des Anschlags vom 11. September gegenüber? Um dann fortzufahren: "Es gibt keine universal gültigen Werte, die es erlauben, einen Massenmord mit einem weiteren Massenmord zu rechtfertigen."

Du lieber Himmel! Wie geschichtsvergessen muss man sein, um an solche falschen Gleichungen zu glauben? Haben die Verfasser nie von den deutschen Juden, Hitler-Gegnern und Widerstandskämpfern gehört, die während der britischen und amerikanischen Luftangriffe in Berlin und anderswo in Verstecken saßen, um ihr Leben zitterten und sich dennoch wünschten, dass noch mehr Bomben fielen, die dem Mordregime der Nazis ein Ende bereiten würden? Mit Recht wenden die angeklagten amerikanischen Autoren ein: "Es ist moralische Blindheit, wenn Sie die unbeabsichtigte Tötung von Zivilisten in einem Krieg, dessen Grund gerechtfertigt ist ... mit der beabsichtigten Ermordung von Zivilisten in einem Bürogebäude gleichsetzen, deren Ziel es ist, die Zahl der zivilen Opfer zu maximieren."

 
AP

US-Bombardement in Afghanistan: Phantastische Zahlensymmetrie


Mit solchen Unterscheidungen halten sich die deutschen Moralexperten nicht auf. Von irgendwelchen gerechtfertigten Gründen des amerikanischen Gegenschlags wollen sie nichts wissen und unterstellen den Amerikanern, 11. September hin oder her, dass sie sich in Wahrheit "von geostrategischen Motiven leiten lassen", um "ihre Hegemonialposition ... zu festigen". Und halten ihnen vor, dass die "Konzentration von ungeheuren Machtpotenzialen in einem einzigen Land ... eine wichtige Quelle der Instabilität von grenz- und kulturüberschreitenden Beziehungen ist".

Was sollen die USA, die sich ihre Rolle als einzige verbleibende Supermacht nicht ausgesucht haben, eigentlich tun, um es solchen Ratgebern Recht zu machen? Ihre "ungeheuren Machtpotenziale" mit anderen teilen, am besten mit den Deutschen?

Wie auch immer, nach den Erkenntnissen der deutschen Mahner muss man die Terrorangriffe von al-Qaida und die Selbstmordattentate der Palästinenser als Reaktionen auf diese "Machtungleichheit" begreifen. Die "als ungerecht wahrgenommene eigene Unterlegenheit" rufe "affektive Enthemmungen hervor" und mobilisiere ein "ungeheures Reaktionspotenzial bis zur Bereitschaft, auch das eigene Leben durch Selbstmordattentate zu opfern".

Der Skandal an der deutschen Antwort sind ihre Formeln: Krieg ist gleich Krieg, und wir deutschen Unschuldsengel erklären der Welt, was moralisch ist


Ich habe meine Zweifel daran, ob sich die machtbesessenen Führer von al-Qaida und die zynischen Zuhälter der Hamas, die halberwachsene Kinder zu Selbstmordattentaten verführen, in dieser sensiblen Interpretation ihrer Untaten wiedererkennen. Erklärtermaßen wollen die islamistischen Fanatiker jeden Juden aus Palästina vertreiben, und dazu ist ihnen das von Saddam Hussein mit jeweils 25 000 Dollar honorierte Selbstopfer ihrer Jugend recht. Die falsche Gewissheit, die aus dem deutschen Brief an die amerikanischen Intellektuellen spricht, hat etwas mit einem Denk- und Gefühlsverbot zu tun. Das Böse, davon scheinen die deutschen Verfasser überzeugt zu sein, gibt es gar nicht, folglich muss es auch nicht, und notfalls mit Gewalt, gestoppt werden. Jeder Akt von Barbarei, jede ideologische Verirrung, jeder Hassausbruch und jeder Mordwahn auf der Welt hat, so glauben sie, nachvollziehbare und behebbare, soziale Ursachen; man muss diese Ursachen bloß verstehen und verändern, mit den Gedemütigten und "affektiv Enthemmten" in einen Dialog eintreten, ihnen Verständnis entgegenbringen, und schon kommt man zu einer friedlichen Lösung.

Wer wird leugnen, dass diese Überzeugung irgendwie sympathisch ist, sympathischer jedenfalls als die kriegerische Ansage der amerikanischen Intellektuellen? Ich muss allerdings gestehen, dass mir im Ernstfall um die Reaktions- und Handlungsfähigkeit von Leuten, die zwischen einem Terrorakt von islamistischen Faschisten und einem gerechtfertigten Gegenschlag nicht sicher unterscheiden können, bange ist. Aber eigentlich kann dieser Ernstfall gar nicht eintreten - eben weil wir für die "affektiv Enthemmten" und Verstörten so viel Verständnis haben.









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© DER SPIEGEL 35/2002

Reila:

Deutsche Politiker

 
26.08.02 18:23
werden eher das Verbot der Käfighaltung von Hühnern in Drittstaaten durchsetzen als die Menschenrechte. Ersteres ist erlaubter Tierschutz, letzteres unerlaubte Einmischung.

R.
BRAD PIT:

Wenn man einen gerechten Krieg

 
26.08.02 18:26
bejaht, dann ist es der erste Schritt für jeden Krieg, nämlich auch für den ungerechten Krieg.
Denn jeder Despot behauptet natürlich von seinem Krieg, dass es der gerechte Krieg ist.
pusherman:

Hi Brad!

 
26.08.02 18:29
Your damn right again!
I Think I Love You!

Forever Yours

Pusherman
Apfelbaumpfla.:

Naja, theoretisch gibts das schon:

 
26.08.02 18:31
Ansichtssache:

www.utm.edu/research/iep/j/justwar.htm

Grüße

Apfelbaumpflanzer
BRAD PIT:

@pusherman

 
26.08.02 18:33

No Chance.
Ich steh nur auf Frauen.

@Apfelbaumpfl.
In den anderen Thread warte ich seit 1 Woche auf Deine Antwort. Wat is?
pusherman:

Jennifer Aniston?

 
26.08.02 18:52
She ain`t nuttin` but a b....!

Pusherman
Apfelbaumpfla.:

@Brad

 
26.08.02 21:25
Erledigt.

Grüße

Apfelbaumpflanzer
BRAD PIT:

@Apfelbaumpfl.

 
26.08.02 22:14
Danke, habe ich gesehen. Habe auch was dazu geschrieben

Gruß Brad
BRAD PIT:

@pusherman

 
26.08.02 22:16
hast du dich nur unglücklich ausgedrückt oder bist du wirklich so geschmacklos?
Apfelbaumpfla.:

@brad:

 
27.08.02 07:35
du hast was dazu KOPIERT.

Grüße

Apfelbaumpflanzer
BRAD PIT:

@Apfelbaum

 
27.08.02 10:06
Wenn ich an meinen Standpunkten festhalte, dann sieht es nur so aus als wäre es kopiert.
BRAD PIT:

Interview mit Friedensforscher Johan Galtung

 
04.09.02 15:44


"Das Öltier hat ein Ölgehirn an seiner Spitze"

Ein Jahr nach den Anschlägen vom 11. September erhebt der Träger des alternativen Nobelpreises, Johan Galtung, schwere Vorwürfe gegen die US-Regierung. Statt die Krise zu bewältigen, sagt der Friedensforscher im Interview mit SPIEGEL ONLINE, habe sie nur den Hass von noch mehr Menschen provoziert.

   

Johan Galtung
Johan Galtung ist norwegischer Friedens-
forscher und Träger des alternativen Friedensnobelpreises von 1987. Galtung lehrte an der Universität von Hawaii, der Universität von Witten/Herdecke und anderen. 1959 gründete er das Internationale Friedensforschungsinstitut (PRIO) in Oslo. Heute arbeitet er als Direktor am Entwicklungs- und Friedensnetzwerk "TRANSCEND".


Hamburg - Als SPIEGEL ONLINE unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September 2001 den Friedensforscher Johan Galtung interviewte, forderte er einen Dialog der Kulturen als Grundlage für politische Entscheidungen und als Basis für eine Revision westlicher Wirtschaftspolitik. Knapp ein Jahr nach den Terrorschlägen und dem Beginn des Afghanistan-Feldzuges zieht Galtung eine Bilanz.

SPIEGEL ONLINE: Herr Galtung, nach dem 11. September 2001 kündigte die US-Regierung an, sie werde den internationalen Terrorismus nicht nur militärisch, sondern auch mit wirtschaftlichen und kulturellen Mitteln bekämpfen. Ist das gelungen?

Galtung: Davon kann keine Rede sein. Kulturell ist so gut wie nichts geschehen. Der große Dialog hat nicht stattgefunden. In Deutschland kam es immerhin auf lokaler Ebene zu Begegnungen zwischen den Kulturen und Religionen. Andererseits wurden Goethe-Institute, nun, da man sie bräuchte, geschlossen.

 
AP

11. September 2001: Der Tag, an dem Amerika beschloss, einen Kriegszug zu beginnen


SPIEGEL ONLINE: Vor knapp einem Jahr sagten Sie, der Angriff auf das World Trade Center habe auch ökonomische Ursachen. Sehen Sie Fortschritte in der amerikanischen Wirtschaftspolitik hin zu einer gerechteren Welt?

Galtung: Überhaupt nicht. Im Gegenteil: Die US-Wirtschaftspolitik wird ihrer globalen Verantwortung immer weniger gerecht. Nehmen Sie den Streit über die Stahlzölle. Die US-Regierung propagiert den Freihandel. Sobald es für die eigene Wirtschaft unbequem wird, errichtet sie Handelsschranken. Die Amerikaner teilen aus wirtschaftlichen Gründen den nahezu weltweiten Konsens über den Klimaschutz nicht, und auch auf dem Nachhaltigkeitsgipfel in Johannesburg stellen sie sich quer. In der Wirtschaftspolitik heißt es im Grunde: Die USA gegen den Rest der Welt.

SPIEGEL ONLINE: Die Amerikaner haben als Reaktion auf den 11. September immerhin angekündigt, ihren Entwicklungshilfe-Etat bis 2006 auf 20 Milliarden Dollar zu verdoppeln.

Galtung: Doch hilft diese Entwicklungshilfe wirklich? Inhaltlich ist sie in der Hauptsache Militärhilfe. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird größer.

SPIEGEL ONLINE: Woher wissen Sie das? Militärhilfe wird gewöhnlich nicht aus dem Entwicklungshilfe-Etat bezahlt.

Galtung: Oft fließen die Gelder in die Infrastruktur, die militärisch nutzbar ist.

SPIEGEL ONLINE: Was würde wirklich helfen?

Galtung: Wenn die Ressourcen in der so genannten Dritten Welt den Menschen vor Ort zugute kämen - erst zur Selbstversorgung, dann für den Handel. Grund und Boden für die Menschen, die den Boden brauchen, nicht nur für diejenigen, die den Boden kaufen können.

SPIEGEL ONLINE: Macht Ihnen der Aufbau Afghanistans mit westlichem Geld nicht etwas Hoffnung?

Galtung: Das Vorurteil vieler Afghanen und anderen, den USA sei es im Kampf gegen al-Qaida und gegen die Taliban vor allem darum gegangen, Ölreserven in der Region zu sichern und militärisch Fuß zu fassen, bestätigt sich. Warum überlassen sie das Öl und die Verarbeitung nicht den mittelasiatischen Staaten? Warum lösen sie ihre Militärstützpunkte in Kirgisien nicht wieder auf? Die Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) und der Weltsicherheitsrat sollten in Afghanistan für Sicherheit sorgen. Dort steigt die Zahl derer rapide, die die Amerikaner nach 160 Jahren ausländischer Einmischung hassen.

SPIEGEL ONLINE: Wie äußert sich dieser Hass?

 
AP

Galtung: "Die Taliban haben Zulauf wie nie zuvor"


Galtung: Die Taliban und die so genannte Terror-Organisation al-Qaida haben Zulauf wie nie zuvor. Natürlich rennen die nicht herum und verteilen Visitenkarten: "Ich bin ein Taliban." Doch die Anhänger formieren sich neu und verfolgen weiter dieselben Ziele. Meiner Einschätzung nach ist al-Qaida ein Konstrukt Washingtons, eine typische Pentagon-Projektion. Wenn es einen Feind gibt, muss er nach den Vorstellungen der Pentagon-Strategen strukturiert sein wie ihre eigene Behörde: mit viel Geld ausgestattet und einem klar auszumachenden Führer.

SPIEGEL ONLINE: Wollen Sie wirklich sagen, al-Qaida existiere nicht?

Galtung: Die westliche Vorstellung der Organisation ist falsch, doch es gibt eine große Kraft, die meistens in Zellen, wie etwa in Hamburg, organisiert und durch Glaube verbunden ist. Millionen hassen nicht die USA, sondern deren Wirtschafts- und Militärpolitik.

SPIEGEL ONLINE: Ist in Afghanistan also mit einem langen Krieg mit einem zunehmend diffusen Gegner zu rechnen?

Galtung: Ja, doch nicht nur in Afghanistan. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, ob der Irak im Oktober noch vor den Kongresswahlen in den USA angegriffen wird oder im November nach den Wahlen.

SPIEGEL ONLINE: Halten Sie einen Krieg gegen Saddam Hussein für gerechtfertigt?

Galtung: Nein. Denn es gibt keine Beweise, dass der Irak Massenvernichtungsmittel herstellt. Die Verbündeten der USA haben zu wenig Mut, diese von Präsident Bush einzufordern.

SPIEGEL ONLINE: Hussein ist mit Massenvernichtungsmitteln bereits gegen die Kurden im eigenen Land vorgegangen.

Galtung: Er hat das Beispiel nachgeahmt, das Großbritannien 1922 im Irak vorgegeben hat. Die Engländer haben einen irakischen Aufstand mit Giftgas niedergeschlagen.

SPIEGEL ONLINE: Aus welchem Grund sonst soll der Irak ins Visier der Supermacht geraten sein?

 
(AFP/DPA     Saudi Arabien: Der Protest gegen den Westen formiert sich )


Galtung: Den USA geht es in Wahrheit darum, ihren Ölnachschub zu sichern und einen neuen Militärstützpunkt im Mittleren Osten zu gewinnen, nachdem der bisherige Verbündete Saudi-Arabien wegfällt.

SPIEGEL ONLINE: Warum sind die Saudis kein geeigneter Partner mehr?

Galtung: Das Verhältnis der Saudis zu den Amerikanern ist zunehmend geprägt durch das Aufeinanderprallen zweier Fundamentalismen: dem des islamischen Wahabismus, der in Saudi-Arabien Staatsreligion ist, und dem des christlichen Puritanismus, von dem die US-Regierung durchdrungen ist.

SPIEGEL ONLINE: Verschränkt sich also beim Feldzug gegen den Terror eine Kollision aus wirtschaftlichen Interessen mit einer, die auf kulturellen Verschiedenheiten beruht?

Galtung: So könnte man sagen. Das Öltier USA mit einem Ölgehirn an der Spitze (Präsident George W. Bush besaß eigene Firmen im Ölgeschäft, Vizepräsident Dick Cheney leitete den texanischen Ölkonzern Halliburton, Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice saß im Aufsichtsrat von Chevron, sogar ein Öltanker wurde nach ihr benannt) ist gefräßig. Andererseits finanziert das saudische Königshaus - versehen mit der fundamentalistischen Überzeugung, dass Arabien ein auserwähltes, heiliges Land sei - die palästinensischen Selbstmordattentäter gegen Israel und bringt Extremisten hervor, die gegen den Westen operieren. Deswegen ist die amerikanisch-israelische Lobby AIPAC (amerikanisch-israelisches politisches Aktionskomitee) in Washington sehr aktiv gegen Saudi-Arabien und für den Krieg gegen den Irak.

SPIEGEL ONLINE: Wie lässt sich diese Situation auflösen?

Galtung: Was dringend nötig wäre, ist eine kulturelle Mobilisierung gegen beide Fundamentalismen und ein wirtschaftliches Umdenken, bei dem es nicht nur um Profit, sondern auch um Gerechtigkeit geht. Und eine multilaterale Lösung für Israel/Palästina, eine Nahost-Gemeinschaft, etwa wie die Europäische Gemeinschaft in der ersten Phase mit Deutschland und seinen fünf Nachbarländern.

Das Gespräch führte Alexander Schwabe




Elan:

zur eingangsfrage:

 
04.09.02 15:49
die frage: Der Gerechte Krieg - gibt es sowas? -

meine meinung zur frage:

die frage an sich ist eine beleidigung an die zivilisierte welt, denn krieg ist mord und totschlag, leid und elend, chaos, angst und schrecken, verderben und verlust der unschuld...wenn man das auch noch in abwägung von gewisser vertretbarkeit hinterfragen muss, dann hat die menschheit wahrlich keine daseinsberechtigung.

antwort zur frage: nichts...diese frage ist unzulässig!



Der Gerechte Krieg - gibt es sowas? - 772918
Die_Quadratur_des_Kreises

 
BRAD PIT:

@Elan

 
04.09.02 21:21
Deine Ansicht finde ich prinzipiell gut. Die Frage hat aber schon in ihrer Intention den Sinn, kritisches Denken zu fördern. Daher ist sie natürlich zulässig.
mod:

Krieg ist immer Scheisse. Aber sich nicht

 
04.09.02 21:32
Verteidigen ist Selbstmord.
Also:
Bedroht der verrückte Saddam nun bedrohlich den
Weltfrieden?
Die Geheimdienste wissen sicher mehr.
Und Blair halte ich für seriös.
Abwarten, was Blair der Weltöffentlichkeit präsentiert.  
BRAD PIT:

Wen (!?) sollte Saddam den ersthaft bedrohen wol-

 
05.09.02 11:32
len, selbst wen er B- und C-Waffen hätte??

Selbst NAchbarland Iran, das mit ihm 8 Jahre Krieg führte hat keine Angst mehr vor ihm. Soll er eine RAkete auf Israel jagen, wozu??.
Seht es mal so:

Er darf seit dem Embargo keine Waffen mehr kaufen, aber immerhin ist der Irak ein Land, das auch den Anspruch hat, sich im Zweifelsfalle wehren zu können, z.B. gegen Israel, Iran und andere. Immerhin hat Saddam damals des gleiche mit dem Iran gemacht. Er griff Iran an, als das Land quasi Füherelos war. Also traut er es auch umgekehrt anderen zu.
Wenn er keine Waffen importieren darf, dan bastelt er sich alleine schon "notgedrungen" was im Hinterzimmer.
Apfelbaumpfla.:

@Brad

 
05.09.02 11:42
"Soll er eine RAkete auf Israel jagen, wozu??"

Ist diese Frage dein Ernst?

Grüße

Apfelbaumpflanzer
BRAD PIT:

@Apfelbaumpflanzer

 
05.09.02 11:51
Vielleicht hast Du mich missverstanden, aber es ist mein voller Ernst.
Wieso sollte Saddam das tun, wenn er danach zu 100% niemanden mehr findet, der ihn nicht platt machen will. Das wäre doch glatter Selbstmord für ihn.

Eine Regel gibt es im Leben: Niemand der als schlecht gilt, ist "irrational" schlecht; es sei denn er ist verrückt. Noch hat aber kein Arzt bei Saddam einen echten Wahnsinn diagnostiziert, außer vielleicht "Größenwahn".
mod:

Ja, Brad Pit, hätte

 
05.09.02 12:01
man Deine Aussagen alle zur Richtlinie einer
Politik gegenüber Hitler gemacht....
Nicht auszudenken.

Der britische Premierminister Chamberlain meinte auch
nach dem Münchener Abkommen vom 30.9.1938 sinngemäss:
Ich habe mit Herrn Hitler gesprochen. Er ist ein
vernünftiger Mann und wird jetzt Frieden halten.
www.dhm.de/lemo/html/nazi/aussenpolitik/...abkommen/index.html
Apfelbaumpfla.:

ich hab' dich schon verstanden

 
05.09.02 12:02
Frag' mal dazu die Jungs von Hamas, Djihad und Konsorten.

Dein Vertrauen in die geistige Gesundheit von Herrn Hussein ehrt dich ja, aber hast du mal dessen Sprüche gehört? Könnte es nicht sein, dass er bei einem Angriff auf Israel auf die Unterstützung seiner Nachbarn hofft?
Könnte es sein, dass ihm viele eigene Opfer egal sind, wenn nur Israel verschwindet? Ist es nicht genau das was in manchen Ecken gepredigt wird? Mit 100tausenden von Märtyrern nach Al-Quds? Ist das alles heisse Luft?



Grüße

Apfelbaumpflanzer
BRAD PIT:

@mod und Apfelbaum

 
05.09.02 12:17
Die AUsgangsbasis ist doch eine ganz andere. Hitler hatte wirklich eine gawaltige Rüstungsindustrie aufgebaut, mit der ganz Europa hätte beherrschen können, wenn er im Krieg taktisch klüger vorgegangen wäre (Z.B. nicht Stalingrad im Winter belagern). Er wollte ganz klar die Welt beherrschen.

Saddam rührt mit seinen "verbalen" vorhaben einen ganz alten Hut. Wenn die Araber Israel angreifen wollen, dan brauchen sie Saddam nicht unbedingt dafür. Seit Monaten sterben jeden Tag Palästinenser in Israel aber "ernsthaft" bedroht haben die Araber Israel deswegen noch nicht.

Zu Apfelbaumpfl. ".....egal, wenn nur Israel verschwindet..". Israel ist nicht Khomeini. Der als wahnsinniger "religiöer" Führer hätte das mit Israel vielleicht wirklich durchgezogen. Aber der lebt Gott-sei-dank nicht mehr.

Ich sage nicht, dass ihr Unrecht habt, sondern halte dagegen, dass ein Angriff auf Irak erst Recht die ARABER als Religionsgemeinschaft mobilisieren wird. Die werden sagen "Seht ihr, der Westen = die Christen. Die sind für uns eine Gefahr, weil sie eigentlich gegen alle Moslems Krieg führen wollen" und schon haben wir den großen Krieg, Islamische Länder, gegen den Westen.
In Ägypten, Pakistan, Sudan, Libanon, Syrien,Türkei, würden die Moslems 100% Zulauf finden und die Macht ergreifen; und zwar aus Angst.
Sie sagen dann: "Erst Afghanisten, dann Irak, danach kann es jeden von uns treffen, also wehren wir uns". Jeder fanatische Moslemführer freut sich doch schon, dass jetzt seine Stunde kommen wird.  
BRAD PIT:

Tschuldigung, da ist ein Fehler

 
05.09.02 12:19
im 3. Absatz. Soll heißen "S..ADDAM ist nicht Khomeini.."
Apfelbaumpfla.:

@BRAD

 
05.09.02 12:26
Deinem letzten Absatz stimme ich zu.

Nur was ist besser?
Ich weiss es nicht.

Hinterher weiss man immer mehr...

Grüße

Apfelbaumpflanzer
BRAD PIT:

@Apfelbaumpflanzer

 
05.09.02 12:31

Saddam würde "eventuell""irgendwann" was machen, wobei der dazu vorher noch gewltig aufrüsten müßte.

USA wollen "sicher" angreifen und haben keinen Plan für eine Lösung "Nachdem Saddam abgeschafft wurde".

Ist doch klar, dass das Vorhaben der USA aktueller ist und schon deshalb kritischer betrachtet werden muß.


Grüsse

Brad
BRAD PIT:

Hier was aus der heutigen Presse zu

 
05.09.02 15:11
meiner Befürchtung.

14:53 05Sep2002 RTRS-Arabische Liga verlangt Wiederaufnahme der Irak-Inspektionen

  Kairo, 05. Sep (Reuters) - Die arabischen Nachbarn Iraks unterstützen nach den Worten des Generalsekretärs der Arabischen Liga, Amr Mussa, die Forderung nach Rückkehr der Rüstungsinspektoren der UNO in den Golf-Staat. Mussa warnte am Donnerstag am Liga-Sitz Kairo, sollte Irak wegen des Streites um die Rüstungsinspektionen angegriffen werden, werde im Nahen Osten "die Hölle los sein". Die USA überlegen, die Wiederaufnahme der vor vier Jahren unterbrochenen Suche nach eventuellen Massenvernichtungswaffen militärisch durchzusetzen.  
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