Phase IV der umfassenden weltweiten Krise:
Bis spätestens zum Sommer 2009
Zusammenbruch des globalen Währungssystems
Die G20-Konferenz vom 14. /15. November 2008 in Washington ist schon für sich Beweis für das Ende der globalen Vorherrschaft des Westens angelsächsischer Prägung in der Weltpolitik und im globalen Finanzsystem. Aber nach unserer Auffassung hat dieses Treffen darüber hinaus bewiesen, dass in dieser umfassenden weltweiten Krise solche Gipfel nur scheitern können. Denn sie setzen sich lediglich zum Ziel, die Symptome der Krise (Kreditblase, Finanzspekulation durch Banken und Hedge Fonds, explosionsartige Zunahme der Finanzderivate, extreme Volatilität der Finanz – und Devisenmärkte) zu behandeln. Die Ursache der Krise aber, nämlich der Zusammenbruch des Bretton- Woods-Systems, das 1944 den US-Dollar zum zentralen Pfeiler des globalen Währungssystems machte, gehört nicht zu der Themenliste. Wenn jedoch Bretton-Woods bis zum Sommer 2009 nicht vollkommen überarbeitet wird, wird der Zusammenbruch des heutigen Systems, und mit ihm der USA als ihrem zentralen Pfeiler, daraus resultieren. Die gesamte Welt würde damit in eine bisher nie da gewesene wirtschaftliche, soziale, politische und geopolitische Instabilität gestürzt werden. Wenn man sich den Stil des Kommuniqués dieses ersten G20-Gipfels betrachtet, der die klare Handschrift von Technokraten und Bürokraten trägt, und den Kalender der weiteren Konferenzen, den es enthält, der in keiner Weise die Konsequenzen aus dem Ausmaß und der Ausbreitungsgeschwindigkeit der aktuellen Krise zieht, dann kann man nur mit Bedauern festhalten, dass es wohl unvermeidlich ist, dass die Katastrophe sich erst in vollem Umfang einstellen muss, bevor man darauf hoffen kann, dass die Grundprobleme angegangen werden und ein Ausweg aus der Krise eröffnet wird. Vier wesentliche Entwicklungen sind mit voller Kraft am Werk, um das System von Bretton-Woods II2 noch im Jahr 2009 zum Einsturz zu bringen:
1. Rasante Schwächung der maßgeblichen Gründungsländer: USA und Großbritannien
2. Wachsende Divergenz zwischen drei unterschiedlichen Zukunftsvisionen unter den größten
Systemträgern: Eurozone, China, Japan, Russland, Brasilien
3. Unkontrollierte Beschleunigung der Autodestruktion des aktuellen Systems der Finanzmärkte
4. Die Krise in Wirtschaft und Gesellschaft wirkt sich immer massiver und katastrophaler aus.
LEAP/E2020 hat in den vorher gehenden Ausgaben des GEAB bereits ausführlich die erste und vierte Entwicklung beschrieben und prognostiziert. In dieser 29. Ausgabe des GEAB konzentrieren wir uns auf die zweite und dritte Entwicklung. Mit den letzten Monaten des Jahres 2008 ist in den obersten Machtetagen die Panik eingezogen. Die Politiker weltweit haben begriffen, dass das Haus in Flammen steht. Aber sie haben immer noch nicht
verstanden, was so offensichtlich ist: Das Haus ist Einsturz gefährdet. Ein einfacher Lösch- oder
Rettungsplan reicht nicht aus. Um eine gewagte Analogie zu entwerfen: Die Zwillingstürme des World
Trade Centers sind nicht zusammen gebrochen, weil die Feuerwehrleute zu spät zum Einsatz
gekommen wären oder weil im automatischen Brandbekämpfungssystem nicht genug Wasser
gewesen wäre; sie sind zusammen gebrochen, weil sie nicht darauf ausgelegt waren, den zeitnahen
Aufprall von zwei Linienflugzeugen zu verkraften. Auf das heutige Weltwährungssystem übertragen bedeutet das: Das Bretton – Woods-System sind die Zwillingstürme, und sie werden getroffen von Flugzeugen, die da heißen: Subprime- Krise, Kreditkrise, Bankeninsolvenzen, Rezession, Very Great Depression US, US-Haushaltsdefizite... nicht nur zwei Flugzeuge stürzten in das Weltwährungssystem, sondern eine ganze Fliegerstaffel.
Die derzeitigen führenden Politiker (einschließlich Barack Obama3) sind alles Produkte der Welt, die
gerade vor unseren Augen zusammen bricht. Es fehlt ihnen daher zwangsläufig an der notwendigen
Phantasie für die erforderlichen Lösungen. In der Politik finden wir heute die identische Situation vor
wie gestern in den Chefetagen der Zentralbanken; die Zentralbanker waren 2006/2007 schlicht und
einfach überfordert, sich das Ausmaß der Krise zu vergegenwärtigen4. Nicht nur die Welt unserer
politischen Eliten versinkt, sondern auch ihre Überzeugungen und Illusionen (manchmal sind diese
identisch)5. Nach unserer Auffassung ist eine Erneuerung von mindestens 20% der führenden Politiker
weltweit notwendig, damit überhaupt Hoffnung bestehen kann, dass wirksame Lösungen angedacht
werden6. 20% Erneuerung in einer komplexen, aber kaum vertikal strukturierten Gruppe von
Menschen ist nach unserer Auffassung die kritische Masse, die erforderlich ist, damit in dieser Gruppe
sich die Perspektiven grundsätzlich verändern und neue Ideen entstehen können. Von dieser
kritischen Masse sind wir heute noch weit entfernt, denn « neu » und damit in der Lage, zur
Krisenlösung beizutragen, sind nur Persönlichkeiten, die an die Macht gelangen, nachdem und weil sie
die wahre Natur der Krise erkannt haben.
Beispielsweise müssen die politischen, wirtschaftlichen, finanziellen und intellektuellen Eliten sich
darauf einstellen, dass die Zahl der insolventen Staaten einen neuen historischen Höchststand
erreichen wird. Neue Arbeiten zur Wirtschaftsgeschichte von Kenneth Rogoff und Carmen M. Reinhart
weisen nach, dass Staatsbankrotte viel häufiger und zahlreicher sind, als man dies nach der
begrenzten Sichtweise, auf die der Westens während der letzten Jahrzehnte reduziert war, annehmen
würde. Die Arbeiten von Rogoff und Reinhart stützen sich auf Daten der letzten 800 Jahre. Sie weisen
nach, dass in Perioden massiver internationaler Kapitalbewegungen und hoher Inflation es auch
immer zu einer Häufung von Staatsbankrotten kam7. Damit können wir ziemlich sicher damit rechnen,
dass wegen der umfassenden weltweiten Krise nicht nur die Zahl der Privatinsolvenzen,
Unternehmenskonkurse, Bankenzusammenbrüche, Gemeindeninsolvenzen massiv ansteigen, sondern
es auch zu einer Reihe von Staatsbankrotten kommen wird. Island war insoweit nur der Erste einer
Reihe. Auf eine Zeitspanne von 200 Jahren betrachtet, ist sogar mit einem historischen Höchststand
zu rechnen. Wenn unseren Führungseliten diese Facette der Wirtschaftsgeschichte bekannt wäre,
würden sie spätestens in einigen Wochen erkennen, dass höchste Eile für eine Reform des gesamten
globalen Wirtschafts-, Währungs- und Finanzsystems geboten ist. Statt dessen geben sie sich der
Illusion hin, man könne über Monate verteilt Konferenzen zu Themen von zweitrangiger Bedeutung8
veranstalten. Dies ist jedenfalls zur Zeit herrschende Meinung im IWF, in der G20 und besonders bei
den amerikanischen Politikern.
Wenn man bedenkt, dass Bretton-Wood II, das 1976 in Jamaika als Nachfolgesystem zu Bretton-
Woods aus der Taufe gehoben wurde, weit von der Ordnungskraft seines Vorläufersystem entfernt
war und letztendlich nur ein Mindestmaß an Regelung zu installieren zu vermochte, dann sollte es den
Politiker dieser Welt wohl nicht schwer fallen zu erkennen, dass das System inzwischen vollkommen
ins Chaos abgedriftet ist. Daraus müssten sie ableiten, dass für Verbesserungen oder Reformen am
Bestehenden keine Zeit mehr vorhanden ist, sondern dass das vor 60 Jahren entworfene System
vollkommen umzukrempeln und auf neue Grundlagen zu stellen ist. Sie müssten doch endlich
verstehen, dass der Dollar, 1944 Fundament und Dreh- und Angelpunkt des internationalen
Währungssystems und ab 1976 empfohlener Referenzwert des instabilen und nicht verpflichtenden
Systems Bretton Wood II, heute der faule Kern eines chaotischen Systems ist. Der Dollar ist heute
nicht mehr Teil der Lösung, sondern das Grundproblem. Auch wenn die US-Zentralbank mit tätiger
Unterstützung der anderen Zentralbanken der Welt weiterhin Unsummen Dollar in die Finanzmärkte
und Wirtschaft pumpt: Sie kann damit die durch Insolvenzen und Börsenkräche verursachte
Geldvernichtung in Höhe von 10.000 Milliarden Dollar nicht ausgleichen (die Summe der Verluste kann
sich noch verdoppeln, wenn man sich die Geschwindigkeit der Krisenausbreitung anschaut). Genau so
wenig wird die Unterbewertung des Yuan im Vergleich zum Dollar verhindern, dass der US-Konsum
zusammen bricht. Und ebenso wenig wird das chinesische Konjunkturprogramm in Höhe von 500
Milliarden US-Dollar (über zwei Jahre verteilt) den dreißig-prozentigen Exportrückgang chinesischer
Industriegüter in den Jahren 2009/2010 (also 400 Milliarden /Jahr)9 auszugeichen vermögen. Zwanzig
Jahre Weltwirtschaft auf Pump und die damit geschaffenen Scheinwerte werden 2009/2010
ausgelöscht. Darüber sollten sich unsere Politiker endlich Klarheit verschaffen: Je stärker ein Land von
ausländischer Kapitaleinfuhr abhängig war, desto massiver wird seine Wirtschaftsdepression ausfallen.
Depression = Rezession +soziale Krise+ politische Krise ist heute die Gleichung, die jeder Politiker
ständig vor Augen haben sollte.