Die mystische Gestalt des US-Verbrauchers

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jack303:

Die mystische Gestalt des US-Verbrauchers

 
21.01.02 13:18
Paul C. Martin

Wozu Investitionen? Die mystische Gestalt des US-Verbrauchers

Alan Greenspan hat in seiner jüngsten Rede auf die Investitionen als Grundelement jedes Auf- und Abschwungs hingewiesen. Dabei geruhte er zu nuscheln, dass „der Verlauf des aktuellen Zyklus bisher von der Entwicklung der Unternehmensgewinne und der Investitionen bestimmt wurde und auch weiterhin bestimmt sein wird.“

Die meisten Kommentatoren haben dies wohl überlesen. Im Mittelpunkt ihrer Betrachtungen steht nur noch eine mystische Gestalt, von der alles Heil der amerikanischen und – mit dem üblichen time-lag – dann der restlichen Welt kommen solle:

Der amerikanische Verbraucher.

Es geht in aktuellen Konjunktur-, also Zyklus-Betrachtungen fast nur noch um „consumer spending“ und „consumer sentiments“. Gierig werden alle Zahlen, wie die der Einzelhandelsumsätze, aufgesogen, die eine „Besserung“ verheißen. Probleme, wie sie K-mart meldet, werden als Ausrutscher abgetan, schließlich gibt es noch jede Menge anderer Ketten und die Shopping Malls erwarten selbstbewusst die nächste Springflut von Kreditkarten, die heranrast.

Investitionen gelten nur noch als so etwas wie eine „Restgröße“. So what! Dass die externe Finanzierung von Investitionen nicht mehr mit dem Kostnix-Kapital der großen Bubble finanziert werden können, weil sich die Anleger geprellt fühlen, spielt keine Rolle mehr.

Dass die skandalösen Vorgänge bei Enron die Bereitschaft großer Investoren, in den USA mit fresh money zu erscheinen, gemindert haben – na und? Und die Tatsache, dass die Amerikaner offenbar ganz neue Formen der Buchhaltung und Bilanzierung applizieren und ihre Unternehmen jenseits aller Standards aufgepumpt haben, die etwa in Europa gelten – solches „creative accounting“ löst zwar bei notorisch vorsichtigen Fondsmanagern Stirnrunzeln aus, ist aber nicht so wichtig. Auch dass sich der firmeninterne cash-flow, um den es letztlich bei Investitionsentscheidungen geht, in Zeiten rezessionsbedingter harter Preiskämpfe (Autoindustrie!) nicht verbessern wird, macht nichts.

In seiner Rede wies Greenspan auch auf ein „auffälliges Merkmal der derzeitigen zyklischen Entwicklung gegenüber vielen früheren Zyklen“ hin, das er mit dem „faktischen Fehlen von Spielräumen für Preiserhöhungen in weiten Teilen der amerikanischen Wirtschaft\" beschreibt. Es müssten also erst die Kapazitätsüberhänge abgearbeitet werden (in der Autoindustrie ca. 30 Prozent) und dies in Form von Preisschlachten der Sonderklasse, bevor an neue Investitionen gedacht werden kann. Kurzum: Eine US-Investitionskonjunktur scheint doch weit entfernt zu sein („no recovery in sight“ - Intel). Doch damit lässt sich’s leben.

Es bleibt die mystische Gestalt des US-Verbrauchers. Dieser trägt – getrieben auch von einem All-America-Patriotismus als Ausfluss des 11. Septembers – tatsächlich jedes nur mögliche Scherflein bei, um die Konjunktur zu „beleben“.

Die Lage am Häusermarkt ist bombig. Der Zuwachs an Hypotheken und Käufen marschierte zuletzt bei Steigerungsraten von um die 30 Prozent (Jahresbasis). Und bei seinen sonstigen Ausgaben lässt sich der US-Verbraucher auch nicht lumpen. Die consumer credits sind zum Jahresschluss um fast 15 % über Vorjahr gemeldet worden, was den höchsten Zuwachs seit Bestehen der entsprechenden Statistik (1943) darstellt.

Im Forum von elliott-waves.de werden diese (und andere) Zahlen in laufender Reihe von „Cosa“ aufbereitet und in höchst qualitätsvolle Optiken verwandelt, ein Service, den auch boerse.de-User nicht verschmähen sollten.

Die folgende „Cosa“-Optik ist besonders beeindruckend:



Sie zeigt einen völlig „untypischen“, jedenfalls den bisherigen Erfahrungen mit Zyklen widersprechenden Verlauf.

Die Verschuldung der Konsumenten (Ratio - Total Outstanding to Personal Income) zu den Investitionen (Fixed Investments) jeweils im prozentualen Jahresvergleich zeigt eine noch nie geschaute „Schere“! Ganz abgesehen davon, dass die Verbraucherverschuldung in dieser Konjunkturphase den Investitionen vorausläuft, während sie in der kleinen Rezession zu Beginn der 90er Jahre den Investitionen brav hinterher gedackelt ist – wie es sich auch „gehört“, jedenfalls nach allem, was Theorie und Praxis bisher gelehrt und gezeigt hatten.

Die ganze Sache könnte man damit abtun, dass man die Verbraucher blindlings in eine „Rezessionsfalle“ tapsen sieht und sich möglichst weit davon entfernt aufhält.

Es könnte aber auch sein, dass ein „this time it’s different“ zum Zuge käme. Das würde grob umrissen bedeuten:

In einer „überreifen“ Volkswirtschaft spielen die Unternehmer mit ihren Investitionen keine so wichtige Rolle mehr wie früher, weil die Konsumenten selbst zu Quasi-Unternehmern geworden sind. Entsprechend reizen sie ihre finanziellen Möglichkeiten aus wie dies von jedem Firmen-Boss auch verlangt wird. Nicht mehr die Phänomene „Betrieb“ oder „Fabrik“ stehen im Mittelpunkt, sondern die „privaten Haushalte“, die ihrerseits zu kleinen „Betrieben“ mutiert sind. Schließlich tragen sie ein fast identisches Konkursrisiko, auch wenn ihre Pleiten anders abgewickelt werden als jene nach chapter 11.

Damit wären sämtliche volkswirtschaftlichen Theorien, die zwischen „Investition“ und „Konsum“ eine klare Trennung ziehen, obsolet. Der Konsum würde selbst zur Investition. Investitionszweck wäre dann ein „Wellness“-Gefühl herzustellen, das den Betreiber eines Haushalts marktfähiger macht: Wer steigert nicht seine Produktivität freudig, wenn er endlich den Zweit-Ferrari in der Garage stehen hat?

Wer sucht nicht seinen „Umsatz“ (früher: Lohn und Gehalt) zu steigern, und sei’s mit Hilfe von Dritt- und Viertjobs, wenn er täglich in flotten Erinnerungen an seinen letzten Urlaub (fremdfinanziert natürlich) schwelgen kann?

Der weitere Verlauf der US-Konjunktur wird zeigen, ob es tatsächlich so etwas wie einen säkularen Paradigmenwechsel gibt und wir uns alle flugs umstellen müssen, als Anleger zumal.

Wenn es schon Staaten gibt, die mehr als einen „Jahresumsatz“ ihrer Volkswirtschaften (BIP) auf ihrer Passivseite haben, ohne unterzugehen, warum sollte nicht auch der US-Verbraucher, und in Folge dann die Konsumenten in anderen Ländern, ein Mehrfaches ihres Turnovers an Krediten haben, Hauptsache, sie werden irgendwie bedient? Von wem spielt keine Rolle. Zum Schluss wird’s eh wieder der Staat sein, der den zahlungsunfähigen Mister Miller so rauspaukt wie er schon ganz andere Kaliber rausgepaukt hat und das weltweit, von den Saving & Loan-Banken bis hin zu Holzmann und der LTU.

Alles also Mystik – oder was?

Dr. Paul C. Martin

18.01.2002
Speculator:

Hervorragender Beitrag, wo bleiben die Grünen??? o.T.

 
21.01.02 13:49
Elend:

Die sind mit Gerhard inne Sitzung ... keine Zeit o.T.

 
21.01.02 13:50
Zick-Zock:

Tatsache... klasse Beitrag !! o.T.

 
21.01.02 13:57
Speculator:

Ach ja, Jack303 hat was wichtiges vergeßen...

 
21.01.02 13:59
...den sehr interessanten Beitrag noch einige SEXBILDER und WITZE hinzu zu fügen.

Traurig aber wahr, für jeden "Murks" gibts es grüne Sterne nur nicht für fundierte Beiträge, oder wird nur das mit "grün" bewertet was wir gerne hören wollen!?



mfG: Speculator
mod:

Für Nicht-Ökonomen: (alles vereinfacht)

 
21.01.02 14:03
Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage eines Staates bestimmt die Kapazitätsauslastung ihrer Wirtschaft und damit die konjunkturelle Phase (Aufschwung, Boom, Abschwung, Rezession).

Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage ist gleich:


Konsumnachfrage der Privaten und der Unternehmen
+ Investitionsnachfrage der Unternehmen
+ Nachfrage des Staates
+ Exportnachfrage
-------------------------------------------------
= gesamtwirtschaftliche Nachfrage
===========================

Wer soll in den USA den Aufschwung in Gange bringen?
mod:

Konsumnachfrage der Privaten und der Unternehmen

 
21.01.02 14:11
Steigende Arbeitslosigkeit in den USA und hohe Verschuldung bei den Privaten.

Irgendwann werden auch die Verbraucher vorsichtiger und gesättigter (z.B. beim Auto- oder Hauskauf).

Wenn das Zinsniveau steigt wird es für viele kritisch.
Schnorrer:

Interessante Gedanken. Bisher hatten wir doch

 
21.01.02 14:14
68% Anteil des Konsums am Wachstum in Amerika. Im Prinzip sagt dieser Artikel nicht mehr und weniger aus, als daß es bald über 80% sein werden. Damit ist der Aufschwung gesichert. Solange die Banken die private Verschuldung mittragen. Das können sie inzwischen wieder, weil durch den relativ starken Dollar die Fremdverschuldung in Fremdwährungen immer noch Gewinne verspricht. Die zinsdifferenz ist dahin, aber die Währungsspekulation bleibt noch.

Sollte die kippen, wird es wirklich hart. Dann müssen sie die ganze Welt anschorren. Oder Krieg führen. Oder einfach nichts zurückbezahlen. Amerikaner sind da sehr kreativ.

Mahlzeit. Ich glaube an weitere 5 Jahre Boom.
jack303:

+ noch ne grafik dazu

 
21.01.02 14:28
nachrichten.boerse.de/marktbericht/pcm_18012002.gif  
jack303:

und noch was zur Person gefunden bei boerse.de

 
21.01.02 14:29
Paul C. Martin

Journalist und Buchautor

Dr. Paul C. Martin (1939), Humanistisches Gymnasium Ettal, Studium der Geschichte, VWL, Jura und BWL in Bonn, München, Berlin und Chicago (beim späteren Nobelpreisträger Milton Friedman). An der Börse aktiv seit 1962. 1974 Buch "Gold schlägt Geld". Seit 1982 zahlreiche weitere Bücher zum Thema "Wie funktioniert die Wirtschaft wirklich" und zur Staatsverschuldung (Wann kommt der Staatsbankrott, Cash gegen den Crash, Der Kapitalismus, Aufwärts ohne Ende usw.; zuletzt "Die Krisenschaukel"). Heute Journalist. Lieblings-www: boerse.de, Lieblings-Board: elliottwaves.de von Jürgen Küßner; dort mit regelmäßigen aktuellen Postings.
 
boerse.de:  Ihr persönlicher Leitspruch?
P.Martin:  Plus ultra! (an starken Tagen) oder Carpe diem! (an schwachen Tagen)


boerse.de:  Welches Talent hätte Sie gerne?  
P.Martin:  Außer denen, die mir der liebe Gott mitgegeben hat: keine.


boerse.de:  Ihre Lieblingsmusik?
P.Martin:  Bach Matthäus-Passion. Aber nur am Karfreitag.


boerse.de:  Welches Buch lesen Sie zur Zeit oder würden Sie gerne lesen?/Ihr Lieblingsbuch?
P.Martin:  James R. Cook, "Full Faith & Credit - A Novel About Financial Collapse". Ich lese alle Bücher, die mich interessieren sofort, zumal sie über amazon unschwer zu kriegen sind. Lieblingsbuch: Alles von Hans Blumenberg. Immer wieder, immer wieder.


boerse.de:  Was war Ihr 1. Auto und welches fahren Sie zur Zeit (0der möchten Sie noch fahren)?
P.Martin:  Erstes: Opel Olympia. Dienstlich: Audi A6. Privat: E-Klasse mit S-Klasse-Motor


boerse.de:  Wie verbringen Sie Ihren Urlaub?

P.Martin:  Reisen, von romanischer Kirche zu romanischer Kirche, von Klosterbibliothek zu Klosterbibliothek.


boerse.de:  Was ist Ihr Hobby?
P.Martin:  Sammeln alter Drucke, Finanzdokumente und Münzen. Grundsätzlich Unikate. Prunkstück: Das älteste Buch über die Börse, José de la Vega, "Confusion de Confusiones", das Kosto immer haben wollte.


boerse.de:  Welche Eigenschaften schätzen Sie am meisten an einem guten Freund?
P.Martin:  Scharfsinn


boerse.de:  "Nicht alle Deutschen glauben an Gott, aber alle an die Bundesbank", soweit der Ex-EU-Präsident Jaques Delors, woran glauben Sie?
P.Martin:  Sicher nicht an irgendeine Zentralbank. Im Übrigen bin ich praktizierender Katholik.


boerse.de:  Bitte vervollständigen Sie den Satz: Geld bedeutet für mich vor allem...
P.Martin:  ...Geld


boerse.de:  Welche private Investition war Ihr größter Flop?
P.Martin:  Nach dem Crash 1987 short geblieben zu sein.


boerse.de:  Und Ihr größter Erfolg?
P.Martin:  Immer wieder T-Bond-Calls - jeweils in Schüben seit 1982 bis heute (Rückkaufaktion der 30-jährigen).


boerse.de:  Ihr Lieblingsgericht?
P.Martin:  Spaghetti mit Heinz-Ketchup.


boerse.de:  Wie würden Ihre Gegner Sie beschreiben?
P.Martin:  In grellen Farben als arrogant.


boerse.de:  Was ärgert Sie am meisten?
P.Martin:  Denkfehler


boerse.de:  Welchen Traum wollen Sie sich noch unbedingt erfüllen?
P.Martin:  Drei Jahre lang in der Laurenziana oder im venezianischen Staatsarchiv ungestört arbeiten.


boerse.de:  Haben Sie ein persönliches Vorbild?
P.Martin:  den Jesus des von Burton Mack herausgearbeiteten Urevangeliums (Quelle "Q"); den Feldherrn Epaminondas; die Sprachkönner Schopenhauer und Nietzsche; Jesse Livermore; Marlon Brando.


boerse.de:  Welche Wirtschaftliche Leistung bewundern Sie am meisten?
P.Martin:  Das Lebenswerk von August Thyssen.


boerse.de:  Wie kam Ihr erster Kontakt zur Börse zustande?
P.Martin:  Durch Jobben in den Semesterferien beim Freimarkler Beiler in Düsseldorf (1959 ff.)


boerse.de:  Was fasziniert Sie an der Börse?
P.Martin:  Die Frage, warum mir ein anderer was verkauft oder etwas von mir abkauft, wobei ich mir sicher bin, ihm irgendwie "überlegen" zu sein - und dann ist der andere doch besser.


boerse.de:  Bitte beschreiben Sie in einem Satz Ihre persönliche Anlagestrategie:  
P.Martin:  A) Nach Emotionen, was meistens schief geht. B) Nach Elliottwaves, was mir in diesem Jahr gutes Geld gebracht hat.


boerse.de:  Herr Martin wir bedanken uns für dieses Gespräch.
mod:

Investitionsnachfrage der Unternehmen

 
21.01.02 15:02
In allen Konjunkturzyklen war der Einbruch bzw. die Zunahme der  Investitionsnachfrage der Unternehmen
der eigentliche Konjunkturmotor.

Warum sollten jetzt Unternehmen in den USA investieren, zumal die Kapazitätsauslastung sowieso gering ist.
Neue Fabriken, neue Maschinen, neue IT usw., wofür?

Weil die Zinsen so niedrig sind?

Entscheidend für jeden Unternehmer sind doch die Umsatz- und Gewinnerwartungen.

... und wie sehen die aus?
mod:

Nachfrage des Staates

 
21.01.02 15:21
Das 200-Milliarden-$-Programm der Bush-Regierung ist erst einmal gescheitert,
weil die Demokraten mehr Geld für soziale Wohltaten davon abzweigen wollen.
mod:

Paul C. Martin hat allerdings in den

 
21.01.02 19:57
vergangenen Jahren schon viel Mist behauptet, der nicht eintraf.

Dieser Artikel jedoch ist ok.
jack303:

Beginnt Greenspans Stern am Börsenhimmel zu verbla

 
22.01.02 09:03
ssen ?

Roland Leuschel

Beginnt Greenspans Stern am Börsenhimmel zu verblassen?

Die Leser meiner Kolumnen wissen, dass ich seit über 6 Jahren ein vehementer, unerbittlicher Kritiker der Greenspanschen Geldpolitik bin, der immer nur ein Mittel gegen Wirtschafts- oder Finanzkrisen zu kennen scheint: niedrigere Zinsen und Liquidität; so als könnten die Eltern alle Schwierigkeiten bei der Erziehung ihrer Kinder mit viel Geld und Schokolade lösen. Jetzt nach der weltweiten Kapitalvernichtung von über 7.000 Mrd. Dollar, befinden sich die USA, Japan und Euroland gleichzeitig in einer Rezession, und Greenspan versucht mit denselben Mitteln der Zinssenkung (11 mal im Jahre 2001) und Liquiditätserhöhung die Probleme zu lösen. Es scheint, als hätte die Fed tatsächlich kein Konzept für ihre Geldpolitik und nur eine Zielgrösse: das Vertrauen des Konsumenten. Die EZB dagegen hat ein klar definiertes geldpolitisches Konzept und wird eine Inflationsrate von höchstens 2% zulassen. Mit anderen Worten, alle Marktteilnehmer in Europa wissen, woran sie sind, während sich bei den aktuellen zweistelligen amerikanischen Wachstumsraten ein beträchtliches Inflationspotential aufbaut.

Die geldpolitische Zielgrösse der Fed ist also das Vertrauen der amerikanischen Verbraucher, und kurzfristig scheint Greenspan den Spagat zu schaffen; denn das von der Universität Michigan errechnete US-Verbrauchervertrauen stieg im Januar dieses Jahres auf die neue Rekordhöhe 94,2, nachdem es Ende September auf 82 gefallen war. Nachdem sich auch die amerikanischen und die Weltbörsen erholt haben, scheint der Börsenhimmel blau und die Krise vom letzten Jahr endlich gemeistert. Ich glaube die Anleger unterliegen einem schlimmen Irrtum, der sie noch teuer zu stehen kommen wird. Es stimmt, dass der Konsum zwei Drittel des amerikanischen Bruttosozialproduktes darstellt, und wenn die Amerikaner weiterhin ihre Konsumausgaben steigern, dann sollte auch die Wirtschaft eine kurzfristige Erholung erfahren. Aber dann könnte es schwierig werden. Einmal werden langfristig die Börsenkurse durch die Gewinnentwicklung der Unternehmen bestimmt und nichts anderes. Und da sind erhebliche Zweifel angebracht, dass im Zuge weltweiter, inflationistischer Tendenzen (die Deflation droht) die sogenannte Pricing Power der Unternehmen noch besteht. Steigende Personalkosten können nicht durch Preiserhöhungen überwälzt werden,die Gewinne der Unternehmen dürften damit keine kräftige Erholung erfahren. Nur durch Entlassungen können erhöhte Personalkosten aufgefangen werden, das scheinen die Gewerkschaften übrigens noch nicht kapiert zu haben. Die Arbeitslosenzahlen würden also steigen, und damit sind Zweifel angebracht, dass der Konsum nachhaltig steigen wird. Bisher entwickelte sich der Haussektor in Amerika enorm günstig und hatte Steigerungsraten von bis zu 30% aufzuweisen. Auch gab es keineswegs eine Korrektur bei den Immobilienpreisen. Das könnte demnächst anders sein; denn erfahrungsgemäss setzte nach einem Crash der Aktienkurse die Korrektur im Immobiliensektor erst eins bis zwei Jahre danach ein (in einer umfangreichen Studie warnt die britische Bank HSBC vor dem Platzen der Real Estate Bubble in den USA). Sollte dies der Fall sein (ich erinnere daran, dass diese Bank im August 1999 vor dem Platzen der Börsenblasen an Nasdaq etc. warnte), dann wäre der Konsument in einer gefährlichen Schuldenfalle, und die zuletzt gezeigten Wachstumsraten bei den Konsumentenkrediten (15% Jahresbasis), auf die Paul C. Martin in seiner letzten Kolumne \"Die mystische Gestalt des US-Verbrauchers\" in aller Deutlichkeit hinwies, kämen zum Stillstand. Dies würde auch bedeuten, dass es sich bei der nächsten Konjunkturerholung nur um ein Strohfeuer handelt, und die Gefahr einer Weltwirtschaftskrise ernst zu nehmen ist. Greenspan hätte dann sein Pulver verschossen, und seine Geldpolitik würde dann ins Leere laufen. Der Stratege von Morgan Stanley, Barton Biggs, hat in einer Kolumne für die Financial Times Deutschland nicht mit deutlichen Worten gespart. Nachdem er Greenspan, wie es sich für einen amerikanischen Investmentbanker geziehmt, für seine geleistete Arbeit lobt (schliesslich haben die Investmentbanken die höchsten Gewinne aller Zeiten einfahren können), schreibt er: \"Greenspan hat intellektuell, wie monetär den hochbrisanten Treibstoff geliefert, der einen gesunden Bullmarkt und einen normalen Aufschwung in die grösste Seifenblase aller Zeiten verwandelte; hatte Greenspan noch 1996 eine kalte Dusche verpasst und vor den Risiken irrationalen Überschwangs gewarnt, änderte er seinen Kurs danach gänzlich. In den nächsten 4 Jahren schien er es darauf anzulegen, die zunehmende Extase an der Börse mit extravaganten Theorien über eine neue Ära der Technologie rechtfertigen zu wollen ... Der Hohepriester der Finanzwelt hatte damit der Blase die Absolution erteilt.\" Am Schluss seines Artikels fasst Barton Biggs zusammen: \"Ich glaube nicht, dass Greenspan von der Geschichte für diese Rezession verantwortlich gemacht werden wird. Aber er wird für seine Rolle bei der Bildung der Blase kritisiert werden.\" Dem ist nichts hinzuzufügen.

Ich halte meine Bedenken für die augenblickliche Überteuerung der Aktienmärkte aufrecht und empfehle eine äusserst konservative Anlagepolitik: Maximal 30% des Geldvermögens in Value Aktien, der Rest in Triple A Kurzlaufrenten und Cash. Warten Sie geduldig auf Gelegenheiten. Übrigens Gelegenheiten werden Sie auch auf dem Immobilienmarkt in Hülle und Fülle bekommen. Wie heisst ein alter Slogan eines bodenständigen pfälzischen Bauers: \"Geduld muss mer habbe\",übersetzt ins Hochdeutsch \"Zum Börsenerfolg braucht der Anleger Geduld, nicht durch Aufschlagen sondern durch Ausbrüten kann aus einem Ei ein Küken werden\".

Roland Leuschel

21.01.2002 gefunden bei börse.de
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