Management im Überblick Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.03.2001, S. 31
Die überschätzte Rolle des Internet im Verkauf
Zentrale Informationsbedürfnisse des Einkäufers werden nicht gedeckt / Von Rainer Stolz
NEUSS, 11. März. Seit Monaten liest und hört man in allen Medien, daß das Internet unser Leben total verändern wird und daß auch im Verkauf, also in den Beziehungen zwischen Lieferanten und Abnehmern, in einiger Zeit die elektronische Datenübertragung vollständig die Oberhand haben wird. Diese Behauptung ist sehr anzuzweifeln.
In den heutigen, total übersättigten Märkten können die verkaufenden Unternehmen nur überleben, wenn sie die bestehenden Kundenbeziehungen intensiv pflegen und alles tun, um ihre Abnehmer bei Laune zu halten. Dazu werden diese laufend besucht, es werden ihnen verbesserte Produkte vorgestellt und Verfahren vorgeschlagen, die den Beschaffungsprozeß im Sinne des Kunden vereinfachen und verbilligen. Das erfordert permanente aufwendige Maßnahmen. Aber nicht nur das Halten der bestehenden Kunden ist höchst anstrengend, noch problematischer ist der Gewinn neuer Abnehmer. Denn diese werden ja von ihren Lieferanten ebenso eifersüchtig gepflegt und mit allen Mitteln bei der Stange gehalten.
Hochnäsige Einkäufer
In einem solchen sogenannten Käufermarkt ist die abnehmende Seite in einer starken Position: Viele Anbieter bemühen sich um ihre Gunst, erforschen in persönlichen Gesprächen ihre Wünsche und Nöte und versuchen immerzu, noch schneller, präziser und preiswerter zu sein als der Wettbewerb. Da bleibt es nicht aus, daß die beziehenden Firmen etwas hochnäsig und sehr wählerisch werden und erwarten, daß der Beschaffungsprozeß ohne viel eigenes Zutun jederzeit reibungslos abläuft. Und ist dann doch einmal eine Frage mit dem Lieferanten zu klären, wird durch einen kurzen Anruf der Verkäufer herbeizitiert, der sofort alles in Bewegung setzt, um die Befriedigung des immer an erster Stelle rangierenden Kunden zu erreichen. Was in dieser Situation das Internet bewirken kann, ist nicht klar zu erkennen.
Durch das Internet ist eine unzählbare Menge von Daten international verfügbar, wodurch, wie mancher Laie meint, auch das Einkaufsverhalten vieler Unternehmen ganz neue Dimensionen gewinnen müßte. Denn nun kann der Einkäufer ja jederzeit durch kurzes Anklicken auf dem Bildschirm feststellen, was ihm der Markt weltweit bietet, und das jeweils Interessante auswählen. Dadurch seien drastische Einsparungen zu erzielen, zum Beispiel, weil die Suche nach Vertragspartnern und anschließende Vertragsverhandlungen zukünftig weitgehend entfielen.
Wer die Vorgänge im Vertrieb kennt, weiß, daß es keinen Einkäufer gibt, der eine aufwendige Suche nach neuen Lieferanten betreiben muß. Diesen Spezialisten sind in der Regel alle möglichen Partner - im In- und Ausland - bekannt, sei es aus Werbeschreiben, Telefonanrufen, Mailings, Katalogen und letztlich den persönlichen Besuchen durch Verkäufer. Eine Geschäftsverbindung kommt heute nicht zustande, weil ein Beschaffer sich schnell durch das Internet über ein Angebot informieren kann. Das kann er schon seit Jahren durch die massenhaft bei ihm eingehenden Verkaufsunterlagen. Und fehlt auch nur eine Einzelheit, bringt ihm ein kurzer Telefonanruf eine Überzahl weiterer Informationen.
Für die Beziehungen zwischen Anbietern und Abnehmern sind Faktoren entscheidend, die niemals durch elektronische Datenübertragung geregelt werden können. Bevor ein Einkäufer einen (Probe-)Auftrag erteilt, will er wissen: Wie ist der Lieferant ausgerüstet? Kann er uns langfristig und qualitativ auf unserem Niveau versorgen? An wen liefert er bereits? Mit welchem Erfolg? Welcher Art ist die Beratung und Unterstützung? Sind die Produkte von unabhängigen Stellen nach relevanten Kriterien getestet worden? An welchem Standort liegt das Lieferwerk? Könnte es zu Lieferschwierigkeiten wegen großer Entfernung oder unsicherer Transportwege kommen? Welchen Ruf hat das Lieferunternehmen ganz generell? Ist es technisch fortschrittlich? Wird es an der Weiterentwicklung der Produkte arbeiten? Wird die Firma dauerhaft in diesem Marktsegment tätig sein oder irgendwann die Produktion einstellen? Wie professionell und effektiv ist die Verkaufs- und Logistikorganisation?
In vielen Fällen gehen die Fragen des Einkäufers sogar noch über die hier aufgezählten Stichworte hinaus. Und keines kann am Bildschirm durch das Betrachten dort gezeigter Zahlen und Bilder geklärt werden. Die Euphorie über die Wunderleistungen des Internet ist noch aus einem anderen Grund recht unangebracht. Und dies betrifft die Offenheit des Systems. Von den mit allen Wassern gewaschenen Computerexperten ist seit langem bekannt, daß dieses elektronische System keinen wirklichen Schutz bietet. Denn begabte und hartnäckige Hacker finden immer eine Möglichkeit, in das Netz eines Fremden einzudringen. Auch der professionelle Einkäufer kennt diese Gefahr. Und dann soll er seine bestgehüteten Geheimnisse, und das sind seine Lieferanten mit allen Konditionen, weltweitem Zugriff aussetzen? Das ist ganz und gar undenkbar. Internetbegeisterte Zeitgenossen sehen auch Einkaufsvorgänge, die ganz ordinäre Gegenstände wie zum Beispiel einen Bleistift betreffen, durch das elektronische Medium revolutioniert. Sie malen sich aus, daß der früher bürokratisch-schwerfällige Beschaffungsvorgang für derartige Verbrauchsgüter künftig von den jeweiligen Verwendern selbst viel kostengünstiger abgewickelt werden kann. In aller Regel verlaufen jedoch in den meisten Firmen derartige Vorgänge recht gut organisiert und mit geringem Zeitaufwand, der sicher durch Computereinsatz nicht zu unterbieten ist. Käme es aber wirklich dazu, daß jeder Angestellte zukünftig sein Büromaterial selbst zu beschaffen hat, würde damit sicher mehr Geld verschwendet als eingespart. Denn diese Aufgabendelegation zeigte wiederum eine höchst unerwünschte Nebenerscheinung des Computers: daß nun nämlich Banalitäten von Fachkräften zu erledigen sind, die dafür nicht bezahlt werden und denen dadurch für die wesentliche Arbeit die Zeit fehlt.
Kein Mittel für aktiven Verkauf
Insgesamt entsteht der Eindruck, daß die Vorzüge des Internet für den industriellen Einkauf von Leuten behauptet werden, die von den heutigen Grundbedingungen und den tatsächlichen Abläufen im Warenverkehr wenig Kenntnis haben. Der mit dem praktischen Verkaufsgeschehen Vertraute wundert sich, daß trotz der erheblichen Zweifel am Nutzen des Internet so viele Firmen erwartungsfroh und mit viel Aufwand ihre Website gestalten lassen, in der irrigen Hoffnung, daß nun die Nachfrage erheblich zunehmen werde. Denn das Internet ist ja im besten Falle ein Informationsmedium, keinesfalls aber ein Mittel für den aktiven Verkauf. Es bietet im wesentlichen das, was früher der Warenkatalog leistete - etwas umfassender und auf internationaler Ebene.
Nach den bisherigen Erfahrungen wird das Warenangebot im Internet überwiegend von Gruppen abgefragt, die der Website-Inhaber gar nicht ansprechen möchte: von Einmalkäufern, Privatpersonen und Kleinstbetrieben, die lediglich eine einzige Einheit erwerben möchten und die daher für den Anbieter völlig uninteressant sind. Und in zweiter Linie von den Wettbewerbern, die sich nun in aller Welt und in aller Ruhe über das Angebot eines Konkurrenten in einer Breite und Tiefe informieren können, wie das früher nie möglich war.
Rainer Stolz ist Berater und Verkaufstrainer in Neuss.
Die überschätzte Rolle des Internet im Verkauf
Zentrale Informationsbedürfnisse des Einkäufers werden nicht gedeckt / Von Rainer Stolz
NEUSS, 11. März. Seit Monaten liest und hört man in allen Medien, daß das Internet unser Leben total verändern wird und daß auch im Verkauf, also in den Beziehungen zwischen Lieferanten und Abnehmern, in einiger Zeit die elektronische Datenübertragung vollständig die Oberhand haben wird. Diese Behauptung ist sehr anzuzweifeln.
In den heutigen, total übersättigten Märkten können die verkaufenden Unternehmen nur überleben, wenn sie die bestehenden Kundenbeziehungen intensiv pflegen und alles tun, um ihre Abnehmer bei Laune zu halten. Dazu werden diese laufend besucht, es werden ihnen verbesserte Produkte vorgestellt und Verfahren vorgeschlagen, die den Beschaffungsprozeß im Sinne des Kunden vereinfachen und verbilligen. Das erfordert permanente aufwendige Maßnahmen. Aber nicht nur das Halten der bestehenden Kunden ist höchst anstrengend, noch problematischer ist der Gewinn neuer Abnehmer. Denn diese werden ja von ihren Lieferanten ebenso eifersüchtig gepflegt und mit allen Mitteln bei der Stange gehalten.
Hochnäsige Einkäufer
In einem solchen sogenannten Käufermarkt ist die abnehmende Seite in einer starken Position: Viele Anbieter bemühen sich um ihre Gunst, erforschen in persönlichen Gesprächen ihre Wünsche und Nöte und versuchen immerzu, noch schneller, präziser und preiswerter zu sein als der Wettbewerb. Da bleibt es nicht aus, daß die beziehenden Firmen etwas hochnäsig und sehr wählerisch werden und erwarten, daß der Beschaffungsprozeß ohne viel eigenes Zutun jederzeit reibungslos abläuft. Und ist dann doch einmal eine Frage mit dem Lieferanten zu klären, wird durch einen kurzen Anruf der Verkäufer herbeizitiert, der sofort alles in Bewegung setzt, um die Befriedigung des immer an erster Stelle rangierenden Kunden zu erreichen. Was in dieser Situation das Internet bewirken kann, ist nicht klar zu erkennen.
Durch das Internet ist eine unzählbare Menge von Daten international verfügbar, wodurch, wie mancher Laie meint, auch das Einkaufsverhalten vieler Unternehmen ganz neue Dimensionen gewinnen müßte. Denn nun kann der Einkäufer ja jederzeit durch kurzes Anklicken auf dem Bildschirm feststellen, was ihm der Markt weltweit bietet, und das jeweils Interessante auswählen. Dadurch seien drastische Einsparungen zu erzielen, zum Beispiel, weil die Suche nach Vertragspartnern und anschließende Vertragsverhandlungen zukünftig weitgehend entfielen.
Wer die Vorgänge im Vertrieb kennt, weiß, daß es keinen Einkäufer gibt, der eine aufwendige Suche nach neuen Lieferanten betreiben muß. Diesen Spezialisten sind in der Regel alle möglichen Partner - im In- und Ausland - bekannt, sei es aus Werbeschreiben, Telefonanrufen, Mailings, Katalogen und letztlich den persönlichen Besuchen durch Verkäufer. Eine Geschäftsverbindung kommt heute nicht zustande, weil ein Beschaffer sich schnell durch das Internet über ein Angebot informieren kann. Das kann er schon seit Jahren durch die massenhaft bei ihm eingehenden Verkaufsunterlagen. Und fehlt auch nur eine Einzelheit, bringt ihm ein kurzer Telefonanruf eine Überzahl weiterer Informationen.
Für die Beziehungen zwischen Anbietern und Abnehmern sind Faktoren entscheidend, die niemals durch elektronische Datenübertragung geregelt werden können. Bevor ein Einkäufer einen (Probe-)Auftrag erteilt, will er wissen: Wie ist der Lieferant ausgerüstet? Kann er uns langfristig und qualitativ auf unserem Niveau versorgen? An wen liefert er bereits? Mit welchem Erfolg? Welcher Art ist die Beratung und Unterstützung? Sind die Produkte von unabhängigen Stellen nach relevanten Kriterien getestet worden? An welchem Standort liegt das Lieferwerk? Könnte es zu Lieferschwierigkeiten wegen großer Entfernung oder unsicherer Transportwege kommen? Welchen Ruf hat das Lieferunternehmen ganz generell? Ist es technisch fortschrittlich? Wird es an der Weiterentwicklung der Produkte arbeiten? Wird die Firma dauerhaft in diesem Marktsegment tätig sein oder irgendwann die Produktion einstellen? Wie professionell und effektiv ist die Verkaufs- und Logistikorganisation?
In vielen Fällen gehen die Fragen des Einkäufers sogar noch über die hier aufgezählten Stichworte hinaus. Und keines kann am Bildschirm durch das Betrachten dort gezeigter Zahlen und Bilder geklärt werden. Die Euphorie über die Wunderleistungen des Internet ist noch aus einem anderen Grund recht unangebracht. Und dies betrifft die Offenheit des Systems. Von den mit allen Wassern gewaschenen Computerexperten ist seit langem bekannt, daß dieses elektronische System keinen wirklichen Schutz bietet. Denn begabte und hartnäckige Hacker finden immer eine Möglichkeit, in das Netz eines Fremden einzudringen. Auch der professionelle Einkäufer kennt diese Gefahr. Und dann soll er seine bestgehüteten Geheimnisse, und das sind seine Lieferanten mit allen Konditionen, weltweitem Zugriff aussetzen? Das ist ganz und gar undenkbar. Internetbegeisterte Zeitgenossen sehen auch Einkaufsvorgänge, die ganz ordinäre Gegenstände wie zum Beispiel einen Bleistift betreffen, durch das elektronische Medium revolutioniert. Sie malen sich aus, daß der früher bürokratisch-schwerfällige Beschaffungsvorgang für derartige Verbrauchsgüter künftig von den jeweiligen Verwendern selbst viel kostengünstiger abgewickelt werden kann. In aller Regel verlaufen jedoch in den meisten Firmen derartige Vorgänge recht gut organisiert und mit geringem Zeitaufwand, der sicher durch Computereinsatz nicht zu unterbieten ist. Käme es aber wirklich dazu, daß jeder Angestellte zukünftig sein Büromaterial selbst zu beschaffen hat, würde damit sicher mehr Geld verschwendet als eingespart. Denn diese Aufgabendelegation zeigte wiederum eine höchst unerwünschte Nebenerscheinung des Computers: daß nun nämlich Banalitäten von Fachkräften zu erledigen sind, die dafür nicht bezahlt werden und denen dadurch für die wesentliche Arbeit die Zeit fehlt.
Kein Mittel für aktiven Verkauf
Insgesamt entsteht der Eindruck, daß die Vorzüge des Internet für den industriellen Einkauf von Leuten behauptet werden, die von den heutigen Grundbedingungen und den tatsächlichen Abläufen im Warenverkehr wenig Kenntnis haben. Der mit dem praktischen Verkaufsgeschehen Vertraute wundert sich, daß trotz der erheblichen Zweifel am Nutzen des Internet so viele Firmen erwartungsfroh und mit viel Aufwand ihre Website gestalten lassen, in der irrigen Hoffnung, daß nun die Nachfrage erheblich zunehmen werde. Denn das Internet ist ja im besten Falle ein Informationsmedium, keinesfalls aber ein Mittel für den aktiven Verkauf. Es bietet im wesentlichen das, was früher der Warenkatalog leistete - etwas umfassender und auf internationaler Ebene.
Nach den bisherigen Erfahrungen wird das Warenangebot im Internet überwiegend von Gruppen abgefragt, die der Website-Inhaber gar nicht ansprechen möchte: von Einmalkäufern, Privatpersonen und Kleinstbetrieben, die lediglich eine einzige Einheit erwerben möchten und die daher für den Anbieter völlig uninteressant sind. Und in zweiter Linie von den Wettbewerbern, die sich nun in aller Welt und in aller Ruhe über das Angebot eines Konkurrenten in einer Breite und Tiefe informieren können, wie das früher nie möglich war.
Rainer Stolz ist Berater und Verkaufstrainer in Neuss.